10.24

Abgeordnete Henrike Brandstötter (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseher zu Hause! Wir haben heute schon viel von Russlands Angst vor der Nato gehört, der Angst vor der Einkesselung, den Sicherheits­bedenken und vielem mehr. Vordergründig sind das ja auch verständliche Ängste, aber wenn man sich die Geschichte seit dem Ende des Kalten Krieges ansieht, dann passen diese vorgeblichen Ängste nicht wirklich zusammen.

Ich fasse einmal zusammen: Russland hat die Nato-Erweiterung in mehreren Schritten akzeptiert, zum Beispiel in der Charta von Paris aus dem Jahr 1990. Da sagt Russland ganz klar, dass jeder Staat seine Ausrichtung – politisch, sicherheitspolitisch, wirtschaft­lich – mit seinen Allianzen selber entscheiden kann.

In der Nato-Russland-Grundakte wurde vereinbart, was beide Seiten dürfen und was nicht. Und auch daran hat sich die Nato gehalten. 1993 hat Russland im Budapester Memorandum der Ukraine die Souveränität ihrer Grenzen garantiert. 2010 hat der damalige russische Präsident Medwedew nach einer großen Welle der Nato-Erweite­rung gesagt, dass Russland und die Nato ihr angespanntes Verhältnis endlich in den Griff bekommen haben.

Das klingt jetzt alles nicht nach einer panischen Angst vor dem Westen, vor allem da ja die Nato auch recht klargemacht hat, dass sie sich in die Belange der Ukraine nicht einmischen wird, solange es einen schwelenden Konflikt gibt. Warum jetzt gerade diese überschießenden Reaktionen? Warum jetzt gerade öffentliche Forderungen stellen, die einfach niemals akzeptiert werden können? Erwartet sich Putin tatsächlich eine Kapitu­lation des Westens? Oder sucht Putin nur einen Kriegsvorwand, um dann die Schuld dem Westen in die Schuhe zu schieben, weil dieser ja so unnachgiebig ist?

Der Hintergrund ist meiner Meinung nach nicht hauptsächlich Russlands Angst vor der Ukraine. Es ist eher das ukrainische Modell, das Putin so viel Angst macht. Ukrainer sind Slawen, sie sind Teil des russischen Kulturkreises und, wie Putin ja auch selber gerne wiederholt, sie sind Teil des russischen Volkes. Wenn also die Ukrainer, die Teil des russischen Volkes sind, Europa und Russland miteinander vergleichen und sich dann Europa zuwenden, ja dann tut das Putin auch weh. Eine russische Kultur an den Grenzen Russlands, die sich von Moskau und damit auch von Putin abwendet, zeigt, dass die Kultur des starken Mannes vielleicht im Bröckeln begriffen ist. Das kann Putin natürlich nicht zulassen und muss da auch aktiv werden.

Jetzt hat die Ukraine jede Menge Probleme. Die Korruption ist allgegenwärtig, die Medienfreiheit ist nicht garantiert. Die Politik ist oft chaotisch. Es gibt eine Zivilgesell­schaft, die um Demokratie ringt. Genau dieses Ringen um Demokratie, diese Zivilgesell­schaft, dieser kämpfende Pluralismus ist aber das, was Putin in seinem Russland verhindern möchte. In der Ukraine ringen die Menschen um ihre Zukunft, in Russland wollen Putin und ein kleiner Zirkel die Zukunft der Menschen bestimmen. Und das geht sich natürlich nicht aus. Ein slawischer Nachbar, noch schlimmer: ein russischer Nach­bar, der ein Alternativmodell vorzeigt, darf einfach nicht sein. Jetzt kämpft also Putin nicht nur gegen die Nato, er bekämpft eigentlich unseren Lebensstil. Er bekämpft Europa. Er bekämpft unsere Werte und die müssen wir einfach verteidigen. Wir müssen unsere europäischen Werte verteidigen, denn es lohnt sich immer, für unsere Werte zu kämpfen.

Was also kann Europa tun? – Sie, Herr Minister, haben ja auch schon gesagt, dass wir die Ukraine nicht sich selbst überlassen dürfen. Der Konflikt ist keiner, der weit weg ist und uns kaltlassen darf. Es geht um den Angriff eines Autokraten gegen einen Staat, der sich dem Modell des freien Westens zuwenden möchte.

Es gibt ja mehrere Beispiele, wo Putin ebenfalls schon eingegriffen hat, Stichwort Kasachstan zum Beispiel, wo die Menschen auch Freiheit wollten und Putin einen Autokraten unterstützt. Belarus: Dort passiert gerade Ähnliches, das gleiche Ringen um Freiheit, das gleiche Ringen um Selbstbestimmung. Und wieder ist Putin da aufseiten der Diktatur.

Kollege Lopatka hat schon gesagt, dass die Verhandlungen an der EU vorbeilaufen. Das stimmt vielleicht so auch nicht ganz. Wie Sie richtig gesagt haben, Herr Bundesminister, ist die EU zwar durch die amerikanischen Partner gut eingebunden, aber es ist klar: Wenn wir nicht am Tisch sitzen und solange wir niemanden haben, der für uns mit einer Stimme spricht, sind wir kein akzeptabler Verhandlungspartner; denn wenn man immer zurückgehen und gemeinsam mit 26 Kolleginnen und Kollegen diesbezüglich die Linie abstimmen muss, sind wir kein Partner, der ernst genommen wird. Wir brauchen deshalb eine gemeinsame Außenpolitik, wir brauchen den gemeinsamen europäischen Außenminister oder die gemeinsame europäische Außenministerin, um da auch einen Schritt weiterzukommen. In der Zwischenzeit müssen wir die Ukraine unterstützen und uns zu ihr bekennen. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

10.29

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Danke schön.

Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.