9.18

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Die Klimakrise ist die große Herausforderung unserer Zeit. Das haben uns die verheerenden Bilder vom letzten Wochenende – ich bin mir sicher, Sie haben sie alle mitverfolgt – auch wieder deutlich vor Augen geführt. Zerstörerische Tornados sind in den USA mit einer enormen Wucht über große Landstriche gefegt – mit einer Stärke, wie sie normalerweise nicht einmal in der Tornadosaison vorkommt.

Wir sehen, die Klimakrise ist da. Damit dieser Ausnahmezustand nicht zum Dauer­zu­stand wird und damit uns der Kampf gegen die Klimakrise gelingt, müssen wir anpacken. Wir müssen das Klima schützen, wir müssen unseren Planeten schützen, wir müssen vor allem unser Leben auf diesem Planeten schützen – und dafür braucht es viele Maßnahmen, die sich wie Puzzlesteine zusammenfügen und am Ende ein großes Gan­zes ergeben.

Ein Teil davon ist unser Stromsystem. Das müssen wir klimafreundlich machen, mit erneuerbaren Energien – so machen wir das in Österreich – aus Wind, aus Sonne, aus Biomasse, aus W+asserkraft. In Österreich wird uns das bis 2030 gelingen.

Genau vor derselben Herausforderung stehen aber im Moment sehr viele europäische Länder. Diese Chance, die der Klimaschutz bedeutet, diese Transformation, die gerade im Gang ist, versucht die Atomkraftlobby in der EU gerade für sich zu nutzen. Sie ver­sucht gerade, die Atomkraft auf EU-Ebene mit einem massiven Lobbyieren für die Atomkraft unter dem Deckmantel des Klimaschutzes künstlich, wie ich meine, am Leben zu erhalten. Auch die fossile Lobby ist aktuell sehr aktiv, auch das dürfen wir nicht über­sehen.

Das Argument der Atomkraftbefürworter in Europa ist gerade, Kernkraft sei nachhaltig, weil sie kohlenstoffärmer produziert werden kann. Deshalb würde sie uns im Kampf gegen den Klimawandel helfen, lautet das Argument. Dieses Argument – und da bin ich mir sicher, wir sind uns in großen Teilen hier im Plenum einig – ist jedoch nicht nur leicht zu durchschauen, sondern auch leicht zu widerlegen. Atomkraft ist keine Lösung im Kampf gegen die Klimakrise. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Atomkraft ist zu gefährlich. Atomkraft ist zu teuer. Atomkraft ist zu langsam, um einen Beitrag zu leisten.

Und lassen Sie mich das noch kurz ausführen: Atomkraft ist gefährlich. Ich glaube, viele von uns hier in diesem Saal können sich mit Sicherheit noch an den April 1986 erinnern, an die ersten Nachrichten aus Tschernobyl, die erhöhten Strahlenwerte, die große Un­sicherheit, als man noch nicht genau wusste, was da passiert ist, aber ahnte, es ist etwas Schlimmes; als dann Woche um Woche, Monat um Monat das Ausmaß der Katastrophe immer weiter sichtbar wurde. Ich kann mich noch erinnern, unsere Nachbarn haben damals in den Kellern Bunker eingerichtet, die Kinder durften nicht mehr nach draußen zum Spielen. Alles war plötzlich gefährlich.

Katastrophen wie Tschernobyl, aber auch Fukushima führen uns die Gefahr der Atom­kraft deutlich vor Augen. Die ist gut dokumentiert. Auch heute noch besteht diese Gefahr: Ein kleines Erdbeben, eine Unaufmerksamkeit im Betriebsablauf, all das kann enorme Folgen haben.

Atomkraft ist teuer. Abgeordneter Litschauer hat es vorhin ausgeführt: Atomkraft ver­schlingt enorme Summen an Geld. Schaut man sich die aktuellen AKW-Projekte in der EU an, das ist Flamanville in Frankreich, Olkiluoto in Finnland oder Mochovce in der Slowakei, dann sieht man, dass es überall zu einer regelrechten Explosion der Bau­kosten bis zum Dreifachen des veranschlagten Budgets kommt – Geld, das wir viel, viel effizienter in erneuerbare Energien investieren können und müssen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Atomkraft ist auch zu langsam, um einen Beitrag zu leisten. Atomkraftwerke haben per se schon eine lange Bauzeit. Wir sehen in Europa, dass Bauverzögerungen an der Tagesordnung stehen. Ich habe vorhin das finnische Atomkraftwerk Olkiluoto erwähnt. Wenn man sich das ansieht: Da wurde 2005 zu bauen begonnen, das Atomkraftwerk ist bis heute nicht ans Stromnetz angeschlossen. Diese Zeit haben wir mit Blick auf die Klimakrise nicht.

