Parlamentskorrespondenz Nr. 350 vom 14.05.2002

SOZIALAUSSCHUSS BESCHLIESST FAMILIENHOSPIZKARENZ

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Wien (PK) - Der Sozialausschuss des Nationalrates beschloss in seiner heutigen Sitzung das so genannte Familienhospizkarenz-Modell. Damit wird ein bedingter Rechtsanspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung für die Sterbegleitung von nahen Verwandten und für die Begleitung von schwerstkranken Kindern geschaffen. Gegen Entfall des Arbeitsentgelts wird eine völlige Freistellung oder eine Herabsetzung bzw. Änderung der Normalarbeitszeit ermöglicht, wobei eine kranken- und pensionsversicherungsrechtliche Absicherung sowie ein besonderer Kündigungs- und Entlassungsschutz vorgesehen sind. Das Gesetz, das mit FP-VP-Mehrheit beschlossen wurde, soll mit 1. Juli 2002 in Kraft treten. Ein heute von den Koalitionsparteien eingebrachter Abänderungsantrag zur Regierungsvorlage sieht vor, dass Familienhospizkarenz auch von Schwiegerkindern und Schwiegereltern in Anspruch genommen werden kann.

Am heftigsten umstritten war im Ausschuss die Frage der finanziellen Absicherung jener Personen, die Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen. Sowohl SPÖ als auch Grüne forderten zumindest eine finanzielle Mindestabsicherung, die von der Koalition jedoch als unfinanzierbar und nicht umsetzbar abgelehnt wurde. Freiheitliche und ÖVP fassten allerdings eine Ausschussentschließung, wonach der Sozialausschuss davon ausgeht, dass Familien, die durch die Inanspruchnahme der Familienhospizkarenz in finanzielle Not geraten sind, Geldaushilfen aus dem Familienhärteausgleich erhalten können.

Sozialminister Herbert Haupt bot der Opposition überdies Gespräche bis zur Beschlussfassung des Gesetzes im Plenum zur Frage der finanziellen Absicherung an. Er kann sich etwa eine Art Rechtsanspruch auf Härtefondsleistungen vorstellen oder Vorschussregelungen für das Pflegegeld, wenn ein Sterbender aus dem Krankenhaus entlassen wird, um zu Hause gepflegt zu werden. Überdies sollen die gesetzlichen Regelungen zur Familienhospizkarenz in zwei Jahren evaluiert werden. SPÖ-Sozialsprecherin Heidrun Silhavy betonte, es könne nicht sein, dass nur Personen, die es sich finanziell leisten können, Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen können. Sterbekaranz müsse für alle leistbar sein.

Konkret sieht der Gesetzentwurf zur Familienhospizkarenz vor, dass ArbeitnehmerInnen für die Sterbebegleitung oder die Begleitung schwerst erkrankter Kinder für einen Zeitraum von zunächst maximal drei Monaten eine Herabsetzung der Arbeitszeit, eine Änderung der Lage der Normalarbeitszeit oder eine völlige Freistellung verlangen können. Bei Bedarf ist eine Verlängerung der Familienhospizkarenz möglich, allerdings darf die Gesamtdauer sechs Monate nicht überschreiten. Die Sterbegleitung eines nahen Angehörigen bezieht sich auch auf Geschwister, wobei ein gemeinsamer Haushalt nicht erforderlich ist. Diese Maßnahme kann auch von mehreren Angehörigen gleichzeitig vorgenommen werden. Was die Betreuung von schwerstkranken Kindern betrifft, so soll damit sichergestellt werden, dass Eltern ihre z.B. an Krebs oder Leukämie erkrankten Kinder begleiten können.

Ist der Arbeitgeber mit der Familienhospizkarenz nicht einverstanden, muss er innerhalb von fünf Arbeitstagen ab Bekanntgabe - bei einer Verlängerung binnen zehn Arbeitstagen - Klage beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht erheben, das dann unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse und der Interessen des Arbeitnehmers zu entscheiden hat. Eine Berufung gegen die Entscheidung ist nicht möglich. Ab Bekanntgabe der Familienhospizkarenz bis vier Wochen nach deren Ende darf der Arbeitnehmer zudem nur mit Zustimmung des Arbeits- und Sozialgerichts gekündigt werden.

Fällt der Anlass für die Sterbebegleitung weg, kann der Arbeitnehmer auf eine vorzeitige Rückkehr zur ursprünglichen Normalarbeitszeit nach zwei Wochen bestehen, ebenso kann der Arbeitgeber in einem solchen Fall die vorzeitige Rückkehr des Arbeitnehmers verlangen. Für die Zeit der Freistellung gibt es keinen Urlaubsanspruch, ebenso reduzieren sich 13. und 14. Monatsgehalt aliquot.

