Mit dem Parlament von der Monarchie zur Demokratie
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Österreich war nicht immer eine Republik. Ein Parlament gab es aber auch schon davor. In dieser Folge geht es um die Entwicklung vom Kaiserreich zu einer vollwertigen Demokratie.
Wie kam es überhaupt zur Einrichtung eines Parlaments im Kaiserreich? Wie hat sich dabei die Verfassung entwickelt? Und was hat ein lange vergessenes Stück Stoff damit zu tun? Dazu haben wir Karin Schneider und Anton Habrich getroffen.
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Transkript
Jingle: „Rund ums Parlament”. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von „Rund ums Parlament”, dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Schön, dass ihr wieder mit dabei seid. In den kommenden Episoden gehen wir unserer Demokratie auf den Grund. Wir sprechen mit hochinteressanten Menschen darüber, wozu eine Verfassung gut ist, warum Wahlen so funktionieren, wie sie funktionieren, wo Gefahren für eine Demokratie lauern und über noch viele spannende Fragen mehr. In dieser heutigen Folge wollen wir uns anschauen, wie in Österreich der Übergang von der Monarchie zur Republik und einer vollwertigen Demokratie vor sich gegangen ist. Also Fragen wie: Wie kam es überhaupt zur Einrichtung eines Parlaments im Kaiserreich? Wie war das Verhältnis zwischen dem Parlament und dem Kaiser? Und wie hat sich dabei die Verfassung entwickelt? All dies darf ich heute mit meinen beiden Gästen besprechen. Da wäre zum einen Frau Dr. Karin Schneider. Sie ist Geschichtswissenschaftlerin und Archivarin im Dienste des Parlaments. Ich begrüße Sie ganz herzlich.
Karin SCHNEIDER: Guten Tag.
LUKÁŠ: Danke fürs Kommen. Und neben mir steht außerdem Herr Anton Habrich. Er ist, wie er selbst sagt, im Parlamentsgebäude zuständig für Boden, Wand, Decke. Richtig so?
Anton HABRICH: Richtig so.
LUKÁŠ: Das heißt, für die Instandhaltung.
HABRICH: Ja, auch.
LUKÁŠ: Herzlich Willkommen.
HABRICH: Mädchen für alles.
LUKÁŠ: Das Mädchen für alles?
HABRICH: Ja.
LUKÁŠ: Der Mann für alles!
HABRICH: Guten Morgen.
LUKÁŠ: Guten Morgen. Wir sind heute im Haus der Geschichte. Wie oft waren Sie beide schon hier?
SCHNEIDER: Drei bis vier Mal.
HABRICH: Ein Mal bei der Eröffnung. Ich wollte das gute Stück ja einmal restauriert sehen.
LUKÁŠ: Wir stehen hier vor einem guten Stück. So viel können wir schon verraten. Was ist es für ein besonderes Stück, Frau Schneider, was wir sehen? Vielleicht können Sie es für unsere Hörerinnen und Hörer kurz beschreiben.
SCHNEIDER: Das ist ein sogenannter Kaiserlogenbehang. Wir sehen hier ein Exemplar von zweien. Das zweite Exemplar ist in einem Magazin untergebracht. Dieses Stück wird hier im Haus der Geschichte Österreichs ausgestellt. Ursprünglich befand sich dieser Kaiserlogenbehang wohl an der Brüstung der Loge von Kaiser Franz Joseph. Dieser Behang ist dreigeteilt. Es gibt einen Mittelteil, auf dem ist zu sehen das Wappen des Hauses Habsburg. Das wird, in antikisierender Manier, gehalten von zwei Greifen. In der Mitte sieht man auf der linken Seite das Wappen des Königreichs Böhmen. Die Habsburger waren ja auch Könige von Böhmen. In der Mitte ist der Bindenschild Rot-Weiß-Rot oder Rot-Silbern-Rot genau gesagt. Und auf der rechten Seite ist das Wappen des Hauses Lothringen. Maria Theresia heiratete ja bekanntlich Franz Stephan von Lothringen. Aber deswegen wurde aus der Dynastie der Habsburger die Dynastie Habsburg-Lothringen. Oberhalb des Wappens befindet sich die österreichische Kaiserkrone. Diese Krone wurde von Kaiser Rudolf dem Zweiten zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Prag angefertigt.
