15.10

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundes­kanzler! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor etwa zwei Monaten, am 12. Oktober, sind wir in diesem Parlament zusam­mengekommen, der Anlass war auch damals eine Regierungserklärung – die Regie­rungserklärung des Bundeskanzlers Schallenberg. Auch damals wurde die gute Zusam­menarbeit in der Regierung betont (Zwischenruf des Abg. Deimek) und vor allem der Wille bekräftigt, diese Pandemie mit aller Kraft zu bekämpfen. Heute ist diese Erklärung Schallenbergs schon wieder Makulatur. (Abg. Hafenecker: Schall und Rauch, ja!)

Wir haben seit diesem 12. Oktober allerdings viel erlebt: explodierende Infektionszahlen, Spitäler, Intensivstationen, die überfüllt sind, Gesundheitspersonal, das an seine Gren­zen stößt, viel zu viele schwere Erkrankungen und Tote. Wir haben auch einen Regie­rungsstreit auf offener Bühne erlebt, mutloses Zögern und Zaudern statt wirksamer Maßnahmen gegen diese Coronaexplosion. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn ich mir jetzt diese Reden ihrerseits, Herr Bundeskanzler und Herr Vizekanzler, in Erinnerung rufe, war vor allem ein Wort ganz stark und oft zu hören, nämlich Danke. So viel gegenseitiges Danke habe ich in einer Rede oder in zwei Reden schon lange nicht mehr gehört, und ich frage mich: Wofür eigentlich? (Abg. Deimek: Die Grünen krie­gen ...!) Wofür haben Sie sich bedankt? Für den vierten Lockdown, in dem Österreich jetzt selbstverschuldet wieder gelandet ist?

Wenn wir schon beim Danke sind, denke ich, dann ist der Adressat ein falscher ge­wesen, denn Danke ist dem Gesundheitspersonal Österreichs zu sagen (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen), dem Personal, das in dieser vierten Welle, das seit 20 Monaten Schwerstarbeit leistet. Danke ist den AlleinerzieherInnen zu sagen, die in diesem Lockdown wirklich an die Grenzen des Machbaren gehen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.) All das habe ich in Ihrer Rede vermisst.

Wir stecken in einem vierten Lockdown – ein vierter Lockdown, der unausweichlich wurde, obwohl Sie als Bunderegierung, vor allem vonseiten der ÖVP, in den letzten Wochen und Monaten immer wieder betont haben, dass es in Österreich keinen weiteren Lockdown geben wird. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Sie haben betont, die Krise wäre gemeistert. Wertvolle Zeit ist in den letzten Wochen aufgrund diverser Regierungskrisen verloren gegangen. Und mitten in dieser Situation, mitten in einem Lockdown, mitten in einer Situation, in der Unternehmen dringend und schnell Wirt­schaftshilfen benötigen, mitten in einer Situation, in der das Leben für die Menschen in Österreich immer teurer wird, die Gas- und Stromkosten explodieren, mitten in dieser Situation tritt nicht nur der ÖVP-Chef zurück, sondern auch der Bundeskanzler, der Finanz­minister und der Bildungsminister. (Abg. Belakowitsch: Ja, der wurde gegangen!) Heute haben wir daher im Nationalrat wieder eine Regierungserklärung gehört: die zweite eines neuen Bundeskanzlers binnen 59 Tagen!

Herr Bundeskanzler, Sie haben viel von Zusammenarbeit und vom Gemeinsamen ge­sprochen. Ich hoffe, dass Sie es auch ehrlich meinen. Ich hoffe, dass Sie das, was Sie gesagt haben, ehrlich meinen und dass Sie auch tun, was Sie sagen, eigentlich aber sollte diese Zusammenarbeit, dieses Gemeinsame eine Selbstverständlichkeit sein. Es sollte nicht irgendwie etwas Besonderes sein, das man hier hervorheben muss, denn gerade in Krisen sollten die Zusammenarbeit und das Aufeinanderzugehen eine Selbst­verständlichkeit sein.

Viele Österreicherinnen und Österreicher sind aber zu Recht skeptisch: Zu viele Fehler, zu viele Versäumnisse sind passiert, Fehler, die nicht mehr gutzumachen sind; zu viele leere Bekenntnisse und Versprechen haben wir alle von Ihnen, der Bundesregierung, gehört. Es hat in den letzten Monaten der Mut dazu gefehlt, auch unpopuläre Maßnahmen zu setzen, selbst, wenn sie dringend notwendig sind. Vielleicht hat Ihnen nicht nur der Mut gefehlt, sehr geehrte Damen und Herren, sondern auch der Glaube an sich selbst, denn diese Regierung hat sich selbst weitgehend aufgegeben. Allein die gestrigen Ergebnisse: Dieser aktuelle Fleckerlteppich der kommenden Lockdownöffnungen  ja, Herr Bundeskanzler, das ist ein Fleckerlteppich, ohne jegliche Logik, ohne Systematik, ohne zentrale Steuerung – ist ein weiterer Beweis für Ihre Selbstaufgabe und Resig­nation im Coronamanagement. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.) Zuschauen ist nicht regieren! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Zuschauen ist nicht regieren, regieren schaut anders aus. Die Sozialdemokratie nimmt ihre politische Verantwortung für Österreich sehr ernst. Das haben wir immer getan und das werden wir auch in Zukunft immer tun. Diese Verantwortung trägt unsere politische Arbeit – egal ob in Opposition oder in der Regierung. (Beifall bei der SPÖ.) Deshalb, sehr geehrte Bundesregierung, werden wir all jene Maßnahmen, die sinnvoll sind, immer unterstützen, vor allem, wenn es darum geht, diese gefährlichen Infektionszahlen wieder herunterzubringen, Todesfälle, Leid und Trauer zu verhindern und die Intensivstationen zu entlasten.

