13.09

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Zuerst darf ich einmal grund­sätzlich sagen, dass ich es positiv finde, dass wir uns heute hier zu einer Sondersitzung zusammenfinden, um über die dringend notwendige Entlastung für Menschen in diesem Land zu diskutieren.

Wir alle wissen nämlich, und Woche für Woche wird es augenscheinlicher, dass es drin­gend ist, ein ernst zu nehmendes, nachhaltiges Entlastungspaket zu schnüren. Wir alle wissen auch, dass diese Krise von Woche zu Woche immer mehr mitten in der Gesell­schaft ankommt.

Wir haben unsere Ideen für nachhaltige Entlastungen diesbezüglich, sowohl was die kurzfristigen als auch was die langfristigen Herausforderungen betrifft, schon länger vor­gestellt. Für uns ist klar: Es muss zuerst einmal die kalte Progression abgeschafft wer­den, damit alle Erwerbstätigen in diesem Land erstens ordentlich und zweitens auch nachhaltig entlastet werden. (Beifall bei den NEOS.)

Es ist seit Jahrzehnten ein vollkommen unwürdiges Schauspiel: Die Inflation steigt, die Löhne steigen glücklicherweise mit, und der Herr Finanzminister – nicht nur dieser Fi­nanzminister, sondern auch alle seine Vorgänger – nehmen sich über diese heimliche Inflationssteuer noch ein zusätzliches Körberlgeld von den Menschen weg, und die Men­schen haben nachher real weniger zur Verfügung, als sie vorher hatten. Damit muss endlich Schluss sein! (Abg. Hanger: Aber Steuerreformen hat’s schon auch gegeben!)

Was es auch braucht, ist eine ordentliche Senkung der Lohnnebenkosten. Insbesondere die mittelständischen Betriebe stehen jetzt im Zusammenhang mit den Lohnverhandlun­gen vor einer immensen Herausforderung, weil es darum geht, dass wir den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeitern natürlich bei dieser absurden Inflation mehr zahlen müssen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Österreich verdienen nämlich grundsätzlich zu wenig und kosten zu viel, und jetzt durch die Inflation ist natürlich der Lohnabschluss noch einmal herausfordernder. Deswegen haben wir gefordert, dass der Staat zumindest jetzt einen Teil der Lohnnebenkosten übernimmt und damit einen nötigen Spielraum schafft.

Drittens, und das ist auch selbstverständlich, braucht es eine rasche und direkte Unter­stützung für diejenigen, die es sich wirklich nicht mehr leisten können, für die ärmsten Haushalte, aus unserer Sicht am besten mit einer Negativsteuer und dort, wo es notwen­dig ist, auch mit Einmalzahlungen.

Kommen wir nun zu dem, was die Bundesregierung hier heute vorlegt; zugegeben, da sind positive Dinge dabei. Es ist richtig, dass es Teuerungsabsetzbeträge für Geringver­diener geben wird, es ist richtig, dass es Einmalzahlungen geben wird, es ist richtig, dass es Teuerungsausgleiche geben wird. Wir werden in diesem Zusammenhang hier ge­trennte Abstimmungen verlangen, weil wir überzeugt sind, dass man diese Dinge um­setzen muss.

Das Problem ist – und das ist das, was in der Mehrzahl hier vorliegt –, dass es leider ein Paket aus Gutscheinen, aus Boni ist (Vizekanzler Kogler: Stimmt ja alles nicht!); und es ist ein Paket, bei dem Geld mit der Gießkanne an alle verteilt wird, und das ist schlicht­weg falsch. (Beifall bei den NEOS.) Es ist nichts anderes als Helikoptergeld, das Sie hier ausschütten. Es ist Helikoptergeld insbesondere dort, wo es um den Klimabonus und den zusätzlichen Teuerungsbonus geht.

