Kurze Debatte über ein Verlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Präsidentin Doris Bures: Wie bereits angekündigt gelangen wir nunmehr zur kurzen Debatte über das Verlangen 4/US auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betreffend „Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder (ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss)“.

Dieses Verlangen wurde, wie bereits angekündigt, teilweise verteilt, jedenfalls an alle Abgeordneten elektronisch verteilt. Ist das so? – Gut.

Das Verlangen hat folgenden Wortlaut:

Verlangen

auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

gemäß § 33 Abs. 1 2. Satz GOG-NR

der Abgeordneten Kai Jan Krainer, Christian Hafenecker, MA, Dr.in Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder (ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss)

Der „Ibiza“-Untersuchungsausschuss hat ein Sittenbild türkiser Politik offenbart, das an­sonsten hinter einer teuren PR-Fassade versteckt geblieben wäre. Die Realität türkiser Politik ist eine, wo es um „Kriegst eh alles, was du willst“, um die türkisen „Aufsichts­ratssammler“, um „Wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung“, um Millionenaufträge aus türkisen Ministerien an eng mit der ÖVP verbundene Unternehmen und zuallererst um die Frage geht: Gehörst du zur Familie?

Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe und die von ihr vorgelegten Belege für ein System des parteipolitischen Missbrauchs öffentlicher Gelder und Strukturen un­ter der Führung von Sebastian Kurz und seinen Gefolgsleuten übertreffen sämtliche Be­fürchtungen. Das bisher Bekannte ist womöglich nur die Spitze des Eisbergs.

Damit klar wird, wer die politische Verantwortung dafür trägt, dass in unserem Land in den letzten Jahren ein mutmaßliches System der Korruption und des Machtmissbrauchs zum zentralen Instrument von Regierungspolitik werden konnte, muss die Aufklärung dort fortgesetzt werden, wo der „Ibiza“-Untersuchungsausschuss aufhören musste. Der Kontrollauftrag, den die Bundesverfassung dem Nationalrat überträgt, gebietet dies.

Die unterzeichneten Abgeordneten verlangen daher gemäß Art. 53 Abs. 1 2. Satz B VG sowie § 33 Abs. 1 2. Satz GOG NR die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit folgendem

Untersuchungsgegenstand

Untersuchungsgegenstand ist das Gewähren von Vorteilen an mit der ÖVP verbundene natürliche und juristische Personen durch Organe der Vollziehung des Bundes im Zeit­raum von 18. Dezember 2017 bis 11. Oktober 2021 sowie diesbezügliche Vorbereitungs­handlungen auf Grundlage und ab Beginn des „Projekts Ballhausplatz“ auf Betreiben eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses einer größeren Anzahl von in Organen des Bundes tätigen Personen, bestehend aus der ÖVP zuzurechnenden Mit­gliedern der Bundesregierung, StaatssekretärInnen sowie MitarbeiterInnen ihrer politi­schen Büros, zu parteipolitischen Zwecken und die damit gegebenenfalls zusammen­hängende Umgehung oder Verletzung gesetzlicher Bestimmungen sowie der dadurch dem Bund gegebenenfalls entstandene Schaden. 

Beweisthemen und inhaltliche Gliederung des Untersuchungsgegenstands

1.         Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren

Aufklärung über Vorwürfe der parteipolitischen Beeinflussung der Vergabe von Aufträ­gen in den Bereichen Beratung, Forschung, Kommunikation und Werbung einschließlich Eventmanagement sowie von Aufträgen und Förderungen mit einem Volumen von 40.000 Euro oder mehr zu mutmaßlichen Gunsten von mit der ÖVP verbundenen Per­sonen und den dem Bund daraus entstandenen Kosten, und insbesondere über

-           Einflussnahme auf Vergabeverfahren zu Gunsten politisch nahestehender Unternehmen mit dem mutmaßlichen Ziel, indirekte Parteienfinanzierung zu tä­tigen, insbesondere in Hinblick auf die Vergabe von Kommunikations- und Mei­nungsforschungsaufträgen und sonstigen wahlkampfrelevanten Dienstleistun­gen;

-           Beauftragung von Studien und Umfragen zu mutmaßlichen Gunsten politischer Entscheidungsträger der ÖVP durch Bundesministerien sowie durch Unterneh­men, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist;

-           Beauftragung von Unternehmen, die auch für die ÖVP oder verbundene Per­sonen tätig sind, insbesondere das Campaigning Bureau, die Blink Werbeagen­tur, die GPK GmbH, die Media Contacta GmbH, Schütze Positionierung, Re­search Affairs und das tatsächliche Erbringen der gewünschten Leistungen; all­fällige Mängel in der Dokumentation der Leistungserbringung; die mögliche Um­gehungskonstruktion, diese Unternehmen als Subunternehmer zu tarnen;

-           Buchungen von Inseraten, insbesondere den sprunghaften Anstieg der Insera­tenausgaben im Jahr 2017 im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, des Bundeskanzleramts im Jahr 2020 sowie Einflussnahme auf die Vergabe von Media-Agenturleistungen im Ausmaß von insgesamt 180 Millionen Euro und der Vergabe dieses Auftrags an die Unternehmen mediacom, Wave­maker und Group M sowie eines korrespondierenden Werbeetats im Ausmaß von 30 Mio. Euro über die Bundes-Beschaffungsgesellschaft an u.a. Jung von Matt im Jahr 2021; Buchung von Inseraten im Zusammenhang mit dem soge­nannten „Beinschab ÖSTERREICH Tool“ im Bundesministerium für Finanzen und ab 2018 im Bundeskanzleramt sowie parteipolitisch motivierte Tätigkeiten der „Stabsstelle Medien“ im Bundeskanzleramt, insbesondere die Einflussnahme auf Inseratevergaben von Organen des Bundes;

-           mögliche Kick-Back-Zahlungen zu wirtschaftlichen Gunsten der ÖVP oder mit ihr verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, insbesondere in Hinblick auf die indirekte Finanzierung von Wahlkampfaktivitäten durch das Verlangen ei­nes Überpreises gegenüber Organen des Bundes bei Auftragsvergaben, insbe­sondere bei Aufträgen des Bundesministeriums für Inneres an Werbeagenturen in der Amtszeit von Wolfgang Sobotka;

-           mögliche Umgehung der vergaberechtlichen Bestimmungen zu Gunsten von mit der ÖVP verbundenen Personen, insbesondere im Wege von Rahmenverträgen der Bundes-Beschaffungsgesellschaft sowie von Aufträgen an das Bundesre­chenzentrum;

-           Vorwürfe des “Maßschneiderns“ von Ausschreibungen der Bundesministerien auf bestimmte mit der ÖVP verbundene AnbieterInnen und allfällige außerge­richtliche Absprachen (zB Verzicht auf Rechtsmittel) mit den unterlegenen Biete­rInnen;

-           Vergabe von Förderungen der Bundesministerien und mit Förderzwecken des Bundes betrauten Einrichtungen an mit der ÖVP verbundene natürliche und ju­ristische, insbesondere über die Rechtfertigung des Förderzwecks und über die Erbringung der erforderlichen Nachweise durch die FördernehmerInnen sowie die Angemessenheit der Förderhöhe im Vergleich zu gleich gelagerten Förder­anträgen;

-           Ausmaß und Einsatz der im Bundesfinanzgesetz vorgesehenen Mittel für Werbe­maßnahmen in ÖVP-geführten Bundesministerien, insbesondere im Vorfeld und in Zusammenhang mit Wahlkämpfen;

-           Schaffung und Gestaltung von Finanzierungsprogrammen des Bundes für Unter­nehmen spezifisch in Hinblick auf eine spätere Gegenleistung in Form einer Be­günstigung von politischen Parteien oder WahlwerberInnen einschließlich von damit zusammenhängenden gesetzlichen Änderungen wie etwa im Falle des Pri­vatkrankenanstalten-Finanzierungsfondsgesetzes.

2.         Einflussnahme auf Beteiligungen des Bundes

Aufklärung über (versuchte) Einflussnahme auf Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist, einschließlich der Bestellung der jeweiligen Organe, dem Zu­sammenwirken mit weiteren EigentümerInnen und jeweiligen OrganwalterInnen sowie der Ausübung von Aufsichtsrechten durch Mitglieder des Zusammenschlusses mit dem mutmaßlichen Ziel, die Geschäftstätigkeit dieser Unternehmen im Sinne der ÖVP zu steuern, und insbesondere über

-           (vorzeitige) Abberufung von Organen ausgegliederter Gesellschaften, insbe­sondere in Hinblick auf die Bestellung von Bettina Glatz-Kremsner als ÖVP-Kan­didatin in den Vorstand der Casinos Austria AG und das Bestehen eines politi­schen Hintergrunddeals für diese Bestellung; den durch vorzeitige Abberufungen entstandene Schaden für die Republik;

-           den Informationsfluss in Angelegenheiten des Beteiligungsmanagements zwi­schen dem Bundesministerium für Finanzen und den Bundesministern Blümel, Löger sowie Bundeskanzler Kurz, insbesondere in Hinblick auf die Auswahl von Organen der ÖBIB und ÖBAG und der Entstehung der Vorschläge für die Be­setzung des Aufsichtsrats der ÖBAG sowie den Vorstand der ÖBAG;

-           Motive für Vorbereitungen für einen Verkauf (Privatisierung) von Anteilen an Be­teiligungen des Bundes sowie entsprechende Szenarienentwicklung und Analy­se, insbesondere von Anteilen der Austrian Real Estate als Tochter der Bundes­immobiliengesellschaft, und das Zusammenwirken mit ParteispenderInnen der ÖVP aus dem Immobiliensektor sowie die Rolle von René Benko in Hinblick auf die Geschäftstätigkeit der BIG und der ARE, insbesondere die Hintergründe des 99-jährigen Mietvertrags mit der BIG für das Gebäude der Postsparkasse.

3.         Beeinflussung von Ermittlungen und Aufklärungsarbeit

Aufklärung über (versuchte) Einflussnahme auf die Führung von straf- und disziplinar­rechtlichen Verfahren und die Verfolgung pflichtwidrigen Verhaltens von mit der ÖVP verbundenen Amtsträgern sowie über den Umgang mit parlamentarischen Kontrollins­trumenten zum mutmaßlichen Zweck der Behinderung der Aufklärungsarbeit im partei­politischen Interesse der ÖVP, und insbesondere über

-           Einflussnahme durch Justiz- bzw. InnenministerInnen, deren jeweilige Kabinette sowie durch Christian Pilnacek einerseits und Michael Kloibmüller, Franz Lang sowie Andreas Holzer andererseits auf Ermittlungsverfahren mit politischer Rele­vanz, insbesondere in Folge des Bekanntwerdens des „Ibiza“-Videos sowie ge­gen (ehemals) hochrangige politische FunktionsträgerInnen der ÖVP wie Josef Pröll und Hartwig Löger; Vorwürfe der politisch motivierten Einflussnahme auf Strafverfahren gegen mit der ÖVP verbundenen Personen wie (potentielle) Spen­derInnen, insbesondere Ermittlungen gegen René Benko in der Causa Chalet N;

-           Informationsflüsse über Ermittlungen in politisch für die ÖVP relevanten Verfah­ren an politische EntscheidungsträgerInnen und deren MitarbeiterInnen, insbe­sondere den Informationsstand des/der jeweiligen BundesministerIn für Justiz und des/der jeweiligen BundesministerIn für Inneres über laufende Ermittlungen im „Ibiza“-Verfahrenskomplex; Weitergabe von vertraulichen Informationen an nicht-berechtigte Personen, insbesondere über Hausdurchsuchungen bei Hart­wig Löger, Gernot Blümel, Thomas Schmid und Sabine Beinschab, sowie bei der ÖVP Bundespartei;

-           Pläne von mit der ÖVP verbundenen Personen für die Erlangung von Daten der WKStA, den Informationsfluss zwischen dem damaligen Bundesminister, seinem Kabinett und dem ehemaligen Bundeskanzler Kurz;

-           Einflussnahme auf aus der Veranlagung von Parteispenden an die ÖVP oder ihr nahestehende Organisationen resultierende Finanzstrafverfahren bzw. die mög­liche Verhinderung der Einleitung solcher Verfahren; Einflussnahme auf gegen (potentielle) SpenderInnen der ÖVP geführte Finanzstrafverfahren;

-           die Ausübung der Fach- und Dienstaufsicht gegenüber der WKStA, insbesondere durch die Oberstaatsanwaltschaft Wien und deren Leiter Johann Fuchs, und die mutmaßlich schikanöse Behandlung der WKStA in für die ÖVP politisch relevan­ten Fällen;

-           Vorwürfe der Behinderung der Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungs­ausschusses, insbesondere die interne Vorbereitung und Kommunikation zur Frage der Erfüllung der Beweisanforderungen und Erhebungsersuchen des Aus­schusses im Bundesministerium für Finanzen einschließlich der Einbindung des Bundesministers für Finanzen und der Finanzprokuratur in diese Angelegenhei­ten zum mutmaßlichen Zwecke des Schutzes von mit der ÖVP verbundenen Per­sonen einschließlich des Bundesministers Blümel selbst.

4.         Begünstigung bei der Personalauswahl

Aufklärung über Bestellung von Personen in Organfunktionen des Bundes oder Aus­übung von Nominierungsrechten des Bundes abseits jener in Beteiligungen des Bundes sowie Aufnahme von Personen in Beratungsgremien (insbesondere Think Austria) oder Delegationen mit dem mutmaßlichen Ziel, einen kontrollierenden Einfluss für mit der ÖVP verbundene Personen auf die Tätigkeiten dieser Organe zu erreichen, oder Be­stellungen als mutmaßliche Folge oder in Erwartung einer Begünstigung der ÖVP, und insbesondere über

-           Einhaltung der Bestimmungen des Ausschreibungsgesetzes bei der Vergabe von Leitungsfunktionen in ÖVP-geführten Bundesministerien;

-           Interventionen für (ehemalige) PolitikerInnen der ÖVP und deren Versorgung mit Beschäftigungsverhältnissen; möglichen Schaden für den Bund durch Ermögli­chung solcher Begünstigung insbesondere durch frühzeitige Abberufung anderer OrganwalterInnen oder die Schaffung neuer Funktionen;

-           Vorwürfe des „Maßschneiderns“ von Ausschreibungen von Leitungsfunktionen auf parteipolitisch loyale KandidatInnen durch Mitglieder des ÖVP-Zusammen­schlusses;

-           Einhaltung der Qualifikationserfordernisse bei der Besetzung von Planstellen durch mit der ÖVP verbundene Personen, insbesondere durch MitarbeiterInnen politischer Büros von ÖVP-Regierungsmitgliedern.

Unter einem wird gemäß § 33 Abs. 4 GOG-NR die Durchführung einer Debatte verlangt. 

Begründung

Untersuchungsziele:

Der Untersuchungsausschuss soll entlang der Beweisthemen umfassend klären, ob es ausgehend vom „Projekt Ballhausplatz“ durch eine Gruppe von in Organen des Bundes tätigen, der ÖVP zuzuordnenden Personen zu Missbrauch von Organbefugnissen zum Zweck der Förderung der parteipolitischen Interessen der ÖVP gekommen und dadurch staatlichen Interessen möglicherweise ein Schaden entstanden ist. Zu dieser Aufklärung gehört unter Anerkennung des in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständli­chen Ausmaßes an parteipolitischer Motivation, festzustellen, inwieweit die gesetzlichen Regelungen lückenhaft sind oder wo solche Regelungen umgangen oder gebrochen wurden und somit der Verdacht auf Gesetzesverstöße besteht. Die Untersuchung soll die Grundlage für zukünftige gesetzliche Maßnahmen zur Stärkung der Korruptionsprä­vention, zur Verminderung der Missbrauchsanfälligkeit bei der Vergabe von Finanzmit­teln und Funktionen sowie zur Stärkung der Kontrollmechanismen bilden.

Zum bestimmten Vorgang:

Mit der Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, wird dem Nationalrat ein Instrument der politischen Kontrolle eröffnet (Kahl, Art. 52b B-VG, in: Korinek/Holou­bek et al. [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 7. Lfg. 2005, 4). Die Befugnisse, die dem Untersuchungsausschuss durch das Bundes-Verfassungsgesetz übertragen werden, sollen eine wirksame parlamentarische Kontrolle durch den Nationalrat ermöglichen. Da mit Art. 53 Abs. 1 B-VG einem Viertel der Mitglieder des Nationalrates ein Minderheits­recht eingeräumt wurde (siehe AB 439 BlgNR XXV. GP, 2), kommt der verlangenden Minderheit – im Sinne der wirksamen Ausgestaltung dieses Rechtes – grundsätzlich auch das Recht zu, das zu untersuchende Thema frei zu bestimmen, in das gegen ihren Willen nicht eingegriffen werden darf (VfSlg. 20370/2020, 167).

Die Autonomie der Einsetzungsminderheit ist demokratiepolitisch geboten. Denn Unter­suchungsverfahren haben in der parlamentarischen Demokratie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen (vgl. Kahl, aaO, 6; Neisser, Art. 53 B-VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 17. Lfg. 2016, 20). Durch sie erhält der Nationalrat die Möglichkeit, unabhängig von Regierung, Behörden und Gerichten mit ho­heitlichen Mitteln selbständig die Sachverhalte zu prüfen, die er in Erfüllung seines ver­fassungsgesetzlichen Auftrags zur Kontrolle der Vollziehung für aufklärungsbedürftig hält. Art. 53 Abs. 3 B VG räumt dem Untersuchungsausschuss daher ein die Legislative einseitig begünstigendes Recht zur Selbstinformation ein (vgl. AB 439 BlgNR XXV. GP, 5).

In der Sicherstellung der Wirksamkeit dieses Kontrollinstruments liegt die verfassungs­rechtliche Bedeutung des Minderheitsrechts. Denn das ursprüngliche Spannungsver­hältnis zwischen Parlament und Regierung, wie es in der konstitutionellen Monarchie bestand, hat sich in der parlamentarischen Demokratie, deren Parlamentsmehrheit re­gelmäßig die Regierung trägt, gewandelt. Es wird nun vornehmlich geprägt durch das politische Spannungsverhältnis zwischen der Regierung und den sie tragenden Parla­mentsparteien einerseits und der Opposition andererseits. Im parlamentarischen Regie­rungssystem überwacht daher in erster Linie nicht die Mehrheit die Regierung, da die Regierung ja von gerade dieser Mehrheit getragen wird (vgl. Öhlinger, Die Bedeutung von Untersuchungsausschüssen als besonderes Instrument parlamentarischer Kontrol­le, in Bußjäger [Hrsg.], Die Zukunft der parlamentarischen Kontrolle, 2008, 108f; Neisser, aaO, 20f). Diese Aufgabe wird vorwiegend von der Opposition - und damit in der Regel von einer Minderheit - wahrgenommen. Das durch die Verfassung garantierte Recht der Minderheit auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses darf - soll vor diesem Hin­tergrund die parlamentarische Kontrolle ihren Sinn noch erfüllen können - nicht ange­tastet werden.

Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Sinne bereits ausgesprochen, dass der Wahl des Anliegens der Untersuchung zunächst keine Grenzen gesetzt sind. Es ist allein der politischen Wertung von Abgeordneten des Nationalrates anheimgestellt, welches Anlie­gen der politischen Kontrolle durch einen Untersuchungsausschuss zugeführt werden soll. Es bedarf weder eines Verdachts noch eines Anlasses (VfSlg. 20370/2020, 167).

Ein Verlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kann jedoch nur dann zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses führen, wenn der Vorgang, der unter­sucht werden soll, den Anforderungen des Art. 53 Abs. 2 B-VG entspricht, es sich also um einen bestimmten, abgeschlossenen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bun­des handelt. Soweit ein Verlangen rechtmäßig ist, muss diesem umgekehrt aber auch entsprochen werden.

