Warum so kompliziert?

In diesem Teil der Ausstellung erfahren Sie mehr über die Eigenheiten der Rechts- und Verwaltungssprache

Beschreibung und Verortung der Regalinhalte

Im Regal vor Ihnen sind Ausstellungsobjekte mit Bild- und Textinhalten auf vier Regalebenen verteilt. In der obersten Regalebene befinden sich zwei Zitate, die sich von der Rückwand abheben. Das obere Zitat stammt von Jakob Grimm, das untere Zitat von Cornelia Vismann. Auf dem Regalboden steht ein Leporello mit Textinhalten. In der Ebene darunter befindet sich ein Handapparat mit Büchern zum Thema „Protokollstil“ mit Informationstext. Rechts daneben befindet sich ein Handapparat mit Büchern zum Thema „Sprache im Recht“ mit Informationstext. 

In der dritten Ebene befindet sich der auf der Rückwand gedruckte Einführungstext, rechts daneben eine Medienstation. Unter dem erhöht stehenden Bildschirm sind zwei kabelgebundene Einhandhörer angebracht. Hier kann ein 15-minütiges Interview zum Thema „Sprache und Recht“ angehört und angesehen werden. Das Interview verfügt über deutsche und englische Untertitel. In der untersten Regalebene befinden sich drei Easy Reader zum Thema „Was ist eine Verfassung?“, „Vor dem Gesetz“ von Franz Kafka sowie „Von der Poesie im Recht“ von Jakob Grimm.

Einleitungstext in Brailleschrift

Ein offener Schuber mit dem Einleitungstext zum jeweiligen Regal in Brailleschrift befindet sich in jedem Ausstellungsregal unterhalb der Braille-Zeile mit dem Titel des Ausstellungsabschnittes. Auf der Oberseite des Faches befindet sich ein QR-Code, über den jeder der Einführungstexte für die insgesamt 30 Ausstellungsabschnitte abrufbar ist.

Einleitung

Die Rechts- und Verwaltungssprache trifft uns alle in Gesetzen, Verordnungen, Bescheiden, Kundmachungen und Formularen. Sie gilt als schwierig, unpersönlich und unverständlich. Noch in den 1970er-Jahren weisen österreichische Wörterbücher rechtliche Begriffe als „Kanzleistil“ und typisches „Amtsdeutsch“ aus. Sie seien um Präzision bemüht, aber alltagsfremd. Heute wird die Verständlichkeit von Gesetzestexten und Antragsformularen als demokratiepolitischer Auftrag gesehen. Stößt das Bemühen um leichtere Verständlichkeit in der Sprache des Rechts auch an Grenzen?

Regalebene 1

Leporello "Rechtsabkürzungen"

Die zahlreichen Abkürzungen, die für Rechtslaien wie zufällige Zeichenketten anmuten, sind in der Juristensprache eine selbstverständliche Kommunikationsform. Einige Begriffe wie B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) oder GOG (Geschäftsordnungsgesetz) werden fast nur noch in dieser abgekürzten Form verwendet. Beispiele aus dem Europarecht illustrieren die Vielfalt pragmatisch-phantasievoller Abkürzungen.

Rechtsabkürzungen

Regalebene 2

Handapparat „Protokollstil“

Der Jurist Albert Drach (1902–1995) hat mit seinem „Protokollstil“, den er aus der nüchternen Sprache behördlicher Protokolle ableitet, einen eigenständigen Beitrag zur Literatur als Sprachkritik geleistet. Drachs Erzählungen kreisen um die Themen Recht und Gerechtigkeit sowie um die Unmöglichkeit sprachlicher Objektivität. Das der Behördensprache ausgesetzte Individuum findet sich unweigerlich in der Rolle des Angeklagten wieder.

Handapparat „Sprache im Recht“

Die Sprache von Gesetzestexten gilt als schwierig. Auch die Fachterminologie in den unterschiedlichen Sphären juristischer Kommunikation, die Rechtslinguistik und die Rechtsauslegung auf Basis angestrebter sprachlicher Präzision belegen den engen Zusammenhang zwischen Sprache und Recht.

