Parlamentskorrespondenz Nr. 836 vom 06.07.2022

Nationalrat: Grünes Licht für neue Regelungen für Radfahren und Verkehrssicherheit

FPÖ-Ministeranklage gegen Umweltministerin findet keine Mehrheit, Bundesstraßen erhalten einheitliche Sicherheitsüberprüfungen

Wien (PK) – Eine Reihe von Änderungen bringt eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung (StVO), die in der heutigen Nationalratssitzung mehrheitlich beschlossen wurde. Damit sollen insbesondere die Interessen der Radfahrer:innen und Fußgänger:innen im Straßenverkehr besser berücksichtigt werden. Vorgesehen sind etwa Änderungen von Parkbestimmungen, neue Regeln für das Rechtsabbiegen bei Rot und für das Überholen zugunsten von Radfahrer:innen oder auch Vorschriften für das Vorbeifahren an öffentlichen Verkehrsmitteln, die Fahrgäste besser schützen sollen.

Eine weitere Novelle, die mehrheitlich beschlossen wurde, dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie und sieht ein einheitliches System der Sicherheitsüberprüfungen für alle Bundesstraßen vor.

Die FPÖ blieb mit ihrem Antrag auf Ministeranklage gegen Umweltministerin Leonore Gewessler und ihrem Antrag auf Ausweitung des Rechtsabbiegens bei Rot in der Minderheit.

Neue Regelungen der Straßenverkehrsordnung zugunsten von Fahrrad- und Fußgängerverkehr

Eine Reihe von Änderungen bringt die geplante Novellierung der Straßenverkehrsordnung, um laut Verkehrsministerin Leonore Gewessler dem geänderten Mobilitätsverhalten, insbesondere der Radfahrer:innen und der Fußgänger:innen Rechnung zu tragen. Radfahrer:innen sollen bei entsprechender Kennzeichnung mittels Zusatztafel künftig bei Rot abbiegen und unter bestimmten Voraussetzungen nebeneinander fahren dürfen. Für das Überholen von Radfahrer:innen werden Mindestabstände definiert, die einzuhalten sind. In der unmittelbaren Umgebung von Schulgebäuden soll die Einrichtung von "Schulstraßen" mit weitgehenden Fahrverboten via Verordnung ermöglicht werden. Ebenfalls präzisiert werden Parkbestimmungen, um Behinderungen des Verkehrs auf Geh- und Radwegen zu verhindern, sowie Vorbeifahr-Regelungen bei Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel.

Die Regierungsvorlage wurde unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrages der Regierungsfraktionen mehrheitlich beschlossen. Die Änderung betraf neue Verkehrszeichen für Sackgassen mit Durchgeh- bzw. Durchfahrmöglichkeit für Radfahrer:innen, vereinfachte Sinnbilder sollen die bessere Wahrnehmbarkeit aus größeren Entfernungen sicherstellen.

Mit in Verhandlung stand ein Antrag der FPÖ, die das Rechtsabbiegen bei Rot für alle Fahrzeuglenkerinnen und -lenker fordert, sofern es sich nicht um Lkws oder Busse mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 Tonnen handelt. Die FPÖ-Forderung fand keine Mehrheit.

Die Novelle sei von ihrem Ansatz her, sanfte Mobilität zu fördern, zwar richtig, meinte Klaus Köchl (SPÖ). In ihrer Umsetzung sei sie allerdings in vielen Punkten verfehlt und gehe an der Praxis vorbei. Vor allem sehe er auf die Gemeinden hohe Kosten für die Umsetzung zukommen.

Hermann Weratschnig (Grüne) hielt Köchl entgegen, die Gespräche mit den Gemeinden seien bereits geführt und noch strittige Punkte aus dem Entwurf herausgenommen worden. Die vorliegende Fassung sei damit unter anderem auch mit der Gemeinde Wien akkordiert. Grundsätzlich gehe es um die Förderung der Mobilität und einen weiteren Schritt in Richtung der Mobilitätswende. Diese sei notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Die neuen Regelungen würden vor allem für Radfahrer:innen mehr Sicherheit schaffen.

Lukas Hammer (Grüne) meinte, es sei bezeichnend für den überholten Fokus der bisherigen Verkehrspolitik, dass es vor Regierungseintritt der Grünen im Verkehrsministerium keine Abteilung für Radverkehr gegeben habe. Die Grünen hätten sich das Ziel gesetzt, das Radfahren und Gehen zu fördern und es allen zu ermöglichen, sicher auf den Straßen unterwegs zu sein. In anderen Ländern sei es bereits völlig normal, dass Kinder alleine mit dem Rad zur Schule fahren können, meinte Hammer. In Österreich sei man noch nicht so weit, setze aber jetzt wichtige Schritte für die Sicherheit des Radfahrens.