Dazu zählt auch die Impfpflicht, die wir uns alle nie gewünscht haben. Diese Impfpflicht war nie das Ziel. Sie wurde aber aufgrund der viel zu niedrigen Impfquote leider un­ausweichlich, weil Sie als Regierung es nicht geschafft haben, diese Pandemie zu mana­gen, es nicht geschafft haben, die Menschen mitzunehmen und diese Impfquote ohne Pflicht zu erreichen (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Künsberg Sarre, Scherak und Shetty), weil die Pandemie im Sommer wider besseres Wissen für beendet erklärt wurde, anstatt Schutzmaßnahmen und Vorbereitungen für einen sicheren Herbst zu treffen.

Verantwortungsvolle Politik heißt, das große Ganze im Blick zu haben, heißt aber auch, der gefährlichen Spaltung unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Sie haben es heute schon erwähnt: Ja, unsere Demokratie lebt von einer kritischen Auseinandersetzung, von einer Kultur der Diskussion und der Debatte. Wenn aber wissenschaftliche Fakten gezielt geleugnet und Verschwörungstheorien verbreitet werden, dann ist das ein sehr gefährliches Spiel. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

Genauso wenig angebracht ist es aber, wenn die Regierung alle Ungeimpften als Gefährder bezeichnet (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter), und genauso unangebracht ist es, eine Pandemie der Ungeimpften auszurufen, denn diese Sprache, Herr Bundeskanzler, vertieft diese gefährlichen Gräben in unserer Gesellschaft weiter, Gräben, die immer schwerer zu überbrücken sind.

Ja, diskutieren wir in diesem Hohen Haus intensiv, ehrlich und auf Augenhöhe! Dis­kutieren wir und tauschen die Argumente aus, denn hier gehört es her. Streiten wir respektvoll miteinander, aber seien wir uns alle unserer Verantwortung bewusst, nämlich unserer Verantwortung für unser Land, dieses gefährliche, polarisierte Klima in Öster­reich nicht weiter aufzuheizen, sondern dafür zu sorgen, dass es verbessert wird, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Es gäbe noch viel mehr zu tun. Die drängendste Aufgabe ist, die vierte Welle zu brechen. Es gibt keine Alternative zum Weg der Sicherheit, den wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer gegangen sind. Die Gesundheitsversorgung für alle in Österreich zu sichern, muss die oberste Prämisse sein, denn wenn in Spitälern ent­schieden werden muss, wer intensivmedizinisch versorgt werden kann und wer nicht, wer überleben kann und wer nicht, weil die Stationen überfüllt sind, dann trifft das nicht nur einen. – Das trifft uns alle als Gesellschaft! Es gibt noch Weiteres, denn es kann auch nicht sein, dass Operationen monatelang verschoben werden. Auch das trifft uns alle.

Es gäbe noch weitere wichtige Aufgaben, zum Beispiel die dringende Bekämpfung der Teuerung ebenso wie des Pflegenotstands. Die Coronapandemie hat genau diesen Pflegenotstand noch mehr verschärft. Wann, wenn nicht jetzt, gehen wir dieses Problem an? Es braucht mehr Personal, es braucht bessere Bezahlung, es braucht bessere Arbeitsbedingungen für unsere Pflegerinnen und Pfleger. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Gelegenheit nutzen, allen im Gesund­heits­bereich zu danken, die dieser vierten Welle noch einmal mit aller Kraft, physisch und psychisch, die Stirn bieten: unseren Ärztinnen und Ärzten, unseren Pflegerinnen und Pflegern, den Sanitäterinnen und Sanitätern. Sie leisten Schwerarbeit, und ihnen ge­bührt unser größter Dank und unsere höchste Anerkennung. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Prinz.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts all dieser großen Herausfor­de­rungen in der Zukunft brauchen wir eines: eine handlungsfähige, eine stabile Bundes­regierung, eine Regierung, die das Vertrauen der Österreicherinnen und Österreicher hat, die mit diesem Vertrauen ausgestattet ist, um mit harter Arbeit die kommenden Prob­leme zu lösen.

Die türkis-grüne Bundesregierung wird diese großen Herausforderungen nicht gut meis­tern können, nicht so, wie man es von einer Bundesregierung erwartet, denn dafür ist einfach zu viel passiert, dafür ist schon zu viel Zeit verloren gegangen. Es fehlt dieser Bundesregierung das Vertrauen, es fehlt ihr die Kraft, die großen Herausforderungen unseres Landes zu meistern. Es fehlt ihr die Kraft, die großen, notwendigen und wichtigen Weichen für unsere Zukunft zu stellen.

Ja, wir werden Sie als Regierung beim Brechen der vierten Welle unterstützen, so wie wir es auch bisher aus Verantwortung heraus getan haben, aber Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, sollten nach dieser vierten Welle im ersten Halbjahr 2022 auch die Aufrichtigkeit haben, den Weg frei zu machen (Beifall bei der SPÖ), damit die Österreicherinnen und Österreicher über die Zukunft unseres Landes entscheiden können. Auch das gehört zu verantwortungsvoller Politik. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

15.22

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Wöginger. – Bitte sehr.