Vor dem Hintergrund, dass der Verfassungsgesetzgeber bei der Beschlussfassung über Art. 53 Abs. 2 B-VG und insbesondere über die Verwendung des Begriffes "bestimm­ter […] Vorgang" das "etablierte parlamentarische Konzept" (so Konrath/Neugebau­er/Posnik, Das neue Untersuchungsausschussverfahren im Nationalrat, JRP 2015, 216 [218]) aus Art. 52b B-VG und § 99 Abs. 2 GOG-NR – der in Ausführung von Art. 126b Abs. 4 B-VG ergangen ist – vor Augen hatte (AB 439 BlgNR XXV. GP, 3; der Begriff wird in der Praxis weit ausgelegt [vgl dazu Konrath/Neugebauer/Posnik, aaO, 218; Kahl, aaO, 4; Zögernitz, Nationalrat-Geschäftsordnung4, 2020, 622]), sind keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Gegenstandes der Untersuchung (Art. 53 Abs. 2 B VG) zu stellen (VfSlg. 20370/2020, 171).

Für ein vermindertes Bestimmtheitserfordernis spricht auch, dass zum Zeitpunkt der Ein­setzung eines Untersuchungsausschusses das Tatsachenmaterial, um dessen Ermittlung es gerade gehen soll, häufig noch sehr lückenhaft sein wird. Würde verlangt, dass in einem Verlangen der zu untersuchende Vorgang exakt benannt werden muss, würde politische Kontrolle, die in der Praxis oft nur von Vermutungen ausgehen kann, unterlau­fen (vgl. Konrath/Posnik, Art. 53 BVG, in: Kahl/Khakzadeh/Schmid [Hrsg.] Bundesverfas­sungsrecht, 2021, 11). Denn gerade im Fall politischer Kontrolle setzt die Notwendigkeit, etwas erst aufzuklären, denklogisch ein hohes Maß an vorausgehender Unbestimmtheit voraus, da dem Nationalrat abseits des Untersuchungsrechts des Art. 53 B-VG kein Recht zur Selbstinformation zusteht, das ggf. auch mit hoheitlichen Mitteln durchgesetzt werden kann. Es wäre in diesem Sinne verfehlt, in einem Einsetzungsverlangen eine Bestimmtheit des zu untersuchenden Vorgangs zu verlangen, die auch nur annähernd jenem Grad entspricht, der gerade erst durch die Untersuchung hervorgebracht werden kann. Die Erfüllung einer solchen Voraussetzung wäre in jedem Fall unmöglich. Insbe­sondere ist es Wesensmerkmal einer Untersuchung, dass die ihr zu Grunde liegenden Annahmen im Zuge der Untersuchung auch noch widerlegt werden können. Der Rech­nungshof hat auf gleichartige Weise darauf hingewiesen, dass von ihm nicht verlangt werden kann, die erst im Rahmen seiner Prüfung erkundbaren Umstände bereits im Vorhinein darzulegen (vgl. VfGH 11.12.2018, KR1/2018 ua). Aus diesen Gründen muss es dem Nationalrat unbenommen bleiben, den Untersuchungsgegenstand umfassender zu formulieren.

Das Bestimmtheitserfordernis kann auch nicht so weit reichen, dass ein Verlangen nur Rechtsbegriffe enthalten darf. Im Hinblick auf den weiten Vollziehungsbegriff des Art. 53 B-VG sowie den politischen Charakter der Untersuchung ist für die Bestimmtheit allein die Eignung der verwendeten Begriffe maßgebend, den Untersuchungsgegenstand in einer Weise zu umschreiben, dass sich jedenfalls anhand einer Auslegung ein eindeu­tiges Ergebnis gewinnen lässt. In diesem Sinne erläutern die Materialien (AB 439 BlgNR XXV. GP, 4) den Begriff des bestimmten Vorgangs als lediglich "bestimmbare[n] und abgrenzbare[n] Vorgang" in der Vollziehung des Bundes. Die Untersuchung könne – so die Materialien weiter – "mithin nur inhaltlich zusammenhängende Sachverhalte" betref­fen. Das Wort "ein" werde als "unbestimmter Artikel und nicht als Zahlwort verwendet". Die "Forderung eines inhaltlichen, personellen oder zeitlichen Zusammenhangs" (Her­vorhebung nicht im Original) schließe aus, "dass mehrere, unterschiedliche Vorgänge oder Themen in einem Untersuchungsausschuss untersucht werden, die nur lose mitein­ander verknüpft sind, etwa weil es sich um Vorgänge innerhalb des Zuständigkeitsberei­ches eines Bundesministeriums" handle. "Die Bestimmbarkeit und Abgrenzbarkeit eines Vorgangs" schließe nicht aus, "dass Untersuchungsgegenstand und Untersuchungs­auftrag eine Untergliederung in einzelne Abschnitte bzw. Beweisthemen aufweisen, zu­mal ein Vollzugsakt auch in einzelne Phasen zerlegt werden" könne. Dazu sieht § 1 Abs. 5 VO-UA vor, dass eine inhaltliche Gliederung des Gegenstandes der Untersu­chung nach Beweisthemen zulässig, eine Sammlung nicht direkt zusammenhängender Themenbereiche hingegen unzulässig ist. Lediglich „verschiedene, nicht zusammenhän­gende Vorgänge“, die sich „über einen größeren und jeweils unterschiedlichen Zeitraum erstrecken, und die im Verantwortungsbereich mehrerer Bundesministerien verortet wur­den“ (Hervorhebung nicht im Original), dürfen nicht Gegenstand eines Untersuchungs­ausschusses sein, da sie nicht direkt zusammenhängen.

Würden die Anforderungen an die Formulierung des Untersuchungsgegenstandes doch eng gezogen, wäre es auf Grund des unsicheren Tatsachenmaterials und der damit ver­bundenen Notwendigkeit einer Prognoseentscheidung über die festzustellenden Tatsa­chen außerdem erforderlich, dass der Geschäftsordnungsausschuss oder in weiterer Folge der Verfassungsgerichtshof anstelle der Einsetzungsminderheit eine politische Wertungsentscheidung über das Bestehen eines inhaltlichen Zusammenhangs trifft. Eine solche Wertung wäre jedoch im Sinne der Wirksamkeit der politischen Kontrolle verfassungsrechtlich gerade unzulässig (vgl. VfSlg. 20370/2020, 201). Ein „Vorgang“ soll inhaltlich zusammenhängende Sachverhalte umschreiben und ausdrücklich nicht auf ei­nen einzelnen Vorgang beschränkt sein. Das Vorliegen eines ausreichenden inhaltlichen Zusammenhangs bleibt insofern eine Wertungsfrage (vgl. Konrath/Posnik, aaO, 11). An­gesichts dessen, dass das Bundes-Verfassungsgesetz durch Einräumung besonderer Rechte, die auch einer qualifizierten Minderheit zustehen, dem Nationalrat eine wirksa­me Kontrolle der Vollziehung ermöglichen will und der besondere Charakter politischer Kontrolle zwangsläufig von unterschiedlichen Wertungen geprägt ist, hat sich der Ge­schäftsordnungsausschuss bzw. in weiterer Folge der Verfassungsgerichtshof zurück­zuhalten und die Prüfung des inhaltlichen Zusammenhangs lediglich auf die Nachvoll­ziehbarkeit der im Verlangen vorgebrachten Argumente zu beschränken.

Im Hinblick darauf, dass ein Minderheitsverlangen der Überprüfung durch den Ge­schäftsordnungsausschuss unterzogen wird und dessen (dieses Verlangen für ganz oder teilweise unzulässig erklärender) Beschluss im Rahmen eines Verfahrens gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 1 B-VG vom Verfassungsgerichtshof überprüft werden kann sowie die verlangenden Abgeordneten die Einhaltung der verfassungsgesetzlichen Vorausset­zungen bereits gegenüber dem Geschäftsordnungsausschuss darzulegen haben (vgl. VfSlg. 20370/2020, 173), ist dem Verfassungsgerichtshof daher zuzustimmen, wenn er keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Gegenstands stellt (VfSlg. 20370/2020, 171): Denn ansonsten würde die Arbeit parlamentarischer Untersu­chungsausschüsse (Aufdeckung vielleicht doch bestehender Zusammenhänge) auf den Geschäftsordnungsausschuss bzw. den Verfassungsgerichtshof verlagert. Gerade weil den verlangenden Abgeordneten eine nähere Kenntnis der erst zu untersuchenden Zu­sammenhänge im Vorhinein nicht möglich ist, kann es auch nicht Aufgabe des Ge­schäftsordnungsausschusses bzw. des Verfassungsgerichtshofes sein, erst im Zuge der Untersuchung mit den besonderen Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses festzustellende Zusammenhänge - gleichsam stellvertretend - zu präzisieren (vgl. dazu auch VfGH 10.6.2016, G70/2016 mwN sowie VfSlg. 20213/2017). Ein Maß an Bestimmt­heit, das den von der Untersuchung Betroffenen im Vorhinein ermöglicht, den Umfang der Untersuchung festzustellen, muss daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen (vgl. Konrath/Posnik, aaO, 11).

In diesem Sinne finden sich auch in der deutschen Rechtsprechung, die das Bestimmt­heitsgebot gleichermaßen kennt und es für Untersuchungsausschüsse unmittelbar aus dem Rechtstaatsprinzip des Grundgesetzes ableitet, nur vereinzelt auf Ebene der deut­schen Bundesländer Beispiele für die Verfassungswidrigkeit eines Untersuchungsge­genstandes. In jenen Fällen, in denen die Verfassungskonformität verneint wurde, han­delte es sich abseits von Formalmängeln - durchwegs um offenkundige Verstöße, die zu einer begleitenden Kontrolle der Vollziehung bzw. zu einer Selbstermächtigung des je­weiligen Untersuchungsausschusses geführt hätten. Hingegen wurden auch sehr umfassende Untersuchungsgegenstände höchstgerichtlich akzeptiert, wie etwa jener, der die mutmaßliche Vernetzung von Regierungsmitgliedern mit der „organisierten Kri­minalität“ über einen Zeitraum von 18 Jahren zum Gegenstand der Untersuchung erhob (vgl. VerfGH Sachsen, 29.08.2008, 154-I-07). Zum Teil wird im Interesse des Schutzes der Rechte der Einsetzungsminderheit sogar eine Vermutung der rechtlichen Zulässig­keit eines Einsetzungsantrags judiziert (vgl. BayVerfGH NVwZ 1995, 681 [682]).

Aus all dem ergibt sich, dass der den Bestimmungen des Art. 52b B-VG und § 99 Abs. 2 GOG-NR entliehene und Art. 53 B-VG zu Grunde liegende Begriff des "bestimmten Vorgan­ges" lediglich eine sachliche Einschränkung der jeweils von der Minderheit verlangten Unter­suchung (vgl. Zögernitz, Nationalrat-Geschäftsordnung4, 2020, 622) in dem Sinne bewirkt, dass der zu untersuchende Vorgang konkret und abgegrenzt sein muss (vgl. Kahl, aaO, 4; vgl auch Hengstschläger, Rechnungshofkontrolle – Kommentar zum fünften Hauptstück des B-VG "Rechnungs- und Gebarungskontrolle", 2000, 211; Scholz, Zum zulässigen Gegenstand parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, JRP 2015, 232 [239]).

Hengstschläger/Janko gehen davon aus, dass überhaupt nur solche Prüfaufträge, die „weder ein konkretes Kontrollobjekt noch einen bestimmten Gebarungszeitraum be­zeichnen“ die Anforderung eines „bestimmten Vorgangs“ nicht erfüllen (Hengstschlä­ger/Janko, Der Rechnungshof – Organ des Nationalrates oder Instrument der Opposi­tion? in: Österreichische Parlamentarische Gesellschaft [Hrsg.], 75 Jahre Bundesverfas­sung [1995], 460). Der Verfassungsgerichtshof hat in vergleichbaren Verfahren gemäß Art. 126a B VG ausgesprochen, dass der Prüfungsgegenstand des Rechnungshofes entweder durch sachliche oder zeitliche Eingrenzung ausreichend bestimmt werden kann. Bloße Bestimmbarkeit genügt (VfGH 30.11.2017, KR1/2017 sowie VfGH 11.12.2018, KR1/2018 ua; vgl. Schrefler-König/Loretto, VO-UA [2020], 379).

Auch die parlamentarische Praxis der Prüfbeschlüsse gemäß § 52b B-VG bzw. § 99 Abs. 2 GOG-NR, die der Verfassungsgesetzgeber dem Begriff des „bestimmten Vor­gangs“ anlässlich der Beschlussfassung der Novelle zu Art. 53 B-VG (BGBl. I 101/2014) selbstverständlich zu Grunde legte, zeigt, dass die erforderliche Konkretisierung und Abgrenzung durch Heranziehung unterschiedlicher Kriterien bewirkt werden kann. Be­schlüsse des Nationalrates auf besondere Gebarungsprüfung bestimmter Vorgänge auf Grundlage der genannten Bestimmungen erfolgten u.a.:

1.         Zur Verkehrs- und Infrastrukturpolitik seit dem Jahr 2000 (3/URH2 XXII.GP):

„Die Verkehrs- und Infrastrukturpolitik seit dem Jahr 2000 hinsichtlich der Bereiche Stra­ße und Schiene, insbesondere die Finanzierung des ‚Generalverkehrsplanes‘ sowie Ma­nagement-, PPP- und LKW-Maut-Problemstellungen der ASFINAG.“

2.         Zur Gebarung des BKA und der anderen Zentralstellen (Bundesministerien) hin­sichtlich der Vollziehung aller dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlichen Be­stimmungen (885/A XX.GP):

„Der Rechnungshof wird gemäß § 99 GOG - NR mit der Durchführung einer Sonder­prüfung der Gebarung des Bundeskanzleramtes und der anderen Zentralstellen (Bun­desministerien) hinsichtlich der Vollziehung aller dienst -, besoldungs – und pensions­rechtlichen Bestimmungen einschließlich des Ausschreibungsgesetzes 1989 insbeson­dere auch im Hinblick auf finanzielle und laufbahnmäßige Begünstigung von Personen im politischen Nahebereich (z.B. Ministerbüro) der Regierungsmitglieder beauftragt.“

3.         Zur Gebarung von BMF und ÖNB sowie Wertpapieraufsicht hinsichtlich der Er­füllung ihrer Aufsichtspflicht (969/A XX.GP):

„Der Rechnungshof wird gemäß § 99 GOG - NR mit der Durchführung einer Sonder­prüfung der Gebarung des Bundesministeriums für Finanzen, der Oesterreichischen Nationalbank und der Wertpapieraufsicht hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht über die in Österreich tätigen Kreditinstitute insbesondere im Zusammenhang

-           mit dem Versagen der Organe der Bankenaufsicht im Rahmen der Kontrolle der Rieger - Bank und der Diskont - Bank, das zu einer Schädigung zahlreicher Klein­anleger geführt hat,

-           mit der Rolle der Bankenaufsicht bei den Karibikgeschäften der BAWAG sowie

-           mit der Mißachtung der vom Rechnungshof bereits 1993 erhobenen Forderung, die Bankenaufsicht zu einem durchschlagskräftigen Kontrollorgan umzugestalten,

beauftragt.“

4.         Zur Aufsichtspflicht des BMF, der OeNB und der FMA (5/URH2 XXII.GP):

„Die Gebarung des Bundesministeriums für Finanzen, der Oesterreichischen National­bank und der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) einschließlich der Tätigkeit ihrer Rechtsvorgängerin, der Bundes-Wertpapieraufsicht (BWA), hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht über die Geschäfte der Bank für Arbeit und Wirtschaft AG (BAWAG) einschließlich ihrer Tochterunternehmen, und zwar insbesondere deren „Karibik-Ge­schäfte“, Kredite, Haftungen, Garantien, Beteiligungen, Ver- und Rückkäufe von Aktien sowie sonstiger Geschäfte und Geldflüsse zur Verschleierung des tatsächlichen Ver­mögensstandes der BAWAG vor allem im Zeitraum des wahrscheinlichen Entstehens der Verluste von etwa 1,4 Mrd. €; dies betrifft im Besonderen die Jahre 1994 bis 2000, wobei auch der Zeitraum 2000 bis heute in die Betrachtung mit einzubeziehen ist, da der amtierende Finanzminister umgehend nach seinem Amtsantritt den Auftrag zur Grün­dung einer unabhängigen und weisungsfreien Allfinanzmarktaufsichtsbehörde gegeben hat.“

5.         Zu acht verschiedenen Fragen bezüglich der „Schaltung von Inseraten durch bzw. im Auftrag bzw. im Interesse von Bundesministerien“ (2079/A XXIV.GP).

6.         Zur Gebarung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie, der ÖBB Holding AG sowie den nachgeordneten Gesellschaften des ÖBB-Kon­zerns und des Bundesministeriums für Justiz (2/URH2 XXIV.GP):

„Die Gebarung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie, der ÖBB Holding AG sowie den nachgeordneten Gesellschaften des ÖBB-Konzerns und des Bundesministeriums für Justiz, hinsichtlich

a)         der Vorbereitung, Durchführung und Aufarbeitung von Finanztransaktionen der ÖBB Holding und den nachgeordneten Gesellschaften des ÖBB-Konzerns mit der Deutschen Bank und anderen beteiligten Finanzdienstleistern, der im Zusam­menhang mit diesen Vorgängen beauftragten Gutachten, der darauf folgenden Auflösung von Managerverträgen inklusive der damit einhergehenden Vereinba­rungen, (wie beispielsweise Abfertigungen) sowie des Stands etwaiger damit im Zusammenhang stehender gerichtlicher Verfahren;

b)         des Ankaufs der ungarischen MAV Cargo, der damit im Zusammenhang stehen­den Beratungsverträge sowie möglicher Provisionszahlungen, der bilanzmäßi­gen Bewertung im Zeitablauf, sowie des Stands etwaiger damit im Zusammen­hang stehender gerichtlicher Verfahren;

c)         des Beschaffungswesens innerhalb des ÖBB Konzerns seit dem Jahr 2000, ins­besonders der Beschaffung von Handys und des Abschlusses von Telekom­dienstleistungsverträgen.“

Auch in der auf die Novelle folgenden parlamentarischen Praxis ist keine Änderung an diesem extensiven Verständnis des Begriffs des „bestimmten Vorgangs“ erkennbar. So wurde auf Antrag von Abgeordneten der ÖVP eine besondere Gebarungsprüfung be­treffend Ressortführung des Gesundheitsministeriums in der XXIV. und XXV. Gesetzge­bungsperiode in den Jahren 2009 bis 2017 durch SPÖ-Gesundheitsminister (561/A XXVI.GP) mit den Stimmen der damaligen Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ sowie fol­gendem Wortlaut beschlossen:

„Der Rechnungshof wird gemäß § 99 Abs. 1 GOG mit einer besonderen Gebarungsüber­prüfung des Bereiches Gesundheit im jeweils für Gesundheit zuständigen Bundesmi­nisterium einschließlich der Tätigkeit der Ressortleitung in diesem Bereich beauftragt. Diese Gebarungsüberprüfung möge im Sinne der Einleitung des Antrags insbesondere alle

Maßnahmen rechtlicher, organisatorischer, finanzieller und personeller Natur durch den/die jeweilige Gesundheitsminister/in in der XXIV. und XXV. Gesetzgebungsperiode in den Jahren 2009 bis 2017 in den nachstehenden Bereichen umfassen, welche Kosten damit verbunden waren, welche Wirkungen erzielt wurden, und welche Empfehlungen aus den bei der Gebarungsüberprüfung gewonnenen Erkenntnissen abgeleitet werden können:

1. Berücksichtigung der demographischen Veränderungen in der Altersstruktur der All­gemeinmediziner und Fachärzte in Österreich und Maßnahmen zur Vermeidung eines Kassenärztemangels.

2. Bessere Verankerung von Allgemeinmedizin im Studium der Humanmedizin, durch Einrichtung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an jeder Medizinischen Universität und durch bessere Integration der Allgemeinmedizin in die Studienpläne sowie verpflich­tende Praktika in Hausarztordinationen im Klinisch Praktischen Jahr.