LUKÁŠ: Die berühmte Zauberkrone?
SCHNEIDER: Ja. Sie ist seit 1804 die Krone des Kaisertums Österreich. 1804 wurde das Kaisertum Österreich ja erst gegründet. Seitdem schwebt sie im Wappen der Habsburger. Darunter befindet sich ein Spruchband mit dem Leitspruch von Kaiser Franz Joseph: „Viribus unitis” – mit vereinten Kräften. In einem Herrschaftsgebiet, das von zahlreichen Nationen und widerstreitenden Interessen geprägt war, ist das vielleicht kein ganz unzutreffender Spruch, die Einheit zu beschwören. Rechts und links des Mittelteils befinden sich Putten und Dekorelemente, ebenfalls in antikisierender Manier. Diese Dekorelemente finden sich dann auch in der Ausstattung des Reichsratsgebäudes wieder. Auf der linken Seite befindet sich in römischen Zahlzeichen die Aufschrift 1873. Das ist das Jahr, in dem der Bau des Reichsratsgebäudes bewilligt wurde. Ursprünglich tagte der Reichsrat zum einen im sogenannten Schmerling-Theater in der Nähe der heutigen Universität und die zweite Kammer im niederösterreichischen Landhaus. Auf der rechten Seite ist dann die Jahreszahl 1883 angebracht. Das Jahr, in dem das Reichsratsgebäude eröffnet wurde.
LUKÁŠ: Und für unsere Hörerinnen da draußen, also das Reichratsgebäude ist das heutige Parlamentsgebäude.
SCHNEIDER: Genau.
LUKÁŠ: Damit Sie uns folgen können. Auf unserem Weg von der Monarchie in die Republik. Wunderbar. Das ist ja wunderschön gearbeitet, mit diesen Goldfäden bestickt und in die Krone eingearbeitet sind auch noch Edelsteine. Sind die echt?
SCHNEIDER: Das würde ich jetzt ehrlich gesagt bezweifeln, aber das weiß ich nicht.
LUKÁŠ: Es schaut auf jeden Fall sehr prunkvoll aus. Ein schönes Stück, das noch nicht so lange hier ist, denn es musste erst gefunden werden, wie ein Schatz. Und deshalb steht heute auch Herr Anton Habrich da, denn er ist der Schatzentdecker. Wollen Sie uns mal ganz kurz erzählen?
HABRICH: Glücklicherweise.
LUKÁŠ: Glücklicherweise für uns alle! Ich weiß noch so viel: Sie hatten Geburtstag. Und dann? Was ist dann passiert?
HABRICH: Ich hatte Geburtstag. Ja, des Öfteren schon. Ich bin schon ziemlich alt. Das war ein besonderer Geburtstag. Aber das war dann schon das Ende der Geschichte, mein Geburtstag. Dann habe ich es meinen Chefs präsentiert an meinem Geburtstag, dass es da irgendetwas gibt, das eventuell vielleicht wertvoll sein könnte und zum Haus gehört. Ich habe das nicht gewusst, weil, ich habe es einige Monate vorher gefunden, nachdem wir das Parlamentsgebäude 2017 angefangen haben zu Sanieren und zu Räumen. Da habe ich eine Arbeitsgruppe angeheuert, die draufschauen sollte, dass nicht gewisse Gegenstände, die eventuell einen ideellen oder materiellen Wert haben, verschwinden. Also man sollte darauf schauen, wenn was weggeschmissen wird, ob das geht oder nicht. Hat das einen Wert oder nicht? Dann bin ich in einen Kellerraum gekommen, der schon ziemlich ausgeräumt war. Und da ist dann ein Packpapierpackerl gelegen, das auf einer Seite aufgerissen war, und herausgeschaut hat ein Stück schwarzer Stoff. Man denkt „Aha”, nachdem ich auch alte Fotos gekannt habe, habe ich gedacht, auf den Fotos waren Vorhänge aus schwerem, schwarzen Stoff, riesengroß. Das wird der Vorhang sein. Nehmen wir, da kann man immer schauen, was dann ist. Und dann bin ich nochmal in mein Lager gegangen und hab das dort hingelegt. Und dort hat es dann noch einmal einige Monate verbracht, weil ich keine Zeit gehabt habe zum Nachschauen.
