287/A(E)-BR/2021

Eingebracht am 28.01.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Dominik Reisinger

Kolleginnen und Kollegen

 

betreffend Berücksichtigung der Länder und Gemeinden bei Entscheidungen über das humanitäre Bleiberecht

 

In der Nacht von 27. auf 28. Jänner 2021 wurden diversen Medienberichten zufolge drei Wiener Schülerinnen und Familienangehörige nach Georgien bzw. Armenien abgeschoben.

 

Die betroffenen Kinder sind nicht nur in Wien aufgewachsen, sie wurden auch in Wien geboren, sprechen fließend Deutsch und sind bestens integriert. Vergangene Woche durften sie noch Wiener Bildungseinrichtungen besuchen und heute Nacht wurden sie in Länder abgeschoben, die sie bestenfalls aus Urlaubsreisen kennen. Wie gut diese Kinder integriert sind, wird durch das intensive Bemühen ihrer LehrerInnen und MitschülerInnen belegt, die bis heute Nacht eine Abschiebung der Kinder zu verhindern versuchten und sogar eine entsprechende Petition eingebracht hatten.

 

Darüber hinaus ist es für die Gewährleistung im Umgang mit derartigen Härtefällen unabdingbar, ein effektives System zu etablieren. Dazu braucht es eine Einbindung der lokalen Behörden im Entscheidungsprozess. Die betroffenen Länder bzw. Gemeinden sollen im Verfahren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht von den Bundesbehörden verpflichtend angehört werden, damit die lokalen Gegebenheiten in der Entscheidung berücksichtigt werden können. Denn die Behörden bzw. VerantwortungsträgerInnen vor Ort können die spezifische Situation viel besser beurteilen, insbesondere wie gut jemand in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert ist. Es geht darum, einen wirksamen Modus zur Einzelfallkorrektur zu finden, um unerträgliche Härten, etwa bei der Abschiebung von gut integrierten Familien mit Kindern oder von gut integrierten Personen mit engen familiären Bindungen zu Österreich zu vermeiden. So können die in der Rechtsordnung vorgesehenen humanitären Erwägungen und menschenrechtlichen Garantien auch in der Behördenpraxis verwirklicht werden.

 

In den Medien fanden diese Abschiebungen ebenfalls großen Wiederhall, so berichtete unter anderem der ORF auf seiner Homepage wie folgt:

 

Schülerinnen trotz Protesten abgeschoben

Trotz Protesten sind drei Schülerinnen heute Früh nach Georgien und Armenien abgeschoben worden. Eine Kundgebung mit rund 160 Personen – darunter Nationalratsabgeordnete der Grünen, der SPÖ und von NEOS – wurde kurz vor 5.00 Uhr aufgelöst.

28.01.2021 05.56

Online seit heute, 5.56 Uhr (Update: 10.55 Uhr)

Laut Polizeisprecher Daniel Fürst war die noch vor 3.00 Uhr gestartete Kundgebung in der Zinnergasse in Simmering nicht angemeldet. Via Durchsagen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst aufgefordert, sich an die CoV-Vorschriften zu halten. Zuvor seien die Abstände nicht eingehalten, aber von den meisten Masken getragen worden.

Wie die Polizei in einer Aussendung weiters mitteilte, hätten die Demonstrierenden die Ausfahrt des Polizeikonvois mit sperrigen Gegenständen wie Mistkübeln und Einkaufswagen barrikadiert. Zudem kam es zu Sitzblockaden. Neben weiteren Personen waren von den Abschiebungen drei in Wien bzw. Niederösterreich lebende Schülerinnen betroffen. Unter anderen machten Politiker von NEOS, SPÖ und der Grünen sowie „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk an Ort und Stelle dagegen mobil. Wann der Abschiebeflug, der mehrere Destinationen ansteuert, stattfindet, wurde im Vorfeld wie üblich nicht bekanntgegeben.

 

Vorgehen „unverhältnismäßig“

An der Protestaktion nahmen in der Nacht auch mehrere Nationalratsabgeordnete teil. Neben dem grünen Asyl- und Sicherheitssprecher Bürstmayr waren seitens des Juniorpartners in der Koalition der grüne Klimaschutzsprecher Lukas Hammer, Bildungssprecherin Sybille Hamann und Netzpolitiksprecher Süleyman Zorba dort. Von der SPÖ nahm Nationalratsabgeordneter Kai Jan Krainer an dem Protest teil, seitens NEOS Stephanie Krisper.

Bürstmayer bezeichnete das Vorgehen am Donnerstag als „unverhältnismäßig“, das Bild dort habe aufgrund der großen Polizeipräsenz fast an einen „Anti-Terror-Einsatz“ erinnert. Die Räumung der Sitzblockade durch die Polizei sei zwar grob, aber kurz gewesen – „es gibt am Polizeieinsatz nicht weiß Gott was zu bekritteln“, sagte er. „Aber es geht ein bisschen in Richtung Verbannung. Ich bin als Anwalt viel gewohnt, das tut mir weh.“

Bürstmayer sprach von einem „besonderen Fall“. Denn die Kinder seien in Österreich aufgewachsen, die ältere Tochter habe „gerade einmal zwei Jahre (zwischenzeitlich, Anm.) in Georgien verbracht“, die übrige Zeit in Österreich. Er vertrete „grundsätzlich die Rechtsmeinung, Kinder haben eigene Rechte, sie haben ein eigenes Recht auf Privat- und Familienleben“, so Bürstmayr – er leite das Recht nicht nur von dem der Eltern ab.

