Parlamentskorrespondenz Nr. 1303 vom 19.11.2021

Nationalrat beschließt Verschärfungen im Vereins-, Waffen und Sprengmittelgesetz sowie Verbesserungen im EU-Grenzmanagement

Hitzige Debatten über Waffenrecht und Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission, Einhelligkeit bei EU-Informationssystem

Wien (PK) – Der Nationalrat debattierte heute zwei die inneren Angelegenheiten betreffende Regierungsvorlagen sowie einen Antrag zu Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission. Die erste Gesetzesänderung bezüglich des Vereins-, Waffen und Sprengmittelgesetzes im Rahmen der Terrorismusbekämpfung fand eine Mehrheit ohne die Stimmen der FPÖ, die eine Verschärfung des Waffenrechtes als nicht zweckmäßig erachtete. Die zweite Regierungsvorlage zur Einführung eines EU-weiten elektronischen Einreise- und Ausreisesystems wurde einstimmig beschlossen. Eine im Innenausschuss eingebrachte Entschließung der Regierungsfraktionen im Zusammenhang mit einem SPÖ-Antrag, der die Umsetzung der Empfehlungen der Kindeswohlkommission fordert, wurde mehrheitlich angenommen.

Terrorismusbekämpfung: Verschärfungen im Vereins-, Waffen- und Sprengmittelgesetz mehrheitlich angenommen

Nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 wurde ein Maßnahmenpaket entwickelt, nach dem Verschärfungen in den Bereichen des Waffen-, Vereins- und Sprengstoffmittelgesetzes vorgenommen werden sollen (1101 d.B.). Laut Regierungsvorlage seien bestimmte Personengruppen, insbesondere wegen eines Terrordelikts Verurteilte, vom Zugang zu Schusswaffen auszuschließen. Zudem sollen AnwärterInnen auf eine Waffenbesitzkarte hinsichtlich staatsschutzpolizeilicher Vormerkungen überprüft werden. Im Bereich des Vereinsgesetzes soll die Vereinsbehörde verpflichtet werden, im Falle der Ausübung eines Kultus von Vereinen deren Statuten an das Bundeskanzleramt (Kultusamt) zu übermitteln. Solche Kultus ausübende Vereine würden in die inneren Angelegenheiten einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft eingreifen, was laut Erläuterungen zu verhindern sei. Um terroristische Sprengstoffattentate zu erschweren, soll zudem das Übereinkommen über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens auf eine gesetzliche Basis gestellt werden.

Kritische Anmerkungen zu der Gesetzesänderung kamen von den freiheitlichen Abgeordneten Hannes Amesbauer und Volker Reifenberger. Sie sahen darin die weitere Verschärfung eines ohnehin strengen Waffengesetzes unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Terroranschläge könnten aber niemals mittels Waffengesetz verhindert werden, da sich Terroristen einerseits ohnehin illegal auch mit verbotenen Kategorie A-Waffen (Kriegsgerät) ausstatten und andererseits Attentate auch beispielsweise mit Fahrzeugen durchgeführt werden könnten, wie die Vergangenheit zeige. Der Innenminister versuche lediglich mit dieser "unzweckmäßigen Gesetzesänderung", von seinem Versagen im Vorfeld des Terroraktes im November 2020 abzulenken und das Waffenrecht für unbescholtene BürgerInnen weiter zu verschärfen, so Reifenberger. An sich müsse das Waffengesetz "so streng wie notwendig und so liberal wie möglich" gehalten werden, zeigte sich Hannes Amesbauer überzeugt.

Gänzlich anders beurteilten Sabine Schatz (SPÖ) und Meri Disoski (Grüne) die Regierungsvorlage. Beide verwiesen auf das Thema der Frauenmorde, von denen ein Drittel mit Schusswaffen begangen worden seien. Bisher seien bei ausgesprochenen Annäherungs- und Betretungsverboten den Betroffenen nicht obligatorisch die Waffen abgenommen worden. Dass sich das nun ändere, sei ein weiterer "wichtiger Puzzlestein im Kampf gegen geschlechterspezifische Gewalt", lobte Schatz die Verschärfungen. Auch der Attentäter von Wien sei bereits wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt worden, ohne, dass über ihn ein Waffenverbot verhängt wurde.

Die freiheitliche Kritik greife viel zu kurz, erwiderte auch Wolfgang Gerstl (ÖVP). Es gehe nicht nur um Waffenverbote, sondern um ein Gesetzespaket, das in Summe der Terrorismusbekämpfung dienen solle. Dazu gehöre auch die Verschärfung des Vereinsrechts, damit die Vereinsfreiheit nicht zur Kultusausübung missbraucht werde, denn dies obliege ausschließlich der anerkannten Religionsgemeinschaften. Diesen Aspekt strich auch Yannick Schetty (NEOS) positiv heraus und erinnerte daran, dass sich der Attentäter von 2020 in einem Moscheeverein radikalisierte, der nicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) angehörte. Die Regierungsvorlage wurde mehrheitlich, ohne die Stimmen der FPÖ, angenommen.

