348/A(E)-BR/2022

Eingebracht am 29.06.2022
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

des Bundesrates Dr. Johannes Hübner und weiterer Bundesräte

betreffend Erhalt des Einstimmigkeitsprinzips

Die Europäische Union unternimmt regelmäßig Versuche, dass ihr immanente Demokratiedefizit mittels Instrumenten der Schein-Partizipation zu kaschieren. Das neueste diesbezügliche Experiment, die „Konferenz zur Zukunft Europas“, hat allerdings mit ihrem Abschlussbericht des Pudels Kern offenbart: Herausgekommen ist ein Forderungskatalog der Zentralisten, welche die Mitgliedstaaten weiter entmachten und einen europäischen Bundesstaat errichten wollen.

Selbst die sicherlich nicht als EU-kritisch einzustufende Süddeutsche Zeitung fasst die Ergebnisse der Konferenz folgendermaßen zusammen: „In weiten Teilen liest sich das Dokument so, als hätten es die großen Fraktionen des EU-Parlaments allein verfasst - ohne die Kommission und vor allem ohne die Mitgliedstaaten“ (Süddeutsche Zeitung 30.04.2022: Eine Konferenz, die Europa verändern will).

Neben einer umfassenden Kompetenzverschiebung nach Brüssel, fordert der Abschlussbericht auch das Ende des Einstimmigkeitsprinzips ein. Wortwörtlich führt der Abschlussbericht an: „Alle Angelegenheiten, die bislang einstimmig beschlossen werden müssen, sollten künftig mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Die einzigen Ausnahmen sollten die Aufnahme neuer Mitglieder in die EU und Änderungen an den Grundprinzipien der EU sein“ (Konferenz zur Zukunft Europas. Bericht über das endgültige Ergebnis 2022: S. 90). Eine derartige Reform hätte zur Folge, dass kein einzelner Mitgliedstaat in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, sowie in Angelegenheiten der Sozial-, Steuer- und Haushaltspolitik, nationalstaatliche Interessen vor Schnellschüssen der Europäischen Union bewahren könnte. Ein Öl- und Gas-Embargo gegen die Russische Föderation wäre unter diesen Voraussetzungen wohl schon längst beschlossene Sache, auch wenn aufgrund dieser Sanktionierung der österreichischen Industrie die Lichter ausgehen würden und hierzulande Massenarbeitslosigkeit eine weitere Folge wäre. Für Sanktionen gegen einen einzelnen EU-Mitgliedstaat wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit wäre künftig ebenfalls keine Einstimmigkeit mehr erforderlich.

Der Wegfall des Einstimmigkeitsprinzips würde die tatsächlich demokratisch legitimierten Entscheidungsträger in Europa - nämlich die Regierungen der Nationalstaaten - in unverantwortlichem Ausmaß schwächen. Demokratische Wahlen in den Mitgliedstaaten würden dadurch ebenfalls entwertet werden. Denn zum einen müsste der Bürger eines Mitgliedstaates hinkünftig bei nationalen Wahlen mit dem Wissen seine Stimme abgeben, dass die von ihm gewählten Vertreter im Zweifel machtlos und nicht in der Lage wären, die Interessen der Bevölkerung auf europäischer Ebene zu schützen. Zum anderen wären auch die gewählten Repräsentanten außerstande, gegenüber ihrer Bevölkerung Wahlversprechen einzuhalten, sofern diese den Brüsseler Zentralisten nicht genehm sind.

Das Ende des Einstimmigkeitsprinzips würde folgerichtig der Demokratie in Europa einen herben Schlag versetzen. Jede demokratisch legitimierte Regierung eines EU- Mitgliedstaats muss primär den Anliegen und Sorgen seiner Bürger entsprechen, gegebenenfalls dieser Verpflichtung mittels der Nutzung seines nationalen Vetos auf europäischer Ebene gerecht werden können. Vor allem kleine Mitgliedstaaten, wie Österreich, wären ohne dem Einstimmigkeitsprinzip jedweder Möglichkeit beraubt, in entscheidenden Politikbereichen im Interesse der eigenen Bevölkerung einen Einspruch zu erheben. Die Missachtung der verfassungsrechtlich verankerten Neutralität Österreichs durch die schwarz-grüne Bundesregierung im Zuge des Krieges in der Ukraine hat vor Augen geführt, wie schnell EU-Hörigkeit dazu führen kann, Grundprinzipien des eigenen Staates zu untergraben. Derartigen Tendenzen muss entgegengewirkt werden, indem eine weitere Aushöhlung der nationalstaatlichen Souveränität unterbunden wird.

