Parlamentskorrespondenz Nr. 495 vom 12.05.2022

Länder erhalten mehr Spielraum bei Gewährung von Sozialhilfe

Novelle zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz erhielt im Sozialausschuss Zustimmung von ÖVP, Grünen und NEOS

Wien (PK) – Die Länder erhalten mehr Spielraum bei der Gewährung von Sozialhilfe. Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute den Weg für eine erst vor kurzem von den Koalitionsparteien vorgelegte Novelle zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz geebnet. Demnach soll etwa eine neue Härtefallklausel für mehr Flexibilität sorgen. Auch bei betreuten Wohnformen und bei der Anrechnung des 13. und 14. Monatsgehalts für Niedrigverdiener:innen wird es künftig eine gewisse Gestaltungsfreiheit geben. An den Eckpfeilern des Grundsatzgesetzes wird mit der Novelle allerdings nicht gerüttelt, so bleibt etwa weiterhin ein bundesweiter Maximalbetrag vorgeschrieben.

Der Beschluss erfolgte mit Zustimmung von ÖVP, Grünen und NEOS. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz habe einige unbeabsichtigte Härten gebracht, diese würden nun zu einem guten Teil behoben, hielt Grünen-Sozialsprecher Markus Koza fest. Kaum tatsächliche Verbesserungen sieht hingegen die SPÖ: Es liege in fast allen Punkten im Ermessen der Länder, ob sie den Spielraum nutzten, gaben die Abgeordneten Verena Nußbaum und Gabriele Heinisch-Hosek zu bedenken. "Uns ist das zu wenig", stellte Heinisch-Hosek unmissverständlich fest. Für die FPÖ geht die Gesetzesnovelle, abseits der Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen, hingegen überhaupt in die falsche Richtung, wie Abgeordneter Wurm betonte.

Basis für den Beschluss im Ausschuss bildete ein von ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Grünen-Sozialsprecher Markus Koza eingebrachter Gesetzesantrag (2490/A). Seit Inkrafttreten des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes mit Juni 2019 habe es zuvor nicht absehbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder die Fluchtbewegung aus der Ukraine gegeben, man müsse auf die seither gemachten Erfahrungen reagieren, wird die Initiative begründet.

Die neue Härtefallklausel ermöglicht es den Ländern etwa, auch Personen Sozialhilfe zu gewähren, die nicht in den allgemeinen Geltungsbereich des Gesetzes fallen, sofern Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht anderweitig gesichert werden können. Voraussetzung ist ein rechtmäßiger Aufenthalt der Betroffenen in Österreich. Das betrifft etwa Personen mit humanitärem Bleiberecht, die ohne Sozialhilfe auch keine krankenversicherungsrechtliche Absicherung haben. Um zu dokumentieren, welche Auswirkungen diese Härtefallklausel hat, müssen die Länder darauf basierende Leistungen explizit im Rahmen der jährlichen Sozialhilfestatistik ausweisen.

Ausdrücklich festgehalten wird außerdem, dass krisenbedingte Sonderleistungen des Bundes nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen sind, wenn für diese Leistungen ein übergeordnetes gesamtstaatliches Interesse besteht. Auch Pflegegeld soll nicht mehr berücksichtigt werden, und zwar nicht nur wie bisher bei der bezugsberechtigten Person, sondern auch bei pflegenden Angehörigen im gemeinsamen Haushalt.

Was die Anrechnung des 13. und 14. Monatsgehalts bei Personen betrifft, die neben ihrem Arbeitseinkommen Sozialhilfeleistungen beziehen, liegt laut Antrag die Entscheidung künftig bei den Ländern. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit zielgruppenspezifische betreute Wohnformen, die zu einem wesentlichen Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, von der Definition als Haushaltsgemeinschaft ausgenommen werden. Das betrifft etwa Wohneinheiten und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung, Frauen, Jugendliche und Obdachlose. Betroffene könnten damit in Hinkunft wieder die volle Sozialhilfe erhalten, wobei die Länder für die Ausgestaltung der Ausführungsgesetze dem Antrag zufolge sechs Monate ab Inkrafttreten der Novelle Zeit haben werden.