Herr Kollege Wöginger und Frau Kollegin Maurer, Sie werfen der SPÖ ja zu Recht vor, dass es populistisch und mit der Gießkanne wäre, wenn man die Mehrwertsteuersen­kungen entsprechend durchführt. (Abg. Maurer: Nein!) Genau das Gleiche machen Sie mit Ihrem Klimabonus und mit Ihrem Antiteuerungsbonus auch. Es ist nichts anderes, als mit der Gießkanne Geld zu verteilen. Das kriegen alle. Das kriegen Sie, das kriegt Kollege Wöginger und das kriegen alle Abgeordneten in diesem Haus auch. Das ist falsch und undifferenziert! (Beifall bei den NEOS.)

Und darüber hinaus: Was Sie dabei gar nicht bedenken, ist, dass Sie mit diesen Boni natürlich die Inflation zusätzlich befeuern.

Jetzt kommen wir zu dem, was heute hier gar nicht vorliegt, nämlich zur Abschaffung der kalten Progression. Ich nehme einfach einmal zur Kenntnis, dass Sie dazu Zeit bis Herbst brauchen, weil Sie es ordentlich machen und nicht verpfuschen wollen, und dass es dann vielleicht auch wirklich passiert.

Wenn man es einfach machen würde, könnte man sie schon heute abschaffen. Es wäre dann die komplette Abschaffung der kalten Progression, aber das wollen Sie nicht, Herr Finanzminister. Sie bleiben dabei, dass Sie sie nicht rückwirkend wollen (Bundesminister Brunner nickt), und Sie bleiben dabei, dass Sie sie nicht komplett abschaffen wollen.

Jetzt werden Sie nach mir wieder mit dem Einwand kommen, dass das ja nicht stimmt, dass Sie sie eh komplett abschaffen wollen und dass ich da falsch liege. Das Problem ist, Ihr Einwand stimmt halt nicht, denn was Sie tun, ist, dass Sie die kalte Progression nur zu zwei Dritteln automatisch zurückgeben und das letzte Drittel weiterhin nach Gut­dünken verteilen wollen. (Abg. Ottenschläger: Das heißt gestalten! Das heißt politische Gestaltung, Schwerpunkte setzen!) Es wird weiterhin so sein, dass Sie den Menschen mit der Inflationssteuer Geld wegnehmen und ihnen nicht alles zurückgeben.

Herr Finanzminister, um Ihnen das klar vorzuführen: Wenn ich jetzt zu Ihnen hingehe, Ihnen heimlich 100 Euro aus der Tasche ziehe, nachher zu Ihnen zurückkomme und sage: Hier haben Sie 67 Euro!, und das restliche Geld auf alle anderen hier auf der Re­gierungsbank verteile, dann fänden Sie das auch nicht gerecht, weil Sie zu Recht die 100 Euro, die ich Ihnen weggenommen habe, gerne wieder zurück hätten. (Beifall bei den NEOS.) Was Sie tun, ist nicht gerecht und es ist keine komplette Abschaffung der kalten Progression.

Im Übrigen, und das ist das Nächste: Es ist bis jetzt eine Ankündigung, dass Sie die kalte Progression abschaffen werden – nicht mehr. Ich bin sehr froh, dass es diese Ankündi­gung gibt. Ich empfinde das als Etappensieg von uns NEOS, wir haben das seit schon fast zehn Jahren gefordert. Fakt ist aber, dass noch kein Gesetzentwurf vorliegt. Ich werde nachher noch einen Antrag einbringen, damit es nicht bei diesen Ankündigungen bleibt, sondern die kalte Progression im Herbst auch wirklich abgeschafft wird.

Klubobmann Wöginger hat vorhin in Richtung SPÖ irgendetwas von Ressortzuständig­keit gerufen und dass das seit vielen Jahren diskutiert wird. Das ist richtig. Ich kann die ÖVP an die Ressortzuständigkeit erinnern. Seit 2003 sitzen ÖVP-Finanzminister auf der Regierungsbank, immer Mitglieder der ÖVP. Wenn Sie jetzt nach knapp 20 Jahren plötz­lich wieder ankündigen, so wie alle Vorgänger des Herrn Finanzministers Brunner, dass die kalte Progression jetzt abgeschafft wird, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass das nicht sonderlich glaubwürdig ist. (Beifall bei den NEOS.)