LUKÁŠ: Und dieses Paket wurde nie geöffnet? Das Packpapier wurde nicht aufgerissen?
HABRICH: Doch an einer Seite war es offen. Und da ist schwarzer Samt zum Vorschein gekommen. Und ich habe es assoziiert mit einem Vorhang, einem Store. „Ja, warum nicht, können wir vielleicht nochmal brauchen“. Aber dass das der Kaiserlogenbehang ist, davon habe ich nicht einmal geträumt.
LUKÁŠ: Aber war Ihnen das damals bewusst, dass es die Kaiserloge gibt und Sie haben gewusst, wo die ist, und hat das so zum Allgemeinwissen eines Mitarbeiters gehört?
HABRICH: Schon, dass es die gibt, aber dass das, was ich dort unter den Händen trage, dort hingehört: Nein, habe ich nicht gewusst. Da hat dann jemand, dem ich das als erstes gezeigt habe, große Augen gemacht und zu recherchieren angefangen. Die Dame dürfte ein bisschen schon gewusst haben von der Geschichte her. Da hat es einmal so was gegeben, und das war eigentlich gut so, dass sie das dann gleich aufgerollt hat und recherchiert hat, was das ist, und dass man danach genau gewusst hat, wohin das gehört.
LUKÁŠ: Und hat es dann ein großes Hallo geben, wo das gefunden wurde, oder war das so „Ah ja”?
HABRICH: Nachdem es gefunden worden ist und der Öffentlichkeit präsentiert worden ist, war es schon ein großes Hallo. Also es war in fast allen österreichischen Tageszeitungen zumindest ein Foto drin, es hat ein bisschen was aufgewirbelt, was Positives, Gott sei Dank. Es war im Sommer, Anfang Juni. War ein guter Aufhänger zur Sauregurkenzeit für den Journalismus.
LUKÁŠ: Und haben Sie dann selbst ein bisschen Berühmtheit erlangt für kurze Zeit?
HABRICH: Ich habe 12 Jahre in der letzten Reihe gesessen, in der Schule. Ich brauche nicht in der ersten Reihe stehen.
LUKÁŠ: Aber Sie haben uns im Vorgespräch schon erzählt, dass Sie beim Bäcker angeredet worden sind und beim Radfahren.
HABRICH: Leider. Ja, der Bäcker hat gewusst, wo ich arbeite. Und der eine Radfahrer, der war ein bisschen komisch. Ich habe an einer roten Ampel gestanden und schaue so, und da kommt ein Radfahrer und schreit mir zu: „Hättest du das weggeschmissen, den Vorhang” und ich habe den Herrn nicht gekannt. Er mich schon, wahrscheinlich aus den Medien. Es war ein bisschen Spaß.
LUKÁŠ: Ist doch herrlich, so kurz Lokalberühmtheit sein, da soll nichts Schlimmes passieren.
HABRICH: Ich bin froh, dass ich es gefunden hab, dass ich es sichergestellt hab. Dass es jetzt ausgestellt wird, dass es die Öffentlichkeit sieht. Das macht mich stolz. Ja, aber dass ich da berühmt bin...
LUKÁŠ: Ja, kurz, die 15 Minuten.
HABRICH: 15 Minuten ist okay, dann gehen wir wieder zum Tagesgeschehen über.
LUKÁŠ: Wunderbar. Jetzt haben wir über den wunderschönen Behang, den wir ja nicht Vorhang nennen dürfen, haben wir gelernt, gesprochen, die Symbole besprochen und wir wissen jetzt auch, wie der Schatz gefunden wurde. Gehen wir weiter in den ursprünglichen Saal, in dem dieser Kaiserbehang den Kaiser repräsentiert hat in seiner oftmaligen Absenz.
