1302/AB-BR BR
zur Zahl 1414/J - BR/98
Die Bundesräte Dr. Susanne Riess - Passer und Kollegen haben an mich eine schrift -
liche Anfrage, betreffend die Schaffung eines österreichischen Konzernrechts, ge -
richtet und folgende Fragen gestellt:
"1. Ist es geplant, eine Reform des österreichischen Konzern rechts durchzufüh -
ren?
- Wenn ja, wann ist damit zu rechnen?
- Welche Regelungen sind dabei zu erwarten?
2. Glauben Sie, daß durch dem dAktG vergleichbare konzernrechtliche Regelun -
gen nachteilige Einflußnahmen auf "Tochtergesellschaften" zu verhindern wä -
ren?
- Wenn nein, warum nicht?
3. Glauben Sie, daß durch entsprechende konzernrechtliche Bestimmungen (in
Deutschland ein Verbot nachteiliger Einflußnahme bzw. eine Ausgleichspflicht
für zugefügte Nachteile) eine Produktionseinschränkung beim "Semperitwerk"
zu verhindern gewesen wäre?
4. Warum wurden in Österreich trotz massiven Forderungen der Wissenschaft bis
dato keine konzernrechtlichen Regelungen eingeführt?
5. War dabei die Tatsache von Einfluß, daß der BGH die Bundesrepublik
Deutschland als herrschendes Unternehmen qualifiziert hatte und die Republik
Österreich bei Schaffung entsprechender Regelungen Gefahr laufen könnte,
ebenfalls als herrschendes Unternehmen qualifiziert zu werden, sodaß eine
Einflußnahme auf die so zahlreichen "Tochter - und Enkelunternehmen" er -
schwert würde?"
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1:
Nach umfangreichen, letztlich aber ergebnislosen Bemühungen der Europäischen
Kommission zur Vorbereitung einer Konzernrechtsrichtlinie hat in den vergangenen
Jahren eine aus Angehörigen verschiedener europäischer Staaten zusammenge -
setzte Professorengruppe einen Vorschlag für ein europäisches Konzernrecht aus -
gearbeitet, der in Kürze der Kommission vorgestellt werden soll. In dieser Experten -
gruppe ist auch Österreich vertreten. Abzuwarten ist nun jedenfalls, ob die Kommis -
sion diesen Vorschlag aufgreift und einen neuerlichen Vorstoß in Richtung eines eu-
ropäischen Konzernrechts unternimmt. Sollte sich die Schaffung eines europäischen
Konzernrechts in naher Zukunft abzeichnen, wird sich das Bundesministerium für
Justiz daran aktiv beteiligen. Ansonsten wird das Bundesministerium für Justiz die
umfassende legislative Ausgestaltung dieses Bereichs als mittelfristig zu realisieren -
des nationales Projekt betreiben. Dabei wird auch zu beachten sein, welche ande -
ren Gesetzesvorhaben im Handels - und Gesellschaftsrecht zu bewältigen sind. So
kann etwa davon ausgegangen werden, daß die fortgesetzten Bemühungen der Eu -
ropäischen Union um den Binnenmarkt voraussichtlich auch im Gesellschaftsrecht
Anlaß zu weiteren Neuerungen geben werden (so zählt beispielsweise die Schaf -
fung von Richtlinien bzw. Verordnungen über grenzüberschreitende Verschmelzun -
gen und grenzüberschreitende Sitzverlegungen sowie des Statuts einer Europäi -
schen Aktiengesellschaft zu den derzeit aktuellen Vorhaben). In diesem Zusammen -
hang muß weiters auch eine Überforderung der Wirtschaft und der Rechtsberufe
durch eine allzu dichte Aufeinanderfolge gesetzlicher Neuregelungen auf diesem
Rechtsgebiet vermieden werden.
Welche Regelungen bei einer umfassenden Kodifikation des Konzernrechts zu er -
warten sind, hängt maßgeblich von einer möglichen europarechtlichen Vorgabe ab;
im Fall eines eigenständigen nationalen Gesetzesprojekts wird sich das Bundesmi -
nistenum für Justiz an dem zuvor erwähnten Vorschlag der Professorengruppe ori-
entieren.
Zu 2:
Diese Frage geht offensichtlich von der Auffassung aus, daß das österreichische
Gesellschaftsrecht keine konzernrechtlichen Bestimmungen enthielte und daß nach -
teilige Einflußnahmen auf Tochtergesellschaften ohne weiteres gestattet wären.
