Eingebracht von: ÖGPP, Büro

Eingebracht am: 23.06.2021

 

Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) zum Entwurf des Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetzes 2021

 

Die folgende Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzesentwurf bezieht sich ausschließlich auf jene Punkte, die das Gesundheitssystem direkt betreffen. Jene Teile des Entwurfes zur Änderung des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung, die sich auf justizinterne Abläufe beziehen, werden im Folgenden nicht thematisiert.

 

1. Die durchgängige Einführung einer korrekten und zeitgemäßen Terminologie im Rahmen des Maßnahmenvollzugs ist aus fachlicher Sicht zu begrüßen.

 

2. Vor allem die Neuformulierung des § 21 (3) des StGB betrifft das Gesundheitssystem direkt und in entscheidender Weise. Konkret heißt es im vorliegenden Entwurf „Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung können nur Taten sein, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind und, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe drei Jahre nicht übersteigt, die Umstände der Tatbegehung eine besonders hohe Gefährlichkeit des Täters für die Rechtsgüter Leib und Leben oder sexuelle Integrität und Selbstbestimmung konkret naheliegen“. Taten, die diesem Strafausmaß entsprechen, sind beispielsweise gefährliche Drohungen, Nötigungen oder Körperverletzungen. Bei dieser Gruppe handelt es sich bei fehlender Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt überwiegend um psychotische PatientInnen. Eine andere große Gruppe vor allem bei gegebener Zurechnungsfähigkeit stellen PatientInnen mit dissozialen Persönlichkeitsstörungen dar. Drogen- und/oder Alkoholmissbrauch sind vor allem als komorbide Störungen zu berücksichtigen.

 

3. Diese PatientInnen wurden bisher in spezialisierten Einrichtungen für den Maßnahmenvollzug behandelt. Der vorliegende Gesetzesentwurf ermöglicht nun eine Entscheidung des Gerichts, dass PatientInnen, die bis dato im Maßnahmenvollzug behandelt wurden, nun an die Allgemeinpsychiatrie zugewiesen werden können und dort verpflichtend aufgenommen werden müssen (siehe auch § 432 Abs. 1 StPO). Da die Einrichtungen des stationären Maßnahmenvollzugs in der Regel mehr als ausgelastet sind und die Einweisungen in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen sind, ist zu erwarten, dass die Gerichte von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden.

 

4. In § 432 Abs. 1 wird eingeräumt, „dass durch die strafrechtliche Unterbringung in Krankenanstalten zusätzliche Aufwendungen entstehen und der Bund mit dem Rechtsträger der Krankenanstalt eine Vereinbarung über die Vergütung solcher Aufwendungen abschließen kann“. Da die derzeit gültigen und vorliegenden Strukturpläne (ÖSG, RSG) den Versorgungsbedarf einer Region, nicht jedoch die psychiatrische Versorgung von Straftätern im Sinne des Maßnahmenvollzugs berücksichtigen, ist diese Patientengruppe weder in den vorliegenden Strukturen, noch bei den vorliegenden Planungen berücksichtigt. Erfahrungsgemäß wird eine längere Planungs- und Realisierungsphase zu veranschlagen sein, bis die vorliegenden Strukturen angemessen erweitert sein werden. Es ist völlig unklar, wie im Falle der vollzogenen Gesetzesänderung bei nicht vorhandenen räumlichen und personellen Strukturen seitens der psychiatrischen Abteilungen vorgegangen werden soll, da die Aufnahme den Krankenanstalten, bzw. Abteilungen für Psychiatrie verpflichtend auferlegt werden kann.

 

5. In den letzten 3 Jahrzehnten wurde in den meisten Bundesländern die stationäre psychiatrische Versorgung grundlegend umstrukturiert. Zahlreiche kleinere psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern haben die Aufgaben der früheren psychiatrischen Großkrankenhäuser übernommen. Die stationäre Behandlung in diesen regionalen Abteilungen dauert überwiegend nur wenige Tage bis maximal einige Wochen. So würde nach dem vorliegenden Gesetzentwurf in zahlreichen Bezirkskrankenhäusern neben 50-70 allgemeinpsychiatrischen PatientInnen, die nach zwei bis drei Wochen entlassen werden können, ein oder zwei PatientInnen für mehrere Jahre behandelt werden müssen. Dass in diesem Rahmen keine adäquate Behandlung für forensische PatientInnen angeboten werden kann, ergibt sich von selbst.