Christian Hafenecker (FPÖ) sprach von einer "Husch-Pfusch-Novelle" und vermutete, die Koalitionsfraktionen und vor allem die Grünen hätten vor den bald anstehenden Neuwahlen noch rasch um jeden Preis ein Radfahrpaket beschließen wollen. Was von den Ankündigungen im Vorfeld übrig geblieben sei, sei jedenfalls mehr als bescheiden. Hafenecker kritisierte, dass die Verkehrsministerin das Thema Rechtsabbiegen bei Rot für Pkws "einfach abgedreht" habe, ohne die Evaluierung der Pilotversuche dazu zu berücksichtigen. Grundsätzliche Kritik übte Hafenecker an der aus seiner Sicht "unehrlichen" und "doppelbödigen" und gegen die Interessen der breiten Bevölkerungsmehrheit gerichtete Verkehrs- und Energiepolitik von Bundesministerin Gewessler.

Andreas Ottenschläger (ÖVP) meinte, er sei "geradezu fasziniert" von den Begründungen, die SPÖ und FPÖ vorbringen würden, um einer guten StVO-Novelle nicht zustimmen zu müssen. Die SPÖ gehe zu diesem Zweck etwa von einem alten Stand der Novelle aus und ignoriere, dass der Gemeindebund die neuen Regelungen begrüße. Die StVO erhalte einen neuen Fokus auf den Rad- und Fußgängerverkehr. Das Paket, das in ausführlichen Verhandlungen entstanden sei, sei ausgewogen und schaffe mehr Sicherheit und klare Regelungen für alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, befand Ottenschläger. Die Bundesregierung habe zwei weitere Vorhaben der Verkehrssicherheit, die das schärfere Vorgehen gegen extremes Rasen und gegen Drogenlenkerinnen und -lenker sicherstellen sollen.

Die Novelle sei umfangreich und bringe zahlreiche praxistaugliche Regelungen, sagte Franz Leonhard Eßl (ÖVP). Der Abgeordnete begrüßte, wie auch Christoph Stark (ÖVP), vor allem die Regelungen der Schulstraßen. Mit dieser reagiere man auf ein konkretes Verkehrsproblem und erhöhe die Sicherheit von Schülerinnen und Schülern, die zu Fuß in die Schule gehen, meinte Stark. Für Joachim Schnabel (ÖVP) ist es besonders erfreulich, dass die Zufahrregelungen für Blaulichtorganisationen in der StVO nunmehr klar geregelt werden sollen. Damit erleichtere man vor allem den Feuerwehren ihre Einsätze, argumentierte er.

Johannes Margreiter (NEOS) sah eine erfreuliche Entwicklung, dass die StVO nicht mehr wie früher nur den Autoverkehr berücksichtige, sondern auch allen anderen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern einen Platz auf den Straßen zugestehe. Die neu geschaffenen Schulstraßen seien ein weiterer Schritt in diese Richtung. Margreiter sah allerdings eine Lücke bei den Anliegen von Menschen mit Behinderung und brachte einen Abänderungsantrag seiner Fraktion ein. Er forderte, analog zur Regelung bei Fußgängerzonen, sicherstellen, dass bei Schulstraßen die Möglichkeit bestehen solle, dass Menschen mit Behinderungen in diese einfahren dürften. Der Abänderungsantrag der NEOS fand keine Mehrheit.

Auch NEOS-Abgeordnete Martina Künsberg Sarre sprach die Schulstraßen an und meinte, die von den NEOS in ihrem Abänderungsantrag vorgeschlagene Regelung wäre deutlich unbürokratischer. Mit den Schulstraßen alleine seien zudem noch lange nicht alle Fragen des Schulwegs gelöst. Auch für Kindergärten brauche man weitere Regelungen.