Dies trifft jedoch nicht zu. Zwar kennt die österreichische Rechtsordnung kein kodifi -
ziertes Konzernrecht, doch enthält das österreichische Gesellschaftsrecht sehr wohl
Regelungen, die für die wichtigsten Fragen des Konzernrechts Lösungen bieten.
Wie in Deutschland muß auch in Österreich zunächst zwischen einem Vertragskon -
zern und einem faktischen Konzern unterschieden werden.
Bei einem Vertragskonzern ist sowohl nach österreichischem als auch nach deut -
schem Recht die nachteilige Einflußnahme auf Tochtergesellschaften völlig legitim.
Freilich muß zum Ausgleich der Gewinn - und Verlustausschließungsvertrag (Organ -
schaftsvertrag) vorsehen, daß nicht bloß die Gewinne der Tochter vorbilanziell an
die Muttergesellschaft abgeführt werden, sondern daß auch allenfalls sich ergeben -
de Verluste jährlich ausgeglichen werden und dadurch die Bilanz "auf Null ge -
stellt" wird. Durch diesen Verlustausgleich wird ein Schutz der Gläubiger erreicht.
Auch für den Schutz der Minderheitsaktionäre trifft das österreichische Recht Vor -
sorge; dieser kann etwa darin bestehen, daß den Minderheitsaktionären ähnlich wie
bei einer Verschmelzung der angemessene Umtausch der Aktien der Tochtergesell -
schaft in andere Wertpapiere, z.B. Aktien der Muttergesellschaft, angeboten bzw.
daß ihnen unabhängig von der späteren Gewinnlage der Tochtergesellschaft eine
angemessene Dividende garantiert wird.
Beim faktischen Konzern ist es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich
unzulässig, der Tochtergesellschaft wirtschaftliche Nachteile zuzufügen. Wird dieser
Grundsatz verletzt, so hat die Tochtergesellschaft zunächst Schadenersatzansprü -
che gegen ihre dabei mitwirkenden Organe. Jedenfalls soweit der Muttergesell -
schaft durch die für die Tochtergesellschaft nachteilige Gestion ein Vorteil zugewen -
det wurde, hat die Tochtergesellschaft auch nach österreichischem Recht Anspruch
auf Erstattung dieses Vorteils durch die Muttergesellschaft. Derartige Zuwendungen
an die Muttergesellschaft, zum Beispiel durch zu billige Verkäufe von Anlagevermö -
gen, führen bei 100prozentigen Töchtern in der Praxis zwar nur selten zur tatsächli -
chen Rückerstattung der Leistung (am ehesten im Konkurs), dies ist aber auch in
Deutschland nicht anders. Der wichtigste Unterschied der deutschen Rechtslage
zum faktischen Konzern gegenüber dem österreichischen Recht liegt darin, daß dort
der Vorstand der Tochtergesellschaft einen jährIichen Bericht über die Konzern -
transaktionen (den sogenannten Abhängigkeitsbericht) zu erstatten hat, der vom
Abschlußprüfer der Tochtergesellschaft und von deren Aufsichtsrat zu prüfen ist,
aber geheim bleibt. Die Beurteilung der Wirksamkeit dieses Instruments in der deut -
schen Praxis ist umstritten.
Zu 3:
Mir sind die unternehmensinternen Einzelheiten der Produktionseinschränkung im
Semperitwerk nicht bekannt. Letzten Endes ist es aber nicht Aufgabe des Konzern -
rechts, Konzentrationen, Schließungen und Produktionsverlagerungen zu verhin -
dern. Das Konzernrecht schützt bei derartigen Maßnahmen nicht etwa Arbeitsplät -
ze, den Wettbewerb oder regionale Wirtschaftsinteressen, sondern vor allem die In -
teressen der Minderheitsaktionäre und die Interessen der Gläubiger. Soweit Arbeit-
nehmerinteressen und öffentliche Interessen nach österreichischem Aktienrecht
vom Vorstand mitzuberücksichtigen sind, gilt dies bereits auf Grund der gegebenen
Rechtslage und ist ganz unabhängig von einem konzemrecht zu beachten. Wie un -
zählige Beispiele der Produktionsverlagerung aus Deutschland in europäische und
außereuropäische Billiglohnländer zeigen, schützt auch das deutsche Konzernrecht
Tochtergesellschaften nicht vor der Verlagerung von Produktionsstandorten ins Aus -
land. Bei derartigen Vorgängen muß aus gesellschaftsrechtlicher Sicht in erster Li -
nie nur sichergestellt sein, daß die Minderheitsgesellschafter und die Gläubiger ge -
sichert sind. Dies ist nach geltendem österreichischen Recht weitgehend der Fall.
