Parlamentskorrespondenz Nr. 555 vom 24.05.2022

Volksanwaltschaft verzeichnet 2021 Beschwerdeanstieg um 32%

23.633 Beschwerden, 11.516 Prüfverfahren, 1.834 Missstände, 570 Präventivkontrollen

Wien (PK) – Im Jahr 2021 wandten sich 23.633 Menschen – 32% mehr als 2020 - mit Beschwerden über die Verwaltung Österreichs an die Volksanwaltschaft. Das geht aus dem jüngsten Bericht des Kontrollorgans des Nationalrats hervor (III-531 d.B. und III-783-BR/2022 d.B.). Pro Arbeitstag wurden demnach im Durchschnitt 95 Anliegen an die Volksanwaltschaft herangetragen. Zahlreiche Fragen und Unsicherheiten seitens der Bürger:innen hätten die sich immer wieder ändernden COVID-19-Regelungen herbeigeführt, halten die Volksanwälte Werner Amon, Bernhard Achitz und Walter Rosenkranz in ihrem Vorwort fest. Zudem habe die COVID-19-Pandemie für viele Menschen zu einer sozialen und finanziellen Notlage geführt, wodurch die Volksanwaltschaft noch mehr gefordert wurde.

Im Zusammenhang mit dem Pandemiemanagement fielen 2021 auch im Schulbereich weit mehr (+60%) Geschäftsfälle als sonst an, vor allem wegen Beschwerden über Maßnahmen, die von Betroffenen als ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig gewertet wurden. An der Finanzverwaltung sowie der COFAG (Covid-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH) wurde kritisiert, dass beantragte Corona-Hilfszahlungen an Unternehmen  oft nicht zeitgerecht ausbezahlt wurden, zum Schaden für die Unternehmer:innen.

Bei der präventiven Menschenrechtskontrolle besuchten die Kommissionen der Volksanwaltschaft im Vorjahr 541-mal Einrichtungen, in denen Menschen festgehalten werden. Außerdem wurden 13 Round-Table-Gespräche mit Einrichtungen und übergeordneten Dienststellen geführt. Als übergreifendes Problem in Krankenhäusern beziehungsweise Psychiatrien, Alters- und Pflegeheimen, bei der Unterbringungen für Menschen mit Behinderung, den Anhaltezentren und Gefängnissen stellte sich dabei der akute Personalmangel heraus. Menschenrechtsverletzungen aufgrund überlasteter Betreuungspersonen könnten durch rasche Verbesserung der Personalausstattung in den Einrichtungen vermieden werden, so die Volksanwaltschaft.

Verwaltungsprüfungen bei 49% der Fälle

In 49% Prozent der Fälle (11.516) leitete die Volksanwaltschaft ein offizielles Prüfverfahren ein, in 1.834 Verfahren wurde ein Missstand bei einer Behörde aufgedeckt. Eine Bearbeitung von Beschwerden außerhalb des Prüfauftrags erfolgte 5.187-mal, etwa durch Informationen zur Rechtslage. Grundsätzlich bezieht sich die Prüftätigkeit der Volksanwaltschaft auf Bundesebene auf die gesamte öffentliche Verwaltung, also auf alle Behörden und Dienststellen, die Bundesgesetze vollziehen. Außerdem kontrolliert die Volksanwaltschaft die Landes- und Gemeindeverwaltung in sieben Bundesländern, nur Tirol und Vorarlberg haben eigene Landesvolksanwaltschaften. Die meisten der insgesamt 2.832 bundeslandbezogenen Prüfungen entfielen auf Wien (40%), gefolgt von Niederösterreich (19,1%) und Oberösterreich (12,8%). An Budgetmitteln standen der Volksanwaltschaft 2021 12.431.000 € zur Verfügung, wovon 7.293.000 € auf den Personalaufwand entfielen. Die 90 Planstellen des Kontrollorgans umfassen nicht die 61 Mitglieder der Kommissionen zur Menschenrechtskontrolle, die 34 Mitglieder und Ersatzmitglieder des Menschenrechtsbeirats sowie die 11 Mitglieder der Rentenkommission gemäß Heimopfergesetz (HOG).

