9.41

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Herr Bundesminister! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Für alle, die mei­nen, die Ukraine ist weit weg und die Dinge, die dort geschehen, betreffen uns nicht wirklich, darf ich einen Entfernungsvergleich bemühen: Ich habe mir die Luftlinien zwischen Wien und Bregenz, der westlichsten Landeshauptstadt, angeschaut, und diese Luftlinie beträgt 500,38 Kilometer. Die Luftlinie von Wien bis Uschhorod, das ist die westlichste Provinzhauptstadt der Ukraine, beträgt 439,69 Kilometer. (Abg. Deimek: ... es trifft nur auf die Grenzregion zu! Das ist, wenn man nicht Geografie kann!) Das ist schon sehr viel weniger und zeigt, dass wir hier nicht im Abseits stehen, sondern sehr nahe sind.

Was auch zu beobachten, leider zu beobachten ist, ist, dass sich der Konflikt zwischen Russland und vornehmlich der Ukraine immer stärker zuspitzt. Es erinnert an eine Zeit, von der wir dachten, dass sie vorbei sei, eine Zeit, in der der Kalte Krieg unser Land bedroht hat, die Kriegsgefahr real war und auch ein Atomkrieg etwas von Realität an sich hatte. Um zu wissen, wie die Dinge vielleicht zu behandeln, vielleicht zu lösen sind, muss man auch den Hintergrund dieses Konflikts mitbeleuchten, und wenn man das tut, und das hat auch der ehemalige Generalsekretär der OSZE Lamberto Zannier richtig dargestellt, dann ist es auch, wenn nicht hauptsächlich, ein Konflikt hinsichtlich der NATO und der Ukraine.

Als Österreicher und Österreicherinnen sind wir, wie alle Europäer und Europäerinnen, unmittelbar von dieser Gefahr für den Frieden in Europa betroffen. Und es ist meines Erachtens erstes Ziel der österreichischen Bundesregierung, hier nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern aktiv zu sein. Dieser Konflikt geht uns etwas an, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Wir – und ich glaube, da sind wir uns alle hier einig – wollen keine Zuspitzung des Konflikts in Richtung einer militärischen Auseinandersetzung. Daher fordern wir von der österreichischen Bundesregierung, insbesondere von Ihnen, Herr Außenminister, einen wirklich engagierten und wirklich guten Einsatz, der deeskalierend wirkt. Ich denke, das ist auch unsere gemeinsame Aufgabe, auf diplomatischem Wege zu versuchen, eine Deeskalation dieses Konflikts zu erreichen, und zwar einerseits bilateral, aber selbst­verständlich auch im Rahmen unserer Mitgliedschaft in der OSZE, denn das Eskalations­potenzial – das muss man ganz offen sagen – ist ein wirklich hohes.

Die angekündigten Manöver Russlands sind sicher nicht hilfreich und deeskalierend, und die britischen Waffenlieferungen sind sicher auch nicht deeskalierend. Man muss aber auch sagen, dass die seit Kurzem erlassene Regelung, dass überregionale Zeitungen in der Ukraine nur mehr in ukrainischer Sprache erscheinen dürfen, auch nicht hilfreich ist, denn das Prinzip der Pressefreiheit hat überall zu gelten, nicht nur dann, wenn es einem recht ist, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Druck erzeugt Gegendruck – das kennen wir aus der Menschheitsgeschichte sehr gut –, und oft war es so, dass dieser Druck und dieser Gegendruck friedliche Lösungen mehr verhindert als gefördert haben. Und wenn manche schon von einem schwelenden Krieg sprechen: Es muss alles unternommen werden, um einen heißen Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu verhindern und da Vorsorge zu treffen, meine geschätzten Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht dabei auch um den Frieden und die Sicherheit in Europa. Es geht darum, dass wir uns als Sitzstaat der OSZE massiv einbringen, und es geht auch um eine stärkere Rolle der Europäischen Union in dieser Frage.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich gut erinnern, wie die Menschen, als es zu diesen Auseinandersetzungen am Majdanplatz gekommen ist, die Barrikaden erklommen haben. Kollegen von mir aus dem Europäischen Parlament waren damals vor Ort und haben berichtet, dass die Menschen in ihrem Mut und in ihrer Verzweiflung auf die Barrikaden gestiegen sind und die ukrainische Flagge vor sich hergetragen haben. Sie haben aber auch das europäische Sternenbanner auf diese Barrikaden ge­tragen, in der Hoffnung, dass Europa ihnen eine Zukunft bietet. Und diese Hoffnung sollten wir gemeinsam – als Europäerinnen und Europäer und als Österreicherinnen und Österreicher – nicht enttäuschen, geschätzte Damen und Herren! – Ein herzliches Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

9.46

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kassegger. – Bitte.