Zu 4:
In Österreich besteht - wie bereits zu Frage 2 ausgeführt - zwar kein kodifiziertes
Konzernrecht, doch bietet das österreichische Gesellschaftsrecht Lösungen für die
wichtigsten Fragen in diesem Bereich. Die damit angesprochenen Regelungen wur -
den und werden seit Jahren Schritt für Schritt weiterentwickelt.
Im besonderen sind die zentralen Probleme des Konzerns, nämlich die Fragen des
Schutzes der Minderheitsaktionäre und des Schutzes der Gläubiger, im Aktienrecht
und GmbH - Recht durch eine Reihe von Bestimmungen eingehend geregelt. Wie
ebenfalls bereits dargestellt wurde, sind auch nach österreichischem Recht zumin -
dest dann, wenn Minderheitsaktionäre vorhanden sind, die Zufügung von Nachteilen
und insbesondere nachteilige Weisungen der Muttergesellschaft gegenüber der
Tochtergesellschaft unzulässig.
Zuwendungen der Tochtergesellschaft zugunsten der Muttergesellschaft bzw. des
Konzerns, die sachlich nicht gerechtfertigt sind (und damit in der Regel die "Tochter"
schädigen), werden in Österreich nicht nur steuerrechtlich als verdeckte Gewinnaus -
schüttungen behandelt, sondern begründen auch einen gesellschaftsrechtlichen
Rückersatzanspruch, der zumindest im Fall des Konkurses der Tochtergesellschaft
auch in der Praxis geltend gemacht wird.
Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Österreich Gewinn - und Verlustaus -
schließungsverträge, die im Ergebnis eine Verlustausgleichspflicht der Muttergesell -
schaften bewirken und auf diesem Weg die Gläubiger schützen.
Eine Reihe von Bestimmungen regelt den Sonderfall der Beziehung zwischen ab -
hängigem und herrschendem Unternehmen, z.B. im Zusammenhang mit dem Er -
werb von Aktien des herrschenden Unternehmens durch ein abhängiges Unterneh -
men, im Bereich der Auskunftserteilung, im Bereich der Ausübung von Stimmrech -
ten aus Aktien einer herrschenden Gesellschaft durch die abhängige Gesellschaft,
bei der Kreditgewährung an gesetzliche Vertreter oder leitende Angestellte eines
herrschenden oder abhängigen Unternehmens sowie bei den Imkompatibilitäten.
Die Beratungen der beim Bundesministerium für Justiz eingerichteten Arbeitsgruppe
zum Konzernrecht führten zunächst - und schon lange vor dem Beitritt Österreichs
zum EWR - zu Regelungen über die Konzernrechnungslegung (Rechnungsle -
gungsG 1991). Weiters befaßte sich diese Arbeitsgruppe mit dringenden Gesetzge -
bungsvorhaben, die zum Teil die Anliegen eines Konzernrechts vorwegnahmen:
Das 1997 in Kraft getretene EU - Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz erbrachte eine
umfassende Neuregelung des Gesellschaftsrechts im Bereich der Verschmelzung,
Umgründung und Spaltung. Mit einer Änderung des § 122 AktG durch das IRÄG
1997 wurde die Minderheitsklage erweitert und die Verfolgung von Ansprüchen aus
verdeckter Gewinnausschüttung durch eine Minderheit von 10 %, unter Umständen
von 5 % der Aktionäre ermöglicht. Damit wurde die Sanktion des Verbots verdeckter
Gewinnausschüttungen im österreichischen Konzern recht wesentlich verschärft.
