Abgeordnete Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer (NEOS): Vielleicht kurz zur Einführung zu meiner folgenden Frage: Es gibt jetzt von der Kommission wieder einen neuen GDP-Level-Vergleich zum Quartal 4 2019, wonach Österreich entgegen den Aussagen der österreichischen Bundesregierung an fünftletzter Stelle liegt. Also das zeigt sehr stark, dass wir im letzten Drittel sind, was die BIP-Entwicklung der letzten zwei Jahre, wenn man sich das im gesamten Bereich anschaut, betrifft.

Das heißt, ich würde darum bitten, dass man hier ein bisschen differenzierter sozusagen mit den großen Zahlen, die die Wirtschaft und das Land und die Republik beschäftigen, umgeht, wenn ich von den Kollegen von der ÖVP als Einziges höre, dass Österreich ja viel toller ist und sich alles so toll entwickelt. Ich würde hier ein bisschen um Diffe­renzierung bei Ihren Aussagen bitten. Ja, es ist ganz wichtig, dass wir uns gut aus dieser Krise herausbewegen, aber ich denke, man muss einfach auch die Zahlen so anschauen, wie sie sind, und die sind ja hier sehr klar.

Deswegen, basierend auch darauf, wie wir eben aus dieser Krise wieder herauskom­men, herausgehen und neu starten wollen, würde mich interessieren – in Ihrer Fraktion ist es schon ein paar Mal angesprochen worden –, ob wir jetzt sehr schnell und sehr rasch in eine Evaluierung der Wirtschaftshilfen gehen sollten, weil wir natürlich wissen müssen, wie effizient diese einzelnen Tools eben waren beziehungsweise was wir daraus gelernt haben.

Dazu wäre meine Frage: Wann genau soll denn das starten, und wie stellen Sie sich das vor – weil man ja vor allem auch unabhängige ExpertInnen gemeinsam mit dem Finanz­ministerium evaluieren lassen möchte?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 112/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie genau soll die Treffsicherheit und Effizienz von Covid-Wirtschaftshilfen von unab­hängigen Expert_innen, gemeinsam mit dem Finanzministerium, evaluiert werden?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel, MBA: Zunächst zu den Wachs­tumsprognosen: Mich würde sehr interessieren, von wann genau diese Prognose ist, denn die ändern sich de facto täglich. Wir haben mittlerweile die Situation, dass wir von der Statistik Österreich wissen, dass der Wachstumseinbruch in Österreich im letzten Jahr mit 6,3 Prozent unter dem Schnitt in der Eurozone war, und das hat lange als etwas gegolten, was nicht stimmt. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß. Das heißt, täglich ändern sich auch da die Bewertungen.

Ich habe mich ein wenig darüber geärgert – weil Sie gesagt haben: undifferenzierte Be­handlung von Prognosen –, als im vierten Quartal letzten Jahres der Einbruch vom vier­ten Quartal gegenüber dem dritten Quartal letzten Jahres herangezogen worden ist, und das nicht einmal von allen Ländern, ohne dass eine Differenzierung in der volks­wirtschaftlichen Auswirkung durch die Coronakrise vorgenommen worden ist. Wir wissen ganz genau, Österreich ist ein Tourismus- und Freizeitland, 15 Prozent des BIPs werden in diesem Bereich erwirtschaftet. Jeder zweite Wintersporturlaub findet in Österreich statt, das heißt, 50 Prozent aller Wintersporturlaube in Europa finden in der Wintersaison bei uns statt. Wenn die ausfällt und gleichzeitig das dritte Quartal im touristischen Be­reich ein sehr, sehr gutes war, ist natürlich klar, dass der Vergleich massiv hinken muss. Und wenn das jetzt ein ähnlicher ist, dann würde ich sagen, schauen wir uns den genauer an.

Faktum ist, dass die Wirtschaftsforschungsinstitute – alle, nicht nur das Wifo – und auch die Kommission die Prognosen für Österreich in den letzten Tagen massiv erhöht haben. Gestern, glaube ich, hat die Kommission 3,8 Prozent für heuer, 4,5 Prozent für nächstes Jahr bekannt gegeben. Also da würde ich gerne am Ende des Tages im Nachhinein über die Fakten sprechen und nicht über Prognosen, die jetzt schwer zu verifizieren sind.