Genau darum, weil Atomkraft zu gefährlich, zu teuer und zu langsam ist, setzen wir uns auch auf EU-Ebene dafür ein, dass die Atomkraft eben nicht als nachhaltiges Investment in der EU-Taxonomie bezeichnet werden darf. (Beifall bei den Grünen.)

Warum ist es gerade jetzt wichtig, dass wir darüber sprechen und dass wir auch aus Österreich ein starkes Signal schicken? – In den kommenden Tagen soll der ergänzende delegierte Rechtsakt der EU-Kommission zur Taxonomie-Verordnung präsentiert wer­den, der festlegen wird, ob weitere Wirtschaftstätigkeiten wesentlich zum Umweltziel Klimaschutz beitragen, ohne erhebliche Beeinträchtigungen der übrigen Umweltziele zu verursachen. In diesem ergänzenden delegierten Rechtsakt sehen manche Atomkraft­lobbyisten, AtomfreundInnen, Fossillobbyisten einen Hoffnungsschimmer und hätten gerne, dass auch die Atomkraft oder das fossile Erdgas noch einen Platz finden, um sie künstlich am Leben zu erhalten und grünzuwaschen.

Doch allein die Definition, die ich vorhin erwähnt habe, sagt uns bereits, Nachhaltigkeit kann nicht für Atomkraft gelten; sie ist immer eine Gefahr für die Umwelt. Aus diesem Grund gibt es aus unserer Sicht auch keine rechtliche Basis für die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie. Da geht es vor allem auch um eine Frage der Glaubwür­digkeit. Die Taxonomie ist nur dann ein gutes Instrument, wenn wir sie, und da sind sich Finanzwirtschaft und alle Kundinnen und Kunden einig, auch ernst nehmen können und wenn sie eben kein Greenwashing für die Atomkraft betreibt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir haben im Ministerium bereits ein umfassendes Rechtsgutachten bei der renom­mier­ten Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs in Auftrag gegeben. Das Gutachten unterstützt unser Argument, dass Atomkraft nicht als nachhaltig im Sinne der Taxonomie bezeichnet werden darf. Mit dem Rechtsgutachten im Gepäck werden wir auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen den geplanten erweiterten delegierten Rechts­akt zur Taxonomie vorzugehen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir werden uns dafür einsetzen, dass Atomkraft in der EU nicht künstlich am Leben gehalten wird, keinen Platz in der Taxonomie hat. Auch aus der Finanzwirtschaft kom­men sehr, sehr deutliche Stimmen – erst gestern hat sich die Uniqa sehr klar positio­niert –, denn die Finanzwirtschaft braucht klare Rahmenbedingungen und Verlässlich­keit, klare grüne Kategorien. Sie braucht kein Greenwashing von Kernkraft oder fossilen Energien, das hilft niemandem, das hilft auch nicht der Finanzwirtschaft, stattdessen brauchen wir faire Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Österreich hat sich im Kampf gegen die Atomkraft schon einmal richtungsweisend und richtig entschieden: in den 1970er-Jahren mit einer mutigen Entscheidung gegen die Atomkraft quer über alle Parteien, über die Landesgrenzen hinweg. Das erste und letzte Atomkraftwerk Österreichs, das AKW Zwentendorf, wurde nie in Betrieb genommen.

Genau diese Botschaft aus Österreich, diesen Kampf aus Österreich werden wir auf EU-Ebene genau so weiterführen. Wir werden uns auch da der Atomkraft wieder entgegen­setzen, wenn nötig auch mit rechtlichen Schritten. Atomkraft als nachhaltig zu bezeich­nen, das geht sich nicht aus. Das geht sich für Österreich nicht aus, das geht sich, glaube ich, für uns alle nicht aus, daher: Herzlichen Dank für dieses starke Signal heute aus dem österreichischen Nationalrat! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.27

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Berlakovich. Ab nun beträgt die Redezeit pro Redner 5 Minuten. – Bitte sehr.