HABRICH: Ich möchte noch hinzufügen, dass der im Abgeordnetenhaus gehangen ist, weil, der eine hat einen roten Streifen und der andere den schwarzen Streifen. Dadurch kann man das unterscheiden. Und das Herrenhaus, der jetzige Plenarsaal, da kann man das nicht mehr rekonstruieren, weil der im Krieg zerstört und komplett neu aufgebaut wurde. Beim Abgeordnetenhaus hab ich es dann selbst probiert mit dem Stück, und da waren noch die Nägel vorhanden, wo der befestigt war. Jetzt wurde das Haus restauriert. Bin gespannt, ob die Nägel noch da sind oder ob es wer rausgezogen hat. Das Restaurierungsergebnis würde ich gern überprüfen.
LUKÁŠ: Ja. Eine letzte Frage, bevor wir in den Bundesversammlungsaal im Parlament wechseln. Der Keller, in dem dieser Behang gelegen hat, sein Dasein gefristet hat – sind das die Räumlichkeiten des jetzigen Besucherzentrums?
HABRICH: Knapp daneben.
LUKÁŠ: Knapp daneben.
HABRICH: Nicht direkt drunter, sondern daneben in den Räumlichkeiten. Aber es gibt die Agora und dann gibt es links und rechts Räumlichkeiten darunter. Und daneben hat er sein Dasein gefristet. Also nicht direkt unter der Agora, weil da waren keine Räumlichkeiten, sondern nur Luftkanäle und solche Sachen. Da waren keine Lager. Das hätte er wahrscheinlich nicht überstanden.
LUKÁŠ: Wegen der Feuchtigkeit?
HABRICH: Ja. Es ist gut gegangen. Er war ziemlich gut beieinander. Sie waren gut gelagert.
LUKÁŠ: Sehr gut. Dann machen wir uns auf in den Bundesversammlungssaal ins Parlament. Bevor wir losgehen beziehungsweise auf dem Weg dorthin hätte ich noch drei kleine persönliche Fragen, um Sie ein bisschen besser kennenzulernen. Und ich würde mit der Frau Schneider beginnen. Ladies first. Frühling oder Herbst?
SCHNEIDER: Herbst.
LUKÁŠ: Kurze Antwort, warum?
SCHNEIDER: Der Geruch und das Sonnenlicht auf verfärbten Blättern, der blaue Himmel darüber und leichter Bodennebel in der Früh.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
SCHNEIDER: Ich denke, der Kompromiss ist immer die beste Lösung.
LUKÁŠ: Und wo beginnt für Sie Demokratie?
SCHNEIDER: Bei der Möglichkeit jedes Einzelnen, seiner Stimme Gehör zu verschaffen in der Öffentlichkeit.
LUKÁŠ: Sehr gut, vielen Dank. Und jetzt die Prüfungsfragen an Herrn Habrich. Frühling oder Herbst?
HABRICH: Frühling.
LUKÁŠ: Und warum?
HABRICH: Die Natur erwacht. Es beginnt wieder alles zu blühen. Ein neues Jahr beginnt. Ich meine, hat schon begonnen, aber es wird fortgesetzt. Es ist einfach schöner und alles blüht. Und Grün ist.
LUKÁŠ: Kein Bodennebel.
SCHNEIDER: Dafür Schneefall.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
HABRICH: Ja, theoretisch ist die beste Lösung natürlich die beste Lösung. Aber praktisch kommt immer ein Kompromiss dabei heraus. Eine beste Lösung ohne Kompromiss gibt es nicht oder selten.
LUKÁŠ: Sehr wahr. Und wo beginnt für Sie Demokratie?
HABRICH: Ab zwei Meinungen.
LUKÁŠ: Sehr gut. Na, dann machen wir uns auf den Weg. Wunderbar. Gehen wir los. Wir sind jetzt im Parlament angekommen, genauer gesagt im Bundesversammlungssaal. Und hier, der Name sagt es schon, tagt die Bundesversammlung. Bis 1918 allerdings war das der Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses im Kaiserreich. Und wir stehen jetzt in der Mittelloge und irgendwo hier hing der berühmte Logenbehang. Und wo hat der gehangen, Herr Habrich?
HABRICH: Kalt, kalt, kalt, kalt, kalt.
LUKÁŠ: In welche Richtung muss ich gehen?
HABRICH: In diese Richtung.
LUKÁŠ: In diese Richtung? Über den Balkon rüber?
