Engagement, Ehrung und Erinnern: Der Simon-Wiesenthal-Preis
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Der KZ-Überlebende Simon Wiesenthal machte es sich zu seiner Lebensaufgabe, an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern und die Täter:innen auszuforschen. Über Simon Wiesenthal und dem nach ihm benannten Preis ging es in der letzten Folge unter dem Titel "Anerkennung, Auszeichnung und Aufgabe: Der Simon-Wiesenthal-Preis". In der aktuellen Folge stehen die Preisträgerinnen und Preisträger im Fokus.
Unsere Hosts Stefanie Schermann und Tobias Leschka geben in der neuen Folge von "Parlament erklärt" einen akustischen Einblick in einen Abend, der ganz im Gedenken an Simon Wiesenthal und seine Lebensaufgabe stand.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Transkription
Wolfgang SOBOTKA: Es ist nicht die Aufgabe der jüdischen Gemeinden, es ist unsere Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, da hier eine klare Position zu beziehen. Und erst dann, wenn es uns gelingt, hier ein jüdisches Leben wieder sichtbar zu machen, dass neben der Fronleichnamsprozession genauso Purim in der Öffentlichkeit gefeiert wird, wenn es genauso möglich ist das Laubhüttenfest zu feiern, erst dann haben wir etwas erreicht, wo wir sagen können: Die österreichische Gesellschaft ist in diesem Sinne besser geworden.
Tobias LESCHKA: Herzlich willkommen zurück zu einer neuen Folge von "Parlament erklärt". Heute sprechen wir über die Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises. Wie wir in unserer letzten Episode erfahren haben, wird er als Zeichen der historischen Verantwortung Österreichs für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus sowie für die Aufklärung über den Holocaust verliehen. In dieser Episode sehen wir uns die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger genauer an. Mein Name ist Tobias Leschka.
Stefanie SCHERMANN: Und ich bin Stefanie Schermann. Die Preisverleihung des ersten Preises fand am 11. Mai 2022 im Großen Redoutensaal in der Hofburg, dem Ausweichquartier des Parlaments, statt. Corona-bedingt wurde allerdings der Simon-Wiesenthal-Preis 2021 vergeben. Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfeifer und Liliana Segre wurden mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Die "Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz" und "Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus" erhielten die weiteren Preise. Wir möchten die heutige Folge dazu nutzen, ein paar Eindrücke von der Verleihung mit Ihnen zu teilen.
***** JINGLE *****
SCHERMANN: Bevor wir aber auf die einzelnen Preisträgerinnen und Preisträger eingehen, hören wir zunächst einmal einen Ausschnitt aus der Rede des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka, der über die Bedeutung des Simon Wiesenthal Preises gesprochen hat.
SOBOTKA: Den Preis zu benennen: Wer hätte einen besseren Namen gefunden für diesen Preis, als ihn Simon-Wiesenthal-Preis zu nennen? Ein Mann, der nicht auf Auftrag, sondern aus eigenem innerem Antrieb das sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, der nicht daran gedacht hat, seinen Beruf als Architekt auszuführen, sondern diese zutiefst innere Aufträge erfüllt hat, nicht Rache, sondern Recht muss unsere Richtschnur sein und sich nicht nur zur Aufgabe gemacht hat, die Verbrecher vor ein Gericht zu bringen. Sollten wir sehen wie wir nach 2000, und da gab es noch genügend Fälle wie die österreichische Gerichtsbarkeit mit diesen Themen umgegangen ist. Da gibt es noch vieles aufzuarbeiten. Wir sollten sehen, dass wir seinem Beispiel auch folgen, aufzuklären, hinauszugehen, nicht müde zu werden und junge Menschen auch davon zu informieren. Und wenn unsere Studie des österreichischen Parlaments etwas gebracht hat, was mich positiv stimmt, dann ist es das Faktum, dass junge Menschen die gebildeter sind, gebildet im Sinne zu wissen was Antisemitismus bedeutet, woher er kommt, dass sie weniger antisemitische Einstellungen mit sich bringen. Also sollten wir dieses Faktum nehmen und in der Breite – und ich bitte Sie heute alle nicht nur als Ausgezeichnete, sondern