Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Kai Jan Krainer, Kolleginnen und Kollegen an den Bundes­kanz­ler betreffend „Schluss mit Schreddern – Aufklärung statt Aktenvernichtung, Herr Bundeskanzler!“ (8234/J)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 8234/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Die „Operation Reisswolf“ sorgte im Sommer 2019 für großes Aufsehen. Damals wurde bekannt, dass ein Mitarbeiter des Kabinetts des Bundeskanzlers kurz nach Veröffent­lichung des Ibiza-Videos fünf Festplatten unter falschem Namen bei der Firma Reisswolf schreddern ließ. Mehrere Ermittlungsverfahren folgten, wurden jedoch zum Teil unter dubiosen Umständen und mit Hilfe von Weisungen ÖVP-naher Beamter eingestellt.

Die unterzeichneten Abgeordneten erhielten nunmehr von Whistleblowern beunruhi­gende Informationen aus dem Bundeskanzleramt: Nach dem Schreddern von Festplatten scheint sich die Vorgangsweise dort professionalisiert und massiv ausgeweitet zu haben. Nun­mehr sollen mit Stichtag 10. November sämtliche (!!) Daten von MitarbeiterInnen des Kanzleramts am Outlook-Server sowie in der elektronischen Dateiablage, die älter als ein Jahr sind, zentral und serverseitig gelöscht werden. Dies ist aus mehreren Gründen verstörend und hochgradig bedenklich.

Zunächst zur Chronologie:

4. Oktober 2021:

-           Die WKStA informiert das Innenministerium (Bundesamt für Korruptions­bekämp­fung) über die gerichtliche Bewilligung der Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium und der ÖVP-Zentrale.

-           Um 12:58 Uhr beginnt ein Mitarbeiter des Kanzleramts auf Anweisung des Ge­neralsekretärs und Kurz-Intimus Bernd Brünner mit der Ausarbeitung eines Dokuments, das den Bediensteten des Kanzleramts die vorgesehene serverseitige Löschung ihres gesamten Outlook-Datenbestands sowie serverseitiger Speicher mit 10. November 2021 ankündigt.

-           Um ca. 15 Uhr versendet der Leiter der IT-Abteilung des Kanzleramts das genannte Dokument unter Hinweis auf eine Besprechung „mit dem Herrn General­sekretär“ an die Personalvertretungen.

5. Oktober 2021:

-           Andreas Hanger gibt in der ÖVP-Zentrale eine skurrile Pressekonferenz, bei der er von „konkreten Plänen“ für Hausdurchsuchungen bei der ÖVP berichtet und die Justiz in selbst für ihn ungekannter Manier beschimpft und verunglimpft

-           Die Beschuldige Meinungsforscherin Sabine Beinschab löscht umfassend Daten.

6. Oktober 2021:

-           Die WKStA führt die gerichtlich bewilligten Hausdurchsuchungen ab frühmorgens im Bundeskanzleramt, Finanzministerium, bei der Tageszeitung „Österreich“ und in der ÖVP-Zentrale durch.

Die Originalunterlagen wurden den unterzeichneten Abgeordneten zugespielt:

-           E-Mail des IT-Abteilungsleiters:

-           Anordnung des Generalsekretärs Bernd Brünner:

Der Ibiza-Untersuchungsausschuss musste erst beim Verfassungsgerichtshof die Vor­lage von E-Mails von MitarbeiterInnen des Sekretariats des damaligen Bundeskanzlers Kurz durchsetzen. Nunmehr sollen solche Beweisanforderungen des Untersuchungs­ausschusses von vornherein verhindert werden. Denn wo nichts mehr existiert, kann nichts mehr gefunden werden – so offenbar die Devise bei der türkise Truppe im Kanz­leramt.

Wohlgemerkt wurde bereits damals vom Kabinettschef Bonelli auf die IT-Abteilung Einfluss genommen, um keinen übertriebenen Aufwand bei der Datenwiederherstellung zu treiben. Externe Gutachter, die auf dieses Problem hinwiesen, wurden einfach nicht beauftragt bzw. nicht mehr kontaktiert.

All dies erhärtet den Verdacht, dass die geplanten Hausdurchsuchungen der WKStA vorab verraten wurden und eine systematische Behinderung der Aufklärungsarbeit so­wohl der Staatsanwaltschaft als auch des Parlaments mit seinem neuen Untersuchungs­ausschuss durch ÖVP-Gefolgsleute in den Bundesministerien im Gange ist. Denn der neue Untersuchungsausschuss kann selbst bei voller Kooperation der ÖVP erst am 17. November eingesetzt sein. Der Vergleich mit Mafia-Methoden verdichtet sich immer mehr.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage

1.         Warum wurden die Vorbereitungen für die Datenlöschung gerade am 4. Oktober 2021 begonnen?

2.         Warum wurde die Datenlöschung binnen drei Stunden und somit in enormer, unüblicher Eile vorbereitet und versandt?

3.         Aus welchen dienstlichen Gründen ergab sich die Dringlichkeit der Maßnahme?

4.         Wurde zur Löschung ein Akt angelegt und wenn ja, unter welcher Nummer?

5.         Welche Personen sind im Akt vermerkt?

6.         Wie lautete der von Generalsekretär Bernd Brünner erteilte Auftrag?

7.         Wurde dieser Auftrag schriftlich erteilt?

8.         Handelte es sich dabei um eine Weisung?

9.         Wurde der Weisung von Bediensteten wegen möglicher Rechtswidrigkeit widersprochen?

10.       Wann wurde der Auftrag bzw. die Weisung genau erteilt?

11.       Das Mail des IT-Abteilungsleiters referenziert auf eine Besprechung mit dem Generalsekretär. Um welche Besprechung handelte es sich dabei?

12.       Wurde der Bundeskanzler über diese geplante Vorgangsweise informiert?

13.       War das Kabinett des Bundeskanzlers in die Vorgangsweise eingebunden?

14.       Welche anderen Daten wurden zwischen 4. Oktober 2021 und dem heutigen Tag im Bundeskanzleramt vernichtet?

15.       Welche Gegenstände wurden zwischen 3. Oktober 2021 und dem heutigen Tag im Bundeskanzleramt vernichtet?

16.       Wurden Geräte wie Computer oder Festplatten im genannten Zeitraum aus dem Bundeskanzleramt entfernt?

17.       Welche Transportunternehmen führten zwischen 3. Oktober 2021 und 6. Oktober 2021 Aufträge für das Bundeskanzleramt durch?

18.       Welche Datenmenge befindet sich derzeit auf den Exchange-Servern des BKA?

19.       Wie viele E-Mails des Kabinetts sind aktuell im System gespeichert?

20.       Warum wurde der 10. November 2021 (Mittwoch in der Mitte des Monats) als Tag der Löschung gewählt?

21.       Welchen Zeitraum decken die Back-Ups des Bundesrechenzentrums bzw. des Zentralen Ausweichsystems des Bundes (ZAS) aktuell ab?

22.       Sollen auch diese Back-Ups gelöscht werden?

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Abgeordnetem Krainer als erstem Frage­steller zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Geschäftsordnung 20 Mi­nuten nicht überschreiten darf, das Wort erteilen. – Herr Abgeordneter, bitte sehr.