Auch Arbeitslose können - unter Verzicht auf das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe - bis zu sechs Monaten Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen, wobei auch sie während dieser Zeit kranken- und pensionsversichert bleiben. In-Kraft-Treten soll das Gesetz mit 1. Juli 2002. (1045 d.B. )

Die Grünen äußerten mehrere Kritikpunkte am Gesetzentwurf. Abgeordneter Öllinger räumte zwar ein, dass dieser eine Verbesserung gegenüber dem Status quo bringe, die Regelung ist seiner Ansicht nach aber "weder Fisch noch Fleisch", da ein wesentlicher Punkt - die finanzielle Absicherung - fehle. Ohne eine solche finanzielle Absicherung sei die Familienhospizkarenz eine Sache, die sich nur wenige Menschen leisten könnten, beklagte er und forderte daher in einem Entschließungsantrag eine finanzielle Mindestabsicherung für jene Personen, die Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen. Außerdem muss nach Ansicht der Grünen Familienhospizkarenz auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften möglich sein. Abgeordnete Theresia Haidlmayr machte geltend, dass es im Gesetzentwurf einige Ungereimtheiten bezüglich der Anspruchsberechtigten und bezüglich der Dauer der Familienhospizkarenz gebe.

Kritisch wurde der Gesetzentwurf auch von den Abgeordneten der SPÖ beurteilt. So meinte etwa Sozialsprecherin Heidrun Silhavy, es sei eine Form von Zynismus, die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sterbekarenz von persönlichen Vermögensverhältnissen abhängig zu machen. Einen Menschen in den letzten Tagen seines Lebens zu begleiten, dürfe nicht davon abhängig sein, ob man sich das leisten könne.

Die SPÖ brachte in diesem Sinn einen Abänderungsantrag ein, der darauf abzielt, dass Personen, die Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen, eine finanzielle Ersatzleistung aus dem Familienlastenausgleichsfonds erhalten, die dem fiktiven Arbeitslosengeld entspricht, wobei als Bemessungsgrundlage der letzte volle Monatsbezug unter Einschluss der anteiligen Sonderzahlungen vorgesehen ist. Weiters sollte der SPÖ zufolge gleich bei der erstmaligen Beantragung eine Familienhospizkarenz von sechs Monaten zulässig sein. Silhavy erklärte, sie hoffe, bis zur Plenarsitzung noch eine Einigung mit den Regierungsfraktionen über diese Wünsche zu erzielen. Ihr zufolge würde eine entsprechende finanzielle Absicherung nur einen Bruchteil der Aufwendungen für das Kinderbetreuungsgeld ausmachen.

Silhavys Fraktionskollegein und frühere Frauenministerin Barbara Prammer gab zu bedenken, dass sich der Gesetzentwurf in der bestehenden Form gegen Frauen richte. Es sei bereits jetzt so, dass, wenn es Pflegebedarf innerhalb einer Familie gebe, es zumeist die Frauen seien, die das übernehmen und dafür oftmals auch auf Erwerbstätigkeit verzichten würden. Auch bei der Sterbekarenz sei abzusehen, dass man die Männer, die diese Möglichkeit in Anspruch nehmen werden, "mit zehn Fingern abzählen kann", insbesondere wenn es keine finanzielle Ersatzleistung gebe. "Das kann es doch nicht zum Nulltarif geben", bekräftigte Prammer. Auch die Abgeordneten Sophie Bauer und Manfred Lackner schlossen sich der Kritik an. Es hätte ein beispielhaftes Gesetz werden können, "wenn man nicht so kurz vor der Ziellinie schlapp gemacht hätte", meinte Lackner.

Unverständnis über die ablehnende Haltung der Opposition äußerten hingegen sowohl die Abgeordneten der Koalitionsparteien als auch die beiden Minister Herbert Haupt und Martin Bartenstein. ÖVP-Sozialsprecher Gottfried Feurstein wies etwa darauf hin, dass während der Familienhospizkarenz Pensionsversicherung und Krankenversicherung weiterlaufen, die Karenz-Zeiten für Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung und der Abfertigung angerechnet werden und auch der Arbeitsplatz gesichert sei. Zudem gebe es durch die Ausschussfeststellung nunmehr auch einen faktischen Rechtsanspruch auf Mittel aus dem Familienhärteausgleichsfonds. Eine finanzielle Ersatzleistung aus dem Familienlastenausgleichsfonds ist Feurstein zufolge nicht finanzierbar.

Seine Fraktionskollegin Ridi Steibl wertete die Familienhospizkarenz als eine der besten sozialrechtlichen Errungenschaften und dankte der Wirtschaft für ihre Zustimmung. Es habe, erklärte ÖVP-Abgeordneter Reinhold Mitterlehner dazu, intern einige Mühe bedeutet, die Wirtschaft zu überzeugen, da die Regelung die Dispositionsfähigkeit der Betriebe doch wesentlich einschränke.

Wirtschaftsminister Bartenstein meinte, die von der Opposition signalisierte Ablehnung sei ebenso bedauerlich wie überraschend. Der Gesetzentwurf sei schließlich die Umsetzung eines Vier-Parteien-Entschließungsantrages. Die materiellen Auswirkungen des Gesetzes seien dabei gar nicht so bedeutend, sagte Bartenstein, vom menschlichen Aspekt her sei es aber eine beispielgebende Reform. "Man kann es sich nicht einfach so leicht machen und Nein sagen."