3. Evaluierung der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, im Hinblick die nachhaltige Sicherstellung der Attraktivität der Allgemeinmedizin.

4. Verschränkungen zwischen Klinisch Praktischem Jahr, Basisausbildung („Common Trunk“) sowie der weiteren Ausbildung zum/zur Allgemeinmediziner/Allgemeinmedizi­nerin

5. Inhalte sowie die Dauer der Ausbildung oder einzelner ihrer Bestandteile

6. Monitoring der Ausbildungsplätze im Hinblick auf den künftig zu erwartenden Ärzte­bedarf.

7. Sicherstellen der Finanzierung von Lehrpraxen und Prüfung der Möglichkeit, dass die Lehrpraxis auch parallel zu Spitals-Turnusausbildung absolviert werden kann

8. Sicherstellung einer für den kassenärztlichen Nachbesetzungsbedarf ausreichenden Anzahl von allgemeinmedizinischen post-graduate- Ausbildungsplätzen in öffentlichen Krankenanstalten als Begleitmaßnahme zur Ärzte-Ausbildungsreform 2015

9. Sicherstellung des ärztlichen Nachwuchses für den extramuralen Bereich in Mangel-Sonderfächern wie z.B. Kinderheilkunde oder Psychiatrie

10. Faire Entlohnung für niedergelassene Allgemeinmediziner/innen im Vergleich zu nicht-technischen Sonderfächern, sowie im Interesse der Patient/innen

Schaffung eines zeitgemäßen Honorarkatalogs für Kassenleistungen in der Allgemein­medizin oder im zahnärztlichen Bereich.

11. Umsetzung einer wohnortnahen Planung von allgemeinmedizinischen Kassenplan­stellen und Primärversorgungsstrukturen mit dem Ziel, eine flächendeckende Versor­gung unter Berücksichtigung von Demographie und Erreichbarkeit auch in Zukunft zu sichern. Entlastung von Bürokratie, effektive Unterstützung durch Informations- und Kommunikationstechnologien (Einsatz von ELGA und eMedikation)

12. Umsetzung von flexibleren Vertragsmodellen im Rahmen der Gesamtverträge (z.B. Übergangspraxen vor Pensionierung, Jobsharing-Praxen)

13. Entwicklung von Honorierungsmodellen in der Allgemeinmedizin, die Ergebnis- und Servicequalität fördern und attraktive Rahmenbedingungen für besondere Betreuungs­bedarfe bieten (z.B. Disease Management Programme).

14. Bedarfsgerechte Ordinations- und Öffnungszeiten, inklusive Tagesrandzeiten bzw. Wochenende (mindestens fünf Tage, 20 Stunden pro Woche).

15. Schaffung einer Gründerinitiative für Primärversorgungseinheiten

16. Ermöglichung von rechtlich abgesicherten multiprofessionellen Kooperationsformen der Gesundheitsberufe, unabhängig von der Organisations- oder Betriebsform

17. Prüfung der Möglichkeit der Anstellung von Ärztinnen und Ärzten bei Standeskol­legen in Primärversorgungseinheiten und anderen ärztlichen Ordinationen einschließlich der dafür erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen.

18. Maßnahmen zur Verbesserung der quantitativ mangelhaften psychotherapeutischen Versorgung mit vollfinanzierten Therapieplätzen und Qualitätssicherung in diesem Be­reich durch eine Reform des in die Jahre gekommenen Psychotherapiegesetzes

19. Zielorientierte Zusammenführung der verschiedenen Präventionstöpfe beim Ge­sundheitsministerium/GÖG, Sozialversicherung und Zielsteuerung oder klare Aufgaben­teilung und Abstimmung der Programme zur Erhöhung der Wirkung von Maßnahmen

20. Zeitgemäße Reform des Mutter-Kind-Passes und der Vorsorgeuntersuchungen

21. Sicherstellung der Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit wichtigen Impf­stoffen

22. Maßnahmen zur Schaffung einer klaren Datenlage zur Durchimpfungsrate gegen wichtige und gefährliche Infektionskrankheiten und Maßnahmen zur Verbesserung

23. Maßnahmen im Sinne der Frauen-Gesundheit

24. Sonstige Maßnahmen zur Verbesserung der Volksgesundheit

25. Maßnahmen zur Früherkennung und zeitgerechten Eindämmung eingeschleppter Infektionskrankheiten

26. Schaffung einer klaren Datenlage im Zusammenhang mit sog. „Spitalskeimen" und Maßnahmen zur Reduktion des damit verbundenen Infektionsrisikos

27. Soweit die in den Punkten 1 bis 25 genannten Bereiche ein Zusammenwirken mit Krankenversicherungsträgern, Spitalsträgern oder anderen Gebietskörperschaften er­fordert: welche Maßnahmen mit welcher Wirkung wurden im Rahmen der Aufsicht oder im Wege von Verhandlungen oder durch gesetzliche Initiativen konkret durch das Ge­sundheitsressort gesetzt, um eine gemeinsame Vorgangsweise zu erreichen?“

Der Rechnungshof führte auf Grund dieses Beschlusses auch tatsächlich eine Geba­rungsprüfung durch, deren Ergebnisse zunächst in Reihe BUND 2021/30 (III-396 BlgNR XXVII.GP) veröffentlicht wurden.

Der im Sinne der obigen Ausführungen definierte Untersuchungsgegenstand begründet den Rahmen der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses, bindet diesen und bildet gleichzeitig die Begrenzung der diesem übertragenen Zwangsbefugnisse. Zugleich dient die Festlegung des Untersuchungsgegenstandes aber auch dem Schutz der betroffenen Organe, weil damit deren Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen konkre­tisiert sowie der Umfang bestimmt wird, innerhalb dessen sie Ersuchen um Beweis­erhebungen Folge zu leisten haben. Durch das Erfordernis des Vorliegens eines be­stimmten Vorganges wird es umgekehrt aber auch nicht ins Belieben der betroffenen Organe gestellt, welche Beweismittel sie dem Untersuchungsausschuss vorlegen. Darü­ber hinaus bietet die geforderte Konkretisierung auch einen Schutz der Einsetzungsmin­derheit vor „Bepackung“ und Verwässerung durch die Mehrheit im Zuge der Ausschuss­tätigkeit.

Den geschilderten gesetzlichen Anforderungen wird im vorliegenden Fall umfassend entsprochen:

Der Untersuchungsgegenstand wird auf Grund der zuletzt ergangenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 20370/2020) im Vergleich zu früheren Einsetzungs­verlangen nunmehr kaskadenartig aufgebaut, gegliedert und konkretisiert. Dies dient dem vorrangigen Ziel, den Untersuchungsgegenstand präzise abzugrenzen und den von der Untersuchung Betroffenen, insbesondere den vorlagepflichtigen Organen, die Beur­teilung zu ermöglichen, welche Informationen jedenfalls abstrakt für die Untersuchung von Relevanz sein können. Auf diese Art wird außerdem ausgeschlossen, dass der Untersuchungsausschuss selbständig die Untersuchung auf weitere Bereiche ausweiten kann. Der Untersuchungsausschuss verfügt über keinerlei Ermessensspielraum in Hin­blick auf den Umfang der Untersuchung, sondern lediglich darüber, auf welche Art er Beweise innerhalb der Grenzen des Untersuchungsgegenstandes erheben will (vgl. auch Konrath/Neugebauer/Posnik, aaO, 218).

Auf der ersten Stufe wird der zu untersuchende Vorgang verbindlich eingegrenzt. Der maßgebliche Untersuchungsanlass (der Verdacht der parteipolitischen Instrumentalisie­rung von Strukturen des Bundes) wird angeführt. Die relevanten Akteure (die Mitglieder eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses bestehend aus der ÖVP zu­zurechnenden Personen) und Handlungen (unsachliche Vorteilsgewährung sowie dies­bezügliche Vorbereitungshandlungen auf Grundlage des „Projekt Ballhausplatz“), der Zeitraum, der sachliche Umfang (Eignung zur parteipolitischen Begünstigung im Bereich der Vollziehung des Bundes) sowie die Zielrichtung der Untersuchung (Verdacht der Umgehung bzw. Verletzung gesetzlicher Vorschriften) werden als konstitutive Merkmale des zu untersuchenden Vorgangs benannt. Gerade auf Grund des komplexen, der Un­tersuchung zu Grunde liegenden Sachverhalts muss die Bestimmung des Untersu­chungsgegenstands durch eine Kombination mehrerer Elemente erfolgen. Es werden im vorliegenden Untersuchungsgegenstand gleichzeitig mehrere der in den Materialien al­ternativ als geeignet genannten Abgrenzungskriterien kumulativ angewandt, obwohl – wie Ausschussbericht, Judikatur und Lehre übereinstimmend vertreten (s.o.) – bereits ein einziges dieser Kriterien zur Erfüllung des Bestimmtheitserfordernisses genügen würde. Bei Benennung all dieser Kriterien ist der Untersuchungsgegenstand sogar „je­denfalls (…) bestimmt“ (AB 71 BlgNR XXVI.GP, 19; vgl. auch Konrath/Neugebau­er/Posnik, aaO, 218).

Auf der zweiten Stufe wird der Untersuchungsgegenstand inhaltlich nach Beweisthemen gegliedert. Damit wird dem Untersuchungsausschuss ein hinreichend klar umrissenes Arbeitsprogramm vorgegeben (vgl. VfSlg. 20370/2020, 174) und die Schwerpunkte der Untersuchung verbindlich festgelegt, wie es auch der Ausschussbericht (vgl. AB 440 BlgNR XXV.GP, 7) empfiehlt:

„Da solche Vorgänge, auch wenn sie grundsätzlich näher definiert werden, erfahrungs­gemäß ein hohes Maß an Komplexität aufweisen, soll im Antrag bzw. Verlangen nach Möglichkeit auch eine inhaltliche Gliederung nach Beweisthemen erfolgen.“

Die Konkretisierung durch Beweisthemen dient zusätzlich dem Zweck, die zu untersu­chenden Themen derart festzulegen, sodass dem Untersuchungsausschuss die Erfül­lung seines Auftrags im Rahmen der von § 53 VO-UA vorgegebenen Fristen ermöglicht wird. Der notwendige Umfang der Untersuchung bleibt innerhalb der Grenzen des Unter­suchungsgegenstandes direkte Folge des vermuteten Missstands (vgl. dazu die Mög­lichkeiten der allfälligen Verlängerung der Dauer des Untersuchungsausschusses in § 53 VO UA). Zu beachten ist, dass sowohl für den grundsätzlichen Beweisbeschluss eine Gliederung nach den Beweisthemen vorgeschrieben ist (vgl. § 24 Abs. 3 VO-UA), als auch eine Befragung von Auskunftspersonen außerhalb der angeführten Beweisthe­men unzulässig wäre (vgl. § 41 Abs. 1 VO-UA). Insofern verfügen die Beweisthemen über eigenständigen normativen Gehalt.

Auf der dritten Stufe werden jene Sachverhalte detailliert beschrieben, die im Zuge der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses insbesondere aufgeklärt werden sollen. Damit wird im Vergleich zu früheren Einsetzungsverlangen der Rechtsprechung des Verfas­sungsgerichtshofes nachgekommen, wonach ein Untersuchungsausschuss im Rahmen des Beweisverfahrens konkrete Fragen untersuchen soll (VfSlg. 20370/2020, 172). Die­se Auflistung kann auf Grund des im Vorfeld der Untersuchung noch nicht feststehenden Tatsachenmaterials zwar nur exemplarisch sein, bietet dem Untersuchungsausschuss aber in Zusammenschau mit dem Untersuchungsgegenstand und den Beweisthemen eine klare Anleitung, wie die Untersuchung zu gestalten ist. Feststeht, dass der Umfang der Untersuchung der genannten Sachverhalte jedenfalls durch den bestimmten, abge­schlossenen Vorgang beschränkt ist, auch wenn die gewählten Formulierungen allen­falls breiter verstanden werden könnten. Die Auflistung beispielhafter Sachverhalte, die aus Sicht der verlangenden Abgeordneten untersuchungswürdig sind, ermöglicht zu­gleich eine Auslegung des Untersuchungsgegenstands, welcher zwangsweise umfassend und abstrakt formuliert sein muss, und bietet den vorlagepflichtigen Organen außerdem eine Anleitung, nach welchen Gesichtspunkten sie ihren Aktenbestand zum Zwecke der Erfüllung ihrer Vorlageverpflichtungen auf Grund des grundsätzlichen Beweisbeschlus­ses insbesondere zu sichten haben. Sollte ein vorlagepflichtiges Organ der Ansicht sein, dass einer der genannten beispielhaften Sachverhalte nicht vom Untersuchungsgegen­stand erfasst ist, ist dies gegenüber dem Untersuchungsausschuss konkret und nach­vollziehbar darzulegen. Der Untersuchungsausschuss kann diese Argumentation be­streiten und in weiterer Folge den Verfassungsgerichtshof um eine Nachprüfung im We­ge eines Verfahrens gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG ersuchen (vgl. zuletzt VfGH 10.5.2021, UA4/2021).

Auf der vierten Stufe enthält das vorliegende Verlangen eine ausführliche Begründung, die zur weiteren Erläuterung der verwendeten Begriffe, der bekannten faktischen Grund­lagen und untersuchungsauslösenden Sachverhalte sowie des vermuteten Missstands dient. Außerdem wird bereits gegenüber dem Geschäftsordnungsausschuss die Einhal­tung der verfassungsgesetzlichen Voraussetzungen umfassend darlegt.

Zu den im Untersuchungsgegenstand verwendeten Begriffen:

Die im Untersuchungsgegenstand genannten Personen bilden gemeinsam einen auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss, da diese in der Realität der Regierungsar­beit als einheitliche Gruppe mit eigenen Entscheidungsstrukturen agiert, die von partei­politischen Loyalitäten geprägt ist und als solche auch einheitlich gegenüber dem Koali­tionspartner auftritt. Koordinierungsprozesse in der Bundesregierung belegen dies inso­fern, als dass Regierungshandeln in Koalitionsregierungen ein ständiges gegenseitiges Abstimmen zwischen den an der Koalition beteiligten Parteien erfordert und daher stets Einigkeit zwischen beiden Parteien hergestellt werden muss und nicht etwa nur zwischen den sachlich zuständigen Ressorts. In diesem Sinne besteht in jeder Koalitionsregierung ein System der „Spiegelung“ mit „RegierungskoordinatorInnen“, entweder zwischen fest zugeteilten Ressorts oder zentral durch ein Koordinierungsgremium. Entsprechende Ausführungen zur Regierungspraxis sind den Befragungen von Bundeskanzler Kurz und den Regierungskoordinatoren Hofer und Blümel im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu entnehmen (50/KOMM, 52/KOMM und 55/KOMM XXVII.GP). Auf Grund der selbstän­digen Struktur dieses Zusammenschlusses ist irrelevant, welche Person konkret die Funktion ausübt. Es kommt vielmehr auf die von ihnen formell oder informell eingenom­mene Stellung an. So belegen an den Ibiza-Untersuchungsausschuss gelieferte Chats, dass Sebastian Kurz bereits als Außenminister innerhalb seiner Gruppe informell eine führende Rolle zukam. So stattete Thomas Schmid, damals Kabinettschef von Finanzmi­nister Schelling, das BMEIA bereits im Frühjahr 2016 gegen den Willen des damaligen Parteichefs und Vizekanzlers Mitterlehner mit zusätzlichen budgetären Mitteln aus. Die dazugehörige Korrespondenz zwischen Schmid und Gernot Blümel lautete wie folgt:

Am 11. April 2016 schrieb Thomas Schmid – Generalsekretär und Kabinettschef im Fi­nanzministerium – stakkatoartig rasch hintereinander vier Nachrichten an Blümel: „Ich habe Sebastians Budget um 35 Prozent erhöht“ / „Scheisse mich jetzt an“ / „Mitterlehner wird flippen“ / „Kurz kann jetzt Geld scheissen“. Die lapidare Antwort Blümels: „Mitter­lehner spiel (sic) keine Rolle mehr…“1

Die Schilderungen des ehemaligen Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner in seinem Buch „Haltung“ – insbesondere jene zur Neuverhandlung des Regierungsprogramms im Früh­jahr 2017 – lassen außerdem auf eine treibende Rolle von Wolfgang Sobotka als Teil der Gruppe um Sebastian Kurz schließen.

Geradezu elegant verdeutlicht wird der Bestand eines solchen Zusammenschlusses durch diverse Chatnachrichten, die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt­schaft (WKStA) für den Ibiza-Untersuchungsausschuss ausgewertet wurden. Denn auf nichts anderes kann es sich beziehen, wenn Gernot Blümel an Thomas Schmid schreibt: „Keine Sorge. Du bist Familie.“ Oder Sebastian Kurz an denselben folgende Nachricht sendet: „Kriegst eh alles was du willst 😘😘😘“. Der Journalist Klaus Knittelfelder nannte es „Partie statt Partei“ (Knittelfelder, Inside Türkis, Wien 2020, 19). Es ist dieser Zusam­menschluss, dessen Verhalten im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Die WKStA refe­renziert auf den Zusammenschluss in ihren Ermittlungsakten regelmäßig als „Gruppe um Sebastian Kurz“ oder „Sebastian Kurz und die Gruppe seiner engsten Vertrauten“.

Der ÖVP zuzurechnen sind jene Regierungsmitglieder, StaatssekretärInnen sowie Mitar­beiterInnen politischer Büros, die der ÖVP angehören, von ihr vorgeschlagen wurden oder von ÖVP-VertreterInnen in ihre jeweiligen politischen Büros und Kabinette bestellt wurden. Maßgeblich ist dabei eine politische Betrachtung anhand der tatsächlichen Ge­gebenheiten. Eine formale Betrachtung wäre nicht geeignet, da jedes Regierungsmit­glied unterschiedslos vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers er­nannt wird. Es ist jedoch offenkundig, welcher Partei die jeweiligen Personen zuzuord­nen sind, da es sich bei den genannten Funktionen um Angehörige der höchsten politi­schen Entscheidungsebene des Bundes und ihr engstes Umfeld handelt, das von den die Koalitionsregierung stützenden Parteien nicht Personen überlassen wird, auf die diese keinen Einfluss ausüben können oder die ihnen gegenüber nicht loyal sind. So sind selbst „unabhängige“ Mitglieder der Bundesregierung wie Karin Kneissl und Josef Moser zweifelsfrei der FPÖ bzw. der ÖVP zurechenbar gewesen.

Der Begriff des Gewährens bildet eine umfassende Beschreibung sowohl aktiven Tuns als auch Unterlassens und umfasst alle Erscheinungsformen des Vollziehungshandelns (sofern sie zur Vorteilsgewährung abstrakt geeignet sind, s.u.). Es wird dabei regelmäßig auf den potentiellen Wissensstand der jeweiligen Personen ankommen, da dieser Vo­raussetzung für ihr Verhalten ist. Insofern wird der Kenntnisstand der jeweiligen Regie­rungsmitglieder sowie ihres Umfelds zentraler Gegenstand der Beweiserhebungen sein. Vom Begriff des Gewährens sind angesichts der Vielfältigkeit der möglichen Einflussnah­meformen insbesondere in hierarchisch organisierten Einrichtungen wie Bundesministe­rien nicht nur eigene Handlungen der genannten Personen, die direkt zu einer Vorteils­gewährung führen, erfasst, sondern auch formelle Anordnungen wie auch informelle Bitten oder Wünsche, die eine Motivlage erkennen lassen, und so indirekt zu einer Be­günstigung durch andere Personen im Bereich der Vollziehung des Bundes führen. Um dies zu verdeutlichen werden auch Vorbereitungshandlungen ausdrücklich erfasst. Es wird dabei regelmäßig auf die Frage der (potentiellen) Kausalität des Verhaltens von Regierungsmitgliedern oder ihren Büros für Handlungen oder Unterlassungen durch Be­dienstete der jeweiligen Ressorts ankommen. Diesen Umstand umschreibt der Untersu­chungsgegenstand durch die Verwendung der Wortfolge „auf Betreiben“.

