1129/AB-BR/96

Die Bundesräte Dr. Bösch und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend den Entwurf des "Übereinkommens auf Grund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Verbesserung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union" mit Stand der Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter vom 30. Mai 1996, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

l. Wird in Zukunft die Auslieferung eigener Staatsbürger an das Ausland ermöglicht werden? Wenn nein, durch welche österreichischen Rechtsbestimmungen wird der Schutz vor Auslieferung künftig garantiert werden?

2. Ist in Zukunft beabsichtigt, von der bisherigen Übung, die eine Auslieferung von Südtirolern italienischer oder anderer Staatsangehörigkeit an Italien bei Vorliegen absoluter oder relativer politischer Delikte nicht zuläßt, abzugehen? Wenn nein, welche österreichischen Rechtsbestimmungen werden künftig diesen Personen den bisher geübten Schutz vor der Auslieferung nach Italien "garantieren?

3. Auf Grund welcher rechtlicher Grundlagen oder noch zu setzender österreichischer Rechtsakte wird sichergestellt sein, daß in Österreich aufhältige Südtiroler nicht auf Grund von in der Vergangenheit gegen sie ergangener italienischer Abwesenheitsurteile wegen absoluter oder relativer politischer Delikte nach Italien zur Strafverbüßung ausgeliefert werden?

Die unterzeichneten Bundesräte stellen diese Frage insbesondere auch deshalb, weil Italien in der Vergangenheit derartige - der EMRK nicht entsprechende - Verfahren durchgeführt hat und davon Betroffene zum Teil nie eine Anklageschrift erhielten, sohin keine Möglichkeit zu ihrer Verteidigung besaßen und von ihrer Verurteilung erst aus den Medien erfahren mußten.

Ein derartiger Fall ist in einem Urteil des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich als menschenrechtswidrige Verurteilung dokumentiert (Auch dieses Urteil stellen die unterzeichneten Bundesräte dem BMFJ auf Wunsch gerne zur Verfügung).

4. Welche rechtlichen Möglichkeiten wird sich die Republik Österreich allgemein offenhalten, um in bestimmten Fällen selbst die Auslieferung von Ausländern sollten Fälle absoluter oder relativer politischer Delikte vorliegen - an Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu verweigern, wenn der Verdacht besteht, daß die Prozeßführung oder die anschließende Strafverbüßung in solchen Staaten nicht den Bestimmungen der EMRK entsprechen könnten oder es sich Oberhaupt um ungerechtfertigte politisch motivierte Verfolgungen handelt?

Die unterzeichneten Bundesräte stellen diese Fragen insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt einer späteren Erweiterung der Europäischen Union nach dem Osten und Südosten hin."

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1:

Zu dem die Auslieferung eigener Staatsangehöriger behandelnden Art. 7 des angesprochenen Übereinkommensentwurfs kann jeder Mitgliedstaat einen Vorbehalt einlegen, wonach er die Auslieferung eigener Staatsangehöriger nicht bewilligt oder nur unter bestimmten, von ihm spezifizierten Bedingungen zuläßt. Im Hinblick darauf, daß nach dem im Verfassungsrang stehenden § 12 Abs. 1 ARHG die Auslieferung österreichischer Staatsbürger unzulässig ist, wird Österreich anläßlich der Ratifikation des Übereinkommens von dieser Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch machen und erklären, die Auslieferung eigener Staatsangehöriger nicht zu bewilligen.

Zu 2 und 3:

Die Lage der ehemaligen Südtirol-Aktivisten italienischer oder anderer Staatsangehörigkeit (oder Staatenloser) wird durch das gegenständliche Übereinkommen hinsichtlich einer Auslieferung durch Österreich nicht beeinträchtigt. Die Ablehnung der Auslieferung dieser Personen an Italien wurde nämlich schon bisher im wesentlichen nicht auf den politischen Charakter der diesen angetasteten Straftaten, sondern auf andere Gründe gestützt, nämlich

- auf den Grundsatz "ne bis in idem", wenn wegen der dem Ersuchen zugrunde liegenden Taten bereits ein Strafverfahren in Österreich durchgeführt wurde; dieser Ablehnungsgrund ist nicht nur bei einer rechtskräftigen Verurteilung, sondern auch bei einem Freispruch, einer Verfahrenseinstellung oder einer Zurücklegung der Anzeige gegeben (Art. 9 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957, BGBI.NR. 320/1969);

- auf eigene Gerichtsbarkeit, wenn die dem Ersuchen zugrundeliegende Straftat ganz oder teilweise in Österreich begangen wurde (Art. 7 Abs. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens); sowie

- auf die mit einer Auslieferung verbundenen Gefahr einer Erschwerung der Lage der auszuliefernden Person aus politischen Gründen (Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens und Art. 5 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.1.1977, BGBI.NR. 446/1978).

Diese Ablehnungsgründe werden durch das geplante EU-Übereinkommen über die Auslieferung nicht berührt. Hinsichtlich der letztgenannten Ablehnungsmöglichkeit wird dies in Art. 5 Abs. 3 des neuen EU-Auslieferungsübereinkommens ausdrücklich klargestellt. Für die beiden anderen Ablehnungsgründe ergibt sich dies daraus, daß das EU-Übereinkommen nach seinem Art. 1 nur den Charakter einer Ergänzung zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen haben wird, dessen Regelungsinhalte daher unangetastet bleiben, soweit sie nicht durch neue Bestimmungen geändert oder ergänzt werden. Damit ist sichergestellt, daß die dargestellten Ablehnungsgründe im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch weiterhin herangezogen werden können.

Zu 4:

Zunächst sei darauf hingewiesen, daß sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union die EMRK ratifiziert und die Individualbeschwerde nach deren Art. 25 zugelassen haben; es ist davon auszugehen, daß dies auch unabdingbare Voraussetzung für die Mitgliedschaft weiterer Staaten sein wird. Damit sollte ausreichend gewährleistet sein, daß das Strafverfahren in diesen Staaten und eine daran allenfalls anschließende Strafvollstreckung mit den in der EMRK enthaltenen Grundsätzen im Einklang stehen. Sollten jedoch einmal trotzdem begründete Bedenken bestehen, daß die Einhaltung der Bestimmungen der EMRK nicht gewährleistet ist oder eine ungerechtfertigte politische Verfolgung vorliegt, so bleibt die Möglichkeit der Ablehnung der Auslieferung nach dem (gemäß Art. 5 Abs. 3 des EU-Übereinkommens aufrechtbleibenden) Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, der nicht nur auf die rechtliche, sondern auch auf die faktische Lage in einem Land abstellt. Im übrigen wird auf die Beantwortung zu 2 und 3 verwiesen.