1391/AB-BR BR
In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 1498/J - BR betreffend die
Gewährung von Förderungen bei einer Osterweiterung der EU, welche die Abgeordneten
Dr. Riess - Passer und Kollegen am 7.10.1998 an mich richteten, stelle ich fest:
Antwort zu den Punkten 1 und 5 der Anfrage:
Hier ist zunächst eine begriffliche Klarstellung vorzunehmen. Es ist zwischen
Grenzlandförderung einerseits, die von einer dauerhaft trennenden Grenze ausgeht, und
,,grenzüberschreitender Zusammenarbeit" andererseits, die auf die Überwindung dieser Grenze
ausgerichtet ist, zu unterscheiden. Während ich den Aktivitäten, die dem erstgenannten Begriff
untenfallen, tatsächlich kritisch gegenüberstehe, bin ich ein klarer Befürworter aller
Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit benachbarten Staaten und Regionen.
Meine Skepsis gegenüber einer "Grenzlandförderung" ergibt sich aus den folgenden
Überlegungen:
Spezielle Förderungen dieser Art halte ich gerade für einen Nettozahler wie Österreich für ein
"zweischneidiges Schwert", zumal diese Förderungen einerseits durch den österreichischen
EU - Beitrag selbst (zumindest teilweise) aufzubringen sind, andererseits in jedem
Förderprogramm eine nationale Mitfinanzierung erforderlich ist, sodaß die Gefahr besteht, in
eine sogenannte "Förderfalle" zu tappen.
Überdies können Förderungen jedenfalls nur ein Teil einer umfassenden
Regionalentwicklungsstrategie sein.
Rasches und vorausschauendes Denken und Handeln bereiten die Grenzregionen meiner
Ansicht nach jedenfalls besser auf die Erweiterung vor als der Ruf nach mehr Fördermittel. Es
gilt daher für die Unternehmen, die sich aus der Erweiterung ergebenden Chancen zu ergreifen
und vor allem die künftigen Möglichkeiten interregionaler Arbeitsteilung offensiv zu nutzen.
Die bisherigen Entwicklungsimpulse können mittelfristig nur dann ausgebaut und gefestigt
werden, wenn es gelingt, funktionierende grenzüberschreitende Strukturen zu schaffen.
Ich bin der Auffassung, daß vorrangig bestehende Förderprogramme herangezogen werden
sollten, bevor an die Schaffung von Sonderprogrammen gedacht wird.
Diese Programme bieten sich zugleich als ein geeignetes Instrument an, die Beitrittskandidaten
an die EU - Rahmenbedingungen (Umsetzung, etc.) heranzuführen und damit auch einzelne
Ungleichgewichte in den Wettbewerbsbedingungen auszugleichen. Im Rahmen der
Vorbeitrittsstrategie erfolgt die schrittweise Harmonisierung mit den Instrumenten der
Strukturpolitik (Strukturfonds: ISPA; Agrarfonds: SAPARD).
Grundsätzlich spielt dabei das Konzept der Partnerschaft eine wichtige Rolle. Die relevanten
Programme werden ständig weiterentwickelt. So wird etwa derzeit an einer Neukonzeption
(2000 bis 2006) der beiden Programme INTERREG und PHARE - CSC in Richtung
weitgehender Harmonisierung beider Programme gearbeitet. Schwerpunkt wird eine
gemeinsame Programmplanung sein, wobei PHARE - CSC verstärkt auf die Förderung der
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere an der EU - Außengrenze abzielen soll.
Derzeit sind die Projekte einer echten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nämlich noch in
der Minderheit.
Darüber hinaus wurde im letzten PHARE Verwaltungsausschuß am 8.10.1998 ein
gemeinsames Papier der DG IA und XVI über zukünftige grenzüberschreitende Kooperation
diskutiert. Kernelemente sind die Definition gemeinsamer Entwicklungsstrategien und
Prioritäten in der Grenzregion, eine sozio - ökonomische und geographische Einheit mit einer
Mittelaufteilung von 2/3 auf die derzeitige EU - Außengrenze und 1/3 auf die übrigen Grenzen,
ein einziges Programm für alle Grenzgebiete, kohärente und komplementäre Aktionen zu den
Regionalentwicklungsprogrammen bzw. Ziel 1 - Gebieten.
Neben den dargestellten Programmen über grenzüberschreitende Zusammenarbeit besonders
hervorzuheben sind hier die INTERREG - Programme zwischen Ö/CS, Ö/SK, Ö/SLO und Ö/H
- gibt es auch regionalisierte Gemeinschaftsinitiativen wie z.B. LEADER und RETEX an
Österreichs osteuropäischen Grenzen.