Als Vorbereitungshandlungen werden ausdrücklich auch alle Handlungen auf Grundlage des „Projekts Ballhausplatz“ erfasst, da dieses erst die erforderliche machtpolitische Grundlage für die späteren Handlungen des Zusammenschlusses bildete (zu den Inhal­ten des Projekts Ballhausplatz siehe oben).

Der Begriff der „Verbundenheit“ beschreibt das erforderliche Naheverhältnis zur ÖVP, wobei dessen Grundlage vielfältig sein kann. Der Begriff der Verbundenheit erfasst in der Rechtsordnung unterschiedliche Formen der gegenseitigen Abhängigkeit, insbeson­dere wirtschaftlicher, aber auch rechtlicher Art. Gemeinsam ist den damit erfassten Sachverhalten ein Abhängigkeitsverhältnis, das gerade dadurch entsteht, dass jeweils eine Seite einen Vorteil anstrebt, der von der anderen Seite zur Verfügung gestellt wer­den kann, da er sich in dessen Ingerenz befindet. Die Verbundenheit mit der ÖVP in­diziert bereits das Vorliegen des parteipolitischen Interesses. Verbunden sind insofern jedenfalls alle Unternehmen, an denen die ÖVP direkt oder indirekt beteiligt ist, ihr nahestehende Organisationen sowie Teilorganisationen, Unternehmen mit dauernder Geschäftsbeziehung zur ÖVP oder ihren Teilorganisationen sowie solche, die unter kontrollierendem Einfluss von ÖVP-FunktionärInnen stehen oder treuhänderisch für die ÖVP verwaltet werden. Verbunden sind ebenso Personen, die auf parteipolitisches Wohlwollen angewiesen sind, um ihr berufliches Fortkommen zu fördern. Dies wird ins­besondere dort der Fall sein, wo Personalentscheidungen (wenn nicht formell, dann fak­tisch) von ÖVP-PolitikerInnen getroffen werden.

Als Vorteil kommen auf Grund des politischen Hintergrunds des Verhaltens neben geld­werten Leistungen auch Handlungen wie die Ausübung von Ermessensspielräumen auf be­stimmte Art sowie Unterlassungen wie etwa der Verzicht auf das Äußern von öffentlicher Kritik in Betracht. In gleichem Sinn besteht ein möglicher Schaden für den Bund, der im Zuge der Untersuchung zu klären ist, nicht nur in vermögenswerten Nachteilen, sondern insbe­sondere auch in Pflichtwidrigkeiten wie etwa der Verletzung des staatlichen Interesses auf Strafverfolgung oder auf wahrheitsgetreue Information des Nationalrats (vgl. OGH 12.10.1993, 14 Os 125/92), wie es auch in den Beweisthemen jeweils ausgeführt wird.

Auf Grund der gewählten Formulierung kommt zusammenfassend nur solches Verhalten als Untersuchungsobjekt in Betracht, das überhaupt abstrakt geeignet sein kann, mit der ÖVP verbundenen Personen einen Vorteil zu verschaffen. Insofern scheiden Vollzie­hungshandlungen aus, bei denen dem genannten Zusammenschluss bzw. seinen Mit­gliedern keinerlei Ingerenz zukommt, da sie etwa gesetzlich zwingend sind, ihnen keine Entscheidungsbefugnis zukommt und auch keine Annahme besteht, dass gesetzlichen Bestimmungen umgangen worden sein könnten. Beispiele für solche Vorteile sind insbe­sondere die Auszahlung der Parteienförderung, Bundesjugendförderung oder Handlun­gen in Zusammenhang mit der gesetzlich der Partei zustehenden Nominierungsrechten, da diese allesamt gesetzlich zwingend sind und keinerlei Ermessensspielraum für Orga­ne des Bundes besteht. Genauso scheidet Verhalten aus, das auf unteren Vollziehungs­ebenen selbständig und ohne Kenntnis der im gegebenen Zusammenhang im Interesse stehenden Oberbehörden erfolgte, bei denen eine Kenntnis, ein Auftrag oder eine Dul­dung durch Mitglieder der Bundesregierung oder ihren KabinettsmitarbeiterInnen von vornherein ausscheidet sowie rein private wenn auch parteipolitische - Tätigkeiten. Bei­spiele für solches Verhalten sind etwa die Behandlung von Verwaltungsangelegenheiten von ÖVP-Ortsparteien oder gewöhnlichen ÖVP-FunktionärInnen, solange keinerlei Hinweise auf eine Befassung der politischen Ebene des jeweiligen Bundesministeriums oder möglichen „vorauseilenden Gehorsams“ bestehen. Es ist insofern nur ein kleiner Teil der Amtsführung der im Untersuchungsgegenstand genannten Personen im Unter­suchungszeitraum umfasst, da in jedem Fall das Vorliegen aller weiterer im Untersu­chungsgegenstand genannten Voraussetzungen (Verbundenheit, Vorteilseignung, Inge­renz des Zusammenschlusses) abstrakt möglich sein muss und insofern nicht von vorn­herein ausgeschlossen werden kann. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann im Zweifel im Zuge der Beweiserhebungen des Untersuchungsausschusses sowie schluss­endlich im Wege eines Verfahrens gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B VG überprüft werden.

Der Untersuchungsgegenstand ist sachlich und wertfrei formuliert, so dass es zu keiner unzulässigen Vorverurteilung kommt. Nachdem die Abgeordneten der ÖVP selbst eine potentielle Einsetzungsminderheit darstellen und ihnen im weiteren Verlauf des Untersu­chungsausschusses auch dieselben Rechte (insbesondere auf Beweiserhebung) wie den im gegenständlichen Fall verlangenden Abgeordneten zukommt, ist außerdem Chancengleichheit und eine umfassende Erkundung des Sachverhalts im Sinne eines fairen Verfahrens gewährleistet (zur Zulässigkeit mittelbarer Untersuchung privater Per­sonen siehe unten „Zur Einordnung in den Bereich der Vollziehung des Bundes“).

Zu den untersuchungsauslösenden Sachverhalten:

Ausgangspunkt der Untersuchung ist ein Missstand, den die allgemeine Öffentlichkeit als unveränderliche Gegebenheit des österreichischen politischen Systems zu akzeptieren scheint, der jedoch das Vertrauen in die Sachlichkeit und Unabhängigkeit der politischen Institutionen der Republik untergräbt. Konkret angesprochen ist damit die Bevorzugung von Personen aus parteipolitischen Motiven, wobei der Kern des Vorwurfs darin besteht, dass gewisse Vorteile gerade eben nur auf Grund einer solchen parteipolitischen Nähe erlangt werden, weil ohne diese Nähe die Voraussetzungen für den besagten Vorteil nicht bestehen würden. Durch die Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungsaus­schusses sind in Hinblick auf VertreterInnen der Österreichischen Volkspartei schwer­wiegende Vorwürfe zu Tage getreten, die über den genannten, allgemeinen Missstand hinaus konkretisiert wurden und eine besondere, gesteigerte Ausprägung der österrei­chischen Kultur der – verniedlichend gesprochen - „Freunderlwirtschaft“ darstellen. Die­ser Missstand konnte jedoch auf Grund der Beendigung des Ibiza-Untersuchungs­ausschusses und der Abgrenzung seines Untersuchungsgegenstandes nicht umfassend aufgeklärt werden.

Die Grenze zwischen jener parteipolitischen Interessensverfolgung, die in einem demo­kratischen System selbstverständlich und gar gewünscht ist, zu jener, die einen Miss­stand darstellt, verläuft entlang der Schädigung der Interessen des Bundes. In einem demokratischen System ist das oberste Ziel die Förderung des Gemeinwohls und nicht die Förderung von Partikularinteressen unter Umgehung des demokratischen Gleich­heitsgebots, das sich insbesondere aus der Bundesverfassung ergibt, deren Einhaltung alle Mitglieder der Bundesregierung anlässlich ihres Amtsantritts förmlich geloben.

Zu berücksichtigen ist auch, dass die vermuteten Handlungen eine besondere Beein­trächtigung der demokratischen Kultur darstellen können. Die WKStA fasst dies in der Anordnung der Hausdurchsuchung wie folgt zusammen:

Durch die Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses wurde zudem klar, dass es sich bei diesem Missstand um keinen „naturgesetzlichen“ Zustand handelt, der ohne entsprechende Absprachen und ohne gegenseitiges Wissen der beteiligten Ak­teurInnen von Statten geht. Vielmehr ergab sich auf Grund der Aussagen mehrerer Aus­kunftspersonen wie insbesondere des früheren Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner so­wie aus den dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Akten in Hinblick auf das „Pro­jekt Ballhausplatz“ (vgl. AB 1040 BlgNR XXVII.GP, 475ff), dass im Umfeld des nun­mehrigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz bereits im Jahr 2014 begonnen wurde, ge­neralstabsmäßig, zentral koordiniert und mutmaßlich ohne Rücksicht auf bestehen­de gesetzliche Verpflichtungen vorzugehen und dafür auch auf staatliche Ressourcen zurückgegriffen wurde.2 Nicht zuletzt auf Grund dieser zentralen Steuerung und Planung erweist sich der Untersuchungsgegenstand als einheitlicher Vorgang, der sich zunächst in einer Vorbereitungsphase einer kleinen Gruppe an eingeschworenen Personen und mit der Angelobung von Sebastian Kurz als Bundeskanzler als umfassende Handlung manifestierte. Die beteiligten Personen schlossen sich gerade zum Zwecke der Machter­langung zusammen, ohne aber noch konkret jene Handlungen zu kennen, die zur Ziel­erreichung zu setzen sein werden. Insofern schadet die Ablehnung einzelner konkre­ter Maßnahmen nicht der Zugehörigkeit zur Gruppe, solange nur grundsätzlich Ziel und Struktur der Gruppe fortlaufend akzeptiert werden.

Die WKStA fasst das „Projekt Ballhausplatz“ in der Anordnung der Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt, Bundesministerium für Finanzen und der ÖVP-Zentrale wie folgt zusammen (S. 16):

Ein allgemeines Einbeziehen des Vollziehungshandelns etwa im BMEIA und BMF im Zeitraum vor der Angelobung von Sebastian Kurz als Bundeskanzler erscheint auf Grund der Spezifität des „Projekt Ballhausplatz“ als Vorbereitungsphase für die Machtübernah­me durch Sebastian Kurz und der vergleichsweise geringen Zahl an beteiligten Personen angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht rechtfertigbar. Die Vorbereitungs­handlungen im Zuge des „Projekt Ballhausplatz“ stehen jedoch in untrennbarem Zusam­menhang mit der späteren Amtstätigkeit unter Bundeskanzler Kurz, da die Instrumente zur mutmaßlichen Beeinflussung der öffentlichen Meinung unter Einsatz von Steuermitteln zu parteipolitischen Zwecken wie das „Beinschab-ÖSTERREICH-Tool“ in dieser Zeit entwickelt und über den 18. Dezember 2017 hinaus fortgeführt wurden. Das „Projekt Ballhausplatz“ wird daher mit der nunmehrigen Formulierung ausdrücklich in den Unter­suchungsgegenstand einbezogen.

Zentraler Bestandteil der Bemühungen des „Projekt Ballhausplatz“ war es zudem, fi­nanzielle Mittel für einen Wahlkampf einzuwerben. Entsprechende Dokumente waren dem Ibiza-Untersuchungsausschuss auf Grund einer von der WKStA übermittelten Sachverhaltsdarstellung bekannt. In den Unterlagen ist etwa festgehalten: „Unterneh­men animieren einzuzahlen“ und „Erstellung einer Sektionsleiterliste fürs BKA und mögli­che Szenarien“. Als Zuständigkeiten werden u.a. „Inseratemanagement“, „Ablauf Wech­sel Vizekanzler“ und „BMEIA managen“ sowie „BKA Reform“ angeführt. Außerdem sind mehrere Einrichtungen und Unternehmen genannt, die unterstützend tätig werden sol­len. So insbesondere die Blink Werbeagentur und das Campaigning Bureau, außerdem das Alois-Mock-Institut und die Julius-Raab-Stiftung. Die Dokumente enthalten darüber hinaus umfassende Listen an potentiellen SpenderInnen, teils gekennzeichnet mit „€“-Zeichen, und deren jeweiligen politischen Interessenlagen. Die Sachverhaltsdarstellung enthält außerdem Listen mit Namen möglicher Regierungsmitglieder und von Kandida­tInnen für Listenplätze der ÖVP in mehreren (zeitlichen) Versionen. Wie den Ausführun­gen von Arno Melicharek im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu entnehmen ist (161/KOMM XXVII.GP), stammen diese Dokumente offenbar aus Druckerspeichern des BMEIA.

Die Authentizität der Dokumente aus dem „Projekt Ballhausplatz“, wie sie der Sachver­haltsdarstellung beigelegt wurden, wurde von den potentiell Mitwirkenden jedoch stets beinahe wortident bestritten. In den Dokumenten namentlich genannt sind neben Se­bastian Kurz folgende Personen: Stefan Steiner, Axel Melchior, Lisa Wieser, Kristina Rausch, Christian Ebner, Gerald Fleischmann, Bernd Brünner und Stefan Schnöll. In den Fußnoten der Dokumente ist außerdem der Name Bernhard Bonelli ersichtlich. Die genannten Personen waren über den gesamten Untersuchungszeitraum (teilweise mit Unterbrechungen) in Organen des Bundes tätig und sorgen somit zusätzlich für perso­nelle Kontinuität innerhalb des im Interesse stehenden Zusammenschlusses. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die jeweiligen Handlungen stets von den Mitgliedern des Zu­sammenschlusses gemeinsam gesetzt werden. Es genügt, dass sie dem gemeinsamen Zweck dienen und zumindest in unregelmäßigen Abständen koordiniert werden.

Aus den Akten des Ibiza-Untersuchungsausschusses ergab sich außerdem, dass meh­rere weitere Personen in diese Vorbereitungen eingebunden waren. So belegen Chats zwischen Gernot Blümel und Thomas Schmid, dass letzterer dafür sorgte, dass dem BMEIA und somit Sebastian Kurz durch das BMF zusätzliche budgetäre Mittel zukom­men, obwohl dies keine politische Zustimmung des damaligen Vizekanzlers gefunden hätte. Schmid schrieb – Zitat – „Kurz kann jetzt Geld scheißen“ sowie später an Kurz selbst: „Du schuldest mir was“. Die genaue Verwendung dieser zusätzlichen Mittel ist unklar, jedoch ergibt sich auf Grund eines Berichts des Rechnungshofs eindeutig eine beinahe Verdoppelung der Inserateausgaben des BMEIA zwischen 2016 und 2017, wofür offensichtlich keine sachliche Rechtfertigung besteht, sondern vielmehr in Erwar­tung einer Wahlauseinandersetzung erhöht wurde.

Weitere Akten belegen Interventionen zu Gunsten einzelner der ÖVP nahestehender Personen, ehemaligen FunktionsträgerInnen und Günstlingen. Die Wirtschafts- und Kor­ruptionsstaatsanwaltschaft führt in Hinblick auf mögliche falsche Angaben zum Infor­mationsstand des Bundeskanzlers bezüglich der Bestellung des Aufsichtsrates der ÖBAG vor dem Untersuchungsausschuss gegen diesen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Verstoßes gegen § 288 StGB. Im Zuge dieses Verfahrens wurden Kom­munikationsverläufe ausgewertet, die belegen, dass für die Bestellung gewisser nahe­stehender Personen auch ein Schaden für die Republik in Kauf genommen wurde, in dem etwa Organwalter vorzeitig abberufen werden sollten.

Das prominenteste Beispiel einer solchen vorzeitigen Abberufung bildet die Vorstands­bestellung in der Casinos Austria AG – auch hierzu besteht ein Ermittlungsverfahren der WKStA. Dokumentiert ist gleichzeitig auch der enge Kontakt zwischen VertreterInnen der ÖVP, insbesondere Gernot Blümel und Bettina Glatz-Kremsner (Kurz‘ Stellvertre­terin als Parteiobmann), und VertreterInnen der Novomatic AG. Insgesamt lässt sich der deutliche Wunsch ableiten, in allen relevanten Positionen ÖVP-VertreterInnen unterzu­bringen, wobei die konkrete Personalentscheidung in allen wesentlichen Fällen direkt dem Bundeskanzleramt zukam.

Es würde zu weit führen, sämtliche Ergebnisse des Ibiza-Untersuchungsausschusses in Hinblick auf solche Handlungen an dieser Stelle wiederzugeben. Im vorliegenden Zu­sammenhang kann auf den Ausschussbericht (AB 1040 BlgNR XXVII.GP) sowie auf die umfassende mediale Berichterstattung verwiesen werden. Exemplarisch können aus dem Bericht genannt werden:

-           Seite 136 zur Verschränkung der Bestellungen Schmid und Sidlo: „Nach den dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Beweismitteln […] ist ein derartiger Zu­sammenhang in Bezug auf die beiden Bestellungen in hohem Maßen wahr­scheinlich.“

-           Seite 137: Das Verhältnis Novomatic zur türkis-blauen Regierung: „Die offenkun­dig enge Verbindung der Vertreter der Novomatic mit Mitgliedern der Österreichi­schen Bundesregierung und leitenden Beamten des BMF erscheint umso unge­wöhnlicher und auffälliger, als die Novomatic im Bereich des Glücksspiels ein potentieller Konkurrent der Casag ist“. Es „entwickelte sich jedenfalls ein gegen­seitiges Abhängigkeitsverhältnis. Dieses besondere Verhältnis führte nicht nur zur Mitsprachemöglichkeiten im Bereich des Glücksspiels und die Aussicht auf eine wunschgemäße Änderung des Glücksspielgesetzes. Festzustellen waren zahlreiche sehr intensive Kontakte zwischen Vertretern der Regierung und des BMF mit Vertretern der Novomatic, die weit über die Fragen der Anteilsverwal­tung hinausgingen. Als auffälliges Beispiel für die Erwartungen der Vertreter der Novomatic an die damals zukünftige Regierung ist der Chat vom 8.7.2017 zu nennen, in dem Neumann gegenüber Blümel die Auswahl der Kandidaten der ÖVP für die Nationalratswahl 2017 kritisierte, weil „der Oktober […] zu wichtig“ sei.“

-           Seite 138 zu gegenseitigen Abhängigkeiten: „Zentrale Personen des Gesche­hens waren Schmid, in seinem Gefolge Löger und mit vehementem Einsatz Stra­che. Allerdings ist davon auszugehen, dass Kurz über alle wesentlichen Vor­gänge informiert wurde und diese zumindest stillschweigend gebilligt hat.“

-           Seite 237: „Ziel von Novomatic war es, Berechtigungen für das Glücksspiel in Österreich und zwar sowohl im terrestrischen als auch im Onlinebereich zu erhal­ten. Novomatic strebte daher eine Änderung des Glücksspielgesetzes an. Dafür nutzten die Vertreter von Novomatic ihre guten Kontakte zum BMF, insbesondere zu Schmid, über den sie auch Zugang zu Minister Löger hatten. Ein gutes Bei­spiel für die Zusammenarbeit zwischen Novomatic und BMF ist die von Löger im Dezember 2017 an die ÖLG erteilte Bewilligung zur Aufstellung von VLTs in Wien in den Hallen der Novomatic-Tochter Admiral.“

-           Seite 333: „Entscheidend für ein ordnungsgemäßes Ausschreibungsverfahren sind die Angemessenheit der zur Verfügung stehenden Zeit, die Objektivität, die Effektivität und die Transparenz des zur Bestellung als Vorstand führenden Vor­gangs. Gegen diese genannten Grundsätze wurde bei Vorbereitung und Durch­führung der Ausschreibung des Postens eines Vorstandes der Öbag mehrfach verstoßen“.