HABRICH: Zum Publikum, genau da.
LUKÁŠ: Von der Balustrade runter.
HABRICH: Die Restauratoren haben, ich bin nicht enttäuscht, volle Arbeit geleistet und haben nämlich die Nägel belassen.
LUKÁŠ: Damit ist die Frage beantwortet, ob die Nägel noch da sind.
HABRICH: Genau, es fehlt nur ein Nagel. Das waren nämlich zwölf. Und jetzt sind es nur noch elf. Aber das macht nichts.
LUKÁŠ: Und ein neumodischer Nagel hat dazu gefunden.
HABRICH: Ja, neumodisch. Und drüben ist natürlich das Pendant. Die Bohrung ist da, im Sockel sehen wir das. Das ist der zwölfte. Der Behang hat nämlich zwölf Ösen. Und die passen ganz genau. Der Abstand ist ja nicht immer gleich, aber er passt haargenau da rein, ohne dass er große Falten wirft. Dadurch ist es bewiesen.
LUKÁŠ: Also, wenn der Behang hier hing, dann hing er eigentlich weit über den Köpfen des Reichrats. Gibt es die Auffassung, dass der Kaiser damit eine kleine subtile Botschaft versenden wollte, so wie ein überlegenes Gefühl? Er steht über der Demokratie, das mahnende Auge der Habsburger wacht über die Prozesse. Gibt es da Theorien dazu, was für eine Symbolik hinter dieser Aufhängung steht?
HABRICH: Es gibt eine Theorie, dass der Behang eine Stellvertretung war, wenn der Kaiser nicht da war, und er war ja nie da. Er hat dann zur Sitzung da gehangen, weil nämlich die Insignien der Habsburger in diesen Behang mit eingearbeitet worden sind, wie man vorher gehört haben. Mit der Kaiserkrone zum Beispiel.
SCHNEIDER: Und nachdem der Kaiser ja nur zweimal das Haus tatsächlich besucht hat, ist das ja auch eine naheliegende Theorie, da der Behang auch Gebrauchsspuren aufweist. Das heißt, er wurde benutzt. Öfter als zweimal.
HABRICH: Aber er war nur eine Stellvertretung.
SCHNEIDER: Genau.
HABRICH: Aber als Machtsymbol? Eher nicht.
SCHNEIDER: Das kann ich mir auch nicht vorstellen, weil der Kaiser, wenn er irgendwann in Sitzungen teilnimmt, wird er sich nicht aufs Präsidium setzen. Da waren die Regierungsbank und die Abgeordneten. Also er wird sich auch nicht unter die Abgeordneten mischen, sondern er brauchte einen Ort und er mischte sich unter die anderen Zuschauer, die ja auch hier auf dieser Loge waren oder auf diesem Balkon. Er hätte sich unter die anderen Zuschauer mischen können, die hier am Balkon den Sitzungen gelauscht haben. Es war ja der Öffentlichkeit möglich, auch den Sitzungen zuzuhören, und der Bereich war für den Kaiser reserviert.
LUKÁŠ: Wenn ich das also richtig verstehe, dann ging es da gar nicht um zwei konkurrierende, sich eigentlich ablehnende Machtelemente im Staat, sondern er hätte sich auch unters Volk mischen können.
SCHNEIDER: Der Kaiser hat sich für heutige Verhältnisse extrem oft unter das Volk gemischt. Es war für die normale Bevölkerung kein Problem mehr – sofern man eine ordentliche Kleidung hatte – eine Audienz beim Kaiser zu bekommen. Der Kaiser begab sich auf Spaziergänge in der Öffentlichkeit mit nur einem Adjutanten. Also es war jetzt nicht so, dass das eine völlig abgetrennte Sphäre von der Öffentlichkeit gewesen wäre, sondern der Kaiser war eine öffentliche Person und hat sich auch in der Öffentlichkeit gezeigt.
LUKÁŠ: Wir haben ja gehört, dass auch die Abgeordneten zum Kaiser kommen mussten, um mit ihm zu sprechen und er einem dann die Gnade gewährt hat einer Audienz.