 

6. Auch wenn sich hinsichtlich der Diagnosen der PatientInnen und der Art der Gefährdungsmomente Überschneidungen mit dem Unterbringungsgesetz (UbG) ergeben, wäre es ausgesprochen problematisch, diese beiden Patientengruppen gemeinsam zu behandeln. Schon die unterschiedliche Aufenthaltsdauer, die unterschiedliche Gefährlichkeitsprognose sowie die unterschiedliche Rechts- und Begutachtungspraxis eröffnet unvermeidlich ein Spannungspotential zwischen den beiden Patientengruppen. Für die in diesen Bereichen tätigen MitarbeiterInnen ergibt sich dadurch eine erhebliche Mehrbelastung.

 

7. Ebenso wie die Allgemeinpsychiatrie hat sich auch die forensische Psychiatrie in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Forensische Psychiatrie ist als hochspezialisiertes Fachgebiet innerhalb der Psychiatrie mit elaborierten Methoden zur Prognosestellung und Behandlung anzusehen. Besonders die forensische Psychotherapie und Kriminaltherapie erfordert einen hohen Expertenstatus, der in der Allgemeinpsychiatrie nicht vorhanden ist. Es würde zeitaufwändige und intensive Schulungen sämtlicher in diesem Bereich tätigen Berufsgruppen benötigen, um die entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten derart weiter zu entwickeln, dass die Gefährlichkeit der forensischen PatientInnen richtig eingeschätzt werden und die Behandlung in der erforderlichen Qualität erfolgen kann.

 

8. Die Behandlung von forensischen PatientInnen an allgemeinpsychiatrischen Abteilungen birgt nicht zuletzt ein hohes Gefährdungspotential sowohl für die gemeinsam behandelten allgemeinpsychiatrischen PatientInnen als auch für die MitarbeiterInnen.

 

9. Die Zuständigkeit für die Sicherung, Anhaltung und Überwachung der im Rahmen des Maßnahmenvollzugs an allgemeinpsychiatrischen Abteilungen zu behandelnden PatientInnen ist völlig ungeklärt. Innerhalb der bestehenden Strukturen sprengen diese Erfordernisse den gegebenen Rahmen und beinhalten ebenfalls ein erhebliches Risiko- und Gefährdungspotential sowohl für die MitpatientInnen als auch für das Behandlungsteam.

 

Zusammenfassung:

 

Der Entwurf zum Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2021 beinhaltet erhebliche Mehrbelastungen für das Gesundheitssystem, die sich konkret an den allgemeinpsychiatrischen Abteilungen bzw. Krankenhäusern auswirken würden. Forensische PatientInnen wurden bei den Planungen der allgemeinpsychiatrischen Versorgung im Rahmen von Krankenanstalten bisher kaum berücksichtigt, sodass die erforderlichen Strukturen fehlen.

 

Die zur Behandlung von forensischen PatientInnen erforderliche Erfahrung und Spezialexpertise ist an allgemeinpsychiatrischen Abteilungen derzeit nicht im ausreichenden Maße gegeben. Dies würde wesentliche Nachteile zur Folge haben: die allgemeinpsychiatrischen PatientInnen würden Gefahren ausgesetzt werden, die forensischen PatientInnen würden nicht die nötigen Therapien erhalten und die psychiatrischen MitarbeiterInnen würden vermehrt mit Gewalt konfrontiert werden. Dieses Nicht-Funktionieren würde letztlich auch die Risiken für die Bevölkerung erhöhen.

 

Univ.-Prof. Dr. Thomas Stompe (Arbeitsgemeinschaft forensische Psychiatrie), Prim.a Dr.in Christa Rados (Past president), Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata (Präsident)