1385/AB-BR BR
Die Bundesräte Dr. Susanne Riess - Passer und Kollegen haben am 7. Oktober 1998 unter
der Nr. 14937J - BR798 an mich eine schriftliche Anfrage gerichtet, welche den folgenden
Wortlaut hat:
1. Ist die Aussage des US - Botschafters bei der EU inhaltlich richtig oder falsch?
- Wenn sie falsch ist, warum?
2. Wenn sie richtig ist, werden anläßlich der Präsidentschaft nationale Interessen
Österreichs durchgesetzt?
- Wenn ja, welche?
- Wenn nein, warum nicht?
3. Sind Sie der Auffassung, daß für Österreich fundamental wichtige Interessen es nicht
Wert sind, anläßlich der EU - Präsidentschaft massiv eingefordert zu werden?
- Wenn ja, aus welchen Gründen?"
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Zu Fragen 1 und 2:
Die Aufgabe einer Präsidentschaft ist inhaltlich in erster Linie das Management der EU -
Agenda im weitesten Sinne. Die EU - Präsidentschaft führt während eines Semesters den
Vorsitz in allen Formationen des Rates der Europäischen Union, beim Europäischen Rat
der Staats - und Regierungschefs sowie in den vorbereitenden Gremien, wie dem
Ausschuß der Ständigen Vertreter und den Ratsarbeitsgruppen. Diese Vorsitzführung
bewirkt, daß der Präsidentschaft eine entscheidende Rolle in der Setzung von
Schwerpunkten in den Arbeiten innerhalb der Europäischen Union und in der Gestaltung
des Arbeitsprogramms der einzelnen EU - Gremien zukommt.
Darüber hinaus erfüllt die Präsidentschaft auch wichtige Aufgaben im Rahmen der
Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik. So ist sie u.a. der zentrale Ansprechpartner
für Drittstaaten, und es obliegt ihr, in internationalen Organisationen und auf
internationalen Konferenzen die Standpunkte der Union darzustellen und zu vertreten.
Ein wichtiges Kriterium für den Erfolg einer EU - Präsidentschaft ist ihre Unabhängigkeit.
Die Rolle als Vorsitzender verpflichtet ihrer Natur nach die Präsidentschaft zur
Unparteilichkeit. Nur wenn die Präsidentschaft glaubwürdig diese Rolle erfüllt, kann es ihr
gelingen, durch Vermittlung und Kompromißsuche die anstehenden Dossiers zur
Entscheidungsreife zu bringen und die für die Beschlußfähigkeit erforderlichen Mehrheiten
der Mitgliedstaaten zu erzielen.
Österreich kann seine Präsidentschaft nicht dazu verwenden, um der Union sechs
Monate lang seine nationalen Wünsche aufzuzwingen. Denn jede Entscheidung in der
Union bedarf der Zustimmung zumindest einer Mehrheit der 15 Mitgliedstaaten, wodurch
national gefärbten Alleingängen ein wirksamer Riegel vorgeschoben ist. Die
Präsidentschaft ist somit in erster Linie eine Dienstleistung, die am Gesamtinteresse der
Union orientiert sein muß.
Zu Frage 3:
Dies bedeutet nicht, daß der die Präsidentschaft ausübende Mitgliedstaat während eines
Semesters von seinen nationalen Interessen Abstand nehmen muß. Auch während seiner
Präsidentschaft führt Österreich nicht nur den Vorsitz, sondern ist darüber hinaus
weiterhin in allen EU - Gremien durch eine nationale Delegation vertreten. Infolgedessen ist
es möglich, auch während der laufenden Präsidentschaft weiterhin nationale Anliegen
innerhalb der EU vorzubringen.