SCHNEIDER: Er hat sie zum sogenannten Cercle eingeladen. Das war eine Abendgesellschaft, wo der Kaiser mit den Abgeordneten geplaudert hat und sich ihre Anliegen angehört hat. Und die Abgeordneten haben das als eine sehr positive Erinnerung dargestellt, weil der Kaiser auf sie zugekommen ist und das Wort an sie gerichtet hat und sie den Eindruck hatten, dass es eben ein Gespräch halbwegs auf Augenhöhe war.
LUKÁŠ: Das war doch eine Zeit des großen Umbruchs, weil, ab 1867 war Österreich dann ja eine konstitutionelle Monarchie.
SCHNEIDER: Ich würde sogar schon früher ansetzen, mit 1860/61, mit dem Oktoberdiplom und dem Februarpatent. Damit wurde der Reichsrat bereits einberufen. Das waren ebenfalls Verfassungsgesetze. 1867 kam es dann im Zuge des Ausgleichs mit Ungarn, als Österreich zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn wurde, zu einer neuen Verfassung, die aber eben auch nicht vom Kaiser erlassen wurde, sondern vom Reichsrat bereits ausgearbeitet wurde.
LUKÁŠ: Die berühmte Dezemberverfassung. Warum wurde das alles immer nach den Monaten benannt? Wir hatten jetzt drei verschiedene Monatsnennungen.
SCHNEIDER: Die Märzverfassung 1848. Es gab so viele Verfassungen, irgendwie muss man es unterscheiden.
LUKÁŠ: Aber ab dem Zeitpunkt hat sich jedenfalls der Kaiser die Macht mit dem Reichsrat geteilt. Was war denn alles in dieser Verfassung geregelt?
SCHNEIDER: Also die Verfassung von 1867 besteht eigentlich aus fünf Gesetzen, die ich jetzt nicht alle auswendig kann. Grundsätzlich teilte sich der Kaiser schon seit 1860/61 die Regierungsgewalt mit dem Reichsrat, 1867 wurden die Rechte des Reichsrats aber noch wesentlich gestärkt. Es wurde zum Beispiel die Ministerverantwortlichkeit eingeführt, das heißt die Minister waren im Reichsrat für ihre Handlungen verantwortlich. Es wurden dann auch die ersten Grundgesetze erlassen. Es gab einen Grundrechtskatalog, der den Umbruch von 1918/19 überstand und in wesentlichen Zügen noch heute in Kraft ist. Im Prinzip war 1867 eine weitere Ausgestaltung der Grundlagen von 1860/61, dass eben der Reichsrat nicht nur ein beratendes Gremium ist, sondern auch ein mitbestimmendes Gremium. Der Reichsrat hat ein Initiativrecht auch für Gesetze, also beide Häuser des Reichsrats. Es gab ja das Herrenhaus und das Abgeordnetenhaus. Und der Kaiser sanktionierte dann diese Gesetze.
LUKÁŠ: Jetzt war der Kaiser selbst nur zweimal hier, einmal zum Richtfest, einmal zu Eröffnung. Er hat zwar Abgeordnete empfangen, aber die Frage ist schon, wie sehr hat ihm das zugesagt, dass sich plötzlich alles so ändert, dass es da ein Parlament gibt? Hat er öfter versucht, die Verfassung selbst ein bisschen zu beeinflussen und in seine Richtung zu verändern?