Wer ein Ende der Einstimmigkeit fordert, kann nicht die Interessen der Österreicher und Österreicherinnen vertreten, sondern nur jene der EU-Zentralisten. Es ist bezeichnend, dass im Europäischen Parlament die Vertreter der ÖVP, der SPÖ, der Grünen und der Neos die Ergebnisse der Konferenz und eine Änderung der EU- Verträge zur Erleichterung der Umsetzung der Vorschläge befürworteten. Das Europäische Parlament forderte außerdem den Ausschuss für konstitutionelle Fragen auf, Vorschläge für eine Reform der EU-Verträge auszuarbeiten. Dies würde im Rahmen eines Konvents gemäß Artikel 48 des Vertrages über die Europäische Union geschehen. Zur Einsetzung eines Konvents bedarf es allerdings einer einfachen Mehrheit im Rat, folgerichtig der Zustimmung von 14 Regierungen.

Es ist in diesem Kontext erwähnenswert, dass sich bereits 13 EU-Mitgliedstaaten gegen einen Verfassungskonvent ausgesprochen haben, nämlich Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Slowenien und Schweden. Würde Österreich den gleichen Mut wie diese Länder aufbringen, wäre ein möglicher Verfassungskonvent zur Umsetzung der Forderungen der „Konferenz zur Zukunft Europas“ frühzeitig Geschichte. Die schwarz­grüne Bundesregierung ist bedauerlicherweise in solch hohem Ausmaß in ihrer Brüssel-Hörigkeit gefangen, dass sie es bisher unterließ, diesen Schritt zu setzen. Obwohl die Vorschläge, welche dem Konvent zugrunde liegen sollen, den Interessen Österreichs zutiefst widersprechen, ist die Bundesregierung unter Karl Nehammer nicht gewillt oder in der Lage, es den anderen 13 Mitgliedstaaten gleichzutun und die Idee eines Konvents zu missbilligen. Ein derart mutloses Agieren auf europäischer Ebene kann einer gewissenhaften Repräsentation österreichischer Interessen nicht gerecht werden. Im Gegenteil: Nur wer die Interessen seines Landes und seiner Bürger glaubhaft und beherzt vertritt, kann sich gegen die Agenda der EU-Zentralisten behaupten. In diesem Sinne sollte die österreichische Bundesregierung dem geplanten Konvent eine glasklare Absage erteilen!

Europa benötigt keine immer mehr Kompetenzen an sich ziehende Europäische Union, sondern soll ein Verbund freier Völker und selbstbestimmter Vaterländer sein. Die Wahrung der Demokratie in Europa obliegt den Nationalstaaten, deren gewählte Repräsentanten sich vor ihrem Wahlvolk für ihre Entscheidungen - auch im Rahmen der Institutionen der Europäischen Union - zu rechtfertigen haben. Weitere Kompetenzverschiebungen weg von den Mitgliedstaaten und hin zur Europäischen

Kommission sind abzulehnen. Die von der schwarz-grünen Bundesregierung torpedierte, verfassungsrechtlich verankerte Neutralität Österreichs muss im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wiederhergestellt werden.

Eine Reform der EU-Verträge würde das Leben aller Österreicher und Österreicherinnen in hohem Ausmaß beeinträchtigen. Deshalb sollen auch die österreichischen Staatsbürger darüber entscheiden, ob und in welcher Ausgestaltung sie eine Reform der EU-Verträge wünschen. Die österreichische Bundesregierung hat folgerichtig eine Zustimmung zu einer allfälligen Reform der EU-Verträge davon abhängig zu machen, inwiefern sich die österreichischen Bürger vorab in einer verbindlichen Volksabstimmung für ebendiese aussprechen. Eine derartige Vorgehensweise würde einer wahrhaftig demokratischen Legitimation entsprechen und keiner Schein-Partizipation von vermeintlich zufällig ausgewählten 800 Personen, welche gerade einmal 0,00017897 Prozent der Bevölkerungen der EU-Mitgliedstaaten ausmachen.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Bundesräte nachstehenden

Entschließungsantrag Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für den Erhalt des Einstimmigkeitsprinzips und der Souveränität der Mitgliedstaaten einzusetzen. Ein Konvent zur Umsetzung der Forderungen der „Konferenz zur Zukunft Europas“ ist deswegen abzulehnen.“

 

 

In formeller Hinsicht wird um eine Zuweisung an Ausschuss für Verfassung und Föderalismus des Bundesrates ersucht.