Auch sei die letzte Rückkehrentscheidung der Behörden schon ziemlich alt gewesen. Sie stammt laut dem Anwalt der Familie, Wilfried Embacher, aus dem September 2019. Man könne also davon ausgehen, dass sich seitdem eine wesentliche Änderung des Sachverhalts ergeben hat. Nach einem laut Embacher im Mai 2020 gestellten Antrag auf Bleiberecht sei aber nichts geschehen, bis dann die Abschiebung durchgeführt wurde.

Unterstützung für Mitschülerin

Besonders debattiert wurde der Fall einer zwölfjährigen Schülerin, die Montagabend mit ihren Eltern von der Fremdenpolizei in ein Abschiebezentrum gebracht wurde. Die Gymnasiastin, die im ersten Bezirk die Schule besuchte, fand die Unterstützung von Lehrern und Mitschülern, die mit ihrer guten Integration und der Hochphase der Pandemie gegen die Abschiebung argumentierten und (wie im Fall einer weiteren – armenischstämmigen – Schülerin im zehnten Wiener Gemeindebezirk) eine Petition starteten.

Im Innenministerium verwies man darauf, dass mehrere höchstgerichtliche Entscheide vorliegen, die eine Außerlandesbringung vorsehen. Bei der georgischen Schülerin war der Fall nach Informationen der APA zumindest rechtlich eindeutig. Denn die Familie befand sich bereits seit vier Jahren unrechtmäßig im Land, der Vater allerdings zuletzt legal mit einem Touristenvisum. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Asylverfahren festgehalten, dass die lange Aufenthaltsdauer nicht zuletzt wegen beharrlicher Nichteinhaltung der behördlichen Vorgaben gegeben sei.

Laut „Falter“-Chefredakteur Klenk entzündete sich der Protest unter anderem daran, dass das eine grausame Maßnahme sei, weil die Kinder nicht nur hier aufgewachsen, sondern auch hier geboren sind. Der Vater stehe hier in Tränen, weil seine Familie auseinandergerissen werde.

 

Proteste von SPÖ und NEOS

Die SPÖ-Abgeordneten Reinhold Einwallner, Nurten Yilmaz, Eva-Maria Holzleitner, Sonja Hammerschmid und Katharina Kucharowits fragten sich am Mittwoch in einer Aussendung, ob Kinderrechte nichts mehr zählten. Ebenso äußerte sich NEOS-Mandatarin Krisper, die am Donnerstag unter den Protestierenden vor der „Familienunterkunft Zinnergasse“ war.

Harsche Kritik kam am Mittwochnachmittag auch von der Wiener Stadtregierung. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nannte die Vorgangsweise am Rande der ersten rot-pinkfarbenen Regierungsklausur „nicht nachvollziehbar“. Das Innenministerium habe zumindest zugesichert, die Fälle zu prüfen, berichtete Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) nach dem Ministerrat. Es wäre gut, nach menschlichen Lösungen zu suchen. Denn es könne ja nicht sein, dass bestens integrierte Schüler in einer Situation, wo sie nicht einmal das Herkunftsland kennen, aus den Klassen geholt werden.

ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer verteidigte im Vorfeld die Abschiebungen mit Verweis auf die geltende Rechtslage. In Österreich geborenen Kindern den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, lehnte er ab.

 

Im Mittagsjournal am 28. Jänner 2021 hat der renommierte Verfassungsexperte Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger angesprochen, dass eine Abschiebung von Kindern in Staaten, deren Muttersprache sie nicht beherrschen, in Hinblick der in Österreich garantierten Kinderrechte rechtlich fragwürdig sei. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass der Bundesrat einer der maßgeblichen Treiber war, um das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder nach jahrelangen Debatten zu verwirklichen. Es ist daher gerade für den Bundesrat unverständlich, dass bei der Abwägung über die Gewährung des humanitären Bleiberechts die Bestimmungen dieses Bundesverfassungsgesetzes nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Der Fall hat jedoch klar aufgezeigt, dass das humanitäre Bleiberecht zu überarbeiten ist und dabei auch eine Bestimmung aufgenommen werden soll, wonach die Länder bzw. Gemeinden, in welchen diese Kinder leben, bei der Beurteilung des humanitären Bleiberechts anzuhören sind.

Die unterzeichneten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich zum humanitären Bleiberecht als wichtiges Zusatzinstrument zum Asylrecht zu bekennen und die betroffenen Länder bzw. Gemeinden, in welchen Kinder oder Familien, die abgeschoben werden sollen, aufgewachsen sind, im Verfahren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht verpflichtend anzuhören, um die lokalen Gegebenheiten in der Entscheidung berücksichtigen zu können.“

Zuweisungsvorschlag: Ausschuss für innere Angelegenheiten