Regalebene 3

Medienstation mit Interview „Warum so kompliziert?“

Marianne Schulze (Juristin und Menschenrechts-Expertin) und Christoph Konrath (Jurist und Mitarbeiter der Parlamentsdirektion) im Gespräch über den Zusammenhang von Recht und Sprache.

Regalebene 4

Easy Reader „Was ist eine Verfassung?“

Eine Verfassung ist ein besonderes Gesetz, das die Grundlage für alles, was den Staat betrifft, regelt. In ihr wird festgelegt, wie Menschen in einer Gesellschaft zusammenleben, wie ein Staat aufgebaut ist, wer Gesetze beschließen darf und wer im Namen des Staats Entscheidungen treffen und durchsetzen kann. Die Verfassung legt also die „Spielregeln“ für staatliches Handeln fest und umfasst die bedeutsamsten Rechtsvorschriften eines Staats. Damit sichert eine Verfassung auch die Grundrechte der Menschen, die in einem Staat leben. In Österreich gibt es keine klassische Verfassungsurkunde, die Grundrechte, Staatsziele und Staatsaufbau in einem Dokument zusammenfasst. 

Die österreichische Bundesverfassung besteht vielmehr aus einer Sammlung von Gesetzen. Neben der rechtlichen Verfassung spricht man auch von einer gelebten Verfassung oder Realverfassung. Damit sind die informellen (im Gegensatz zu den formellen) Abläufe in der Politik gemeint. So ist zum Beispiel die Rolle der Sozialpartner, der Landeshauptleute oder der Parteien im politischen Geschehen nicht abschließend geregelt. Sie können sich nie über die rechtliche Verfassung hinwegsetzen; sie ergänzen sie in vielen Bereichen.

Easy Reader „Vor dem Gesetz“ von Franz Kafka

Viele Werke des tschechisch-österreichischen Schriftstellers Franz Kafka (1883–1924) sind von juristischem Vokabular und rechtstheoretischen Sinnbildern geprägt. Der Autor – auf Wunsch des Vaters ausgebildeter Jurist – bezeichnet die kurze Parabel in seinen Tagebuchaufzeichnungen als „Legende“. Kafka hat die Türhüterlegende, die in den Roman „Der Prozess“ eingebunden wird, bewusst so angelegt, dass eine eindeutige und abschließbare Interpretation nicht möglich ist. Er lässt gerade jene Dinge ungeklärt, die für eine Auflösung des Narrativs von entscheidender Bedeutung wären. Im Gegensatz zur herkömmlichen Auffassung wird das Gesetz bei Kafka in einer räumlichen Ausdehnung dargestellt und von einer hierarchisch strukturierten Abfolge von Türhütern bewacht. Das Gesetz bleibt für den „Mann vom Lande“, jedenfalls bis zu dessen Tod, unerreichbar.

Easy Reader „Von der Poesie im Recht“ von Jakob Grimm

Wer sich für die Sprache der Gesetze, für Rechtssprache insgesamt interessiert, stößt unweigerlich auf einen frühen Aufsatz von Jacob Grimm. In 14 Paragrafen legt der Jurist und Literaturwissenschaftler die innige Beziehung zwischen Poesie und Recht dar. Die Beweisführung für die zentrale These, „dass recht und poesie miteinander aus einem bette aufgestanden“, somit in ihren Ursprüngen verbunden seien, setzt an frühgeschichtlichen Rechtspraktiken und ihren sprachlichen Wendungen an. Rechtsgeschichte und Poesiegeschichte werden als zwei Arten derselben Gattung beschrieben – der Sprachgeschichte. 

Aus der gemeinsamen Wurzel leitet Grimm in „§ 3. Beweis aus der sprache“ die Verwandtschaft zwischen Poesie und Recht ab, indem er verschüttete Rechtsbegriffe freilegt. So sei die Namensähnlichkeit zwischen Richter und Dichter, zwischen „Schöffen“ und „Schöpfer“ keineswegs Zufall. Die sprachliche Ähnlichkeit verweise auf eine ursprünglich gemeinsame Funktion: Auf das „Schöpfen im Sinne eines Wieder-Erschaffens jener Lieder und Gesetze, die gewissermaßen im Archiv der Volksseele gespeichert“ seien.