Weiters wird auch auf die Projekte im Rahmen von Interreg II C hingewiesen. Sie lösen sich
von der rein bilateralen und regionalbezogenen Dimension und ergänzen diese um den
transnationalen Bezug. Damit erfährt die Zusammenarbeit an der EU - Außengrenze einen
Zuwachs an Bedeutung und gemeinsamer Verantwortung und wird gleichzeitig in eine
Struktur eingebettet, die einen intensiven und vielschichtigen Informations - und
Erfahrungsaustausch zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten und den MOEL ermöglicht.
Interreg II C ist damit noch deutlicher auf die strategische Aufgabe der EU - Erweiterung
ausgerichtet. Gleichwohl knüpfen die Interreg - II - C - Projekte an bereits bestehende Strukturen
und Netze aus Interreg II A an bzw. ergänzen und erweitern sie. Im Zentrum stehen Projekte,
die eine großräumige Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten vor dem Hintergrund der
gesamteuropäischen Raumentwicklung, der Vertiefung der Beitrittsverhandlungen und der
Umsetzung europastrategisch relevanter Projekte anstreben.
Derzeit wird im Rahmen der Agenda 2000 eine bessere Dotierung und eine günstigere
Regelung für Österreich verhandelt.
Zudem muß bedacht werden, daß Förderprogramme allein das bestehende
Lohnstückkostengefälle zu den MOEL nicht ausgleichen können.
So wird der Lohnkostenvorteil mittel - und osteuropäischer Staaten zum Teil durch die
bedeutend höhere Produktivität der österreichischen Arbeitskraft wettgemacht. Speziell bei
qualitativ hochwertigen Erzeugnissen ergeben sich dadurch bedeutende Unterschiede. Es zeigt
sich schon, daß auch die "umgekehrte Richtung" der Kaufkraftabflüsse (d.h. von den MOEL
nach Österreich) die Grenzregionen durchaus profitieren läßt. Um Strukturschwankungen
abzufedern, ist es daher auch erforderlich, daß österreichische Unternehmen die Zeit bis zu
einem Vollbeitritt unserer Nachbarstaaten zur EU intensiv nutzen, um vorhandene Stärken
(z.B. Fachwissen, unternehmerische Erfahrung, Lieferzuverlässigkeit und Service) weiter
auszubauen.
Daneben bedarf es jedoch auch Übergangsfristen für bestimmte österreichische
Dienstleistungsbranchen, darunter auch für die Baubranche. Die Liberalisierung von
Personenfreizügigkeit und Dienstleistungserbringung wird jedenfalls die Erfüllung bestimmter
Kriterien erfordern, wobei eine strikte Kontrolle durch die österreichischen Behörden, z.B.
Einhaltung der kollektivvertraglichen Regelungen für osteuropäische Unternehmen, welche in
Österreich Dienstleistungen erbringen, zu gewährleisten ist (vgl. Verhandlungen über die
Umsetzung der Entsende - Richtlinie, Änderung des Arbeitsvertragsrechts -
Anpassungsgesetzes).
Im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Österreich ist auch der
Aus - und Weiterbau sämtlicher Infrastrukturbereiche, vor allem in den Grenzregionen,
notwendig, um eine Ausgangsbasis für österreichische Unternehmen zu schaffen, damit die
Integration sowie Kooperation mit osteuropäischen Unternehmen verbessert werden kann.
Dies betrifft neben einer Abstimmung, Ausbau und Vernetzung bestehender Infrastrukturein -
richtungen zur Sicherung einer adäquaten Verkehrsanbindung der Grenzregionen u.a. auch
Maßnahmen im Bereich von Telekommunikationseinrichtungen (Transeuropäische Netzwerke
TEN). Auch die Modernisierung und Vorbereitung von Unternehmen und Verwaltungen in
den MOEL zur Erfüllung der EU - Standards erfordern Investitionen in den verschiedensten
Bereichen (z.B. kommunikations - und informationsunterstützte Datenbanken, Einrichtungen
von Meß - und Prüflabors für Qualitäts -, Veterinär - und Pflanzenschutzkontrollen,
Modernisierung von Produktionsanlagen sowie elektronische Sicherungseinrichtungen, etc.).
Hinsichtlich des Datenaustausches mit europäischen Datenbanken ist mit anfänglichen
Problemen zu rechnen, dies betrifft jedoch nicht ausschließlich die Grenzregionen.
Im Tourismus ist eine stärkere Konkurrenzierung in Bereichen, in denen Überlappungen bei
den Angeboten festzustellen sind, als Beispiel sei der Gesundheits - und Kurtourismus genannt,
nicht ganz auszuschließen. Es wird also auf die Präsenz eines qualitativ hochwertigen
österreichischen Angebotes auf den touristischen Märkten - insbesondere in Europa -
ankommen, ob Gäste in ausreichender Zahl die vorhandenen Kapazitäten auslasten werden,
wobei vermehrt Gäste aus Osteuropa dabei sein können.