Darüber hinaus zur Frage der Wirtschaftshilfen und der Evaluierung: Nun, wir tun das natürlich ständig. Wir sind in Kontakt mit den Experten des Wifo, mit anderen Experten und natürlich auch in Diskussion hier im Hohen Haus. Wir haben im letzten Jahr die Wirtschaftshilfen regelmäßig adaptiert, auch nach Anregungen von Ihrer Fraktion und anderen. Das heißt, hier wird eine ständige Beobachtung gemacht, und sie laufen ja zum Teil auch aus.

Wenn ich Ihnen eine Maßnahme nennen darf, die aus unserer Sicht belegt, wie treff­sicher sie mittlerweile ist, dann sind das die Steuerstundungen und die Art und Weise, wie wir auch die Ratenrückzahlungsmodelle aufgesetzt haben. Wir haben ja insgesamt über 5 Milliarden Euro an Steuervolumen gestundet oder herabgesetzt – aufgrund der Coronakrise war das auch notwendig, um Liquidität in den Unternehmen zu halten. Wir haben diese Steuerstundungsmöglichkeiten Mitte, Ende Juni auslaufen lassen, gleichzeitig aber eine sehr lange und sehr großzügige Ratenzahlungsvereinbarung möglich ge­macht; plus einer Safetycarphase für die ersten drei Monate.

Wir haben insgesamt über 330 000 Bescheide an natürliche und juristische Personen ausgeschickt, die Steuerstundungen beantragt haben, um zu fragen, wer denn diese Ratenzahlung in Anspruch nehmen möchte. Das Ergebnis war, dass nur rund 10 Prozent von dieser Ratenzahlung Gebrauch gemacht haben. Wir haben auch mit dem Wirt­schaftsforschungsinstitut gesprochen und gefragt, wie viel Prozent der Unternehmen ungefähr aufgrund der Krise derzeit noch Liquiditätsschwierigkeiten haben könnten, und dort kommt man auf einen sehr ähnlichen Wert: rund 10 Prozent.

Das heißt – das ist jetzt eine Korrelation, keine Kausalität, aber ich würde das einmal so sagen –, der Verdacht liegt nahe, dass das eine sehr treffsichere Maßnahme ist, die genau den Unternehmen unter die Arme greift, die es noch brauchen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordnete Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer (NEOS): Zuerst vielleicht noch einmal eine Klarstellung: Ich habe hier nicht von einer Prognose gesprochen, sondern vom Zeitraum der letzten acht Quartale, in dem die Kommission sich das BIP genau angesehen hat. Das heißt, es war keine Prognose, sondern das sind die Fakten, und die belegen, dass wir im letzten Drittel sind, was die BIP-Entwicklung innerhalb der letzten zwei Jahre betrifft. Das heißt, mir wäre einfach nur wichtig – das meine ich auch mit Differenziert­heit –, diese Fakten schlicht und einfach auch Fakten sein zu lassen und sich eben genau nicht auf das zu beziehen, was Sie gerade gesagt haben, nämlich dass sich das täglich ändert, denn das ist ja ganz klar. Faktum ist also, was in den letzten zwei Jahren passiert ist. Das war die Differenziertheit, die ich mir wünschen würde.

Vielleicht eine Nachfrage konkret zu den Evaluierungen: Sie haben die Steuer­stundun­gen angesprochen, diese waren sicher ein gutes Mittel. Was uns aber abgeht oder was wir uns wünschen würden, wäre, dass man jetzt im Nachhinein eben alle Mittel neben­einanderstellt, sie genau evaluiert und dann sagt, was bei einer nächsten Krise wirklich wieder Sinn macht, die ja de facto durchaus kommen kann, auch wenn wir uns alle wün­schen, dass das nicht passieren wird.

Ganz konkret zu den Steuerstundungen – wir haben das ja öfter diskutiert –: Das war uns zu breit, das war uns nicht zielgerichtet genug. Das heißt, unser Blick wäre ja schon darauf gerichtet, dass man sagt, man muss in Zukunft einfach ganz zielgerichtet auch gewissen Branchen helfen können.