Im übrigen trug der Gesetzgeber erst jüngst der schon in den letzten beiden Jahren
zu beobachtenden und in Zukunft wohl noch ansteigenden Zunahme von Unterneh -
mensübernahmen Rechnung, nämlich in Gestalt des am 8. Juli 1998 beschlossenen
und am 1. Jänner 1999 in Kraft tretenden Übernahmegesetzes, das auch konzern -
rechtlich von hoher Bedeutung ist. Dieses Gesetz sieht Schutzbestimmungen für
Minderheitsaktionäre vor. Besonders die Bestimmungen über das an alle Minder -
heitsaktionäre zu richtende Pflichtangebot für den Fall des Erlangens der Kontrolle
über eine börsenotierte Aktiengesellschaft sind als Konzerneingangsschutz zu se -
hen. Das Pflichtangebot gewährt den Minderheitsaktionären einer börsenotierten
Aktiengesellschaft ein Austrittsrecht; diese können ab 1. Jänner 1999 ihre Beteili -
gungspapiere zu einem fairen Preis dem neuen kontrollierenden Aktionär verkaufen,
sodaß sie wirtschaftlich am vorangegangenen Pakethandel beteiligt werden. Durch
das im Übernahmegesetz vorgesehene Pflichtangebot sind meines Erachtens die
konzernrechtlichen Interessen der Minderheit beim Kontrollwechsel besser ge -
schützt als nach den deutschen Bestimmungen: Während nach deutschem Recht
dem neuen Konzernherrn nur die Nachteilszufügung verboten wird, ermöglicht das
österreichische Übernahmegesetz dem Minderheitsaktionär ein Austrittsrecht aus
der Tochtergesellschaft zu beinahe denselben Bedingungen, die der bisherige
Großaktionär hatte. Das Übernahmegesetz läßt nämlich beim Pflichtangebot nur ei -
nen Abschlag vom Paketpreis von höchstens 15 % zu; und selbst in diesem Rah -
men kann ein Abschlag durch Satzungsbestimmung ausgeschlossen werden.
Schließlich ist beabsichtigt, alternativ zu den im HGB normierten Rechnungsle -
gungsbestimmungen auch die Zulässigkeit von international üblichen Konzernrech -
nungslegungsgrundsätzen (insbesondere IAS und GAAP) vorzusehen. Ein entspre-
chender Gesetzesentwurf wird derzeit im Bundesministerium für Justiz vorbereitet.
Abschließend sei rechtsvergleichend erwähnt, daß weltweit außer in Deutschland
sowie in Slowenien und Kroatien, die bei ihrer Rezeption des deutschen Kapitalge -
sellschaftsrechts auch das deutsche Konzernrecht fast wörtlich übernommen haben,
nur in Portugal und Brasilien eine geschlossene Kodifikation des Konzernrechts vor -
liegt. Alle anderen Staaten - auch die übrigen Industriestaaten - haben bisher auf ei -
ne Kodifikation des Konzernrechts verzichtet.
Zu 5:
In der in der Anfrage offenbar angesprochenen VEBA/Gelsenberg - Entscheidung
des deutschen Bundesgerichtshofs, BGHZ Bd. 69, S. 334, ging es keineswegs um
die Schmälerung des Einflusses des Bundes auf seinen Beteiligungsbesitz. Die Ent -
scheidung hatte bloß die Frage zum Gegenstand, ob sich ein Minderheitsaktionär
einer eingegliederten Tochtergesellschaft, die über mehrere Stufen mehrheitlich
dem Staat gehört, mit den ebenfalls mehrheitlich im Staatsbesitz befindlichen VEBA -
Aktien zufriedengeben muß oder eine Barabfindung fordern kann. Die in der VEBA -
Entscheidung aufgeworfene Frage, ob der Staat als beherrschendes Unternehmen
zu qualifizieren ist, spielt in Deutschland deshalb eine große Rolle, weil für die An -
wendbarkeit von wesentlichen Teilen des Konzernrechts die Unternehmereigen -
schaft des beherrschenden Aktionärs erforderlich ist. Daher mußte im VEBA - Fall
entschieden werden, ob dem Staat Unternehmereigenschaft zuzusprechen war.
Nach österreichischem Recht spielt die Frage der Unternehmereigenschaft der öf -
fentlichen Hand im Konzernrecht praktisch keine Rolle, weil die Anwendbarkeit der
Vorschriften zum Schutz der Minderheit und zum Schutz der Gläubiger davon nicht
abhängt. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der zu 100 % verstaatlichten ÖIAG
seit dem ÖIAGG 1993 (PrivatisierungsG) die Ausübung konzernmäßigen Einflusses
auf ihre Beteiligungen gesellschaftsrechtlich verboten ist.