1117/AB-BR/96
Die Bundesräte Dr. Tremmel und Kollegen haben am 22. Juli unter der Nr. 1202/J-BR/96 an mich eine schriftliche Anfrage betreffend die Zustimmung Österreichs zur Aufnahme der Republiken Tschechien und Slowenien in die EU gerichtet, welche den folgenden Wortlaut hat:
1. Sind Sie bereit, die Aufhebung der Benes-Dekrete, wie sie in der Begründung dargelegt wurden, zu betreiben?
2. Sind Sie weiters bereit, dafür Sorge zu tragen, daß diese Aufhebung der Benes-Dekrete eine Generalvoraussetzung der Zustimmung Österreichs für die Aufnahme der Republik Tschechien in die Europäische Union ist?
3. Sind Sie ebenso bereit, die gleichen Kriterien als "conditio sine qua non" bei der Aufnahme der Republik Slowenien (auch hier gab es im großen Stil die Vertreibung und Ermordung vieler deutscher Untersteirer und natürlich auch deren Enteignung als Folge der sogenannten AVNOJ-Gesetze) in die Europäische Union als Zustimmungsvoraussetzung Österreichs festzulegen?
ad 1)
Für Österreich stellt die Heimatvertriebenenfrage ein offenes Problem dar, das allerdings auch im Kontext der Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland gesehen werden muß. Gerade von tschechischer Seite wird die Frage der Wiedergutmachung für die vertriebenen Sudetendeutschen vor allem im Hinblick auf die deutsch-tschechischen Beziehungen - in viel geringerem Ausmaß in Bezug auf Österreich - als Problemkomplex wahrgenommen, zumal die Vertriebenen vor allem in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben.
Durch den bilateralen Vermögensvertrag aus dem Jahr 1974 wurden Personen, die zum Zeitpunkt der Wiedererrichtung der Republik Österreich (27.4.1945) österreichische Staatsbürger waren und deren Vermögen unter 1 Mio. tschechoslowakische Kronen betrug, bereits entschädigt. Aus österreichischer Sicht betrifft dieser Vermögensvertrag jedoch nicht jene Heimatvertriebenen, die erst nach dem erwähnten Stichtag die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben (200.000 Sudetendeutsche ließen sich nach der Vertreibung in Österreich nieder), und nicht Vermögen von Personen, die 1945 die österreichische Staatsbürgerschaft bereits besaßen, soweit diese Vermögen zum Stichtag 8. Mai 1945 den Wert von 1 Mio. Kronen überschritten haben.
In den bilateralen Gesprächen mit tschechischen Regierungsvertretern, wie auch auf Expertenebene, vertritt Österreich konsequent die Auffassung, daß die vom Vermögensvertrag 1974 nicht oder nur teilweise erfaßten Personengruppen nicht unter den
Interventionsverzicht fallen. Eine Vertretung von Ansprüchen, die sich aus der geänderten Rechtsordnung in Tschechien ergeben, ist daher in Ausübung des diplomatischen und konsularischen Schutzrechts legitim.
ad 2)
Die Frage einer Junktimierung der Aufhebung der Benes-Dekrete mit der Zustimmung Österreichs zur Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, da für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ein positiver "avis" aus Brüssel vorliegen muß. Bei positiver Bewertung des Aufnahme-Antrags ist mit dem Beginn der Verhandlungen frühestens 6 Monate nach Abschluß der Regierungskonferenz zu rechnen.
ad 3)
Auch im Falle Sloweniens gilt, daß für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ein positiver "avis" aus Brüssel vorliegen muß und daß bei positiver Bewertung des Aufnahme-Antrags mit dem Beginn der Verhandlungen frühestens 6 Monate nach Abschluß der
Regierungskonferenz zu rechnen ist.
unabhängig davon setze ich mich laufend gegenüber der slowenischen Regierung für die Entschädigung einer Reihe von österreichischen Staatsbürgern ein.