Eine finanzielle Ersatzleistung bei Inanspruchnahme der Familienhospizkarenz hält Bartenstein nicht nur aus finanziellen Gründen für problematisch. Es wäre beispielsweise schwierig zu beurteilen, wer diese Ersatzleistung erhalten solle, da mehrere Angehörige gleichzeitig Familienhospizkarenz in Anspruch nehmen können, erläuterte er. Abgeordnete Edeltraud Gatterer (V) wies darauf hin, dass Familienhospizkarenz dem Entwurf zufolge auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn sich der Schwerkranke in einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim befinde; das müsste, um Doppelförderungen zu vermeiden, bei einer finanziellen Abgeltung für jene Person, die Familienhospizkarenz in Anspruch nimmt, geändert werden. Im Übrigen ist ihr zufolge durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Mitteln aus dem Familienausgleichshärtefonds niemand von der Familienhospizkarenz ausgeschlossen.

Seitens der FPÖ zeigte sich Abgeordnete Reinhart Gaugg darüber enttäuscht, dass insbesondere die Grünen "ein wirklich beispielloses Gesetz madig machen". Sein Fraktionskollege Alois Pumberger meinte, es gebe offenbar kein Gesetz der Regierungsparteien, das nicht die Kritik der Opposition hervorrufe. Darüber hinaus machte er darauf aufmerksam, dass das Gesetz nur ein Teil verschiedener Maßnahmen sei, mit denen Österreich den Weg einer humanen Sterbebegleitung gehe. Aktive Sterbehilfe dürfe im Land keinen Platz haben, bekräftigte er.

Abgeordnete Edith Haller (F) hielt fest, sie verstehe das Argument, dass der Gesetzentwurf zu Lasten der Frauen gehe, nicht, vielmehr würde die Familienhospizkarenz das Los der Frauen erleichtern. Zudem fragte sie sich, was die SPÖ in den Jahren ihrer Regierungsverantwortung getan habe, um die familiäre Last von Frauen zu mindern.

Sowohl FPÖ- als auch ÖVP-Abgeordnete machten darüber hinaus geltend, dass mit dem Gesetzentwurf eine zentrale Forderung eines Vier-Parteien-Entschließungsantrages umgesetzt werde. Auch dort sei lediglich von einer arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung die Rede, betonte etwa Abgeordnete Steibl, eine finanzielle Ersatzleistung sei nicht zur Diskussion gestanden. Abgeordneter Mitterlehner fügte hinzu, zwischen einer sozialrechtlichen und einer existenziellen Absicherung sei ein gravierender Unterschied.

Abgeordneter Franz Riepl (S) meinte hingegen, aus Sicht der SPÖ sei die Vier-Parteien-Entschließung nicht zur Gänze erfüllt. Seiner Auffassung nach gehört eine Existenzabsicherung zu einer sozialrechtlichen Absicherung untrennbar dazu. Abgeordnete Silhavy erklärte, eine finanzielle Absicherung wäre nicht als Abgeltung einer Leistung zu verstehen sondern als notwendiger Einkommensersatz.

Auf eine entsprechende Anfrage von Abgeordnetem Pumberger (F) erläuterte Wirtschaftsminister Bartenstein schließlich, dass für die gleiche Person auch ein zweites Mal Sterbekarenz in Anspruch genommen werden könne, wenn sich der Gesundheitszustand der betreffenden Person zunächst wider Erwarten bessere und zu einem späteren Zeitpunkt ein neuerlicher Anlassfall gegeben sei.

Der Gesetzentwurf zur Familienhospizkarenz wurde unter Berücksichtigung des FP-VP-Abänderungsantrages ebenso mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen wie die Ausschussfeststellung. Der Abänderungsantrag der SPÖ und der Entschließungsantrag der Grünen wurden lediglich von den beiden Oppositionsparteien unterstützt und damit mehrheitlich abgelehnt.

WIRTSCHAFTSMINISTER BARTENSTEIN BERICHTET ÜBER ABFERTIGUNG NEU

Vor Eingang in die Tagesordnung berichtete Arbeitsminister Martin Bartenstein noch über den aktuellen Stand betreffend die Verhandlungen über die Abfertigung Neu. Zwischen den Regierungsmitgliedern und den Sozialpartnern habe es sehr konstruktive Gespräche gegeben, die in den substanziellen Fragen auch zu einer Einigung geführt haben. Die wesentlichsten Änderungen gegenüber dem Begutachtungsentwurf seien die gesetzliche Fixierung des Beitragssatzes sowie die Einhebung durch die Gebietskrankenkassen. Zudem wurde vereinbart, dass für die Zeiten der Elternkarenz und der Familienhospiz-Karenz Beiträge zu leisten sind, erläuterte der Ressortchef. (Schluss)