Parlamentskorrespondenz Nr. 261 vom 11.03.2022

Hauptausschuss genehmigt Aufenthaltsrecht für Vertriebene aus der Ukraine

COVID-19-Impfpflicht wird bis Ende Mai ausgesetzt, weitere Verordnungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg

Wien (PK) – Der Hauptausschuss stimmte heute für das Aufenthaltsrecht für Personen, die aufgrund des Krieges aus der Ukraine vertrieben wurden. Mit der entsprechenden Verordnung des Innenministers wird ukrainischen StaatsbürgerInnen und Drittstaatsangehörigen, die bereits vor Kriegsbeginn einen Schutzstatus in der Ukraine hatten, das Aufenthaltsrecht in Österreich gewährt. Eine weitere, ebenfalls vom Ausschuss genehmigte Verordnung des Sozialministers, sorgt dafür, dass aus der Ukraine geflüchtete Menschen auch in die Krankenversicherung aufgenommen werden. Zustimmung gab es auch für eine Verordnung der Energieministerin, mit der eine gewisse Menge an Erdöl aus den österreichischen Reserven dem Mineralölmarkt zugeführt werden.

Die Anfang Februar in Kraft getretene Impfpflicht gegen COVID-19 wird vorübergehend ausgesetzt. Der Hauptausschuss stimmte der Verordnung zu, die die Pflicht zur Impfung und etwaige Strafen bis Ende Mai 2022 aussetzt.

Vertriebenen-Verordnung regelt Aufenthaltsrecht für Menschen aus der Ukraine

Mit den Stimmen von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS genehmigte der Hauptausschuss die sogenannte Vertriebenen-Verordnung (166/HA). Sie gewährt Personen, die ab dem 24. Februar 2022 aufgrund des Krieges aus der Ukraine flüchten mussten, ein Aufenthaltsrecht in Österreich. Dazu zählen ukrainische StaatsbürgerInnen und Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die vor dem 24. Februar einen Schutzstatus in der Ukraine hatten. Auch Familienangehörige, also EhepartnerInnen, minderjährige Kinder und sonstige enge Verwandte, sind vom Aufenthaltsrecht umfasst. Ukrainische Staatsangehörige, die bereits vor dem 24. Februar in Österreich waren und wegen des Krieges nicht in die Ukraine zurückkehren können, haben ebenfalls ein Aufenthaltsrecht – auch, wenn ihr Titel eigentlich nicht verlängert wurde oder ihr Visum abgelaufen ist. Das vorübergehende Aufenthaltsrecht gilt bis 3. März 2023 und verlängert sich automatisch um jeweils sechs Monate, längstens jedoch ein Jahr. Betroffenen Personen wird ein Ausweis von Amts wegen ausgestellt.

Mit der Verordnung wird die auf EU-Ebene reaktivierte Massenzustrom-Richtlinie für Österreich umgesetzt. Die Kosten für die Grundversorgung der aufgenommenen Personen teilen sich Bund und Länder im Verhältnis 60:40, wird vom Ministerium angeführt. Man geht von ca. 50.000 bis 60.000 Menschen aus, die nicht bloß kurzfristig nach Österreich kommen. Für den Zeitraum 2022-2026 rechnet man daher mit einem budgetären Mehraufwand von 958 Mio. €. Kosten für eine rasche Schaffung von Quartieren fallen zusätzlich an, können aber derzeit noch nicht abgeschätzt werden, weil die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern noch laufen.

Opposition kritisiert Verordnung

Kritik an der Verordnung kam von den Freiheitlichen. Für Dagmar Belakowitsch (FPÖ) stehe es außer Frage, dass ukrainischen StaatsbürgerInnen geholfen werde. Dadurch, dass auch Drittstaatsangehörige von der Regelung umfasst sind, werde für sie aber Tür und Tor für Missbrauch geöffnet. Sie fragte, wie man kontrollieren wolle, ob jemand tatsächlich in der Ukraine war oder das nur behaupte. Auch zu den Aufnahmekapazitäten, der Unterbringung und den Bildungschancen für Kinder aus der Ukraine waren für sie noch viele Fragen offen. Für Susanne Fürst (FPÖ) ist der Personenkreis ebenfalls zu weit gefasst. Man müsse genau darauf achten, dass die "echten Bedürftigen" nicht unter die Räder geraten durch Personen, die die Situation ausnützen. Ein Problem sah sie auch in der "Einladungspolitik" der Regierung, die kein Limit für die Aufnahme von Geflüchteten gesetzt habe.