Es ist insbesondere deshalb nicht sonderlich glaubwürdig, weil es dieser Finanzminister Brunner war, der vor ein paar Monaten noch gemeint hat, na ja, wenn man die kalte Progression abschafft, dann bevorzuge man Besserverdiener, deswegen wolle er es lie­ber nicht machen. – Also erstens glaube ich, dass das kompletter Unsinn ist, dass man hier Besserverdiener bevorzugt, und zweitens macht es das Ganze nicht gerade glaub­würdig.

Jetzt, Herr Finanzminister, kommen Sie noch mit der Forderung der Verfassungsmehr­heit um die Ecke. Da merkt man schon einigermaßen, dass Sie kalte Füße bekommen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es nirgendwo sonst gerechtfertigter ist, etwas in den Verfassungsrang zu heben, weil die schleichende Inflationssteuer, das heimliche Geldwegnehmen von Menschen, natürlich endlich beendet werden muss, damit nicht einer Ihrer Nachfolger dann vielleicht wieder draufkommt, dass er es doch gerne hätte.

Ich bin aber schon lange genug in diesem Hohen Haus, um zu wissen, wie die ÖVP sich Hintertüren aufmacht. Wenn man sich hinstellt und sagt, man hätte gerne eine Verfas­sungsmehrheit für die Abschaffung der kalten Progression, dann ist das natürlich die beste Hintertür, um dann im Herbst zu kommen und zu sagen: Na ja, die Freiheitlichen und die SPÖ wollten doch nicht mitgehen, wir können die kalte Progression vielleicht doch nicht abschaffen.

Also, Herr Finanzminister, mich würde interessieren: Was ist denn, wenn SPÖ und FPÖ sagen, es gibt keine Verfassungsmehrheit? (Zwischenbemerkung von Bundesminister Brunner.) Dann machen Sie es einfachgesetzlich? – Der Herr Finanzminister hat gerade versprochen – so verstehe ich das –, dass es einfachgesetzlich gemacht wird. (Beifall bei den NEOS.) Ich gehe einmal davon aus, dass die kalte Progression dann auch wirk­lich abgeschafft wird. Es freut mich, dass wir das in dieser Debatte klären konnten.

Herr Finanzminister, damit Sie das Versprechen nicht vergessen, bringe ich aber noch folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Kal­te Progression jetzt abschaffen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefor­dert, dem Nationalrat umgehend eine Regierungsvorlage vorzulegen, die die Kalte Pro­gression rückwirkend mit 01.01.2022 abschafft, indem die Steuer Tarifstufen des § 33 Abs. 1 EstG 1988 jährlich an die Inflation angepasst werden.“

*****

Der Herr Finanzminister hat mir zugeraunt: Das macht er nicht. Ja, er bleibt dabei, die kalte Progression wird nicht rückwirkend abgeschafft. – Das ist ein riesiger Fehler, denn damit könnten Sie alle Menschen in diesem Land ernsthaft entlasten. Erinnern Sie sich im Herbst daran, was ich gesagt habe, und schaffen Sie die kalte Progression endlich ab! (Beifall bei den NEOS.)

13.18

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, Mag. Gerald Loacker, Dipl.-Ing. Karin Dop­pelbauer, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Kalte Progression jetzt abschaffen

eingebracht im Zuge der Debatte in der 165. Sitzung des Nationalrats über Gesetzent­wurf im Bericht des Budgetausschusses über den Antrag 2662/A der Abgeordneten Au­gust Wöginger, Sigrid Maurer, BA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Familienlastenausgleichsge­setz 1967, das Kommunalsteuergesetz 1993, das Allgemeine Sozialversicherungsge­setz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsge­setz, das Nationale Emissionszertifikatehandelsgesetz 2022, das Arbeitslosenversiche­rungsgesetz 1977, das COVID-19-Gesetz-Armut, das Pensionsgesetz 1965 und das Bundesbahn-Pensionsgesetz geändert werden sowie das Bundesgesetz über einen Ausgleich inflationsbedingt hoher Lebenshaltungs- und Wohnkosten (Lebenshaltungs- und Wohnkosten-Ausgleichs-Gesetz – LWA-G) und das Bundesgesetz über den Teue­rungsausgleich für Bezieherinnen und Bezieher von Förderungen nach dem Studienför­derungsgesetz erlassen werden (Teuerungs-Entlastungspaket) (1563 d.B.) - TOP 1