-           Seite 333: „Der vom BMF vorgegebene Zeitplan reichte weder dafür aus, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder mit ihrer Aufgabe vertraut machen konnten, noch konnte erwartet werden, dass ernst zu nehmende Kandidaten aus dem privaten Berufsleben in etwas mehr als einem Monat nach der Ausschreibung zur Über­nahme der ausgeschriebenen Tätigkeit bereit sein konnten.“

-           Seite 334: „Die Objektivität des Ausschreibungsvorgangs war nicht gegeben. Die mit der Vorbereitung der Ausschreibung befassten Personen, nämlich der poten­zielle Bewerber Kabinettschef und Generalsekretär des BMF Schmid und seine Mitarbeiter, setzten, wie im Bericht ausführlich festgestellt, alles daran, Formulie­rungen zu finden, die die Kandidatur Schmids mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend machen konnten.“

-           Seite 334: „Die bewusst zur Bevorzugung der Kandidatur Schmids in die Aus­schreibung aufgenommenen Passagen minderten die Effektivität der Ausschrei­bung, weil allein durch das Kriterium „Erfahrung in Aufsichtsräten staatlicher und teilstaatlicher Unternehmen“ Bewerber aus der internationalen und der nationa­len Privatwirtschaft ausgeschlossen werden konnten.“

-           Seite 335: „Der Bestellung von Schmid zum Vorstand der Öbag mangelte es trotz der durchgeführten Ausschreibung im Ergebnis auch an der Transparenz, weil für den Uneingeweihten nicht erkennbar war, dass durch den dargestellten Krite­rienkatalog und dessen unkritische Übernahme durch die Aufsichtsratsmitglieder Schmid besonders bevorzugt wurde.“

-           Seite 335: „Wenngleich eine Verschränkung der beiden Vorgänge nicht mit letz­ter Sicherheit festgestellt werden konnte, hat die Untersuchung doch eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen „Deal“ in Zusammenhang mit der Vorstandsbestel­lung von Schmid ergeben.“ (335)

-           Seite 567 zu Spenden als Gegenleistung für Gesetze: „Auffällig ist allerdings eine Spende über insgesamt EUR 50.000, die Ende 2017 und Mitte 2018 in zwei Tranchen von der Premiqamed Group an die ÖVP geleistet wurde. Ein Zusam­menhang mit der für die Premiqamed Group vorteilhaften gesetzlichen Erhöhung des Prikraf-Fonds um EUR 14,7 Millionen liegt nahe (siehe Kapitel 8 „Prikraf“ Punkt 4.4.). Strafverfahren sind anhängig.“

-           Seite 669: „Zwar liegen, wie ebenfalls bereits in den Feststellungen und der Be­weiswürdigung thematisiert, mehrere ungewöhnliche Handlungsweisen insbe­sondere von Fuchs und Pilnacek vor. […] Sehr ungewöhnlich erscheint, dass auf dem Mobiltelefon Pilnaceks Fotografien von Aktenbestandteilen aufgefunden wurden, die möglicherweise aus Verschlussakten stammen. Diese Dokumente lassen sich auch als Informationsquellen für von den Ibizaermittlungen betroffene Politiker interpretieren.“

-           Seite 700: „Weder Pilnacek und Fuchs, noch die beteiligten Oberstaatsanwälte konnten für die Ermittlungen in der Ibizaaffäre im gegenseitigen Kontakt als unbe­fangen bezeichnet werden. Dieser Umstand wurde schon durch die Ausgangs­situation nahe gelegt und ist in der Folge durch zahlreiche im Bericht festgestellte Verhaltensweisen offenbar geworden.“

-           Seite 700: „Probleme gab es aber nicht nur in der Zusammenarbeit der WKStA mit der OStA und dem BMJ, sondern auch zwischen der WKStA und der Soko Tape. Dass durch die gegenseitige sich ständig verhärtende Kompromisslo­sigkeit auch Ermittlungserfolge beeinträchtigt wurden, wird eindrücklich durch die offenbar aufgrund von Informationsschwierigkeiten unterbliebene Sicherstellung des Mobiltelefons und des Laptops von Melicharek sichtbar.“

-           Seite 783: „Entgegen dem Vorschlag des Rechnungshofes und der Übung in den meisten EU-Mitgliedstaaten sollte die Finanzmarktaufsicht nicht zur OeNB verla­gert werden, sondern von dieser weg zur FMA. Dort war die Abberufung des zweiten, national und international angesehenen Vorstandes Ettl, der der SPÖ zugerechnet wird, während laufenden Vertrags geplant. Ob allein die Einziehung einer zweiten Leitungsebene mit drei Bereichsdirektoren eine tragfähige sachli­che Begründung für diese Vorgangsweise geben kann, war für den Untersu­chungsausschuss mangels der Möglichkeit eingehender Analyse nicht feststell­bar. Jedenfalls stellt die Abberufung eines Vorstands bei laufendem Vertrag ohne ihm vorwerfbaren wichtigen Grund im Wege der einfachen Gesetzgebung eine durchaus ernst zu nehmende Gefährdung der Unabhängigkeit der FMA dar.“

Von den Befragungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses enthalten insbesondere folgende wörtliche Protokolle der Befragung von Auskunftsperson für das vorliegende Verlangen relevante Sachverhalte:

o          Mitterlehner (195/KOMM, XXVII.GP), 26.05.2021

o          Kurz (271/KOMM, XXVII.GP), 15.07.2021

o          Kurz (50/KOMM, XXVII.GP), 16.07.2020

o          Bonelli (239/KOMM, XXVII.GP), 24.06.2021

o          Bonelli (160/KOMM, XXVII.GP), 13.04.2021

o          Blümel (268/KOMM, XXVII.GP), 15.07.2021

o          Blümel (200/KOMM, XXVII.GP), 26.05.2021

o          Blümel (52/KOMM, XXVII.GP), 16.07.2020

o          Schmid (51/KOMM, XXVII.GP), 16.07.2020

o          Moser (266/KOMM, XXVII.GP), 15.07.2021

o          Köstinger (267/KOMM, XXVII.GP), 15.07.2021

o          Melchior (172/KOMM, XXVII.GP), 13.04.2021

o          Zadic (270/KOMM, XXVII.GP), 15.07.2021

o          Zadic (45/KOMM, XXVII.GP), 16.07.2020

o          Vrabl-Sanda (249/KOMM, XXVII.GP), 24.06.2021

o          Vrabl-Sanda (124/KOMM, XXVII.GP), 27.01.2021

o          Johann Fuchs (192/KOMM, XXVII.GP), 26.05.2021

o          Johann Fuchs (72/KOMM, XXVII.GP), 20.10.2020

o          Spiegelfeld (247/KOMM, XXVII.GP), 24.06.2021

o          Spiegelfeld (173/KOMM, XXVII.GP), 13.04.2021

o          Hofer (55/KOMM, XXVII.GP), 16.07.2021

Außerdem wurden auch durch andere parlamentarische Instrumente Sachverhalte an­gesprochen, in denen es zu unsachlichen Bevorzugungen gekommen sein soll. Verwie­sen werden kann hier exemplarisch auf folgendes:

-           Beantwortung der Dringlichen Anfrage 8207/J durch den Bundesminister für Fi­nanzen in der 124. Sitzung des Nationalrates am 12.10.2021

-           Beantwortung der Dringlichen Anfrage 5384/J durch den Bundesminister für Fi­nanzen in der 83. Sitzung des Nationalrates am 16.2.2021

-           Beantwortung der Dringlichen Anfrage 6179/J durch den Bundesminister für Fi­nanzen in der 95. Sitzung des Nationalrates am 9.4.2021

-           Beantwortung der Dringlichen Anfrage 6611/J durch den Bundeskanzler in der 103. Sitzung des Nationalrates am 17.5.2021

-           Beantwortung der Dringlichen Anfrage 7411/J durch den Bundesminister für Fi­nanzen in der 119. Sitzung des Nationalrates am 19.7.2021

-           Beantwortung von schriftlichen Anfragen, insbesondere 4101/AB, 4134/AB und 4136/AB in der XXVI.GP sowie 9/AB, 11/AB, 364/AB, 419/AB, 532/AB, 650/AB, 718/AB, 871/AB, 1038/AB, 1085/AB, 1126/AB, 1518/AB, 1519/AB, 1521/AB, 1523/AB, 1526/AB, 1530/AB, 1531/AB bis 1533/AB, 1537/AB, 1540/AB bis 1542/AB 1546/AB, 1547/AB, , 1885/AB, 2157/AB, 2201/AB, 2207/AB, 2212/AB, 2262/AB, 2271/AB, 2277/AB, 2285/AB, 2347/AB, 2413/AB, 2416/AB, 2418/AB, 2421/AB, 2422/AB, 2426/AB, 2429/AB, 2430/AB, 2432/AB, 2436/AB, 2439/AB, 2441/AB, 2444/AB, 2449/AB, 2453/AB, 2458/AB, 2461/AB,2464/AB, 2470/AB, 2474/AB, 2479/AB, 2481/AB, 2487/AB, 3031/AB, 3106/AB, 3305/AB, 3435/AB, 3436/AB, 3550/AB, 3578/AB, 3736/AB, 3915/AB, 3921/AB, 4385/AB, 4587/AB, 4845/AB, 4846/AB, 4987/AB, 5076/AB, 5115/AB, 5116/AB, 5120/AB, 5122/AB, 5379/AB, 5383/AB, 5681/AB, 5726/AB, 6010/AB, 6059/AB, 6074/AB, 6279/AB, 6360/AB, 6395/AB, 6464/AB, 6770/AB, 6771/AB in der XXVII.GP

Der Ständige Unterausschuss des Rechnungshofausschusses prüfte zudem im Früh­jahr 2021 mehrere Vergaben in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie (AB 1024 BlgNR XXVII.GP). Auslöser waren Vorwürfe gegen die Hygiene Austria LP Gmbh. Der Ständige Unterausschuss des Rechnungshofausschusses konnte dem Vorwurf der Be­einflussung des genannten Vergabeverfahrens nicht weiter nachgehen, da keine Aus­kunftsperson dazu nähere Auskunft geben wollte und daher insbesondere nicht die Mo­tive hinter dem ausdrücklichen Wunsch des Bundeskanzleramts nach Vergabe an Hy­giene Austria aufklären.

In den Akten des Ibiza-Untersuchungsausschuss fand sich ebenso eine Vielzahl an Hin­weisen auf den nun zu untersuchenden Missstand. Zu nennen sind insbesondere:

-           Amtsvermerk der WKStA über weitere Erkenntnisse aus der Datenauswertung in Zusammenhang mit Funktionären der ÖVP: Dieser legt u.a. diverse Interven­tionen zur Versorgung von (ehemaligen) ÖVP-FunktionärInnen dar;

-           Amtsvermerk der WKStA über den Kontakt zwischen Thomas Schmid, Gernot Blümel und Novomatic-CEO Harald Neumann: Aus den ausgewerteten Korres­pondenzen ist ein intensiver, bereits über mehrere Jahre bestehender vertrauter Kontakt zwischen Neumann und den beiden genannten ÖVP-Vertretern feststell­bar;

-           Amtsvermerk der WKStA über Befragungssituation im Untersuchungsausschuss bezüglich der Auskunftsperson Sebastian Kurz: Dieser führt die Wahrscheinlich­keit der Absprachen im Vorfeld der Befragungen im Untersuchungsausschuss aus;

-           Amtsvermerk der WKStA über die Erkenntnisse aus der Datenauswertung in Be­zug auf die Vorstandsbestellung von MMag. Schmid bei der ÖBAG und die Be­fassung von MMag. Schmid mit „Postenbesetzungswünschen“ Dritter: In diesem Vermerk werden eine Vielzahl von Versorgungswünschen für ÖVP-PolitikerInnen sowie ein enger Kommunikationsfluss zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für Finanzen in Personalangelegenheiten und in Hin­blick auf das Beteiligungsmanagement dokumentiert;

-           Anonyme Anzeige unter Anschluss von Unterlagen aus dem „Projekt Ballhaus­platz“: Der Großteil dieser Unterlagen war bereits auf der Webseite der Wochen­zeitung Falter zum Download verfügbar – im Kern steht der Vorwurf der umfas­senden Ausrichtung des Vollziehungshandelns von Sebastian Kurz nach Ge­sichtspunkten der Spendenlukrierung (vgl. AB 1040 BlgNR XXVII.GP, 475ff);

-           Mitteilungen gemäß § 50 StPO an Sebastian Kurz, Gernot Blümel, Bernhard Bo­nelli, Thomas Schmid, Melanie Laure, Josef Pröll, Hartwig Löger: In diesen Unter­lagen werden jeweils die strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Genannten benannt und mit dem entsprechenden Tatsachensubstrat untermauert;

-           Beschuldigtenvernehmungen Blümel, Löger, Hadschieff, Glatz-Kremsner, Pröll: Im Zuge dieser Beschuldigtenvernehmungen wurden die Genannten mit dem sie belastenden Material konfrontiert und erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme;

-           Zeugeneinvernahmen Spiegelfeld, Melchior, Krumpel: In diesen Zeugenverneh­mungen steht der Kontakt zwischen VertreterInnen der ÖVP und potentiellen SpenderInnen im Mittelpunkt;

-           Unterlagen der Task Force Steuerreform im BMF: Diese enthalten eine Vielfalt an gesetzlichen Reformvorhaben, die Personen begünstigt hätten, die für die ÖVP gespendet haben;

-           Korrespondenz zwischen den Kabinettschefs von Bundeskanzler Kurz und Bun­desminister Blümel einerseits sowie Thomas Schmid, Kabinettschef im Bundes­ministerium für Finanzen, andererseits: In diesen (vorwiegend) E-Mails werden regelmäßig Personalwünsche in Beteiligungsunternehmen vom Bundeskanzler­amt an das Bundesministerium für Finanzen übermittelt;

-           Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Wien wegen Verstößen gegen § 310 StGB: Es besteht der Verdacht, dass die Hausdurchsuchungen bei Harald Neu­mann, bei Hartwig Löger und bei Gernot Blümel vorab verraten wurden. Entspre­chenden Verdachtsmomenten geht die Staatsanwaltschaft nach;

-           Vorbereitungsunterlagen für die Sitzungen des Nominierungskomitees der ÖBIB: Darin enthalten sind eine Reihe von Vorschlägen zur vorzeitigen Abberufung am­tierender Organe in Beteiligungen des Bundes und Vorschläge für Neubestellun­gen mit ÖVP-nahen Personen.

-           Erhebungen des Rechnungshofs zu Zahlungen an Agenturen: In dieser Auswer­tung sind Zahlungen im Umfang mehrerer Millionen Euro im Zeitraum 2017 bis 2019 für Aufträge an Agenturen angeführt, die ebenfalls für die ÖVP tätig waren;

-           Einladungen zu „Wirtschaftsrunden“ im Bundeskanzleramt: In einer Reihe von E-Mailkorrespondenzen tauschen sich MitarbeiterInnen des Kabinetts des Bun­deskanzlers über die zu persönlichen Terminen einzuladenden Personen und die von diesen vorgebrachten Inhalte aus;

-           Auswertungen des Mobiltelefons von Christian Pilnacek: Auf diesem fanden sich neben Chatverläufen mit Wolfgang Sobotka während des laufenden Untersu­chungsausschusses insbesondere auch Unterlagen aus Ermittlungsakten sowie Entwürfe parlamentarischer Anfragen an die Justizministerin, die von einem Mit­arbeiter des NR-Präsidenten verfasst wurden sowie regelmäßige Korrespondenz mit dem Kabinettschef von Finanzminister Blümel sowie Nachrichten, die wäh­rend der Zeit der Bundeskanzlerin Bierlein auf einen Informationsfluss zum ehe­maligen Bundeskanzler Kurz schließen lassen;

-           Sicherstellungsanordnung betreffend die Mobiltelefone von Christian Pilnacek und Johann Fuchs: Darin werden die Verdachtsmomente in Hinblick auf die Be­einflussung der Ermittlungen zum Ibiza-Video zusammengefasst;

-           Tagebucheinträge der Leitenden StaatsanwältInnen der WKStA: Darin werden vielfach schikanöse Aufsichtsmaßnahmen bis hin zu Disziplinarmaßnahmen durch die Oberstaatsanwaltschaft, Ressourcenverknappung sowie Überflutung mit Berichtsaufträgen geschildert;

-           E-Mailkorrespondenzen zwischen MitarbeiterInnen der Kabinette Kurz und Lö­ger: In diesen ist die enge Einbindung von ÖVP-VertreterInnen sowie ÖVP-Spen­derInnen in die Erstellung von Gesetzesvorhaben dokumentiert, insbesondere wurden gegenüber dem Bundeskanzler durch Personen wie Sigi Wolf geäußerte Wünsche regelmäßig an die jeweils zuständigen Ressorts übermittelt;

-           Unterlagen zum „Projekt Edelstein“: Der geplante Verkauf des Bundesrechen­zentrums an die Post AG wurde auf Betreiben des Bundeskanzleramts vom BMF geprüft und stand kurz vor der Due Diligence Prüfung des BRZ durch die Post, wobei an den Gesprächen seitens der Post insbesondere auch ehemalige Mit­arbeiterInnen von ÖVP-Regierungsmitgliedern teilnahmen;

-           Dokumentation von „Frühstückscafés“ im BMF: So wurden etwa zum Stiftungs­recht exklusive Veranstaltungen mit vermögenden Personen abgehalten, bei de­nen diese ihre Wünsche an eine Reform des Stiftungsrechts vorstellen könnten, wobei das eigentlich zuständige Justizministerium nicht eingebunden war;

Seit dem Ende des Untersuchungszeitraums des Ibiza-Untersuchungsausschusses wur­den medial noch weitere Vorwürfe bekannt, die eine Bevorteilung zu Gunsten von mit der ÖVP verbundenen Personen oder parteipolitischen Interessen der ÖVP nahelegen:

-           Falter.at, 6.10.2021: Razzia im Kanzleramt: „Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das“: Chats und Scheinrechnungen belegen den Verdacht, dass Sebastian Kurz manipulierte Umfrageergebnisse und Berichterstattungen in Boulevardmedien zugunsten seiner Person erkauft haben soll – mit 1,2 Mio. Steuergeld bezahlt durch das Finanzministerium.

-           Der Standard, 9.10.2021: Wie die türkise Clique den Aufstieg von Sebastian Kurz orchestriert hat.

-           derstandard.at, 29. Juli 2020: ÖVP-nahe Agentur arbeitete bei Tourismus-Coro­na-Tests mit und Zackzack.at, 29.7.2020: Kurz’ ORF-Stiftungsrat steckt hinter Köstinger Coronatest-Desaster: Die Agentur von ORF-Stiftungsrat Gregor Schüt­ze, Schütze Positionierung GmbH, war zu einem Corona-Testprogramm in Vorar­beiten der Beratungsfirma McKinsey eingebunden. Schütze wickelte u.a. Bewer­bungen von Laboren für das Testprogramm ab, das vom BMLRT mit 150 Mio. Euro angekündigt wurde.

-           Derstandard.at, 22.10.2020: ÖVP-nahe Agenturen sind bei Köstinger gut im Ge­schäft: Weitere ÖVP-nahe Agenturen profitierten von Aufträgen der Bundesmi­nisterin Köstinger. Darunter befinden sich Philipp Maderthaners Campaigning Bureau; ORF-Stiftungsrat und PR-Berater der türkisen Fraktion im Ibiza-Untersu­chungsausschuss Jürgen Beileins zbc3; und die Agentur Best Heads.

-           Kurier.at, 31.8.2021: Brisanter Rechtsstreit um PCR-Tests für Schulen: Zwei Wo­chen vor Ende der Angebotsfrist einer Ausschreibung für PCR-Tests an Schulen präsentierte Bundesminister Faßmann bereits die auserwählte Firma Novogenia. Nicht nur zeitlich wurden andere Firmen vom Bildungsministerium und der Bun­desbeschaffung GmbH ausgeschlossen, auch die Ausschreibung war so formu­liert, dass nur Novogenias und jene PCR-Tests der Covid Fighters angewendet werden können. Novogenia erhielt bereits 2020 Aufträge vom Tourismus- und vom Verteidigungsministerium.