Soziales und Gesundheit: Bund und Länder säumig im Corona-Management

Wie schon in den Jahren davor war auch 2021 der Bereich Soziales jener mit dem größten Beschwerdeaufkommen. In 2.739 Verfahren (31%) ging es um Beschwerden über Krankenversicherungen, den Umgang mit Menschen mit Behinderung und COVID-19-Maßnahmen. Hinsichtlich Pandemiemanagement kritisiert die Volksanwaltschaft, dass die verbindlichen Vorgaben des Gesundheitsministeriums zur Priorisierung von Hochrisikogruppen für die Impfung,  von den Ländern nicht immer eingehalten wurden, es habe an funktionierenden Anmeldesystemen und an ausreichend Zugang zu Testkits gefehlt und auf Expertisen der Sozialversicherung sei kaum zurückgegriffen worden. Zudem wurde in Hinblick auf die COVID-19-Verordnungen 2021 die Rechtslage oft kurzfristig geändert und unklar kommuniziert, wodurch sich die allgemeine Verunsicherung weiter verstärkt habe. Wer wann mit welchem Impf-, Antikörper-, Test- oder Genesungszertifikat wohin durfte, sei für viele Menschen nicht durchschaubar gewesen. Viele Betroffene beschwerten sich etwa, weil ihnen trotz erfolgter dritter Impfung kein entsprechendes Zertifikat für den Grünen Pass ausgestellt worden war. Zu Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber kam es laut Bericht für viele, weil Absonderungsbescheide zu spät eintrafen oder inkorrekt waren. Aus Sicht der Volksanwaltschaft hätte die Bundesregierung hier für mehr Planungsklarheit sorgen müssen.

Organisationsmängel an Schulen und bei Corona-Hilfen

90 von insgesamt 206 dem Bildungsministerium zugeordnete Geschäftsfälle standen laut Volksanwaltschaftsbericht in Zusammenhang mit Corona-Schutzmaßnahmen. Neben Unklarheiten und Schikanen - etwa das Ignorieren der Maskenbefreiung einzelner Lehrkräfte und Schüler:innen - bemängelt das Kontrollorgan, dass das Ministerium offenbar mangelnde Qualität des Fernunterrichts in Kauf genommen habe. So hätten Lehrkräfte selbst für die nötige Ausstattung Sorge tragen müssen, ohne eine Refundierung zu erhalten.

Beschwerden an die Volksanwaltschaft ergingen überdies wegen als zu lang empfundener Bearbeitungsdauern von wirtschaftlichen Hilfen für Unternehmen zur Bewältigung der finanziellen Auswirkungen der Pandemie. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützte hier die Volksanwaltschaft und erreichte beispielsweise für einen Gewerbetreibenden eine neuerliche Abschlussprüfung durch das Wirtschaftsministerium, die ihm die Auszahlung der COVID-19-Investitionsprämie ermöglichte.

Verzögerungen bei Familienbeihilfe

Ein sozialpolitischer Bereich, der im Vorjahr viele Menschen – mehr als 400 - zur Volksanwaltschaft brachte, waren familienbezogene Leistungen wie Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld und Wochengeld. Anlass waren unter anderem monatelange Verzögerungen bei der Auszahlung der Familienbeihilfe, die die Volksanwaltschaft einerseits auf COVID-19 zurückführt, andererseits auch auf die Umstrukturierung der Leistungsabwicklung im Rahmen von "Finanzamt Österreich". Besonders betroffen seien Familien mit mehreren Kindern gewesen beziehungsweise jene, die die erhöhte Familienbeihilfe beziehen und daher oft hohe Ausgaben für Therapien, Betreuung oder Hilfsmittel vorstrecken mussten.

