1080/AB-BR

Die Bundesräte Alfred Gerstl und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage,

betreffend Medienrecht, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

''1 . Sind im Bundesministerium für Justiz Arbeiten zu einer Novellierung des Me-

diengesetzes im Gange, durch die den einleitend dargestellten Mißbrauchs-

möglichkeiten Einhalt geboten werden könnte?

2. Wenn ja, welche konkreten Änderungen des Medienrechts sind ins Auge ge-

faßt?

3. Wann kann mit einer entsprechenden Vorlage gerechnet werden?

lch beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1 bis 3:

Für das Funktionieren pluralistischer und demokratischer Gesellschaften ist - neben

dem Prinzip der Gewaltenteilung - der freie lnformationsfluß ein selbstverständli-

ches, konstitutives EIement. Grundlage hiefür ist, daß die Rechtsordnung die Frei-

heit der Meinungsäußerung und die Freiheit der Meinungsbildung akzeptiert und

schützt. Je mehr und je offenere Möglichkeiten des Sich-lnformierens und der Mei-

nungsäußerung gegeben sind, desto wirksamer ist die gesellschaftliche Kommuni-

kation.

Die besondere Rolle der Medien in einer demokratischen Gesellschaft im Prozeß

der offenen gesellschaftlichen Kommunikation wird in zahlreichen Urteilen des Euro-

päischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hervorgehoben, wobei insbe-

sondere die Schutzwürdigkeit von lnformationen und Ideen, die im Zusammenhang

mit einer politischen Diskussion öffentlich gemacht werden, unterstrichen wird. Der

EGMR hat überdies festgestellt, daß die Pressefreiheit für den öffentlichen Mei-

nungsbildungsprozeß über Ideen und Einstellungen von politischen Führungsper-

sönlichkeiten unabdingbar ist. Dabei bezieht sich die Meinungsäußerungsfreiheit

nicht nur auf lnformationen und Ideen, die wohIwollend aufgenommen und als nicht

beleidigend oder gleichgültig empfunden werden, sondern auch auf solche, die ver-

letzen, schockieren oder aufrühren. Noch weiter ist der Rahmen einer zulässigen

Kritik und somit auch der Rahmen der Meinungsäußerung, wenn Gegenstand der

Kritik und der Meinungsäußerung nicht eine Person, sondern die Regierung oder

der Staat ist. So hat der EGMR in den sogenannten ''Spycatcher''-Fällen (Sunday Ti-

mes, 1991 ; Observer/Guardian 1991) betont, daß die Grenzen einer zulässigen Kri-

tik an der Regierung weiter zu ziehen sind als bei Kritik, die sich gegen Privatperso-

nen oder Politiker richtet. Angesichts der besonderen Rolle der Presse als ''public

watchdog'' dürfe eine solche Meinungsäußerung auch dann nicht verboten werden,

wenn sie in besonders prägnanten Ausdrücken erfolge.

Freilich muß berücksichtigt werden, daß der einzelne Mensch nicht nur Träger des

Informations- und Meinungsäußerungsanspruches, sondern auch Objekt desselben

Anspruches anderer ist. Das Grundrecht auf Meinungsäußerungs- und lnformations-

freiheit kann somit mit anderen Grundrechten - insbesondere des Persönlichkeits-

schutzes - kollidieren. Traditionelles Ziel des Mediengesetzes war und ist es daher,

zwischen diesen grundrechtlich garantierten Rechtsgütern eine vernünftige Balance

zu finden: einerseits die Medien als Instrument des Informations- und Meinungsäu-

ßerungsanspruchs und als wesentlichen Faktor der Meinungsbildung zu schützen,

andererseits aber auch den einzelnen Menschen vor wahrheitswidriger Medienbe-

richterstattung, vor Eingriffen in seinen höchstpersönlichen Lebensbereich und - im

Falle eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens - vor medialer Verletzung der Un-

schuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zu bewahren. Die Durchsetzung dieser Ba-

lance gestaltet sich schwierig, weiI keine Waffengleichheit herrscht. Der einzelne,

der verspottet und verIeumdet worden ist, dessen höchstpersönlicher Lebensbe-

reich in die Öffentlichkeit gezerrt worden ist oder der als schuIdig hingestellt worden

ist, obwohl die hiefür allein zuständigen Gerichte darüber erst zu entscheiden ha-

ben, kann die Berichterstattung nicht mehr ''aus der Welt schaffen'' - sie hat die Le-

ser, Zuhörer und Zuseher schon erreicht, und es ist ungewiß, ob eine nachträgliche

Gegenäußerung noch auf dasselbe Interesse des Publikums stößt.