-           Falter 36/2021: Gurgel! Spül! Verdiene!: Neben Novogenia kamen die ÖVP-lasti­gen Covid Fighters aus Niederösterreich zum Zug der 340 Millionen Euro schwe­ren Ausschreibung von Schultests. Der Geschäftsführer Boris Fahrnberger hat eine ÖVP-Vergangenheit, des Weiteren war VP-Landtagsabgeordneter Anton Er­ber bis April 2021 mit 20 Prozent an der Firma beteiligt.

-           Orf.at, 24.11.2020: Regierung will sich um 30 Mio. Euro selbst bewerben: Die türkis-grüne Regierung suchte ab November 2020 eine Werbeagentur und schrieb 30 Millionen Euro für eine PR-Strategie aus; parallel dazu wurde in einer weiteren Ausschreibung eine Schaltagentur gesucht, die Regierungsinserate bis zu 180 Millionen Euro abwickeln sollte – eine Verdoppelung der Inserate bis zur Nationalratswahl 2024 auf jährlich 45 Millionen Euro. Den Zuschlag erhielt eine Agentur, bei der bekannte für die ÖVP-tätige Unternehmen als Subunternehmer tätig sind.

-           Zackzack.at, 14.9.2021: Chats: Kripo-Chef Holzer hat Telefonüberwachung an ÖVP-Leute verraten: Der heutige Leiter des Bundeskriminalamts, Andreas Hol­zer, soll 2016 Angehörigen der ÖVP-Familie Telefonüberwachungen verraten haben. Konkret informierte Holzer – damals Leiter der Abteilung „Organisierte Kriminalität“ im BKA – den Kabinettschef mehrerer ÖVP-Innenminister, Michael Kloibmüller, und den ÖVP-nahen ehemaligen stellvertretenden Leiter des BVT, Wolfgang Zöhrer.

-           Derstandard.at, 29.3.2021: "Intervention erledigt": Die Jobsuche des ÖVP-Um­felds im Finanzministerium: Nicht nur Thomas Schmid kriegte offenbar alles was er wollte – zusammen mit u.a. Hans-Jörg Schelling, Gernot Blümel und August Wöginger hat Schmid selbst auch für andere jobsuchende ÖVP-Familienmitglie­der interveniert.

-           Der Standard, 4.3.2021: Die umtriebige Frau Spiegelfeld: Nach mehreren Verstö­ßen gegen die Compliance-Richtlinien verabschiedete sich Agnes Husslein als Direktorin vom Belvedere. Zuvor hatte sie Gabi Spiegelfeld noch in das Kura­torium bestellt, diese trat aber auch zurück. Schmid und Spiegelfeld waren in den Sommermonaten gern gesehene Gäste in Hussleins Villa am Wörthersee. 2017 wurde Husslein dank Schmid und Spiegelfeld in den Vorstand der Leopold-Mu­seum-Privatstiftung berufen – just dort, wo ÖVP-Großspenderin Heidi Horten bald darauf Teile ihrer Kunstsammlung zeigen sollte.

-           Falter 23/2021: „Die schießen die Republik zusammen!“: Die sichergestellten Chats vom mittlerweile suspendierten und angeklagten Sektionschef Christian Pilnacek offenbaren den immensen Einfluss der türkisen Familie auf die Justiz. Verschlussakten aus dem Ibiza-Komplex fanden sich genauso auf seinem Mobiltelefon, wie auch Interventionen für seine Ehefrau bei Landeshauptmann Schützenhöfer, und Pilnaceks Frage an Blümels Kabinettschef „Wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung?“. Bereits zuvor war Pilnacek mit fragwürdigem Verhalten aufgefallen (Treffen mit Beschuldigten der Casinos-Affäre, Verdacht des Verrats von Hausdurchsuchungen).

-           Benkos Postsparkasse nach BIG-Deal mehr wert - wien.ORF.at, 23.02.2020: Re­né Benkos Postsparkasse ist nach einem Deal mit der Bundesimmobilienge­sellschaft massiv aufgewertet worden. 2013 kaufte die Signa Prime Selection die Wiener Postsparkasse um 130 Millionen Euro. Nachdem Benko die BIG als Mie­ter gewonnen hat (Jahresmiete rund 3,5 Mio. Euro), ist das Gebäude nun 250 Mil­lionen Euro wert.

-           Kurier, 08.12.2020, Corona-Familienhärtefonds: Vorwurf der "Vetternwirtschaft" bei Auftragsvergabe: Mit Grant Thornton Austria hat ein weiteres ÖVP-nahes Unternehmen vom türkisen Familiennetzwerk profitiert. Der Ehemann von ÖVP-Nationalrätin Carmen Jeitler-Cincelli ist Partner im Unternehmen, das den Zu­schlag erhielt.

Anfang Oktober sind außerdem neue Ermittlungsakten der WKStA an die Öffentlichkeit gelangt3, insbesondere die 104 Seiten starke Anordnung der Hausdurchsuchung sowie über 750 Seiten an Auswertung von Korrespondenzen zwischen mehreren Personen aus dem Umfeld von Sebastian Kurz.

Zu den Beweisthemen:

Die Festlegung von Beweisthemen ist auf Grund der VO-UA nicht zwingend erforderlich, jedoch in Hinblick auf die Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes und eine zweckmäßige Bearbeitung der zu untersuchenden Themen geboten. Auf Grund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach in einem Verlangen auf Einset­zung eines Untersuchungsausschusses auszuführen ist, welche Themenbereiche der Untersuchungsausschuss im Rahmen seines nachfolgenden Beweisverfahrens untersu­chen soll (vgl. VfSlg. 20370/2020, 174), ist ein Verzicht auf Beweisthemen nur unter schwierigen Voraussetzungen denkbar. Im vorliegenden Verlangen legen die Beweis­themen daher die Schwerpunkte der Untersuchung verbindlich fest. So empfiehlt es auch der Ausschussbericht (vgl. AB 440 BlgNR XXV.GP, 7):

„Da solche Vorgänge, auch wenn sie grundsätzlich näher definiert werden, erfahrungs­gemäß ein hohes Maß an Komplexität aufweisen, soll im Antrag bzw. Verlangen nach Möglichkeit auch eine inhaltliche Gliederung nach Beweisthemen erfolgen. Der Untersu­chungsgegenstand kann in einzelne Abschnitte und nach Beweisthemen gegliedert sein, zumal ein Vollzugsakt auch in einzelne Phasen zerlegt werden kann.“

§ 1 Abs. 5 VO-UA sieht vor, dass eine inhaltliche Gliederung des Gegenstandes der Untersuchung nach Beweisthemen zulässig, eine Sammlung nicht direkt zusammen­hängender Themenbereiche hingegen unzulässig ist. Dies ist insofern logisch, als dass die Beweisthemen nicht über den Untersuchungsgegenstand hinausgehen können und bereits dieser nicht mehrere unzusammenhängende Vorgänge umfassen darf. Denn der Untersuchungsgegenstand bildet den Rahmen der Tätigkeit des Untersuchungs­ausschusses, bindet diesen und bildet gleichzeitig die Begrenzung der diesem übertra­genen Zwangsbefugnisse (VfSlg. 20370/2020, 172) und nicht die Beweisthemen. Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass sowohl für den grundsätzlichen Beweisbeschluss eine Gliederung nach den Beweisthemen vorgeschrieben ist (vgl. § 24 Abs. 3 VO-UA), als auch eine Befragung von Auskunftspersonen außerhalb der angeführten Beweisthe­men unzulässig wäre (vgl. § 41 Abs. 1 VO-UA). Insofern verfügen die Beweisthemen über eigenständigen normativen Gehalt. Dies entspricht auch dem sonstigen Verständ­nis von Beweisthemen im gerichtlichen Verfahrensrecht.

Die Beweisthemen des vorliegenden Verlangens gliedern den Untersuchungsgegen­stand nach machtpolitischen Einflussformen. Das Vorliegen einer unsachlichen Gewäh­rung von Vorteilen im Bereich der Vollziehung des Bundes an mit der ÖVP verbundene Personen zum Zwecke der parteipolitischen Interessen der ÖVP sowie entsprechende Vorbereitungshandlungen auf Grundlage des Projekts Ballhausplatz soll vom Untersu­chungsausschuss in diesen Bereichen überprüft werden, da sie auf verschiede Arten Zugang zu staatlichen Ressourcen eröffnen, die nicht jedem gleichermaßen zur Verfü­gung stehen, in der Regel beschränkt und insofern begehrt sind. Die Verfügungsgewalt über solche Ressourcen ermöglicht der ÖVP die Förderung parteipolitischer Loyalitäten, da nur dadurch ein System von Belohnungen und Bestrafungen für das Verhalten Dritter besteht. Belege dafür sind mannigfaltig: Von der Bestellung loyaler Personen in ver­schiedenste Funktionen über die Gewährung besonderer Mitspracherechte bei der Er­stellung von Gesetzesvorhaben bis hin zur Einrichtung besonderer Förderprogramme sind beinahe jedem, der/die sich mit österreichischer Politik beschäftigt, zahlreiche Bei­spiele zumindest anekdotisch - bekannt. Wohlgemerkt sind mit solchem Verhalten nicht zwangsläufig Gesetzesverstöße verbunden. Wie bereits ausgeführt besteht die Grenze zum untersuchungswürdigen Verhalten dort, wo parteipolitische Motive zu Lasten staat­licher Interessen gefördert werden.

Das erste Beweisthema widmet sich der Aufklärung über die Beeinflussung von Ver­gabe- und Förderverfahren. Es enthält im Kern die Aufklärung über jene Sachverhalte, die auch den strafrechtlichen Vorwürfen gegen Bundeskanzler Kurz und mehrere seiner Mitarbeiter zu Grunde liegen (vgl. dazu die ausführliche Medienberichterstattung sowie die bereits zitierte Hausdurchsuchungs-Anordnung sowie die weiterführenden Auswer­tungsberichte der WKStA, die ebenfalls medial berichtet wurden).

Es werden konkrete Bereiche von Vergaben genannt, die auf Grund der Art der zu er­bringenden Leistungen besonders für Einflussnahmen geeignet sind, da die Angemes­senheit der zu erbringenden Leistung oftmalig ein Werturteil erfordert. Es wird für sons­tige Aufträge sowie Förderungen eine Erheblichkeitsschwelle eingezogen, die bei 40.000 Euro festgesetzt wird. Diese Grenze ist bewusst unterhalb der vergaberechtli­chen Schwelle von 100.000 Euro, jedoch über einer Bagatellgrenze angelegt, um mög­liche bewusste Preisgestaltung zur Ermöglichung einer Direktvergabe zu erfassen. Der aufzuklärende Vorwurf besteht in Zusammenschau mit dem Untersuchungsgegenstand darin, dass Ausschreibungen und Förderkriterien derart gestaltet wurden, dass mit der ÖVP verbundene Personen und Unternehmen Aufträge bzw. Förderungen erhalten. Der maßgebliche Verdacht besteht insbesondere darin, dass in Weiterentwicklung des „Guthabenkontos“ der ÖVP bei der Telekom Austria solche Förderungen und Vergaben zur indirekten Parteienfinanzierung der ÖVP verwendet wurden. Dieses im Telekom-Skandal aufgedeckte Muster sah vor, dass die ÖVP über Leistungen in gewisser Höhe bei der Telekom abrufen konnte, ohne dass diese Leistungen als Parteispenden auf­schienen.4

Auf das mögliche Vorliegen einer solchen Weiterentwicklung des Telekom-Schemas stießen die verlangenden Abgeordneten im Zuge der Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses. Aus mehreren Beweisanforderungen sowie einer Erhe­bung des Rechnungshofes ergaben sich auffällig hohe Zahlungen an Agenturen und Unternehmen, die ebenfalls für die ÖVP im Nationalratswahlkampf 2017 und 2019 tätig waren. Dazu zählen u.a. das Campaigning Bureau sowie die Blink Werbeagentur und die Media Contacta Gmbh. Diese erhielten verstreut über mehrere ÖVP-geführte Res­sorts Aufträge mit teils erheblichem Volumen, wobei die Angemessenheit der Gegenleis­tungen und des Preises bezweifelt werden kann. So erstellte das Campaigning Bureau für das Innenministerium etwa um mehrere tausend Euro eine Social Media Strategie, für die als Gegenleistung zumindest gegenüber dem Ibiza-Untersuchungsausschuss le­diglich eine Powerpoint-Präsentation belegt war. Das Landwirtschaftsministerium vergab einen mehrjährigen Rahmenvertrag für Öffentlichkeitsarbeit an eine Arbeitsgemein­schaft, die aus mehreren der genannten, für die ÖVP tätigen Unternehmen bestand. Die Vergabekommission bestand u.a. aus dem Pressesprecher der Ministerin und der Ka­binettschef wohnte der Kommissionssitzung bei. In der ELAK-Dokumentation mehrerer weiterer Aufträge des BMNT (nunmehr BMLRT) wurde von den zuständigen Bedienste­ten vermerkt, dass die Beauftragung „auf Wunsch des Büros der Bundesministerin“ erfolge.

Weitere Hinweise für unsachliche Einflussnahme auf Auftragsvergaben ergeben sich im Bereich der Regierungswerbung. Bei einer Analyse der Ausgaben des BMEIA unter Bun­desminister Kurz sticht ein sprunghafter Anstieg der Ausgaben für Inserate in Zeitungen sowie Online-Medien von 2016 auf 2017 ins Auge. Die Ausgaben wurden zum Teil ver­doppelt. Ein sachlicher Grund für den Anstieg ist nicht erkennbar, weshalb ein Zusammen­hang mit der Nationalratswahl 2017 vermutet werden muss. Ähnliche Kostensteigerungen finden sich in der Amtszeit des Bundesministers Kurz bei ausgegliederten Gesellschaf­ten des BMEIA, nämlich dem Österreichischen Integrationsfonds und der Austrian De­velopment Agency.

Die Hintergründe der Vergabe von Aufträgen für Schutzmasken an Hygiene Austria und somit an eine Gesellschaft, deren Geschäftsführung enge familiäre Beziehungen zu engsten MitarbeiterInnen des Bundeskanzlers hat, auf ausdrücklichen Wunsch des Bun­deskanzleramts, wecken ebenso den Verdacht parteipolitischer Einflussnahme:

„Eine Spitzenbeamtin schrieb der Kabinettschefin von Minister Rudolf Anschober Ende November, dass im Ministerrat ‚keine Festlegung auf die Provenienz der FFP2-Masken‘ vorgenommen worden sei. Jedoch sei ‚am Rand deutlich kommuniziert‘ worden, dass ‚die Bundesregierung in diesem Vorhaben gerne österreichische Firmen/Produkte be­schaffen würde‘. Damit war offenbar auch klar, welche Firma zum Zug kommen sollte: Hygiene Austria sei ‚derzeit der einzige österreichische Anbieter dafür (CE gekennzeich­nete FFP2-Masken)‘. Aus diesem Grund habe die BBG im Auftrag des Ministeriums mit Hygiene Austria Verhandlungen aufgenommen ‚und auch exklusiv geführt‘.

Bemerkenswert scheint, dass Hygiene Austria auch über eine besondere Verbindung ins Bundeskanzleramt verfügt: Die Schwägerin von Unternehmenschef Wieser ist Büro­leiterin von Kanzler Kurz. Wieser und der Ehemann der Büroleiterin sind Miteigentümer von Palmers und somit auch von Hygiene Austria. Dass das Bundeskanzleramt beim Projekt ‚65+‘ möglicherweise etwas mitzureden gehabt haben könnte, ergibt sich eben­falls aus dem erwähnten Mail.“ 5

Die Oberalp AG mit Sitz in Südtirol erhielt über den Umweg einer Einkaufsgesellschaft des Roten Kreuzes im Rahmen der ersten großen Bestellungen von Schutzausrüstung Aufträge in Höhe von 43 Mio. Euro, somit rund ein Drittel des Gesamtvolumens. Die Oberalp, die an sich im Sportartikelgeschäft tätig ist, steht in engem Kontakt zu führen­den SVP-Politikern sowie zur Tiroler Adler Runde, deren Mitglieder im Wahlkampf 2017 zusammen rund 1,1 Mio. Euro an die ÖVP gespendet haben. Im Südtiroler Landtag tagte in Hinblick auf die Beschaffungen durch die Oberalp ein eigener Untersuchungsaus­schuss, da große Teile des gelieferten Schutzmaterials nicht über die erforderlichen Zertifikate verfügten und qualitativ minderwertig waren. In mehreren Anfragebeantwor­tungen verweigerte die zuständigen BundesministerInnen nähere Auskünfte zu den Hin­tergründen der Beschaffungen und der konkreten Auswahl der Oberalp AG (vgl. 1538/AB, 1545/AB, 1549/AB, 1552/AB, 1561/AB, 1565/AB, 1571/AB, 1705/AB, 1711/AB, 1907/AB, 2194/AB, 2197/AB XXVII.GP). Die Agentur eines ehemaligen ÖVP-Kabinetts­mitarbeiters wickelte u.a. Bewerbungen von Laboren für ein Coronatestprogramm ab, das vom BMLRT mit 150 Mio. Euro angekündigt wurde.6

Die Ausschreibung von PCR-Tests an Schulen durch das BMBWF soll auf einen ÖVP-nahen Anbieter zugeschnitten worden sein, indem mögliche konkurrenzierende Anbieter durch die Anwendung unsachlicher Ausschreibungskriterien von der Angebotslegung ausgeschlossen wurden.7

Landwirtschafts- und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger ließ sich Inserate einiges kosten. Das teuerste Inserat des ersten Halbjahres 2021 um rund 30.000 Euro schaltete Köstinger anlässlich des internationalen Frauentages in der „Österreichischen Bauern­zeitung“ – laut offiziellen Mediadaten der Bauernzeitung ist das teuerste Inserat, das man bei ihnen buchen kann, um 19.000 Euro zu haben. Eigentümer der Bauernzeitung ist über eine komplizierte Konstruktion der österreichische Bauernbund – eine ÖVP-Teilorganisation. Zum Vergleich: Ein Inserat in der Kronen Zeitung bekam Köstinger schon für 11.613 Euro (vgl. 7212/AB XXVII.GP). Laut Recherchen der Salzburger Nach­richten sind im Untersuchungszeitraum rund 1 Mio. Euro von öffentlichen Stellen an die Bauernzeitung geflossen.8

Im BMDW erhielt der Verein „aed“, dem der ehemalige Vizekanzler und ÖVP-Obmann Spindelegger als Präsident vorsteht und ÖVP-Parteianwalt Suppan als Vorstandsmit­glied angehört für die Durchführung eines Projekts mit dem Titel „Best Practice Austria“ eine außertourliche Förderung über rund eine Million Euro.

Bemerkenswert war außerdem, dass die zuvor von der ÖVP beschäftigte Immobi­lienunternehmerin Gabi Spiegelfeld nach Antritt von Thomas Schmid als ÖBAG-Vor­stand von der ÖBAG einen Beratungsvertrag für Public Relations erhielt, nachdem sie im Zuge einer Ausschreibung der Bundesbeschaffungsgesellschaft ausgewählt worden war. Solche Rahmenverträge, die nach ungenauen Kriterien vergeben werden können, erübrigen in weiterer Folge Ausschreibungen für Einzelprojekte. Genauso soll es im Be­reich des Bundesrechenzentrums, für das auf Grund des in-house-Privilegs eine Aus­nahme von vergaberechtlichen Vorschriften besteht, zur Durchleitung von Aufträgen an Dritte, insbesondere an Beratungsunternehmen, mit Nähe zur ÖVP, die sich insbeson­dere aus der persönlichen Vernetzung der handelnden Personen wie Antonella Mei-Pochtler ergibt, gekommen sein.