auch jetzt hier als Zuseher, als sich im Auditorium befindliche – hinauszugehen und auch für sich zu überlegen, welchen Anteil kann ich einbringen. Zu Simon Wiesenthal ist schon vieles gesagt worden. Lassen sie mich nur eines auch noch erwähnen: Simon Wiesenthal war eine Person, die nicht gescheut hat, in die Konfrontation zu gehen, die nicht gescheut hat auch Widrigkeiten zu überwinden. Und Simon Wiesenthal war eine Person, die uns gezeigt hat, wo die österreichische Geschichte anzusetzen hat. Und so ist dieser Preis auch zu verstehen, als Ehre seine Arbeit, als Ehre seiner Person. Er hat uns eben etwas zurückgegeben aus unserem Geschichtsbewusstsein. Zu lange haben wir vom Opfermythos gelebt, zu lange haben wir die Dinge unter den Boden gekehrt. Es ist nie zu spät. Ich glaube, dass heute dieser Preis verliehen werden kann, das erfüllt mich mit Freude. Und allen, die dazu einen Beitrag geleistet haben, es sind so viele ich darf Sie eigentlich alle hier miteinschließen. Durch Ihre Anwesenheit haben sie schon ein Bekenntnis abgelegt. Und es hat auch Präsident Deutsch angesprochen: Es ist nicht die Aufgabe der jüdischen Gemeinden, es ist unsere Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, da hier eine klare Position zu beziehen. Und erst dann, wenn es uns gelingt hier ein jüdisches Leben wieder sichtbar zu machen, dass neben der Fronleichnamsprozession genauso Purim in der Öffentlichkeit gefeiert wird, wenn es genauso möglich ist das Laubhüttenfest zu feiern, erst dann haben wir etwas erreicht, wo wir sagen können: Die österreichische Gesellschaft ist in diesem Sinne besser geworden. Und auf dieses Besserwerden haben wir hinzuarbeiten. Vielen herzlichen Dank für Ihre Einsendungen. Sie haben uns große Freude gemacht. Vielen herzlichen Dank liebe Jury. Dankeschön!
LESCHKA: Kommen wir nun zur ersten Kategorie der diesjährigen Verleihung. Hier wurde der Preis für zivilgesellschaftliches Engagement hinsichtlich der Aufklärung über den Holocaust vergeben. Dieser ging an die "Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz". Sie wurde mit dem Ziel gegründet, mit der Erfassung und Erschließung der Akten der Staatsanwaltschaften und Gerichte die Auseinandersetzung der österreichischen Justiz mit den NS-Verbrechen zu dokumentieren. Entgegengenommen wurde der Preis durch die wissenschaftliche Co-Leiterin, Claudia Kuretsidis-Haider.
Claudia KURETSIDIS-HAIDER: Der große Elan der österreichischen Justiz nach 1945 in Form der Volksgerichte ist wie Sie vielleicht wissen ja nach wenigen Jahren bereits erlahmt. Dessen ungeachtet, und auch ungeachtet des Ausgangs der Verfahren, hat die österreichische Justiz, in den Jahrzehnten nach 1945, eine nahezu unüberschaubare Anzahl an Gerichtsdokumenten produziert. Diese Gerichtsdokumente geben Auskunft über Verbrechenskomplexe, über Tatorte, über Opfer und natürlich über Täter und Täterinnen. Die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz – und Barbara Stelzl-Marx hat das schon angedeutet – hat es sich zur Aufgabe gestellt, dieses Wissen, das sich in diesen Akten verbirgt, zu bündeln, miteinander zu verknüpfen, aufzuarbeiten und für die historische Forschung zur Verfügung zu stellen. Aber nicht nur für die historische Forschung. Historische Forschung darf niemals Selbstzweck im Elfenbeinturm sein, sondern diese Akten auch für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit 2021 gibt es in Deutschland die Möglichkeit, Urteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen online abzurufen. Wir denken, dass es diese Möglichkeit auch in Österreich geben soll, und wir werden in den nächsten Jahren daran arbeiten, nicht nur, dass die Urteile abgedruckt werden, sondern, dass sie eben auch wissenschaftlich erschlossen sind. Dafür werden wir nicht nur finanzielle Unterstützung benötigen, sondern auch die Unterstützung der Politik, um die genannten Probleme bewältigen zu können. Der Wiesenthal-Preis ist uns dafür Motivation und Ermunterung aber auch Verpflichtung, unsere wissenschaftliche Arbeit im Sinne von Simon Wiesenthal fortzusetzen. Dafür möchte ich mich sehr, sehr herzlich bedanken.
