1072/AB-BR
An den
Herrn Präsidenten des Bundesrates
W i e n
zur Zahl 1158/J-BR/1996
Die Bundesräte Dr. Kapral, Dr. Tremmel und Kollegen haben an mich eine schriftli-
che Anfrage, betreffend die Schließung des Bezirksgerichtes für Handelssachen
Wien, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
"1 . Welche Überlegungen bestehen hinsichtlich des Bezirksgerichtes für Han-
delssachen?
2. Welche Gründe sprechen für und gegen die Auflösung dieses Spezialbe-
zirksgerichtes?
3. Wann soll die Entscheidung über das künftige Schicksal des BGH fallen?
4. Wäre nach einer Auflösung des BGH auch das Handelsgericht Wien in sei-
ner Existenz auf Dauer bedroht?
5. Ein wichtiges Argument, das die Einrichtung des Landesgerichtes
Wien - Nord verhindert hat, war die gewünschte Spezialisierung; weshalb
werden dennoch im Justizressort weiterhin der Spezialisierung entgegenwir-
kenden Überlegungen angestellt?
6. Welche organisatorischen Änderungen sind für den gesamten Wiener Ge-
richtsbereich für die nächsten Jahre geplant bzw. in Überlegung?''
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 bis 4:
lm Bericht des Justizausschusses des Nationalrates (AB 563 BlgNR XVll. GP, S. 2)
zur Regierungsvorlage einer 1. Novelle zum Bezirksgerichts-Organisationsgesetz
für Wien (99 BlgNR XVll. GP; BGBl. Nr. 291/1 988) ist unter anderem folgendes
ausdrücklich festgehalten :
''Der Justizausschuß nimmt die vom Bundesministerium für Justiz dargelegte und
nachdrücklich unterstützte Planung der JustizverwaItung für eine Weiterentwicklung
der Gerichtsorganisation in Wien auf bezirksgerichtlicher Ebene zur Kenntnis, die
Ietztlich auf eine flächendeckende Einteilung des Stadtgebietes in Sprengel von
VoIl-Bezirksgerichten mit grundsätzlich umfassender Zuständigkeit in Zivil-, Exeku-
tions- und Strafsachen abzielt. Der Justizausschuß hat sich aufgrund der von der
Justizverwaltung vorgeIegten Daten davon überzeugt, daß das bisherige Organisa-
tionsprinzip der Spezialisierung am Beispiel des Strafbezirksgerichtes Wien durch-
schnittlich nicht zu mehr Erledigungen pro Richter führt, als die Tätigkeit von
Strafrichtern bei Voll-Bezirksgerichten.
Angesichts der grundsätzlichen Organisationsentscheidung der Justizverwaltung
für Voll-Bezirksgerichte in Wien vertritt der Justizausschuß die Auffassung, daß die
mit dem Bezirksgericht Donaustadt begonnene und jetzt mit dem Bezirksgericht
Hernals fortgesetzte Strukturänderung der bezirksgerichtlichen Gerichtsorganisati-
on in Wien nun konsequent und, soweit es wirtschaftlich möglich ist, auch zügig
fortgesetzt werden soll, damit die Unübersichtlichkeit möglichst bald beseitigt wird,
daß während der Übergangszeit zwei gegenläufige Organisationsprinzipien (Spezi-
algerichte einerseits, Voll-Bezirksgerichte andererseits) einander gegenüberstehen.
,,
Damit hat das Parlament nach eingehenden Beratungen der Einrichtung von Voll-
Bezirksgerichten den Vorzug vor der Aufrechterhaltung von Spezialgerichten gege-
ben.
ln konsequenter Verwirklichung dieser richtungsweisenden Entscheidung wurden in
der Folge - neben den schon bestandenen Voll-Bezirksgerichten Floridsdorf und
Liesing, dem bereits neu geschaffenen Voll-Bezirksgericht Donaustadt sowie dem
bereits eingerichteten Voll-Bezirksgericht Hernals - das Bezirksgericht Döbling als
VolI-Bezirksgericht eingerichtet (BGBl. Nr. 260/1990) sowie das neue Voll-Bezirks-
gericht Josefstadt geschaffen und das Bezirksgericht lnnere Stadt Wien als weite-
res Voll-Bezirksgericht eingerichtet (BGBl. Nr. 756/1992).
Der derzeitige ReaIisierungsstand, der zu einer abschIießenden Erledigung des
vom Justizausschuß vorgezeichneten Programms einer Umstellung auf das neue
Strukturprinzip der Voll-Bezirksgerichtsbarkeit führen soll, kann wie folgt umrissen
werden:
Neben den sieben Voll-Bezirksgerichten Innere Stadt Wien, Josefstadt, Hernals,
Döbling, Floridsdorf, Donaustadt und Liesing bestehen noch die drei Nicht-VolI-Be-
zirksgerichte Favoriten, Hietzing und Fünfhaus sowie das Exekutionsgericht Wien,
das Strafbezirksgericht Wien und das Bezirksgericht für Handelssachen Wien.
lm heurigen Jahr wird der Umbau des Gerichtsgebäudes des Bezirksgerichts Favo-
riten in 1 100 Wien, Angeligasse 35, abgeschlossen werden; damit wird das
Bezirksgericht Favoriten am bisherigen Standort als Voll-Bezirksgericht für den
X. Wiener Gemeindebezirk eingerichtet werden können.
Die Unterkunft eines Voll-Bezirksgerichts Fünfhaus, dessen Zuständigkeit sich auf
die Wiener Gemeindebezirke XlV und XV erstrecken soll, ist in 1150 Wien, Gasgas-
se 1 bis 7, vertraglich bereits abgesichert.