In Zusammenhang mit den Spenden der Premiqamed an die ÖVP in den Jahren 2017 und 2018 führt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ebenfalls ein Verfah­ren gegen u.a. Hartwig Löger, allerdings wegen Untreue und nicht auf Grund von Kor­ruptionsvorwürfen in Zusammenhang mit seiner Amtstätigkeit. Im Zuge des Verfahrens sagte der Geschäftsführer der Premiqamed jedoch aus, dass der Aufruf zur Spende an die ÖVP nicht von der Gesellschaft selbst, sondern von außen an ihn herangetragen worden sei und der damalige Geschäftsführer der ÖVP Bundespartei, Axel Melchior, ihm gegenüber einen konkreten Betrag genannt habe. Fakt ist außerdem, dass im Zuge einer Änderung des Privatkrankenanstaltenfinanzierungsgesetzes nicht nur die Privatklinik Währing mit zusätzlichen Mitteln bedacht wurde (vgl. die Anklageschrift gegen u.a. Heinz-Christian Strache wegen Bestechlichkeit), sondern auch die Kliniken der Premi­qamed durch die Gesetzesänderung höhere Zuschüsse erhielten. Der Untersuchungs­ausschuss sollte in seinem Beweisverfahren den Zusammenhang zwischen beiden Sachverhalten weitergehend prüfen als der Ibiza-Untersuchungsausschuss dies ver­mochte. Aus diesem Grund sollen im Zuge des ersten Beweisthemas auch Änderungen an den Grundlagen von Förderprogrammen und die dahinterliegenden Motive aufgeklärt werden.

Das zweite Beweisthema dient der Aufklärung über das im Untersuchungsgegenstand beschriebene, potentiell missbräuchliche Verhalten im Bereich der Beteiligungen des Bundes. Die untersuchungsauslösenden Umstände sind in diesem Bereich auf Grund der umfassenden medialen Berichterstattung großteils offenkundig. Im Zentrum steht der Vorwurf, dass Thomas Schmid als Generalsekretär des BMF und gleichzeitig Kabi­nettschef mehrerer von der ÖVP nominierter Finanzminister wesentlichen Einfluss auf seine eigene Bestellung zum Alleinvorstand der ÖBAG sowie auf weitere Bestellungen genommen hat und die Personalauswahl aus parteipolitischen Motiven erfolgte. So lagen dem Ibiza-Untersuchungsausschuss umfassende Dokumente vor, die sowohl die direkte Einflussnahme von Schmid als auch seine Korrespondenz zu Themen des Betei­ligungsmanagements mit Sebastian Kurz und Gernot Blümel sowie mit weiteren Eigen­tümervertreterInnen belegen. Darin wird regelmäßig Bezug darauf genommen, dass Organwalter von Beteiligungsunternehmen zum vorzeitigen Ausscheiden „überredet“ werden sollten, um sie durch parteipolitisch vertraute Personen zu ersetzen. Prominen­testes Beispiel einer solchen vorzeitigen Abberufung ist die Vorstandsbestellung bei der Casinos Austria AG im Frühjahr 2019, die zur Bestellung von Bettina Glatz-Kremsner – damals stellvertretende ÖVP-Vorsitzende – zur Generaldirektorin der CASAG führte. Zu diesen Vorgängen führt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft unter der Zahl 17 St 5/19d ein umfangreiches Ermittlungsverfahren. Dem vorausgegangen war ein gemeinsames Vorgehen des Bundes und der Novomatic bei der Wahl des Aufsichtsrates der CASAG im Juni 2018. Die entsprechende Koordination zwischen Novomatic-CEO Neumann sowie Gernot Blümel und Thomas Schmid ist auf Grund der von der Staats­anwaltschaft ausgewerteten Chatnachrichten umfassend nachvollziehbar. Schlussend­lich wurden u.a. der ehemalige ÖVP-Obmann Josef Pröll und ÖVP-„Urgestein“ Walter Rothensteiner in den Aufsichtsrat gewählt, die nun beide ebenfalls von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigte geführt werden.

Im Zuge des zweiten Beweisthemas soll außerdem der tatsächliche Entscheidungsab­lauf und Informationsfluss in Angelegenheiten des Beteiligungsmanagements geklärt werden. Auf Grund des Herunterspielens der eigenen Rolle in diesen Fragen bei seiner Aussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss wird gegen den Bundeskanzler wegen Falschaussage ermittelt. Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft bereits umfassend he­rausgearbeitet, dass Kurz bei Personalentscheidungen in ausgegliederten Gesellschaf­ten die Letztentscheidung hatte. Zudem entstand im Zuge des Ibiza-Untersuchungs­ausschusses der Eindruck, dass viele Entscheidungen unter Umgehung des damaligen Bundesministers Löger im Kanzerlamt getroffen wurden. Besonders in Erinnerung ist dabei auch, dass Schmid „steuerbare“ Frauen zur Besetzung in Aufsichtsräten suchte. Dabei dürfte sich „steuerbar“ weniger auf das konkrete Geschlecht, sondern vielmehr auf die allgemein erforderliche Qualifikation bei ÖVP-Personalentscheidungen beziehen.

In Hinblick auf die geplante Privatisierung der Austrian Real Estate, die von Schmid vorbereitet wurde, sowie deren Geschäftstätigkeit und jene ihrer Mutter, der Bundesim­mobiliengesellschaft (BIG), soll der Verdacht geprüft werden, dass damit SpenderInnen der ÖVP aus der Immobilienbranche begünstigt werden sollten. Auffällig ist dabei u.a. die Einmietung der BIG im dem SIGNA-Konzern gehörenden Gebäude der Postspar­kasse für 99 Jahre, die zu einer Verdoppelung der Bewertung der Liegenschaft in den Signa-Büchern führte9 sowie mehrere gemeinsame Projekte der ARE mit SIGNA oder Soravia Group. Sowohl Benko als auch Mitglieder der Familie Soravia sind in den Unter­lagen des Projekts Ballhausplatz mit „€“-Zeichen vermerkt.

Das dritte Beweisthema dient der Aufklärung über (versuchte) Einflussnahme auf Auf­klärungsbemühungen, die die Tätigkeiten des Zusammenschlusses von der ÖVP zuzu­rechnenden Personen offenlegen und ggf. sanktionieren sollten. Neben dem Bereich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind von diesem Beweisthema auch die Verfol­gung von Hinweisen auf pflichtwidriges Verhalten von Mitgliedern des untersuchungsge­genständlichen Zusammenschlusses in den jeweiligen Bundesministerien selbst sowie die Behinderung parlamentarischer Kontrollinstrumente erfasst. Vermuteter gemeinsa­mer Zweck der Einflussnahme ist der Schutz parteipolitischer Interessen der ÖVP.

Untersuchungsauslösende Sachverhalte traten im Ibiza-Untersuchungsausschuss zuhauf auf: So informierte Bundeskanzler Kurz am Nachmittag vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17.5.2019 Justizminister Moser über die bevorstehende Veröffent­lichung. Moser führte bei seiner Befragung aus:

„Dr. Josef Moser: Ich habe am Tag, ich glaube, es war der Nachmittag, vor der Veröffent­lichung des Videos erfahren - -, nachdem ich angerufen worden bin und mir mitgeteilt wurde, dass voraussichtlich in den Abendstunden des gleichen Tages ein Video veröf­fentlicht wird, das Aussagen von Strache und Gudenus beinhaltet, beinhalten soll, und dass gleichzeitig die Aussagen voraussichtlich auch Elemente beinhalten, die strafrecht­lich zu würdigen sind.

Verfahrensrichter-Stellvertreter Dr. Ronald Rohrer: Wer hat Ihnen diese Mitteilung ge­macht?

Dr. Josef Moser: Soweit mir erinnerlich ist, wurde ich diesbezüglich von Bundeskanzler Kurz informiert und habe daraufhin, nachdem ich informiert worden bin, den Sektions­chef, das war der Generalsekretär meines Hauses, und auch den Kabinettschef infor­miert, dass er sich am Abend, wenn ein diesbezügliches Video veröffentlicht wird, sich das Video anschauen, damit wir schauen können, ob daraus allfällige weitere Veranlas­sungen seitens der Justiz zu treffen sind.“

Welche Aufträge Kurz in dem besagten Telefonat genau an Moser erteilte, wurde von beiden bei ihren Befragungen im Untersuchungsausschuss nicht beantwortet. Es be­steht der Verdacht, dass durch frühzeitiges Eingreifen entweder ein Schaden für den Koalitionspartner der ÖVP (zwecks Fortführung der Koalition) oder für die ÖVP direkt verhindert werden sollte. Feststeht, dass der damalige Sektionsleiter Christian Pilnacek noch am selben Abend mit dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien Kontakt auf­nahm und sich bemühte, die WKStA aus den Ermittlungen herauszuhalten. Noch am selben Abend gab Pilnacek dem Kurier die Auskunft, wonach sich die Justiz bereits in der Ibiza-Causa eingeschalten habe und die Oberstaatsanwaltschaft den Sachverhalt prüfe. Das Nachrichtenmagazin profil hat die Nachrichten dieses Abends zwischen Pil­nacek und Fuchs veröffentlicht:

„Um 23.33 Uhr eine weitere Nachricht an Fuchs: „Unterstütze mich bitte; HBM (Anm.: Herr Bundesminister) ist schon wieder fuchsteufelswild, dass ich das gesagt habe; wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die WKStS (sic!) … wieder eigenständig vorgegangen; das kann doch gerade jetzt nicht unser Interesse sein; hG“.

Unmittelbar darauf reicht Pilnacek zwei Nachrichten nach, die er jedoch wieder löscht.

Es ist der 18. Mai 2019, exakt 00.00 Uhr, als Fuchs antwortet: „Lieber Christian, ich sehe in der Kurier-Mitteilung überhaupt nichts Dramatisches. Wie kann ich Dich unterstützen? HG“.

Pilnacek antwortet um 00.19 Uhr: „Eben dadurch, dass ich verhindern wollte, dass WKStA von sich aus aktiv wird; gute Nacht“.“

Am 18.5.2019 um 9:01 Uhr teilt Johann Fuchs seinem Vorgesetzten Pilnacek dann mit:

„Guten Morgen Christian, hier mein aktueller Meinungsstand zu einem möglichen Wor­ding (wenn wir wieder ,dürfen‘): ,Die bisher medial veröffentlichten Rechercheergebnisse bieten keine ausreichende Grundlage für die Darstellung eines strafrechtlichen Anfangs­verdachts. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat lassen sich daraus nicht gewinnen. Eine (amtswegige) Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist daher zu­mindest derzeit nicht zulässig. Da das Videomaterial nach dem aktuellen Informations­stand überdies durch das Redaktionsgeheimnis geschützt ist, wäre eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage auch von einer Kooperation der hier agierenden Medienun­ternehmen abhängig.‘ HG Hans“.

+ Pilnacek antwortete um 9.44 Uhr: „Danke, das würde ich unterstützen; hG“.“10

Der weitere Tag des 18.5.2019 verlief in der Justiz kommunikationsarm. Vor dem Hinter­grund der sonstigen Ereignisse dieses Tages, an dem stundenlang kein Ton aus dem Kanzleramt zu vernehmen war, dürfte dies an der mangelnden Orientierung der han­delnden Personen gelegen haben, wie nun weiter vorzugehen sei. Erst am Abend des 18.5.2019 – einem Samstag - entwickelt sich wieder aktives Treiben:

„Aus dem abendlichen E-Mail-Verkehr der Justiz am 18. Mai 2019.

Pilnacek an Fuchs, 20.33 Uhr: „Lieber Hans! Ich habe eben mit HBM telefoniert; wir bitten dich, der WKStA den Auftrag zu erteilen, das gesamte Bildmaterial von den betei­ligten Medien anzufordern!“

Fuchs an Pilnacek, 20.46 Uhr: „Lieber Christian, ich kümmere mich darum; sollen wir das von Amts wegen oder aufgrund der bereits avisierten Jarolim-Anzeige machen? (Anm.: Hannes Jarolim, Rechtsanwalt und damals SPÖ-Abgeordneter) Es wäre mE je­denfalls als Erkundigung zur Prüfung, ob ein Anfangsverdacht vorliegt … am besten be­gründbar.“

Pilnacek an Fuchs, 20.47 Uhr: „HBM wünscht auch, dass die Kommunikation aus­schließlich über OStA Wien läuft.“

Pilnacek an Fuchs, 20.50 Uhr: „Ich denke, dass du den Auftrag aktiv stellen solltest; HBM möchte WKStA keine aktive Rolle zukommen zu (sic!) lassen.““11

Moser selbst gab an, die Zuständigkeit der WKStA niemals bestritten zu haben. Offenbar hatte Moser jedoch realisiert, was eine solche Einflussnahme auf ein Ermittlungsverfah­ren für ihn bedeuten könnte und ließ noch am Montag, den 20.5.2019, über seine per­sönliche Assistenz ein E-Mail an die Leiterin der WKStA senden, wonach er von der ordnungsgemäßen Erfüllung der gesetzlichen Pflichten der WKStA ausgehe. Pilnacek und Mosers Kabinettschef erhielten diese E-Mail erst nachträglich.

Der Grund für Mosers Nervosität war mutmaßlich, dass die WKStA bereits an diesem Wochenende erkannte, dass ihre Ermittlungen verhindert werden sollten. Da jedoch im Zusammenhang mit der Causa „Wien Wert“ ein Verfahren bei der WKStA anhängig war, in dem auch Spenden an FPÖ-nahe Vereine bereits Thema waren, erstattete die WKStA am Sonntag, den 19.5.2019 einen dringenden Informationsbericht an die Oberstaatsan­waltschaft und das BMJ. Ermittlungen der WKStA waren somit mit den geplanten Mitteln nicht mehr zu verhindern.

Die in weiterer Folge stattgefundene Koordination der Obstruktionsmaßnahmen über mehrere staatliche Institutionen hinweg offenbart einen möglichen, rechtsstaatlich be­denklichen Zustand, in dem nur parteipolitische Interessen der ÖVP maßgeblich sind und der im Zuge weiterer Untersuchungen erkundet werden muss.12

Sinnbildlich für diese Koordination ist der intensive Austausch zwischen Pilnacek, dem späteren SOKO-Leiter Andreas Holzer, dem damaligen interimistischen Generaldirek­tor für die öffentliche Sicherheit Franz Lang und OStA-Leiter Johann Fuchs. Befragt nach der Rolle von Christian Pilnacek gab der fallführende Staatsanwalt Bernd Schnei­der bei der Staatsanwaltschaft Wien für das „Hintermänner-Verfahren“ folgendes an (204/KOMM XXVII.GP):

„Er war zu Beginn dabei, bei dieser allerersten Besprechung, die ich Ihnen genannt ha­be, die kurz nach Veröffentlichung des Ibizavideos bei der Oberstaatsanwaltschaft war. Da war eine Besprechung bei der Oberstaatsanwaltschaft, bei der der Oberstaatsanwalt Fuchs war, Vertreter vom Ministerium, Vertreter vom Bundeskriminalamt – die damals schon gesagt haben, dass eine Soko eingerichtet werden wird –, ich war dort, die Leiten­de Staatsanwältin Dr. Nittel war dort, und später hinzugekommen ist auch der damalige Noch-Generalsekretär Pilnacek.“

Gleichzeitig besteht der Verdacht, dass die Oberstaatsanwaltschaft Wien durch Be­richtsaufträge und Weisungen sowie dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen für eine Zer­mürbung der WKStA sorgen wollte. Hervorzuheben sind die Weisungen der OStA, ge­wisse Akten dem Untersuchungsausschuss vorzuenthalten oder die „spontane“ Wei­sung, das Ermittlungsverfahren in der Schredder-Causa abzutreten.

Diese Kontrollbestrebungen der ÖVP gegenüber der Justiz schienen sogar den Regie­rungswechsel im Juni 2019 zu überdauern. Selbst unter der Amtszeit von Justizminister Jabloner blieb der Informationsfluss aus der Justiz an die ÖVP unverändert aufrecht. Das Nachrichtenportal zackzack veröffentliche Chats zwischen Christian Pilnacek und der damaligen Kabinettsmitarbeiterin von Jabloner, Andrea Martini. Den Hintergründen dieser Nachrichten konnte auf Grund des Endes der Beweisaufnahme des Ibiza-Un­tersuchungsausschusses nicht mehr nachgegangen werden:

„23.08.19, 17:03, Pilnacek an Abteilungsleiterin M.: Staatsanwaltschaft ermittelte bis vor kurzem gegen ein Mitglied der Soko Ibiza. Es geht munter weiter, das kann man sich nicht gefallen lassen!!!

17:08, M.: Jetzt wäre echt mal das BMI dran. Das wird wohl auch Peschorn aufregen.

17:13, Pilnacek: Ja, aber wir müssen auch einmal aktiv werden; accounts der WKStA sichern. Damit sind die Mailaccounts der Ermittler gemeint.

17:26, M.: Ja, die OStA (gemeint ist die für die WKStA zuständige Oberbehörde, die Oberstaatsanwaltschaft Wien unter Johann “Hans” Fuchs) kümmert sich darum!

18:02, Pilnacek: Es ist alles so erbärmlich; bitte K. nichts erzählen (Freund von A.). K. ist jener Staatsanwalt, der später auf Falschaussagen seiner Vorgesetzten im Ibiza-U-Ausschuss hinweisen sollte; er genoss das Vertrauen von Justizminister Clemens Jablo­ner. A. ist der fallführende Staatsanwalt in der Causa Casinos.

18:03, M.: Nein, mach ich sowieso nicht! (Hbm erzählt ihm immer nur alles, aber das ist eh Sache der OStA. Das muss ich hbm jetzt nicht im Detail erzählen.)

18:05, Pilnacek: Ok, man muss aber auch HBK von diesen seltsamen Verbindungen erzählen. “HBK” steht im Beamtensprech für Herr Bundeskanzler. Gemeint ist offenbar Sebastian Kurz – der war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht Bundeskanzler, das System Pilnacek betrachtete ihn aber wohl als solchen.

18:07, M.: Ich glaub, ich hab das schon erwähnt. kann das ja wiederholen.“13

Neben dieser genannten Kommunikation mit dem damals (nur) ÖVP-Vorsitzenden Kurz gab der ehemalige Justizminister Moser sowie dessen früherer Strafrechtsreferent im Kabinett auch an, dass sich der Bundeskanzler Kurz bei ihm nach dem Stand des Ver­fahrens in der Causa Stadterweiterungsfonds erkundigt hatte. Bei diesem Verfahren wa­ren mehrere hochrangige Beamte des BMI mit ÖVP-Nähe beschuldigt, Mittel des Stadt­erweiterungsfonds veruntreut zu haben.14 Außerdem wurde in diesem Zusammenhang auch gegen Christian Pilnacek wegen Amtsmissbrauch ermittelt. In einer anderen An­gelegenheit teilte der Kabinettschef des damaligen Justizministers Moser, Wolfgang-Clemens Niedrist, welcher nunmehr Kabinettschef von Bundesminister Blümel ist, einem Vertrauten mit, dass es doch gut gewesen sei, dass er noch länger im BMJ verblieben ist. Hintergrund waren Vorwürfe gegen Stefan Pierer, steuerrechtliche Regelungen für Vermögenstransaktionen aus dem Ausland umgangen zu haben.

Untersuchungsauslösend sind des weiteren Vorwürfe des Verrats von Ermittlungsmaß­nahmen: Neben einer Häufung von Zufällen in der Kommunikation zwischen Kanzler Kurz und Finanzminister Löger rund um die Hausdurchsuchung bei Löger, den Aussa­gen, wonach Bettina Glatz-Kremsner (damals bereits ehemalige stellvertretende ÖVP-Parteiobfrau) vorab über die Hausdurchsuchung bei Harald Neumann informiert war, Berichten über kurzfristige Datenlöschungen bei „research affairs“15, dem ominösen Treffen Christian Pilnaceks mit den Beschuldigten Pröll und Rothensteiner sind es die jüngsten Vorwürfe gegen den nunmehrigen Leiter des Bundeskriminalamts, aus partei­politischen Gründen die Ergebnisse einer Telefonüberwachung verraten zu haben, de­nen nachzugehen sein wird:

Laut der parlamentarischen Anfrage, die Stögmüller an Innenminister Karl Neham­mer (ÖVP) eingebracht hat, geht es um Ermittlungen rund um die Operation "White Milk". Dabei gewährte das BVT einem syrischen Ex-General und mutmaßlichen Kriegsverbre­cher Khaled H. Unterschlupf.