SCHNEIDER: Nein, das hat er nicht gemacht. Also grundsätzlich muss man ja mal überlegen: Wann wurde Franz Joseph geboren? Das war im Jahr 1830. Also wir sind noch im Vormärz. Er wurde dazu erzogen, ein absolutistischer Herrscher in aufgeklärter Manier zu werden, wie seine Vorfahren. Er kam dann 1848 an die Macht. Er musste dann eben der Märzverfassung beziehungsweise den Verfassungen von 1848 zustimmen. Das war natürlich nicht nach dem Geschmack eines 18-jährigen, der im Sinne des Gottesgnadentums und des Absolutismus erzogen wurde. Er hat dann sehr viele innen- und außenpolitische Fehler gemacht, indem er versucht hat, den Neoabsolutismus zu reinstallieren. Indem er versucht hat, Machtpolitik in Norditalien zu betreiben und im Deutschen Bund, was ja in einigen verlorenen Kriegen geendet hat, was wiederum beinahe zum Staatsbankrott geführt hat. Und das war dann letztlich eigentlich der Grund, warum 1860/61 wieder der Reichsrat einberufen wurde, um nämlich überhaupt Staatsanleihen lancieren zu können. Es war kein freiwilliger Entschluss des Kaisers, einen Reichsrat einzuberufen, sondern es war aus der Not geboren. Als der Reichsrat dann allerdings da war, hat der Monarch, hat Kaiser Franz Joseph sich an die Spielregeln gehalten. Also gut, er war nicht vor Ort. Aber zum Beispiel 1907 wurde ja das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt. Ich habe vorhin gesagt, es gab zwei Kammern, das Abgeordnetenhaus und das Herrenhaus. Und das Herrenhaus war gegen die Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts. Kaiser Franz Joseph hat dann mit einem Peersschub gedroht, er hat dem Herrenhaus gesagt: „Also, wenn ihr nicht zustimmt, dann ernenne ich so viele neue Mitglieder, bis ihr das Gesetz annehmen müsst. Ich schaffe die Mehrheit, weil, die Regierung und das Abgeordnetenhaus ist für die Einführung dieses Männerwahlrechts.”
LUKÁŠ: Jetzt für unsere Hörerinnen und Hörer, die sich beim Männerwahlrecht nur bescheiden auskennen, möglicherweise, stellenweise. Welche Männer duften denn früher wählen und welche Männer durften nicht wählen?
SCHNEIDER: Kurz gesagt: Je reicher man war, desto mehr zählte die Stimme. Weil, es gab unterschiedliche Wählerklassen, und die reichsten Personen waren in einer Wählerklasse zusammengefasst. Eine kleine Zahl von reichen Personen wählte dieselbe Anzahl von Abgeordneten swie eine große Anzahl von ärmeren Personen. Zusätzlich gab es noch Interessensvertretungen, wie zum Beispiel die Handelskammern, die ebenfalls Abgeordnete entsandte. Also es ist nicht so, dass jede Stimme gleich viel zählte, sondern je reicher eine Person war und je gebildeter eine Person war, desto mehr zählte die Stimme.
LUKÁŠ: Das Frauenwahlrecht war damals ja noch nicht eingeführt, aber die Suffragetten haben schon demonstriert und aufbegehrt.
SCHNEIDER: Das würde ich so gar nicht sagen, weil das Ganze ja nach Steuerleistung ging. Es gab weibliche Großgrundbesitzer, wenn sie verwitwet waren oder reiche Erbinnen waren, hatten sie durchaus das Wahlrecht. Sie durften das nur nicht persönlich ausüben, sondern durch einen Vertreter. Also sie konnten jemanden entsenden, einen Bevollmächtigten, der für sie stimmte. Das war jetzt natürlich nie eine große Anzahl von Frauen, aber dieses Klassenwahlrecht ist geschlechtsunabhängig. Erst 1907 wurden die letzten Überreste dieses Klassenwahlrechts abgeschafft und erst 1907 durften gar keine Frauen mehr wählen.
LUKÁŠ: Aha, wie interessant. Vorher durften reiche Frauen wählen, indem sie einen Mann zum Ankreuzen schickten.
SCHNEIDER: Einen Bevollmächtigten. Weil, Politik wurde als etwas Unanständiges angesehen, und die zarten Seelen der Frauen sind nicht dafür geschaffen in den Sumpf der Politik sich zu begeben, weil das würde ihre Erhabenheit beschädigen. Aber ein Bevollmächtigter konnte entsandt werden. Und, wie gesagt, also es war abhängig von der Steuerleistung, nicht vom Geschlecht.
LUKÁŠ: Interessant. Wollen wir uns jetzt zum Abschluss dieser Episode noch ganz kurz ein bisschen umschauen, ob wir Symbole finden im Parlament, die noch die Zeichen der Habsburger tragen?
SCHNEIDER: Sehr gerne.
LUKÁŠ: Wir sind jetzt hier im Empfangssalon des Präsidenten und sind bereits an einigen Symbolen vorbeigekommen, die an das Kaiserreich erinnern. Wenn ich Sie, Frau Schneider, ganz kurz fragen darf, was fällt Ihnen da als erstes auf, was an den Kaiser erinnert?