Einstimmigkeit bei EU-weitem elektronischen Einreise- und Ausreisesystem

Eine weitere Regierungsvorlage betrifft das EU-Grenzmanagement beziehungsweise dessen technische Umsetzung (1103 d.B.). Die bisher bestehenden EU-Informationssysteme zur Kriminalitätsbekämpfung und Grenzkontrolle sind den Erläuterungen zufolge nicht miteinander vernetzt, was das Risiko von Informationslücken erhöhe. Um diesem entgegenzuwirken, wurden von der EU mehrere Rechtsakte erlassen, die mit der nun eingebrachten Regierungsvorlage in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Die Rechtsakte beinhalten unter anderem eine Verordnung über ein gemeinsames, elektronisches Einreise- und Ausreisesystem (ESS), das automatisch die Aufenthaltsdauer berechnet, automatische Warnmeldungen für die Mitgliedsstaaten bei Überschreitungen generiert und biometrische Daten von Drittstaatsangehörigen speichert, um der Verwendung von Mehrfach- und Falschidentitäten entgegenzuwirken. Dies könne laut Regierungsvorlage auch für eine wirkungsvollere Migrationssteuerung zum Einsatz kommen.

Mit der Umsetzung dieser Verordnung werde auch der Rechtsrahmen des Schengener Informationssystems (SIS) erweitert, einer umfangreichen Datenbank, die zur Unterstützung der Kontrollen an den Außengrenzen und der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden herangezogen wird. Zusätzlich sollen neue Möglichkeiten der biometrischen Recherche und des automatischen Fingerabdruckabgleichs zwischen allen Mitgliedsstaaten eingesetzt werden. Zielsetzung der EU-Verordnungen sei die Gewährleistung eines hohen Maßes an Sicherheit durch die verbesserten Möglichkeiten der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität.

Wolfgang Gerstl (ÖVP) betonte die Relevanz sowohl einer verstärkten Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Datenbanken als auch der besseren Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten und EUROPOL bei der Kriminalitätsbekämpfung und beim Grenzmanagement. 18 Millionen Abfragen pro Tag würden täglich beim SIS einlangen. Darunter fielen durchschnittlich 777 Treffer, untermauerte Gerstl den Nutzen einer noch verbesserten Interoperabilität. Aufgrund eines Schreibfehlers brachte er einen Abänderungsantrag ein.

Grundsätzliche Zustimmung zur Regierungsvorlage signalisierten auch Reinhold Einwallner (SPÖ), Christian Ries (FPÖ) und Georg Bürstmayr (Grüne), gaben aber gleichzeitig zu bedenken, dass mit derart großen Mengen an persönlichen Daten vorsichtig umgegangen werden müsse. Es sei ein Trugschluss, dass mehr Daten automatisch mehr Sicherheit bedeuten würden, führte Einwallner aus, es gehe vielmehr auch um eine adäquate Datenanalyse und –verknüpfung. Auch hier bezog man sich auf den Attentäter von Wien, wo es weniger an der Datenmenge, als an deren richtigen Interpretationen gefehlt habe. Georg Bürstmayr zeigte sich über die sachliche Debatte zu dieser Frage erfreut und lobte den "professionellen Parlamentarismus". Die Gesetzesänderung wurde einstimmig angenommen.

Debatte über SPÖ-Antrag zu Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission

Außerdem wurde ein SPÖ-Antrag im Plenum behandelt, in dem sich Abgeordnete Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) für die Umsetzung der Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission einsetzt (1893/A(E)). In deren Abschlussbericht vom Juli 2021 wird unter anderem die eingehende Prüfung aller Entscheidungen im Rahmen des Asyl- und Fremdenrechts hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Kindeswohl empfohlen. Auch kindergerechte Verfahren, ein umfassendes Kinderrechte-Monitoring und die raschere Abwicklung der Verfahren werden darin angeregt.

Im Innenausschuss legten die Regierungsfraktionen darauf aufbauend einen Entschließungsantrag vor, in dem sich Ernst Gödl (ÖVP) und Georg Bürstmayr (Grüne) für die Sicherstellung der Obsorge von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen durch die Kinder- und Jugendhilfe ab dem ersten Tag aussprechen. Außerdem soll ein umfassendes Schulungsangebot für alle an Asylverfahren beteiligten Personen in Behörden, staatlichen Einrichtungen und Gerichten das Kindeswohl vermehrt in den Fokus rücken.

Mit dieser "Verschlankung des Entschließungsantrages auf einen Bruchteil der Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission auf ein völliges Minimum" zeigte sich Stephanie Krisper (NEOS) unzufrieden. Gut integrierte Kinder und Jugendliche würden auch abseits der medialen Aufmerksamkeit weiterhin abgeschoben werden und die Frage der Unterbringung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen werde nicht angesprochen. Diese steckten aktuell weiterhin im "Flaschenhals der Bundesbetreuung" fest und würden nicht rechtzeitig auf die Länder aufgeteilt werden. Es handle sich laut Krisper bei dem Antrag von ÖVP und Grüne um ein "grünes Feigenblatt". Kritisch äußerte sich auch Katharina Kucharowits (SPÖ) und kündigte an, bei den weiteren Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission "nicht locker zu lassen". Sie schlug ein umfassendes Hearing mit den ExpertInnen der Kommission im Parlament vor.

Verteidigt wurde der Regierungsantrag von Johanna Jachs (ÖVP) und Barbara Neßler (Grüne), die betonten, dass das Kindeswohl bereits jetzt einen zentralen Wert darstelle, der bei jeder Einzelfallentscheidung in Asylverfahren im Mittelpunkt stehe. Es handle sich hier um ein emotionales Thema, das jedoch sachlich diskutiert werden müsse, so Jachs. Die Betreuung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen werde so schnell wie möglich an die Bundesländer übertragen und auch die weiteren Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission würden ernst genommen. Der Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen fand eine Mehrheit im Plenum, der ursprüngliche Antrag der SPÖ wurde abgelehnt. (Fortsetzung Nationalrat) wit

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