Die Regionen Österreichs, die an die Oststaaten angrenzen, werden voraussichtlich wieder
Ziel - Gebiete sein, so daß im Zusammenhang mit den EU - Strukturfonds auch nationale
bundesseitige Förderungsmittel zum Einsatz kommen werden. Ein Anteil wird auf den
Tourismus zum Zweck vor allem seiner Profilierung und Spezialisierung entfallen.
Im Laufe der geplanten Übergangszeit sollte es den touristischen Unternehmen gelingen, sich
den geänderten Konkurrenzverhältnissen anzupassen.
Eine Unterstützung der Unternehmen in den Grenzregionen sollte, wie die vorangegangenen
Überlegungen zeigen, nicht ausschließlich finanziellen Charakter aufweisen, vielmehr sind auch
sogenannte soft - aid Maßnahmen ins Kalkül zu ziehen. Insbesondere ist es mir daher ein
Anliegen, die Zielsetzungen des BMwA hinsichtlich konkurrenzfähiger ökonomischer
Rahmenbedingungen rasch zu verwirklichen. Wettbewerbsverzerrungen durch anlaßorientierte
Förderpolitik sind jedenfalls hintanzuhalten.
Antwort zu Punkt 2 der Anfrage:
Ich bin überzeugt, daß die Ostöffnung allein die Wettbewerbssituation der grenznahen
Wirtschaftstreibenden bereits wesentlich verbessert hat und daß auch in Zukunft ein weiteres
Anhalten und - durch die Osterweiterung - eine weitere Verstärkung dieser positiven
Entwicklung zu erwarten sind. So haben sich bereits bisher enorme Vorteile und Chancen für
die Wirtschaft der Grenzregionen ergeben. Während des kalten Krieges haben diese Regionen
jahrzehntelang unter der "toten" Grenze zu unseren mitteleuropäischen Nachbarstaaten
gelitten. Als Ergebnis war eine intensive Abwanderung aus diesen Regionen zu verzeichnen.
Die Ostöffnung hat wieder zu einem Aufleben dieser Gebiete geführt. So ist die Zahl der
Beschäftigten in den unmittelbaren Grenzregionen in den ersten sechs Jahren nach der
Ostöffnung um 12,6 % gestiegen (österreichweit lag die Steigerungsrate bei 6,3 %). Auch bei
den Einkommen entwickelten sich die grenznahen "Problemregionen" viel besser als der
österreichische Durchschnitt.
Durch die Osterweiterung sind eine weitere Belebung der lokalen Industrie, mehr
Arbeitsplätze und steigende Investitionen zu erwarten. Neue Chancen in diesem
Zusammenhang werden sich insbesondere ergeben durch:
- den Zollabbau im industriell - gewerblichen Bereich, der vielen österreichischen
Exporteuren und grenzüberschreitenden Unternehmen zugute kommen wird,
- die wegfallenden Grenzkontrollen,
- die administrativen Vereinfachungen für alle österreichischen Unternehmen,
- den Wegfall und die Reduzierung der Abfertigungszeiten und
- den Wegfall der Notwendigkeit von Warenabfertigungspapieren einschließlich der
Ursprungszeugnisse.
Außerdem wird sich die im Zuge der Beitrittsvorbereitungen zu erwartende Steigerung der
Rechtssicherheit positiv auswirken.
Die bisherigen großen (infrastrukturellen) Standortnachteile werden auch dadurch beseitigt,
daß diese Regionen vom Rand ins "Herz Europas" rücken werden.
Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:
Wirtschaftlicher Niedergang und dadurch hervorgerufene "Pleitewellen" werden - wie die zu
Frage 2 skizzierte bisherige Entwicklung eindrucksvoll bestätigt hat - nicht durch offene
Grenzen und Wettbewerb, sondern durch tote Grenzen begünstigt.
Durch den jahrelangen "Eisernen Vorhang" bestehen Probleme der Grenzlandwirtschaft in der
äußerst exponierten, geographischen Läge zu den osteuropäischen Nachbarn. Der "normale"
Strukturwandel in dieser Region verläuft somit anders als im übrigen Österreich. Daher
können Firmenschließungen langfristig durch die Osterweiterungen zwar direkt verursacht
werden, aber gleichzeitig auch als Vorwegnahme eines permanenten Strukturwandels oder als
vorgezogener Strukturwandel dargestellt werden.
Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:
Ein Nachholbedarf besteht im Telekombereich insofern, als eine stärkere und bessere
Vernetzung der Betriebe in den MOEL untereinander einerseits sowie mit österreichischen
Betrieben andererseits notwendig ist.