ln Anbetracht dessen sowie im Sinne rechtsvergleichender Studien, die es im Hin-

blick auf den Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts sowie den grundrechtli-

chen Schutz der Pressefreiheit nahelegen, den Ausgleich zwischen den Grundrech-

ten der Medienfreiheit und des Persönlichkeitsschutzes verstärkt auf zivilrechtlicher

Ebene zu suchen, hat sich der Gesetzgeber der Mediengesetznovelle 1992 für ei-

nen vermehrten Einsatz des Schadenersatzrechtes entschieden. Den in der Anfra-

gebegründung angedeuteten FäIlen soIl dabei - soweit gerichtlich zu ahndende

strafbare Handlungen vorliegen - vornehmlich durch die Bestimmung des § 7a Me-

dienG (''Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen'') begegnet wer-

den. Gerade im Bereich dieses Identitätsschutzes geht es durchaus nicht um eine

Einschränkung der Berichterstattung als solcher oder gar um eine Verhinderung des

sogenannten Aufdeckungsjournalismus. Es geht einzig und allein um die Frage, ob

wirklich immer - und nicht nur in begründeten Ausnahmefällen - der Name des Be-

troffenen genannt, sein Bild gezeigt oder eine sonstige ldentifizierung vorgenommen

werden darf oder nicht. Nach § 7a Abs. 2 Z 2 MedienG werden schutzwürdige lnter-

essen des Betroffenen jedenfalls verletzt, wenn sich die Veröffentlichung bloß auf

ein Vergehen bezieht oder durch die Veröffentlichung das Fortkommen unverhält-

nismäßig beeinträchtigt werden kann. Eine solche Beeinträchtigung kann nämlich

schwerer wiegen als das aus der lnformationsfreiheit erfließende lnteresse der Öf-

fentlichkeit an der Kenntnisnahme der ldentität des Betroffenen. Ferner wird durch

§ 7 MedienG der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereiches - worunter vor al-

lem das Leben in der Familie, die Gesundheitssphäre und das Sexualleben zu ver-

stehen sind - gewährleistet. Die DarsteIlung und Erörterung von dem höchstpersön-

lichen Lebensbereich eines Politikers zuzurechnenden ''Zuwiderhandlungen gegen

gesellschaftliche Wertmaßstäbe'' ist nach dieser Bestimmung nur dann ausnahms-

weise gerechtfertigt, wenn dieses Verhalten in einem unmittelbaren Zusammenhang

mit dem öffentlichen Leben steht, etwa wenn auf Grund dieser Darstellung die

Glaubwürdigkeit einer politischen Aussage des Betroffenen zu einer konkreten Fra-

ge erschüttert würde.

Zusätzliche Eingriffe in die lnformations- und Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne

eines erweiterten Persönlichkeitsschutzes scheinen mir - auch angesichts der erst

vier Jahre zurückliegenden Novellierung des Mediengesetzes - derzeit schwer vor-

stelIbar, weil die Gefahr eines Verstoßes gegen die erwähnte sensibIe Balance von

Grundrechten bestünde.

Die Frage der Höhe (insbesondere der Obergrenzen) der Entschädigungsbeträge

nach den §§ 6 ff. des Mediengesetzes ist anläßlich der Vorbereitung und Beschluß-

fassung der Mediengesetznovelle 1992 eingehend diskutiert worden. Die vorgenom-

mene Anhebung der Entschädigungsobergrenzen auf das Vier- bis Fünffache ge-

genüber 1981 in Verbindung mit der Hervorhebung, daß sich die Höhe des Entschä-

digungsbetrages im Einzelfall insbesondere auch nach ''Art und Ausmaß der Ver-

breitung des Mediums'' (also nach der Auflage, Reichweite, Zielgruppe usw.) zu

richten habe, ist sicher als Kompromi ß anzusehen. Es schiene mir aber wenig sinn-

voIl, diese Fragen nach so kurzer Zeit neuerlich aufzurollen.

Arbeiten zu einer weiteren Novellierung des Mediengesetzes sind derzeit im Bun-

desministerium für Justiz nicht im Gange.

Bestrebungen, die Wahrung der ''journalistischen Ethik'' im Wege einer erweiterten

SeIbstkontrolle - etwa durch einen Ausbau der Möglichkeiten des Österreichischen

Presserates - zu fördern, haIte ich für grundsätzlich begrüßenswert. Diskussionsan-

sätze in dieser Richtung hat es in den letzten Jahren gegeben. Sollte in diesem Zu-

sammenhang an die Möglichkeit des Ausspruches bestimmter Sanktionen durch

den Presserat gedacht werden, so würde eine solche Neuerung wohl einen breiten

Konsens unter den Medieninhabern und Medienschaffenden voraussetzen. Das

Bundesministerium für Justiz wird die weitere Entwicklung der Diskussion auf die-

sem Gebiet mit Aufmerksamkeit verfolgen.