Das zog bereits Anfang 2016 Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft nach sich. Im Fokus standen mehrere Beamte im BVT und dem Innenministerium, darunter auch der damalige Kabinettschef Michael Kloibmüller.

Genau diesem schrieb Holzer am 10. April 2016: "I watched you. OK ist überall." OK steht für organisierte Kriminalität, für die Holzer als Leiter des zuständigen Büros im Bundeskriminalamt damals zuständig war. Den Chatverlauf zitiert Stögmüller unter an­derem aus dem aktuellen Buch von Ex-Politiker und "Zackzack"-Herausgeber Peter Pilz. Auch der "Standard" und "Zackzack" berichten darüber.

Und Stögmüller zitiert weitere Chats zwischen Holzer und Kloibmüller. Am 27. April 2016 fragt Holzer über den Messenger-Dienst Signal: "Hat BAK dich über TÜ Inhalte infor­miert?" BAK steht für das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung, TÜ meint Telefon­überwachung. Kloibmüller antwortet "Nein wieso". Holzer antwortet: "Zöhrer und du kommt vor. Ich glaube, das ist eine Linke aus einem gewissen Bereich". Wolfgang Zöhrer war damals BVT-Vizedirektor, auch er gilt als ÖVP-nah."16

Nicht zuletzt ist die Pressekonferenz der stv. Generalsekretärin der ÖVP Ende Sep­tember 2021 zu erwähnen, in der sie präventiv für den Fall einer Hausdurchsuchung verkündete, dass in der ÖVP-Zentral „nichts mehr da“ sei. Wenige Tage später fand tatsächlich eine Hausdurchsuchung statt.

Gegenstand der Untersuchung wird im Zusammenhang mit Ermittlungen daher insbe­sondere sein, wie Informationsflüsse innerhalb des ÖVP-Zusammenschlusses verbreitet wurden. Zu dieser Zeit war Wolfgang Sobotka Bundesminister für Inneres und Sebastian Kurz Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres. Wie die von der WKStA ausgewerteten Chats zeigen sowie es die Aussagen von Christian Kern17 und Reinhold Mitterlehner nahelegen, war Wolfgang Sobotka federführend in die Sabotage von Pro­jekten der damaligen Bundesregierung involviert und trug etwa auch dazu bei, ein 1,2 Mrd. schweres Projekt zum Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen zu verhindern.

Abschließend sollen auch Vorwürfe geprüft werden, wonach sich der Präsident des Na­tionalrates – soweit er als Organ der Vollziehung und nicht der Gesetzgebung, somit nicht in Ausübung von Rechten nach dem Geschäftsordnungsgesetz tätig wurde - mit Organen der Vollziehung abgesprochen hat, um die Beweiserhebungen des Ibiza-Unter­suchungsausschusses zu behindern. Dieser Verdacht ergibt sich einerseits aus den bei Christian Pilnacek sichergestellten Mobiltelefondaten, die einen intensiven Austausch zwischen Sobotka und Pilnacek belegen sowie aus Äußerungen des Präsidenten selbst. Dieser gab selbst an, dass er in direktem Kontakt mit VertreterInnen des BKA stehe und von dort auch untersuchungsrelevante Auskünfte beziehe. Zudem wurden auf dem Handy von Christian Pilnacek Entwürfe für parlamentarische Anfragen gefunden, die vom da­maligen Büroleiter des Präsidenten erstellt wurden. Mutmaßlich wurde die Ablehnung des Angebots, das gesamte Ibiza-Video dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen, durch den Anwalt von Julian H., auch vorab vom Präsidenten mit ÖVP-VertreterInnen im Bun­deskanzleramt abgesprochen. In Zusammenhang mit den Aktenlieferungen an den Un­tersuchungsausschuss durch Bundesminister Blümel, die erst auf Grund einer Exekution eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes durch den Bundespräsidenten er­folgte, sind außerdem die Motive für die Zurückhaltung der Akten durch das BMF und allfällige damit zusammenhängende Pflichtwidrigkeiten zu prüfen. Schließlich steht auf Grund der Befragungen im Ibiza-Untersuchungsausschuss fest, dass die Weisung zur Nicht-Lieferung durch das Kabinett des Bundesministers Blümel erfolgte.

Im Zentrum des vierten Beweisthemas steht die Personalauswahl von der ÖVP-zuzu­rechnenden Amtsträgern. Der untersuchungsauslösende Verdacht besteht darin, dass ÖVP-nahe Personen mit Organfunktionen ausgestattet wurden, um einen kontrollieren­den Einfluss der ÖVP über die jeweiligen Organe zu gewährleisten. An dieser Stelle sind insbesondere die Bemühungen der ÖVP zu nennen, Vertraute insbesondere aus den Kabinetten in Leitungsfunktionen der Bundesministerien unterzubringen. Das bei diesen Neubesetzungen eine 2-zu-1- Regel bestand, wonach dem einen Koalitionspartner je­weils ein Drittel und dem anderen jeweils zwei Drittel der Funktionen zustehen sollten, je nachdem, wer das jeweilige Ministerium leitete, wurde sowohl von Norbert Hofer im Ibiza-Untersuchungsausschuss als auch von Bundeskanzler Kurz anlässlich seiner Beschuldigteneinvernahme bestätigt. Insofern kamen sachfremde Kriterien für die Per­sonalauswahl zur Anwendung, durch die nicht die besten Personen, sondern die partei­lich loyalsten bestellt wurden.

Die Stabstelle Think Austria hat besondere Bedeutung für den Zugang von potentiellen ÖVP-SpenderInnen ins Bundeskanzleramt. Hinzu kommt, dass die Auswahl der Mitglie­der der Stabsstelle noch zu beleuchten sein wird. Insbesondere die Rolle von Markus Braun sticht hier hervor, da dieser insgesamt 70.000 Euro an die ÖVP gespendet hatte.

Im Bereich der Wirtschaftsdelegationen gaben mehrere Auskunftspersonen an, vom Bundeskanzler oder seinem Umfeld zu gemeinsamen Reisen eingeladen worden zu sein. Aus welchen Motiven diese Einladungen erfolgten, wird zu klären sein. Dieses Mus­ter bestand bereits im BMEIA in den Jahren 2015 und 2016. Exemplarisch können die gemeinsamen Reisen des damaligen Bundesministers Kurz mit René Benko in den arabischen Raum oder mit OMV-Chef Seele nach Libyen genannt werden,18 wo zu spä­terem Zeitpunkt auch Jan Marsalek mit der Unterstützung durch die österreichische Regierung für seine dortigen Projekte warb. Entsprechende parlamentarische Anfragen zu diesen Reisen und dem Inhalt der dort geführten Gespräche blieben unzureichend (vgl. zB 3187/AB XXVI.GP).

Die Interventionen zu Gunsten von (ehemaligen) ÖVP-PolitikerInnen sowie Verwandten von ÖVP-SpitzenpolitikerInnen sind – sofern es das BMF betrifft – in einem eigenen Auswertungsbericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft erfasst, der dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorlag (ON 1309 zum Verfahren AZ 17 St 5/19d). Dabei ging es u.a. um die Versorgung von Gabi Tamandl, Manfred Juraczka und Harald Mah­rer. In dem besagten Auswertungsbericht sind auch die umfassenden Bemühungen u.a. von Thomas Schmid dokumentiert, Personen frühzeitig aus ihren Organfunktionen abzu­lösen.

Zur Einordnung in den Bereich der Vollziehung des Bundes:

Ein Untersuchungsausschuss des Nationalrates kann nur einen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes überprüfen. Der Ausschussbericht (AB 439 BlGNR XXV. GP, 3) führt dazu aus, dass zur Verwaltung des Bundes nach Rechtsprechung und Lehre so­wohl die hoheitliche als auch die nicht-hoheitliche Besorgung von Verwaltungsaufgaben sowie die Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes zähle. Daher kann auch informelles staatliches Handeln Gegenstand der Untersuchung sein (Pabel, Die Kontrollfunktion des Parlaments, 2009, 85) sowie auch gesetzesvorbereitende Tätigkeit der Verwaltung (Pür­gy, Die gesetzesvorbereitende Tätigkeit der Verwaltung als Kontrollgegenstand parla­mentarischer Untersuchungsausschüsse, ZfV 2021, 101). Das Untersuchungsrecht er­streckt sich somit grundsätzlich auf jede Art der „Verwaltung“ im verfassungsrechtlichen Sinn.

Gegenstand der Untersuchung ist im vorliegenden Fall das Verhalten von Mitgliedern der Bundesregierung, StaatssekretärInnen und deren unmittelbarem Umfeld in Organen des Bundes. Privates Verhalten ist nicht erfasst, sofern es keinerlei Bezug zur dienst­lichen Tätigkeit hat (vgl. Konrath/Posnik, aaO, 9; Wimmer, Staatlichkeit und Kontrolle, in: Fuchs ua. [Hrsg.], Staatliche Aufgaben, private Akteure, 3. Band [2019], 136). Verhalten mit Bezug zur amtlichen Stellung in Organen des Bundes ist logischerweise Vollziehung des Bundes, auch wenn es bloß informelles oder schlichtes Verwaltungshandeln ist oder der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen wäre. Als politisches Kontrollrecht ist das Untersuchungsrecht nicht auf die Untersuchung bestimmter Handlungsformen be­schränkt. Im Sinne des Ausschussberichts (AB 439 BlgNR XXV. GP, 3) wird bei der Abgrenzung zwischen amtlichem und privatem Verhalten auf die Intentionalität des je­weiligen Handelns, die nach objektiven Kriterien, also rechtlichen Zuständigkeiten und Befugnissen, zu bewerten ist, abzustellen sein (vgl. auch Konrath/Neugebauer/Posnik, aaO, 217). Es ist somit auch klargestellt, dass etwa die Verwendung der mutmaßlich gewährten Vorteile durch die ÖVP nicht Gegenstand der Untersuchung sein kann, da Parteien genauso juristische Personen des Privatrechts und somit nicht Untersuchungs­gegenstand sind, sondern lediglich jene Motive und Handlungen, die im Bereich der Voll­ziehung des Bundes zur Vorteilsgewährung führten.

Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass die Untersuchung die private Sphäre der ÖVP mittelbar berührt, da an der Aufklärung des behaupteten Missstands ein besonderes öf­fentliches Interesse besteht und die ÖVP über einen besonderen Bezug zu staatlichen Einrichtungen verfügt, sowie Kenntnis über Strukturen und Prozesse in der ÖVP zum Verständnis von Handlungen im Bereich der Vollziehung des Bundes erforderlich sind, da sie insofern eine Vorfrage darstellen. Die dem Untersuchungsausschuss von der Bun­desverfassung eingeräumten, der Wirksamkeit seines Kontrollauftrags dienenden, be­sonderen Informationsrechte würden ins Leere laufen, könnten private Umstände nicht einmal mittelbar erforscht werden, obwohl diese Folgen im Bereich der Vollziehung des Bundes haben. Aus diesem Grund kann der verfassungsrechtlichen Vorlagepflicht des Art. 53 Abs. 3 B-VG gegenüber dem Untersuchungsausschuss auch keine Geheimhal­tungsverpflichtung gegenüber Privaten entgegengesetzt werden (vgl. dazu bereits VfSlg. 19973/2015). Davon zu unterscheiden ist die Frage der eigenständigen Mitwir­kungspflicht Privater an den Beweiserhebungen eines Untersuchungsausschusses (vgl. dazu einerseits VfSlg. 19993/2015 bzw. andererseits § 288 Abs. 1 und 3 StGB).

Dass Private mittelbar vom Gegenstand der Untersuchung betroffen sein können, hat der Verfassungsgesetzgeber durch die Erlassung des Art. 138b Abs. 1 Z 7 und die Schaffung des dazugehörigen Beschwerdeverfahrens im VfGG überdies ausdrücklich anerkannt. Schließlich wäre ein solches Verfahren zum Schutz von Persönlichkeits­rechten ansonsten von vornherein obsolet.

Dem Nationalrat kommt gemäß Art. 143 B-VG das Recht zu, beim Verfassungsgerichts­hof die Klage gegen (auch ehemalige) Mitglieder der Bundesregierung auch wegen straf­gerichtlich zu verfolgender Handlungen zu erheben, die mit der Amtstätigkeit des Anzu­klagenden in Verbindung stehen. In diesem Falle wird der Verfassungsgerichtshof allein zuständig, die bei den ordentlichen Strafgerichten etwa bereits anhängige Untersuchung geht auf ihn über. Gemäß § 73 VfGG hat die Klage denselben Maßstäben wie eine An­klageschrift zu entsprechen (vgl. Rohregger in: Eberhard et al. [Hrsg.], Kommentar zum Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, 4; Zögernitz, Nationalrat-Geschäftsordnung4, § 75, Anm. 1). Zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Aufgaben muss es dem Na­tionalrat unter Einsatz seines weitestreichenden Kontrollinstruments - des Untersu­chungsausschusses - daher möglich sein, den Sachverhalt und insbesondere auch die subjektive Tatseite selbsttätig umfassend zu erforschen, auch wenn diese im Bereich der parteipolitischen Gründe zu verorten ist, so lange nur ein ausreichender Zusam­menhang mit der amtlichen Tätigkeit besteht. Vorwürfe strafgerichtlich zu verfolgender Handlungen bestehen aktuell gegenüber mehreren der ÖVP zuzurechnenden Re­gierungsmitgliedern in Zusammenhang mit ihrer Amtsführung, insbesondere gegen den Bundeskanzler sowie Bundesminister Blümel. Eine solche Auslegung entspricht auch dem spezifischen Verständnis parlamentarischer Kontrolle als Informationsgewinnung zur Geltendmachung politischer Verantwortung (vgl. auch Konrath/Neugebauer/Posnik, aaO, 218).

Bei den Vorteilen, die mutmaßlich gewährt wurden, handelt es sich in aller Regel um solche, die im Bereich der Vollziehung des Bundes gelegen sind, da eine Vorteilsgewäh­rung in anderen Bereichen jedenfalls nicht durch die amtliche Tätigkeit der jeweiligen Personen ausgelöst sein kann. Einzige Ausnahme bilden Fallkonstellationen im Drei­ecksverhältnis, bei denen sich das jeweilige Organ des Bundes für den Vorteil bei einem Dritten verwendet und der Vorteil somit indirekt gewährt wird. Auf Grund derselben Ver­werflichkeit solcher Handlungen – nämlich der Unsachlichkeit des Eingreifens eines Organs des Bundes wohl jeweils unter der Begründung eines Abhängigkeitsverhältnis­ses zum Dritten sind solche Konstellationen ebenfalls vom Untersuchungsgegenstand erfasst. Der Nachteil tritt jedenfalls immer beim Bund ein.

Zur Abgeschlossenheit:

Der Ausschussbericht (AB 439 BlgNR XXV. GP, 4) führt aus, dass ein Vorgang jedenfalls dann als „abgeschlossen“ angesehen werden könne, wenn sich die Untersuchung auf einen zeitlich klar abgegrenzten Bereich in der Vergangenheit bezieht. Das Erfordernis der Abgeschlossenheit schließe nicht aus, dass damit in Verbindung stehende Handlun­gen noch offen sind. Dies ergibt sich im Übrigen bereits daraus, dass anderenfalls die Ausnahme des Art. 53 Abs. 4 B-VG von der Vorlageverpflichtung an einen Untersu­chungsausschuss überflüssig wäre.

Als maßgeblicher Beginn der Untersuchung wird im vorliegenden Fall der 18. Dezember 2017 und somit die Angelobung von Sebastian Kurz als Bundeskanzler bestimmt. Ab diesem Zeitpunkt kam Kurz auch formal die führende Stellung zu. Auf Grund ausdrück­licher Anordnung werden auch alle Handlungen auf Grund des Projekts Ballhausplatz, die laut WKStA bereits 2014 und somit vor dem 18. Dezember 2017 begannen, als Vor­bereitungshandlungen erfasst, da diese in untrennbarem Zusammenhang mit den späte­ren Handlungen zur Vorteilsgewährung stehen. Insbesondere das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten sowie das Bundesministerium für Finanzen werden daher ihre Aktenbestände bereits ab dem Jahr 2014 zu sichten haben, da die im „Projekt Ballhausplatz“ relevanten Akteure im Zeitraum vor 18. Dezember 2017 in diesen Ressorts tätig waren.

Das Ende des Untersuchungszeitraumes wird mit 11.10.2021, sohin dem Tag der Ent­lassung von Sebastian Kurz als Bundeskanzler durch den Bundespräsidenten festge­legt.

Auch wenn mit dem Vorgang in Verbindung stehende Handlungen weiterhin offen sind, ist durch die Festlegung eines ausdrücklichen Enddatums das Erfordernis der Abge­schlossenheit erfüllt (vgl. VfGH 14.9.2018, UA1/2018, 86; VfSlg. 20304/2018, 179ff; Kon­rath/Neugebauer/Posnik, aaO, 218; Konrath/Posnik, aaO, 12).

1              https://www.profil.at/wirtschaft/bisher-unveroeffentlichte-chats-kurz-kann-jetzt-geld-scheissen/401407647

2           https://www.falter.at/zeitung/20170919/projekt-ballhausplatz

3           https://www.profil.at/oesterreich/die-komplette-anordnung-zur-oevp-hausdurchsuchung-das-sind-die-vorwuerfe/401760906

4           Vgl. https://www.addendum.org/parteienfinanzierung/oevp-mediaselect/

5           https://www.profil.at/wirtschaft/hygiene-austria-geplatzter-masken-deal-mit-der-regierung/401208109

6           https://zackzack.at/2020/07/29/das-mckinsey-kartenhaus-kurz-orf-stiftungsrat-steckt-hinter-koestingers-coronatest-desaster/

7           Falter 36/2021: Gurgel! Spül! Verdiene!

8           https://www.sn.at/politik/innenpolitik/tuerkise-inserate-fuer-den-bauernbund-110232697

9           https://www.falter.at/maily/20200224/kasse-machen-mit-der-postsparkasse

10         https://www.profil.at/wirtschaft/neue-pilnacek-chats-vorpreschen-der-wksta-verhindern/401431324

11         https://www.profil.at/oesterreich/die-ibiza-vertuschung-justizministerium-unter-verdacht/401155287

12         https://www.derstandard.at/story/2000125536069/ein-schamloser-staat-im-staat

13         https://zackzack.at/2021/06/08/intrige-im-justizministerium-so-wollte-pilnacek-an-die-mails-der-wksta-kommen/

14         https://kurier.at/politik/inland/schwarzes-netzwerk-oder-justizskandal-aufregung-nach-anklage-gegen-sektionschefs/400524373

15            https://www.derstandard.at/story/2000130365838/in-inseratenaffaere-beschuldigte-meinungsforscherin-b-offenbar-festgenommen

16         https://www.puls24.at/news/politik/ex-leiter-der-soko-ibiza-andreas-holzer-soll-oevp-nahen-beamten-vor-ueberwachung-gewarnt-haben/244090

17         https://www.derstandard.at/story/2000130382727/ex-kanzler-kern-sobotka-war-die-abrissbirne

18         https://www.derboersianer.com/2019/03/boys-trip-kurz-seele-benko-und-ein-lippizaner/

Beilage 1 zum Verlangen gemäß § 33 Abs. 1 2. Satz GOG-NR

Beilage 2 zum Verlangen gemäß § 33 Abs. 1 2. Satz GOG-NR

Beilage 3 zum Verlangen gemäß § 33 Abs. 1 2. Satz GOG-NR

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Präsidentin Doris Bures: Wir gehen in die Debatte ein.

Im Sinne des § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung beträgt die Redezeit in einer kurzen Debatte 5 Minuten. Der Erstredner oder der Begründer dieses Verlangens erhält jedoch 10 Minuten. Das ist Herr Abgeordneter Kai Jan Krainer, dem ich hiermit auch das Wort erteile. – Bitte.