Keine Pauschalentschädigung für Heimopfer

2017 beschloss der Nationalrat das Heimopferrentengesetz (HOG) für Personen, die als Kinder oder Jugendliche in Einrichtungen und bei Pflegefamilien misshandelt und gequält wurden. Anspruchsberechtigte erhalten eine monatliche Zusatzrente von 347,40 €, wobei die Rentenkommission der Volksanwaltschaft neue Anträge bewertet. 2021 befürwortete sie 192 von 212 Anträgen. Kritik übt die Volksanwaltschaft daran, dass einige Opferschutzstellen die Auszahlungen bereits eingestellt hätten und sie kritisiert die bestehende Gesetzeslage betreffend Anspruchsberechtigung. Derzeit bekommen laut Volksanwaltschaft jene Menschen, die wegen Arbeitsunfähigkeit schon vor dem Pensionsalter Anspruch darauf hätten, aber wegen des Einkommens der Partnerin beziehungsweise des Partners keine Mindestsicherung erhalten, auch die HOG-Zusatzrente nicht.

Asyl: Schleppende Aufenthaltsverfahren

Im Bereich Inneres, den 22,3% der Fälle betrafen, wurde bei Beschwerden über Aufenthaltstitelverfahren eine starke Steigerung verzeichnet. Verzögerungen gebe es hier vor allem im Fall von fremdenpolizeilichen Ermittlungen sowie bei Ermittlungen wegen möglicher Aufenthaltsehen. Untätigkeit seitens des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bemerkten die Volksanwälte zudem bei Anträgen auf eine "Rot-Weiß-Rot-Karte plus", die Drittstaatangehörige zum befristeten Aufenthalt und zu einem uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang berechtigt. Durch die nach der Flüchtlingswelle 2015/16 erfolgte Personalaufstockung im BFA sowie die rückläufige Zahl an Asylanträgen sei die Anzahl der Prüfverfahren über die Dauer von Asylverfahren hingegen weiter rückläufig.  

Justizanstalten: Pandemie verschärfte Probleme

In der Justiz blieb das 2020 stark gestiegene Beschwerdeaufkommen auch 2021 auf hohem Niveau, 14 % der Prüfverfahren entfielen auf diesen Bereich. Kernthemen waren Mängel im Strafvollzug und bei der Dauer von Gerichtsverfahren beziehungsweise Verfahren bei der Datenschutzbehörde. Eigene Sprechtage in Justizanstalten bieten der Volksanwaltschaft die Möglichkeit zum Austausch mit Leitung und Beschäftigten im Straf- und Maßnahmenvollzug. Mit zunehmender Dauer der Pandemie sei dabei eine wachsende Anspannung in den Gefängnissen rückgemeldet worden, sowohl bei den Inhaftierten als auch dem Personal.

Besorgniserregend nennt die Volksanwaltschaft die steigende Zahl an Selbstmordversuchen unter im Straf- und Maßnahmenvollzug angehaltenen Personen. Anhand eines Suizids eines Gefängnisinsassen wird im Bericht geschildert, wie es aufgrund einer Unterschätzung der Selbstmordgefahr zum Versagen der Fachdienste kam. 2021 erhielt die Volksanwaltschaft insgesamt 46 Meldungen über Suizide und Suizidversuche von im Straf- und Maßnahmenvollzug angehaltenen Personen. Eine Sensibilisierung der Bediensteten wurde seitens der Justizanstalten zugesagt.

Mangel an Kassenärzt:innen

Der Mangel an Kassenärztinnen und Kassenärzten in Österreich ist der Volksanwaltschaft zufolge besonders in der Kinderheilkunde, aber auch bei Zahnärzt:innen eklatant. Um den Zulauf von Absolvent:innen eines Medizinstudiums zu Wahlarztpraxen einzudämmen, reagierte die Sozialversicherung mit Honorarerhöhungen für Kassenärztinnen und Kassenärzte sowie mit dem Angebot neuer Zusammenarbeitsformen, etwa Gruppenpraxen und Primärversorgungszentren. Von der Volksanwaltschaft werden diese Bemühungen begrüßt, sie erwartet aber weitere Maßnahmen, um Versorgungslücken zu schließen, etwa die Lockerung von Zugangsbeschränkungen zum Medizinstudium. Außerdem seien mehr Kassenplanstellen zu schaffen. Als "Dauerbaustelle" aufgrund unzureichender Versorgungsangebote wird im Bericht die Kinder- und Jugendpsychiatrie angeführt. Seitens der Volksanwaltschaft heißt es, eine Erweiterung des aktuellen Ausbildungsschlüssels sei dringend notwendig, um fehlendes Personal im stationären Bereich und darüber hinaus zu kompensieren.