Grüne: Für weiterreichende Verbesserungen keine Mehrheit

Im Rahmen der Debatte kritisierte Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) nicht nur die vorliegende Gesetzesnovelle, sondern auch insgesamt die Sozialpolitik der Regierung. Sie würde Österreich nicht mehr als starken Sozialstaat bezeichnen, meinte sie. Auch der vorliegende Entwurf bringe keine realen Verbesserungen, was die Bekämpfung von Armut betrifft. Wenn "Türkis-Blau" etwas Unsoziales geschaffen habe, heiße das nicht, dass das unter "Türkis-Grün" bleiben müsse, machte sie geltend. Ihre Parteikollegin Verena Nußbaum wies darauf hin, dass nur die neue Pflegegeldregelung für die Länder verpflichtet sei, alle anderen Verbesserungen würden in deren Ermessen liegen.

Es mache wenig Sinn, von etwas zu träumen, wofür es keine Mehrheit gibt, hielt Grünen-Sozialsprecher Markus Koza dazu allgemein fest. Er zeigte sich über die vorliegende Novelle erfreut, es seien wesentliche Schritte gemacht worden. So müsse man künftig Alleinerzieher:innen, die ihren Lohn durch Sozialhilfe aufstocken müssen, in jenen Monaten, in denen sie das 13. und 14. Gehalt bekommen, die Sozialhilfe nicht mehr kürzen, brachte er als Beispiel vor. Das würde für 14.000 Menschen im Land Verbesserungen bringen. Zudem wies er auf bestehende Härten für Menschen mit humanitärem Bleiberecht hin, die in Corona-Zeiten auch aus der Krankenversicherung gefallen sind.

Neben Koza äußerten sich auch die ÖVP-Abgeordneten Kira Grünberg und Bettina Zopf ausdrücklich positiv zur Gesetzesnovelle. So hob Grünberg die Verbesserungen für Menschen mit Behinderung hervor, etwa was die geänderte Definition von Haushaltsgemeinschaften und die Anrechnung von Pflegegeld betrifft. Zopf erwartet sich außerdem einen Bürokratieabbau. Dass letztendlich die Länder entscheiden, ob sie den eingeräumten Spielraum tatsächlich nutzen, begründete Zopf mit den in der Verfassung festgeschriebenen Länderkompetenzen, der Bund könne im Bereich der Sozialhilfe nur Grundsätze festlegen.

Seitens der NEOS beurteilten Gerald Loacker und Fiona Fiedler einzelne Punkte des Gesetzes positiv, wiewohl auch Fiedler bedauerte, dass es sich bei den Verbesserungen für Menschen mit Behinderung teilweise nur um Kann-Bestimmungen handelt. Loacker hinterfragte außerdem, warum das Gesetz nicht in Form einer Regierungsvorlage eingebracht und zuvor in Begutachtung geschickt wurde.

FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm wertete das Gesetz als Entgegenkommen der ÖVP an die Grünen. Da es insgesamt in die falsche Richtung gehe, werde die FPÖ trotz der Verbesserungen für Menschen mit Behinderung dagegen stimmen, sagte er. Kritisiert wurde von Wurm auch, dass es in Österreich immer noch ein "Blackbox" bei der Mindestsicherung gebe, nach wie vor gebe es nur wenige "vernünftige" statistische Auswertungen.

Vorläufig keine Stellungnahme zum Gesetzentwurf konnte Sozialminister Johannes Rauch abgeben, da er bei Beratungen im Bundesrat war. Fragen von Abgeordnetem Gerald Loacker beantwortete eine Vertreterin des Ministeriums: Demnach beziehen derzeit rund 14.000 Personen neben einem Erwerbseinkommen Sozialhilfe, inklusive Lehrlinge. Über etwaige Einmeldungen der Sozialhilfe in die Transparenzdatenbank konnte sie aufgrund der Zuständigkeit des Finanzministeriums keine Auskunft geben. Insgesamt gehe es bei der Novelle stark um Klarstellungen und das Schließen von Lücken, hieß es seitens des Ministeriums. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs


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