19.12

Abgeordnete Dr. Stephanie Krisper (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minis­ter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren zu Hause! Mit dieser Ge­setzesänderung wird mit Sondernormen die Unterbringung von unbegleiteten minderjäh­rigen Flüchtlingen, also UMFs, bis Ende des Jahres wegen Corona geklärt. Das ist sehr gut so.

Wir könnten aber noch mehr Kindern helfen, wegen oder auch trotz Corona. Ich war vor zwei Wochen in Athen und in Kara Tepe auf Lesbos und habe mir selbst ein Bild gemacht. Von der griechischen Ministeriumsseite wurde mir gesagt, dass es aktuell 3 500 UMFs in Griechenland gibt, aber nur für 2 500 adäquate Unterbringungen. Das heißt, hier gibt es 1 000 Kinder, die nicht adäquat versorgt werden.

Es gibt auch UMFs auf den griechischen Inseln und Kinder mit Eltern im Lager Kara Tepe. Darüber informiert die ÖVP, anscheinend insbesondere Kollegin Kugler, die leider gerade nicht im Saal ist, in ihren Antworten an BürgerInnen, die das kritisch sehen, wie die Regierung da vorgeht, ganz, ganz falsch.

In Kara Tepe wich die Eishölle jetzt einer heißen Hölle. Es gibt eigentlich primär Zelte und Baracken. Drinnen ist es backofenheiß, draußen brennt auch die Sonne runter. Die Kinder, die Familien – niemand hat eine wahre Perspektive, nicht wissend, wie lange man dort bleibt, ob man genug zu trinken bekommt, zu essen, ob man versorgt wird, wenn man medizinischen Bedarf hat. Das ist eine Perspektivenlosigkeit, die laut Ärzte ohne Grenzen und den anderen Ärzten, die dort arbeiten, die Menschen dort brechen lassen.

Wir haben von Personen gehört, die ein Jahr lang unter einer Belagerung in Syrien wa­ren und die Reise auf sich genommen haben. Teilweise werden die Menschen ja auch am Weg durch survival sex und andere Notwendigkeiten traumatisiert. Sie sind dann dort erst aufgrund dieser Perspektivenlosigkeit psychisch gebrochen, weil sie dort bis jetzt nicht das erfahren durften, was sie dachten zu erfahren, nämlich Sicherheit in Europa, sondern stattdessen völlige Perspektivenlosigkeit für Tage, Wochen, Monate, manchmal Jahre, darunter auch Kinder mit ihren Eltern.

Laut dem Bericht von Ärzte ohne Grenzen, „Constructing Crisis at Europe’s Borders“ – sehr passend –, sind zwei Drittel der behandelten suizidären Personen im Camp Moria und Kara Tepe Kinder. Das jüngste Kind, das versucht hat, sich das Leben zu nehmen, war sechs Jahre alt. Als ich im Lager war – ich habe das Kind extra nicht besucht –, war dort noch immer ein achtjähriges Mädchen in einem größeren Zelt mit der Mutter unter­gebracht, das seit dem Brand von Moria, seit September 2020, seit acht Monaten, dort liegt, nicht spricht und erst jetzt langsam wieder beginnt, Kontakt durch Blicke aufzuneh­men. Es gibt natürlich auch andere vulnerable Personen im Lager.

Von Ministeriumsseite war man daher sehr glücklich, dass sich bis jetzt schon zwölf Länder gefunden haben – darunter, Herr Innenminister, auch Länder, die schon viele Flüchtlinge aufgenommen haben: Italien, Deutschland –, die gesagt haben, wir nehmen im Rahmen des Voluntary Relocation Programs UMFs und Vulnerable auf. Die wurden seriös priorisiert, was sich auch dadurch bewiesen hat, dass in Deutschland ein Kind nach der Ankunft gestorben ist, weil hier wirklich nach Vulnerabilität vorgegangen wurde.

Im Lager Kara Tepe gibt es viele Kinder, deren Eltern schon längst Flüchtlinge sind, ein Drittel der 6 000 sind anerkannte Flüchtlinge und vegetieren dort herum, weil sie auch nicht wissen, wohin sie sollen.

Und bevor Sie mir jetzt mit SOS-Kinderdorf kommen: Heute hat diese Organisation klar­gestellt, dass man spätestens nach acht Wochen über einen europäischen Solidaritäts­pool diese besonders gefährdeten Kinder und Familien in EU-Ländern aufnehmen sollte, weil das kein Platz für Kinder ist.

In Österreich gibt es viele Menschen, die derartig solidarisch und menschlich handeln wollen, zum Beispiel die Initiative Courage mit der geordneten Rettung, aber auch Kir­chengemeinschaften, Kinder- und Jugendpsychiater und immer mehr Einzelpersonen.

Ich ermahne die ÖVP noch einmal, ihr Verhalten und ihre Position zu reflektieren. Begin­nen Sie einmal damit, dass Sie Menschen nicht falsch informieren, die sich ihrer inhuma­nen, nicht christlich-sozialen Haltung gegenüber kritisch äußern. Ich werde Kollegin Kug­ler dementsprechend eine Falsifizierung ihrer Mails und Bürgerbriefe übergeben, denn Wissen verpflichtet. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grü­nen.)

19.17

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Mag.a Faika El-Nagashi. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.