Gewessler: Straßenverkehrsordnung kommt im 21. Jahrhundert an

Verkehrsministerin Leonore Gewessler sagte, die Straßenverkehrsordnung sei in vielen Bereiche seit den 1960er-Jahren praktisch unverändert geblieben, während sich in der Mobilität sehr vieles getan habe. Unterdessen sei etwa der Wert der aktiven Mobilität erkannt worden, für die man deshalb jetzt die nötigen Rahmenbedingungen schaffe. Damit hole man die StVO ins 21. Jahrhundert, betonte die Verkehrsministerin. Wer sich "klimaaktiv" fortbewege, dürfe nicht benachteiligt werden. Zum ersten Mal würden die Rechte der Fußgänger:innen in der StVO explizit berücksichtigt und festgelegt, dass Gehsteige als deren Platz eingeräumt würden, ihnen auch tatsächlich uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssten. Die Schulstraßen sollen dazu beitragen, Verkehrsprobleme vor Schulen zu beseitigen. Für die von den NEOS angesprochene Frage gebe es bereits eine Lösung in der Novelle. Die Behörden könnten per Verordnung entsprechende Ausnahmen schaffen, also auch für Menschen mit Behinderungen, stellte Gewessler fest. Ein besonderer Schwerpunkt der Novelle sei das Radfahren. Hier würden alle Bundesländer das Ziel unterstützen, den Anteil des Radverkehrs in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen. Was das Rechtsabbiegen bei Rot für Autos betreffe, das die FPÖ fordere, so sei das Pilotprojekt dazu mangels Interesse eingestellt worden. Eine gesetzliche Regelung habe sich letztlich erübrigt, da keine einzige österreichische Stadt Interesse an der Regelung gezeigt habe.

Bundesstraßengesetz: Neues Sicherheitsmanagement für hochrangiges Straßennetz

Der Verbesserung der Verkehrssicherheit im hochrangigen Straßennetz dient laut Verkehrsministerium eine Novelle des Bundesstraßengesetzes, die vom Nationalrat mit Mehrheit angenommen wurde. Zentraler Punkt ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur auf alle Bundesstraßen. Die EU-Vorgaben galten bisher nur für Straßen des transeuropäischen Straßennetzes (TEN-Netz). Künftig werden auch die Autobahnen und Schnellstraßen außerhalb des TEN-Netzes einbezogen. Damit werde auch ein neues Verfahren für eine netzweite Straßenverkehrssicherheitsbewertung etabliert.

Die Novelle würde mehr Verkehrssicherheit bringen, betonte Hermann Gahr (ÖVP). Es sei ein Fortschritt, dass bei den Sicherheitsüberprüfungen nun explizit auch die "ungeschützte Verkehrsteilnehmer:innen" (Radfahrer:innen, Fußgänger:innen und Motorradfahrer:innen) berücksichtigt werden müssen, begrüßte auch Klaus Köchl (SPÖ) die Novelle. Externe Berater:innen seien teurer, als wenn Aufgaben intern erledigt würden, kritisierte Gerald Hauser (FPÖ). Zudem plädierte er gemeinsam mit Hermann Gahr (ÖVP) dafür, anstatt die Luegbrücke auf der Tiroler Brennerautobahn zu sanieren, im Sinne der Bevölkerung einen Tunnel zu errichten.

FPÖ findet keine Mehrheit für Ministeranklage gegen Verkehrsministerin

Bereits im Dezember 2021 unternahm die FPÖ den Versuch, Verkehrs- und Umweltministerin Leonore Gewessler wegen des verkündeten Baustopps für den Lobau-Tunnel und andere Straßenbauprojekte beim Verfassungsgerichtshof anzuklagen. Die FPÖ unternahm heute einen neuen Anlauf zu einer Ministeranklage gegen die Verkehrsministerin, mit dem sie in der Minderheit blieb. Gewessler verletze das Bundesstraßengesetz vorsätzlich. Das würden zwei von der Wirtschaftskammer Wien in Auftrag gegebene Gutachten bestätigen, wonach die Klimaministerin keine gesetzliche Befugnis habe, Baustopps zu verhängen bzw. der ASFINAG in diesem Zusammenhang Weisungen zu erteilen, argumentierte FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker.

Der Sachverhalt sei klar, es gebe kein Hinwegsetzen über Gesetze oder Gerichtsentscheidungen und keine Willkür seitens der Verkehrsministerin, betonte der Verkehrssprecher der Grünen, Hermann Weratschnig. Es sei die Aufgabe der Bundesregierung, zu evaluieren, klimaschonende Varianten zu prüfen und so Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Die Scheinumweltpolitik und das "Rosinenpicken" der FPÖ, statt konsequentes Verfolgen von Klimaschutz, kritisierte Astrid Rössler (Grüne).

Vor dem Hintergrund der großen Herausforderung des Klimawandels sei die Evaluierung erfolgt, betonte Joachim Schnabel (ÖVP). Diese habe die ÖVP als Koalitionspartner zwar überrascht, die Bekämpfung des Klimawandels eine aber die Koalition.

Er vermisse nach der Evaluierung konkrete nächste Schritte und es sei keine Dynamik spürbar, kritisierte Michael Bernhard (NEOS) die Untätigkeit im Verkehrsressort. (Fortsetzung Nationalrat) sox/pst

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.