LESCHKA: In der zweiten Kategorie wurde der Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus vergeben. Dieser ging an "Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus". Das 2008 gegründete Forum hat es sich zur Aufgabe gemacht, das demokratische Staatswesen zu stärken, den interreligiösen und interkulturellen Austausch zu fördern sowie politisch, rassistisch oder religiös Verfolgten zu helfen. Dazu Levi Salomon, Sprecher der Initiative.
Levi SALOMON: Was machen wir? Das Erste, das wir machen: Wir beobachten, wir beobachten, wir monitoren, wir beobachten im Netz, was passiert. Dann gehen wir auf die Straße mit Kamera und Fotoapparat und wir beobachten was alles auf der Straße passiert. Und viele Dinge, die auf der Straße passieren sind aus meiner Sicht Besorgnis erregend. Sie sind unangenehm, sie sind schlimm. Und wir versuchen das aufgenommene Material an die Öffentlichkeit weiterzugeben und damit aufmerksam zu machen auf bestimmte Phänomene, auf antisemitische Tendenzen, auf Rassismus und auf Rechtsextremismus.
SCHERMANN: Den Höhepunkt bildete allerdings die Vergabe des Hauptpreises. Für den diesjährigen Simon Wiesenthal Preis sind zahlreiche wunderbare Vorschläge eingereicht worden, sodass die Jury vor einer besonders schwierigen Entscheidung stand. Eines war daher klar und einstimmig beschlossen: Der Hauptpreis soll in seinem ersten Jahr an alle vier der nominierten Zeitzeugen gehen. Wir hören Karl Pfeiffer, der den Preis auch im Namen von Lily Ebert, Zwi Nigal und Liliana Segre entgegennahm.
Karl PFEIFFER: Im Namen aller PreisträgerInnen bedanke ich mich ganz herzlich für diesen uns ehrenden Preis. Dass ich heute hier stehe und diesen Preis erhalte, zeigt, dass sich seit meiner Rückkehr einiges geändert hat. Diese Änderung merke ich als Zeitzeuge in Schulen. Die Republik strengt sich an, damit hier die Werte der Demokratie den Schülern beigebracht werden. Die Kinder hören interessiert zu, wenn ich spreche und oft merke ich auch Betroffenheit und Empathie. Alois Blumauer schrieb vor 240 Jahren in den Beobachtungen über Österreichs Aufklärung, ich zitiere: "Das Verlernen von Dingen, die einmal fest in den Kopf gehämmert sind, fordert viel mehr Zeit als das Lernen." Aberglaube und Vorurteil, denen die österreichischen Aufklärer damals entgegentraten, sind sowie Judenhass, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt, noch immer vorhanden. Mit Geduld und Verstand lassen sich diese zurückdrängen. Daran wollen wir weiterarbeiten, denn wie es bereits in den Sprüchen der Väter steht: "Es ist nicht an dir das Werk zu vollenden, aber du bist auch nicht befugt nichts zu tun." Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
LESCHKA: Damit sind wir am Ende unserer zweiten Folge zum Simon-Wiesenthal-Preis angelangt. Sollten Sie sich die Aufzeichnung der gesamten Preisverleihung ansehen wollen, können Sie diese in der Mediathek des österreichischen Parlaments abrufen. Wir hören einander in zwei Wochen wieder. Bevor der Podcast des Parlaments in die Sommerpause geht, haben wir dann eine besondere Folge für Sie. Also seien Sie gespannt. Bis dahin: Ciao!
SCHERMANN: Tschüss!