Stephanie Krisper (NEOS) bezeichnete es als "verstörend, wie dilettantisch die Bundesregierung in der aktuellen Krise vorgeht" und meinte damit sowohl den Inhalt der Verordnung als auch die Geschwindigkeit. Sie ortete Probleme im System der Grundversorgung, das seit Jahren nicht auf eine größere Anzahl an Menschen ausgerichtet sei. Außerdem führte sie an, dass Personen, die in einem Quartier untergebracht sind, den Platz dort verlieren, wenn sie mehr als 110 € im Monat verdienen. Krisper kritisierte zudem, dass die Verordnung den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht regle und fragte, ebenso wie Nikolaus Scherak (NEOS) nach, was hier geplant sei.

Petra Bayr (SPÖ) betonte, die Verordnung sei nötig. In der Umsetzung sah sie jedoch Fehler. Es sei ungelöst, was mit den rund 80.000 Studierenden passiere, die aus Drittstaaten für das Studium in der Ukraine waren. Weder für sie noch für ArbeitnehmerInnen, die vor dem 24. Februar einen legalen Aufenthaltstitel in der Ukraine hatten, gelte die Verordnung. "Alle Menschen, die jetzt aus der Ukraine fliehen, fliehen vor demselben Krieg", sagte Bayr. Eine Differenzierung sei hier nicht angebracht.

Katharina Kucharowits (SPÖ) stellte die Frage, was die Regierung davon abgehalten habe, alle Menschen, die in der Ukraine leben, in die Verordnung aufzunehmen. Michel Reimon (Grüne) konterte, man habe sich bei den Verhandlungen im Rahmen der bestehenden Gesetze bewegt, und konnte darüber hinaus leider nicht viel erreichen. Die verschärften gesetzlichen Rahmenbedingungen stammten jedenfalls von der damaligen rot-schwarzen Bundesregierung.

Edtstadler: Rasche Hilfe ist wesentlich

Ministerin Karoline Edtstadler wies die Kritik zurück, dass die Regierung zu langsam reagiert habe. Es sei wesentlich, rasch zu helfen. Dass die Verordnung an Tag 16 des Krieges zum Beschluss vorliege, sei rasch und gut. Man wisse noch nicht, wie viele Menschen wirklich nach Österreich kommen. Viele würden es bevorzugen, in den Grenzregionen zu bleiben, um möglichst rasch zurückkehren zu können. Die Bildung der Kinder bezeichnete sie als eine der größten Herausforderungen. Weil Edtstadler in Vertretung des Innenministers im Ausschuss war, verwies sie für die Beantwortung der Fragen auf den im Innenministerium zuständigen Gruppenleiter.

Er führte mit Blick auf die Vorbehalte der FPÖ aus, dass das Prozedere der Aufnahme bei ukrainischen StaatsbürgerInnen und Drittstaatsangehörigen unterschiedlich sei. Die meisten StaatsbürgerInnen können laut dem Vertreter des Innenressorts einen Reisepass vorweisen. Nach einer Erstregistrierung bei der Exekutive werde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl tätig und stelle einen sogenannten "Ausweis für Vertriebene" aus. Dieser Prozess soll wenige Tage in Anspruch nehmen. Bei Drittstaatsangehörigen mit Schutzstatus in der Ukraine liege in der Regel ein Flüchtlingsreisedokument vor, das auch auf Fälschung überprüft werden kann. Wenn jemand keine Unterlagen habe, werde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Ermittlungsverfahren einleiten, bevor der Ausweis für Vertriebene ausgestellt wird. Das sei kein unüblicher Vorgang. Wenn sich herausstellt, dass die Person sich fälschlicherweise als Drittstaatsangehörige/-r mit Schutzstatus in der Ukraine deklariert habe, gebe es ein Rückkehrverfahren.