Die Einrichtung eines Voll-Bezirksgerichts Hietzing, das nur für den Xlll. Wiener
Gemeindebezirk zuständig sein soll, ist damit am bisherigen Standort des
Bezirksgerichts Hietzing in 1130 Wien, Hietzinger Kai 1 bis 3, unter einem sicherge-
stellt.
Die Unterbringung eines nur für den Xll. Bezirk zuständigen Voll-Bezirksgerichts
Meidling am bisherigen Standort des Bezirksgerichts Fünfhaus in 1150 Wien,
Sperrgasse 17, das derzeit noch für den Xll. und XV. Wiener Gemeindebezirk zu-
ständig ist, ist bis zur absehbaren Beziehbarkeit des vorgesehenen Standortes in
1120 Wien, Schönbrunner Straße 222 bis 228, ohne Schwierigkeiten möglich.
Damit wird mit Wirkung vom 1. Jänner 1997 das vom Justizausschuß vorgezeich-
nete Programm der Umstellung der Wiener Bezirksgerichte auf das neue Struktur-
prinzip der Vollgerichtsbarkeit zum Abschluß gebracht werden können.
Ob von der damit erreichten Umsetzung des Programms des neuen Strukturprin-
zips - verbunden mit dem selbstverändlichen WegfalI des Exekutionsgerichts Wien
und des Strafbezirksgerichts Wien als SpeziaIgerichte - auch das Bezirksgericht für
Handelssachen Wien aIs letztes Spezialgericht erfaßt werden soll, wird im Rahmen
der anstehenden Gesetzesvorbereitung noch einer eingehenden Prüfung unterzo-
gen werden, da dagegen in jüngster Zeit verschiedentlich Einwände erhoben wor-
den sind.
Im Falle eines entsprechenden Vorschlags wird es nicht zuletzt Aufgabe einer ent-
sprechenden RegierungsvorIage sein, das Für und Wider für einen Weiterbestand
dieses Spezialgerichts zu begründen.
Keinesfalls gibt es konkrete Anhaltspunkte, wonach im gegebenen Zusammenhang
eine Existenzbedrohung des Handelsgerichts Wien anzunehmen ist.
Zu 5 und 6:
In Entsprechung der Entschließung des Nationalrats vom 12. November 1992 (AB
780 BlgNR XVlIl. GP, Blg./2; StenProt der 87. Sitzung des NR XVlll. GP, S. 9681),
betreffend die Neuunterbringung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien
samt einem für den lIl. und XI. Wiener Gemeindebezirk zuständigen neuen Voll-Be-
zirksgericht Landstraße wird das Bundesministerium für Justiz weiterhin auf die ra-
sche Errichtung eines Gebäudes zur Unterbringung dieser Gerichte auf den bun-
deseigenen Schlachthausgründen im lIl. Wiener Gemeindebezirk dringen.
lm Zusammenhang mit diesen Umsetzungsschritten ist nach einem durchgeführten
Architektenwettbewerb bereits auf Grund eines einstimmigen Votums einer Fachju-
ry auf Ministerebene im Dezember 1995 entschieden worden, daß die Vorentwurfs-
pIanung für dieses Bauprojekt in Auftrag zu geben ist.
Die tatsächlichen Gründe für das Unterbleiben der Weiterverfolgung der Schaffung
eines Landesgerichts Wien-Nord waren standortbezogen. Der geplante Ausbau der
Liegenschaft, auf der sich der Sitz des Bezirksgerichts Floridsdorf befindet, zum
Sitz eines Gerichtshofs, hat sich - nicht zuletzt auf Grund der zwischenweiligen Be-
völkerungsentwicklung und der diesbezüglichen Fachprognosen der Stadtentwick-
lung - als ungenügend erwiesen.
Die BevölkerungsentwickIung in den nordöstlich des Donaukanals gelegenen Ge-
meindebezirken lI, XX, XXl und XXll hat auf Bezirksgerichtsebene bereits zu einer
Standortsuche für ein Voll-Bezirksgericht Leopoldstadt für die Wiener
Gemeindebezirke ll und XX geführt, um in den bereits unter drückender Raumnot
arbeitenden Bezirksgerichten Floridsdorf und Donaustadt eine Entlastung zu schaf-
fen.
Weiters werden das prognostizierte Anwachsen der Wohnbevölkerung in den be-
sagten Gemeindebezirken und die damit gestellte Frage nach der Errichtung eines
Gerichtshofs für die Sprengel eines künftigen Voll-Bezirksgerichts Leopoldstadt so-
wie der (bestehenden) Voll-Bezirksgerichte Floridsdorf und Donaustadt eine zu-
kunftsorientierte Justizpolitik veranlassen, einen Standpunkt zu erarbeiten, ob nicht
für das gesamte Wiener Stadtgebiet auch auf Gerichtshofebene ein einheitIicheres
Strukturprinzip anzustreben ist.