Deswegen nochmals meine Fragen: Wird es eine gesamtheitliche Evaluierung geben, die dann natürlich auch mit dem Nationalrat geteilt werden wird? Wer ist da dabei? Vielleicht sogar der Budgetdienst? Und wie können wir das dann auch parlamentarisch sozusagen kontrollieren? – Vielen Dank.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel, MBA: Zunächst noch zur Frage der Ergebnisse, der Wirtschaftsdaten: Es würde mich trotzdem interessieren, ob das alle Länder im Vergleich sind, ob Rücksicht auf die wirtschaftliche Zusammensetzung und auf die Betroffenheit von Corona genommen wird, denn wir wissen beide – Sie können das Sepp Schellhorn jetzt nicht mehr fragen, aber er wird Ihnen das auch sagen kön­nen –, dass Österreich ein sehr touristisch geprägtes Land ist und dass diese Länder natürlich – vor allem in den Bereichen, in denen sehr enger persönlicher Kontakt not­wendig ist, im Dienstleistungsbereich, im touristischen Bereich – durch die Coronakrise härter getroffen sind als andere. Dennoch hat Österreich einen unterdurchschnittlichen Wirtschaftseinbruch im Vergleich zur Eurozone gehabt, und das lässt sich natürlich auch auf die Maßnahmen im Wirtschaftsbereich zurückführen.

Zur Frage der Evaluierung: Ja, es gibt die regelmäßigen Berichte, die wir ständig – auch nach Anregungen aus dem Hohen Haus – verfeinern. Ich glaube, im Nachhinein wird man feststellen, dass wir in einigen Bereichen sehr, sehr rasch die richtigen Maßnahmen gesetzt haben, aber natürlich nehme ich gar nicht in Anspruch, dass man am Beginn einer noch nie da gewesenen Krise alles richtig machen kann. Auch seitens der Euro­päischen Kommission sind viele Möglichkeiten erst im Nachhinein entstanden. Ich kann mich daran erinnern: Die zu 100 Prozent garantierten Kredite, die die Schweiz sofort aufgelegt hat, waren aus wettbewerbsrechtlicher Sicht innerhalb der Eurozone gar nicht möglich. Darüber hinaus war der Verlustersatz, der, glaube ich, eine sehr langfristige und vielleicht auch für die nächste Krise wirksame Maßnahme sein kann, ein Rechen­modell, das erst im November letzten Jahres von der Kommission präsentiert worden ist.

Also ja, ich glaube, wir haben alle viel daraus gelernt. Das wird natürlich dazu beitragen, dass die nächste Krise – hoffentlich kommt sie nicht so bald! – sicherlich adäquater und schneller bewältigt werden kann als die letzte.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Eine Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Kaufmann. – Bitte sehr.

Abgeordnete Martina Kaufmann, MMSc BA (ÖVP): Guten Morgen, Herr Minister! Die Wirtschaftshilfen sind und waren richtig und wichtig für die Unternehmerinnen und Unter­nehmer. Meine Nachfrage: Wie kann sichergestellt werden, dass sogenannte Zombie­unternehmen nicht unterstützt werden?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel, MBA: Das ist eine breite und wichtige Diskussion, dass Produktionsmittel natürlich am besten dort einzusetzen sind, wo sie auch die höchste Produktivität bewirken. Wir haben eine Debatte über die Frage geführt, warum die Produktivität in vielen Industrieländern in den letzten Jahren zu wün­schen übrig gelassen hat. Ein mögliches Erklärungsmodell sind die sehr, sehr niedrigen Zinsen, und dadurch rechnen sich natürlich auch Geschäftsmodelle, die sehr geringe Margen haben.

Natürlich stellt sich auch im Bereich der Wirtschaftshilfen in einer Krise die Frage, wie man diese aufsetzt, damit sie dort ankommen, wo sie auch wirklich gebraucht werden. Wir haben möglichst alles dafür getan, um das sicherzustellen. Wir haben in den Richt­linien für alle Hilfen darauf Wert gelegt, dass sie nur den Unternehmen gewährt werden, die vor dem 31.12.2019 ein funktionierendes Geschäftsmodell gehabt haben und eben nicht in den Insolvenzbereich gefallen sind. Das ist, glaube ich, auch nach Sicht der Europäischen Union und Kommission eine adäquate Einschränkung gewesen.

Kann man in jeder Hinsicht ausschließen, dass man das eine oder andere Unterneh­men – unter Anführungszeichen – „zu viel“ gerettet hat? – Nein, kann man natürlich nicht. Ich glaube aber, das war eine Abwägung, über die eine gute und wichtige Ent­scheidung getroffen worden ist, denn – ich habe das schon im letzten Jahr gesagt – mir ist es lieber, wir retten das eine oder andere Unternehmen, das vielleicht nicht mehr wirtschaftlich überlebensfähig ist, zu viel, als ein Unternehmen, das eigentlich ein gut funktionierendes Wirtschaftsmodell hat, zu wenig.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Haubner. – Bitte sehr.