Bei der Unterbringung seien Bund und Länder gefragt, Wohnraum zu schaffen. Man gehe von zusätzlichen 50.000 notwendigen Plätzen aus. Mehrere Abgeordnete fragten nach einer Valorisierung der Tagsätze, die der Bund an die Länder für die Grundversorgung von Geflüchteten zahlt. Es gebe hier seit Jänner konkrete Gespräche, so der Experte. Das Ziel des BMI sei es, rasch eine Lösung zu finden. Zur von der Abgeordneten Krisper (NEOS) angesprochenen Verdienstgrenze von 110 € sagte der Gruppenleiter, dass es sich um einen Richtwert handle und auch Teilleistungen der Grundversorgung in Anspruch genommen werden können.

Der Experte aus dem Innenministerium berichtete zudem von den Erfahrungen der vergangenen 14 Tage mit den Schutzsuchenden. Etwa 83% davon seien Frauen oder Kinder. Bei der zuständigen Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) seien bisher rund 12.000 Anfragen von Vertriebenen aus der Ukraine behandelt worden. Knapp 6.000 private Angebote für Unterkünfte für fast 27.000 Menschen seien zudem eingelangt. Die BBU sei auch jene Stelle, die Beratung und Unterstützung bei einer Rückkehr anbiete. Insbesondere für die von Abgeordneter Bayr (SPÖ) angesprochenen internationalen Studierenden sei hier ein Paket geschnürt worden. Das BMI sei zudem bereit, mit den jeweiligen Botschaften Kontakt aufzunehmen.

Zugang zu Krankenversicherung für Personen aus der Ukraine

Mit einer weiteren Verordnung (164/HA) werden Personen, die sich ab dem 24. Februar 2022 wegen der kriegerischen Ereignisse in der Ukraine vorübergehend in Österreich aufhalten, in die Krankenversicherung einbezogen. Damit sollen sie einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. Die Verordnung wurde einstimmig gebilligt.

Die Maßnahme ist vorläufig bis 31. Dezember 2023 befristet. Die Pflichtversicherung beginnt mit dem Tag der Ankunft in Österreich und endet, wenn das Land wieder verlassen wird. Es sind sowohl Personen umfasst, die ab dem 24. Februar nach Österreich gekommen sind, als auch jene, die sich bereits länger in Österreich aufhalten, aber aufgrund des Krieges nicht mehr in die Ukraine zurückkehren können. Die Verordnung zielt auf Personen ab, die nicht ohnehin bereits etwa als AsylwerberInnen in die Krankenversicherung einbezogen sind. Die Auswirkungen auf das Budget sind laut Sozialministerium noch nicht abschätzbar, weil nicht klar ist, wie viele Personen nach Österreich kommen. Pro Person geht man von einem Beitrag von 94,26 € im Monat aus.

Es handle sich beim Krieg in der Ukraine um eine Situation, die man sich so nicht vorstellen konnte, sagte Sozialminister Johannes Rauch. Das Anliegen der Regierung sei, den betroffenen Personen einen uneingeschränkten und gesicherten Zugang zu medizinischer Versorgung zu geben.

Österreich gibt Teil der Erdöl-Reserven für den Markt frei

Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg steht auch eine weitere, im Ausschuss einstimmig genehmigte, Verordnung der Energieministerin (163/HA). Damit werden 387.000 Barrel Erdöl aus den österreichischen Pflichtnotstandsreserven freigegeben und dem Mineralölmarkt zugeführt. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat zur Stabilisierung des Mineralölmarkts aufgrund der Ukraine-Krise die Freigabe von 60 Millionen Barrel beschlossen. Der österreichische Anteil an dieser "Collective Action" beträgt 387.000 Barrel. Die Erdöl-Lagergesellschaft wird mit der Verordnung angewiesen, diese Menge für 30 Tage aus ihren Rohölbeständen dem Markt zuzuführen.