Präventive Menschenrechtskontrolle: Hauptproblem Personalmangel

Zur Gewährleistung menschenrechtlicher Standards und der Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung prüft die Volksanwaltschaft mit eigenen Kommissionen seit 2012 Einrichtungen, in denen Menschen angehalten werden, also Altersheime, Krankenhäuser, Psychiatrien, Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie für Menschen mit Behinderungen sowie den Straf- und Maßnahmenvollzug. 29-mal wurden 2021 zudem Polizeieinsätze begleitet, außerdem engagierten sich Mitarbeiter:innen von Volksanwaltschaft und Kommissionen bei der Polizei- und Justizwacheausbildung. Für den Straf- und Maßnahmenvollzug wurde in der Volksanwaltschaft neben den bestehenden sechs Kommissionen zur Menschenrechtskontrolle, am 1. Juli 2021 eine eigene Expert:innen-Kommission eingerichtet.

In 63 % aller präventiven Kontrollen sahen sich die Kommissionen veranlasst, die menschenrechtliche Situation zu beanstanden. Die schon vor Corona angespannte Personallage in den kontrollierten Bereichen habe sich mit der Pandemie noch mehr verschärft, so die Volksanwaltschaft. Fehlendes Pflegepersonal führe beispielsweise in vielen Krankenhäusern und Psychiatrien zu unzureichender Besetzung bei den Nachtdiensten, weswegen unter anderem berufsbegleitende Ausbildungen in diesem Bereich erleichtert werden sollten. Für eine qualitativ hochwertige Patient:innenversorgung sei zudem ein umfassendes therapeutisches Angebot in einem multi- und interprofessionellen Team nötig.

Mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung

Bei ihren Besuchen in 83 Wohneinrichtungen, Werkstätten und Tageszentren für Menschen mit Behinderung stellten die Kommissionen der Volksanwaltschaft wiederholt fest, dass diese Personengruppe trotz engagierter Betreuung kein selbstbestimmtes Leben führen kann. Ein umfassender Ausbau der persönlichen Assistenz ist in den Augen der Volksanwälte hoch an der Zeit, um Menschen mit Behinderung die von den meisten Personen als selbstverständlich empfundenen Wahlfreiheiten zu geben.

Für ausreichend Wohnformen mit individualisierter und multiprofessioneller Unterstützung, auf die Menschen mit chronischen Erkrankungen beziehungsweise komplexen psychiatrischen Diagnosen Anspruch haben, fehlten ebenfalls die finanziellen Ressourcen, merkt die Volksanwaltschaft an. Die Folge seien massive Versorgungsdefizite und häufige Fehlplatzierungen, auch von sehr jungen Menschen.

Corona-Maßnahmen auf Verhältnismäßigkeit prüfen

Aufgrund der sich ändernden COVID-19-Infektionszahlen wurden in den Justizanstalten Freigänge teilweise stark eingeschränkt beziehungsweise ausgesetzt. Zur Abwendung negativer Konsequenzen für die Strafgefangenen rät die Volksanwaltschaft, pandemiebedingte Beschränkungen ehestmöglich wieder aufzuheben. Immerhin müssten Betroffene bei noch längerem Fernbleiben von der Arbeit, den Verlust einer Jobzusage nach der Entlassung  befürchten . Im Anhaltevollzug der Polizei seien ausreichend Corona-Testangebote für die Angehaltenen zur Verfügung zu stellen, heißt es im Bericht weiter. Unabhängig von der Pandemie müssten zudem hygienische Defizite in Anhaltezentren behoben werden, weisen die Kommissionsmitglieder auf verunreinigte Toiletten und andere Reinigungsmängel hin. (Schluss) rei