18.56

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Schiedsgerichte ist eine, die man meines Erachtens sehr intensiv diskutieren muss; das ist vor allem im historischen Zu­sammenhang zu sehen. Wenn man über Schiedsgerichte insgesamt – internationale Schiedsgerichte, Handelsschiedsgerichte – diskutieren möchte, muss man selbstver­ständlich hinterfragen, warum es die von Anfang an gegeben hat. Was glauben Sie, wer das erfunden hat, Frau Bundesministerin? (Ruf bei der ÖVP: Die Deutschen!) – Die Deutschen haben das erfunden, genau. (Abg. Hörl: Richtig!)

Die Deutschen haben das deshalb erfunden, weil sie als Exportnation in einer Situation waren, in der Märkte in sehr, sehr unsicheren Gegenden erschlossen werden sollten. Ich muss offen zugeben, zu dieser Zeit hatten die Schiedsgerichte und all die Normen rundherum ja auch einen gewissen Sinn. Der Sinn war, dass einerseits der Investor geschützt wurde – vor Zuständen der Rechtlosigkeit, vor Anarchie, vor Revolutionen und was da sonst alles passieren konnte –, auf der anderen Seite aber auch das Land, in das sonst vielleicht keine Investoren gekommen wären, profitiert hat. Es war also eigent­lich auf eine gewisse Art und Weise eine Situation, in der beide davon profitieren konn­ten.

Dieser ursprüngliche Gedanke hat sich aber meines Erachtens in etwas sehr, sehr Schlechtes weiterentwickelt, nämlich in ein System, das Investoren, Investorinnen Schutz vor rechtsstaatlichen Institutionen bietet, und es hat eine große Anzahl von Fällen gegeben, in denen das auch tatsächlich so war. Das bekannteste Verfahren in dieser Frage war das Vattenfall-Verfahren. Da ist es darum gegangen, dass ein schwedischer Energiekonzern die Bundesrepublik Deutschland, als sie sich entschlossen hat, aus der Atomenergie auszusteigen, mithilfe der Investor-State-Dispute-Settlement-Clauses – so heißen diese Klauseln, die zwischen Staaten und Investoren Frieden und Ruhe schaffen sollten – geklagt hat und den Atomausstieg als Szenario, als Begründung für diese Klage herangezogen hat.

Geschätzte Damen und Herren, das widerspricht natürlich vollkommen dem ursprüngli­chen Sinn dieser Klauseln. Sowohl Schweden als auch die Bundesrepublik Deutschland sind Rechtsstaaten, sowohl Schweden als auch die Bundesrepublik Deutschland sind Demokratien, sowohl Schweden als auch die Bundesrepublik Deutschland haben ein funktionierendes Rechtssystem, deshalb ist es meines Erachtens eine Perversion dieses ursprünglichen Systems und führt dazu, dass große Investoren außerhalb des Rechts­staates gestellt werden. Und das geht natürlich nicht, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich kann Ihnen noch viele Beispiele aufzählen. Man sieht, dass es insbesondere Länder mit einer nicht so wehrhaften Verfasstheit wie beispielsweise jener von großen Wirt­schaftsgiganten wie Deutschland sind, die unter diesen Systemen leiden. Beispielsweise war es in Ecuador so, dass Ecuador 1 Milliarde US-Dollar zahlen musste, weil das Land aus Ölförderverträgen mit einem amerikanischen Ölkonzern, die direkt zum Abholzen des Amazonas geführt hätten, einseitig ausgestiegen ist. Das ist natürlich etwas, ge­schätzte Damen und Herren von den Grünen, das wahrscheinlich auch für Sie inak­zeptabel ist. Es kann nicht sein, dass durch private Schiedsgerichte die Amazonasab­holzung fortgesetzt wird. Das ist wirklich etwas, das zutiefst abzulehnen ist. Ich denke, da sind wir uns einig. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Auch ganz interessant: Uruguay. Uruguay beispielsweise hat sich entschlossen, den Nichtraucherschutz zu verstärken, was ja auch sehr bemerkenswert und sehr sinnvoll ist. Die Reaktion darauf war eine Klage des Philip-Morris-Konzerns. Der Philip-Morris-Konzern konnte das Land massiv unter Druck setzen. Es geht ja nicht darum, wie am Ende geurteilt wird, allein der mögliche Druck auf die Gesetzgebung ist natürlich etwas, das zutiefst abzulehnen ist.

Kanada musste sich im Rahmen des Nafta-Freihandelsabkommens gegenüber mehre­ren Ölkonzernen verantworten – auch eine Situation, die wir sicher alle gemeinsam nicht als positiv erachten, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, und auch das ist Ausfluss dieser Verträge.

Jetzt können Sie natürlich fragen, was das für uns bedeutet und warum wir das heute diskutieren. Es stellt sich einerseits die Frage, ob innereuropäisch Handlungsbedarf be­steht. Ich bezweifle einmal, ob der wirklich besteht (Bundesministerin Schramböck: Der besteht!), weil die Europäische Union ein Rechtsstaat ist (Bundesministerin Schram­böck: Bulgarien, Rumänien, Ungarn!) und die Europäische Union durch Rechtsstaaten gebildet wurde und sich meines Erachtens europäische Konzerne selbstverständlich an die Gesetze der jeweiligen Mitgliedstaaten zu halten und auch die Gerichtsentscheidun­gen zu akzeptieren haben. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass natürlich die Europäi­sche Union als Gesamtes auch als europäischer Player agiert. (Abg. Gerstl: Redezeit!)

Was mich so fasziniert hat: Es war eigentlich nie ein Thema in Österreich, es gibt ja unzählige Abkommen, die die Europäische Union geschlossen hat, auch diese Investor-State-Dispute-Settlement-Abkommen. Plötzlich ist dann Ttip zu uns gekommen, und bei Ttip ist das erste Mal ernsthaft über diese Frage diskutiert worden, und da haben wir gesehen, dass wir in Österreich diese Investor-State-Dispute-Settlement-Clauses nicht wollen, geschätzte Damen und Herren. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

19.03

Präsidentin Doris Bures: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Gerald Loacker. – Bitte. (Abg. Wöginger: Brauchst du auch so lange?)