Laut Begründung handelt es sich um völkerrechtliche Verpflichtungen zu Notstandsmaßnahmen aufgrund von Beschlüssen von Organen internationaler Organisationen, die die entsprechenden Lenkungsmaßnahmen rechtfertigen. Ebenfalls in den Erläuterungen wird angeführt, dass Österreich als EU-Mitglied verpflichtet ist, Erdölvorräte zu halten, die den durchschnittlichen Nettoöleinfuhren von 90 Tagen entsprechen. Durch die nun freizugebende Menge reduzieren sich die österreichischen Pflichtnotstandsreserven um zwei Tage von 91,8 auf 89,8 Tage. Durch Lagerbestände von Dritten, die zwischen 1,5 und 1,8 Tagen liegen, bleibt die Bevorratungspflicht von 90 Tagen dennoch erfüllt.

Der Angriffskrieg Russlands habe massive Auswirkungen auf die Energiemärkte weltweit, sagte Energieministerin Leonore Gewessler. Es komme zu Schwierigkeiten bei den Lieferwegen und zu enormen Preisausschlägen. Die Versorgungssicherheit in Österreich sei dennoch gegeben. Die Freigabe eines kleinen Teils aus den Notstandsreserven ist für Gewessler ein wichtiges Signal der Solidarität und für die Beruhigung der Märkte.

Corona-Impfpflicht wird bis Ende Mai ausgesetzt

ÖVP, Grüne, FPÖ und NEOS stimmten im Ausschuss für die vorübergehende Aussetzung der Corona-Impfpflicht. Die entsprechende Verordnung (165/HA) sei nach eingehender Prüfung des Berichts ausgearbeitet worden, den die im Bundeskanzleramt eingerichtete ExpertInnenkommission erstellt hat, heißt es in der Begründung von Seiten des Gesundheitsministeriums. Bis 31. Mai 2022 gibt es demnach weder die Pflicht, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, noch Strafen bei Verstößen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch legte dar, dass laut Einschätzung der Kommission die Impfpflicht derzeit kein angemessenes Mittel ist, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Im Mai werde es den nächsten Bericht geben, nach dem neu entschieden werde. Er wolle aber nicht auf den Bericht warten, um weiter an dem Ziel zu arbeiten, möglichst viele Menschen zum Impfen zu bewegen.

Für Josef Smolle (ÖVP) ist das COVID-19-Impfpflichtgesetz ein Rahmengesetz, das die notwendige Flexibilität ermögliche. Aufgrund der derzeitigen Situation in der Pandemie sei eine Impfpflicht nicht verhältnismäßig, weshalb das Aussetzen ein klares, transparentes und verantwortungsbewusstes Vorgehen sei. Auch Ralph Schallmeiner (Grüne) betonte, die Kommission habe getan, wofür sie eingesetzt worden sei. Die Regierung folge nun der Empfehlung. Nikolaus Scherak (NEOS) befürwortete zwar die Aussetzung, äußerte aber Zweifel, ob nun ausreichend Menschen zur Impfung motiviert werden können. Dagmar Belakowitsch (FPÖ) zeigte sich erfreut über das Aussetzen der Impfpflicht. Ein echter Jubeltag könne es aber erst sein, wenn das "Unrechtsgesetz tatsächlich Geschichte ist", so die Abgeordnete.

Robert Laimer (SPÖ) sah in der Aussetzung der Impfpflicht eine "Kapitulation vor dem Virus" und eine beschämende, verantwortungslose Entwicklung. Aus seiner Sicht könne die Verordnung nur abgelehnt werden.

Ernennungen zu Parteien-Transparenz-Senat

Einhellig genehmigten die Ausschussmitglieder den Vorschlag von Ministerin Karoline Edtstadler, Wolfgang Pallitsch als Vorsitzenden und Christoph Bezemek als dessen Stellvertreter des Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senats zu ernennen (156/HA). Der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat ist eine durch Verfassungsbestimmung unabhängig gestellte Behörde. Sie ist zur Verhängung von Geldbußen und Geldstrafen bei Verstößen gegen bestimmte Regelungen des Parteiengesetzes beim Bundeskanzleramt eingerichtet. Die Mitglieder sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. (Schluss Hauptausschuss) kar