Die sogenannte Kalte Progression entsteht, weil die Einkommen zwar Jahr für Jahr mit der Inflation steigen, die Tarifstufen-Grenzen aber nicht ebenfalls entsprechend an die Inflation angepasst werden. Somit erhöhen sich Durchschnittssteuersatz und Steuer­schuld der Steuerzahler_innen quasi durch die Hintertür. Die Kalte Progression betrifft ALLE Lohnsteuerpflichtigen: Sie entsteht, sobald das zu versteuernde Einkommen einer Person an die Inflation angepasst wird und in der Folge zumindest den ersten Grenz­steuersatz überschreitet. Jahr für Jahr spült die Kalte Progression hunderte Millionen an zusätzlichen Abgaben in die Kassen des Finanzministers - für jeden Prozentpunkt Infla­tion rund 250 Mio. EUR pro Jahr.

Neos fordert seit 2014 die Abschaffung der sogenannten Kalten Progression als struk­turelle Maßnahme, um die nach jeder Steuerreform immer wieder verlässlich steigende Steuerbelastung der Einkommenssteuerzahler_innen in den Griff zu bekommen und die Abgabenquote nachhaltig zu stabilisieren. Von diversen ÖVP-Finanzministern wurde die Abschaffung der Kalten Progression immer wieder angekündigt - von Hans-Jörg Schel­ling 2017, von Hartwig Löger 2018, von Gernot Blümel 2021. Es blieb jedoch bei Ankün­digungen - tatsächlich umgesetzt wurde die Abschaffung nie.

Im Rahmen ihres 3. Anti-Teuerungspakets, das am 15.6.2022 im Ministerrat beschlos­sen wurde, kündigt die Bundesregierung - wieder einmal - an, dass die Kalte Progression "ab 2023 vollständig abgeschafft" werden soll. Ein paar Sätze weiter wird jedoch ein­schränkend hinzugefügt, dass die automatische Abschaffung nur zu 2/3 erfolgen soll, 1/3 soll hingegen diskretionär an Arbeitnehmer_innen und Pensionist_innen zurückge­geben werden. (https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:e9ea8fa3-862d-4d82-a4d3-10616144733d/22_14_mrv.pdf)

Statt bereits für 2022 eine strukturelle Entlastung in Form der Abschaffung der Kalten Progression vorzunehmen, plant die Bundesregierung im Rahmen ihrer Anti-Teuerungs­pakete in erster Linie weitere Geldgeschenke mit der Gießkanne. Mit der Aufstockung des Klimabonus für alle auf 500 EUR fallen fast 50% d. Mittel des im Juni 2022 ange­kündigten 3. Anti-Teuerungspakets für 2022, nämlich rund 2,8 Mrd. EUR, auf eine sozial und ökologisch nicht treffsichere Transferzahlung. Die im Paket geplanten steuerlichen Maßnahmen werden aufgrund ihrer Ausgestaltung als Absetzbeträge großteils erst ab 2023 wirksam.

Angesichts der allgemeinen Teuerung braucht es aber eine nachhaltige steuerliche Ent­lastung der Steuerzahler_innen noch in diesem Jahr - und keine Geldgeschenke per Gießkanne. Die Abschaffung der Kalten Progression soll daher nicht erst für 2023 ange­kündigt werden, sondern bereits dieses Jahr umgesetzt werden und zwar rückwirkend ab 01.01.2022.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefor­dert, dem Nationalrat umgehend eine Regierungsvorlage vorzulegen, die die Kalte Pro­gression rückwirkend mit 01.01.2022 abschafft, indem die Steuer-Tarifstufen des § 33 Abs. 1 EStG 1988 jährlich an die Inflation angepasst werden.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß ein­gebracht, ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet hat sich der Vizekanzler, Herr Mag. Kogler. – Bitte sehr, Herr Vize­kanzler.