SCHNEIDER: Kaiser Franz Joseph ist in dem Haus eigentlich allgegenwärtig. Hier in diesem Raum sehen wir zum Beispiel an den Wänden mehrfach sein Monogramm F. J. römisch Eins. Es gibt aber auch Symbole, die an das Haus Habsburg allgemein erinnern, wie zum Beispiel die Adler-Symbolik, die auch im Haus überall zu finden ist. Vielleicht möchten Sie auch fortsetzen?
HABRICH: Ja, die meisten Symbole findet man zu 95 Prozent im ersten Stock des Parlamentsgebäudes, also in der Beletage. Und über dem Portikus steht eine Figur von ihm, im Giebelfeld. Und die zweite Darstellung war in der Säulenhalle vor dem Krieg, im Friesgemälde. Das wurde aber jetzt anders angebracht, weil das ziemlich zerstört war. Da wird er sogar abgebildet, also gemalt, war kein Foto.
LUKÁŠ: Also, wenn man mal eine Führung im Parlament machen will und sich anmeldet, kann man eine Schnitzeljagd nach kaiserlichen Symbolen machen.
HABRICH: Es gibt überall versteckte Symbole, wenn man genau schaut. Die Zylinderabdeckungen bei den Türdrückern waren früher mit dem Monogramm versehen. Die sind jetzt leider der Technik zum Opfer gefallen, weil jetzt lauter andere Zylinder darin sind.
SCHNEIDER: Bei den Außentüren auf die Reichsratsstraße gibt es auch bei den Türschnallen noch das große Monogramm F.J. Eins. Also, sobald man nur die Türklinke berührt, wird man daran erinnert werden, unter wessen Ägide denn das Haus errichtet wurde.
LUKÁŠ: Vielen Dank, dass Sie mit dabei waren und uns durch spannende Details dieses Hauses und der Verfassungsentstehung und des Wahlrechts geführt haben. Danke für die Schatzgeschichte, die auf jeden Fall ein Highlight ist.
HABRICH: Sehr gerne.
LUKÁŠ: Und liebe Frau Schneider, lieber Herr Habrich, alles Gute! Schönen Tag noch.
HABRICH: Dankeschön.
SCHNEIDER: Danke.
LUKÁŠ: Und wir sehen uns sicher wieder.
SCHNEIDER: Danke.
HABRICH: Danke.
SCHNEIDER: Es hat Spaß gemacht.
HABRICH: Ja.
LUKÁŠ: Und wir wollen uns auch beim Haus der Geschichte Österreich dafür bedanken, dass wir dort schon in aller Früh aufnehmen durften. Und nicht nur in der Hauptausstellung, sondern auch in der aktuellen Ausstellung und im digitalen Museum geht es um Fragen, die damals wie heute Österreich und Europa bewegen. Den Link zum digitalen Museum findet ihr natürlich auch in den Shownotes. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann empfehlt unseren Podcast doch gerne weiter. Ihr dürft „Rund ums Parlament” natürlich auch abonnieren. Das geht überall, wo ihr sonst so eure Podcasts hört, auf Spotify, Apple Podcasts, Google Podcast, Deezer oder Amazon Music. Dann verpasst ihr sicher auch nicht die nächste Folge. Das wäre tatsächlich sehr schade, weil ein Highlight: Dann treffe ich nämlich den Bundespräsidenten a.D. Heinz Fischer und die Verfassungsrechtlerin Professor Magdalena Pöschl, um mit ihnen darüber zu sprechen, was eine Verfassung eigentlich für eine Demokratie bedeutet und wie speziell unsere in Österreich mit gesellschaftlichen Herausforderungen umgeht beziehungsweise umgegangen ist. Das wird garantiert spannend. Jede Menge Informationen und Angebote rund um das österreichische Parlament und natürlich zu unserer Demokratie findet ihr auf unserer Website www.parlament.gv.at und den Social-Media-Kanälen des Parlaments. Falls ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zu unserem Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at. Also, ich würde mich freuen, euch in der nächsten Folge wieder dabei zu haben. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.
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