2211/AB-BR/2006
Eingelangt am 17.07.2006
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
Anfragebeantwortung
JOSEF PRÖLL
Bundesminister
An den Zl. LE.4.2.4/0035-I 3/2006
Herrn Präsidenten
des Bundesrates
Parlament
1017 Wien Wien, am 13. Juli 2006
Gegenstand: Schriftl.parl.Anfr. der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen
und Kollegen vom 22. Mai 2006, Nr. 2405/J-BR/2006, betreffend
Lagerung von radioaktiven Abfällen aus Österreich
Auf die schriftliche Anfrage der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen vom 22. Mai 2006, Nr. 2405/J-BR/2006, betreffend Lagerung von radioaktiven Abfällen aus Österreich, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:
Ich ersuche um Verständnis dafür, dass über Fragen, die die Sicherung von Kernanlagen betreffen oder berühren, keine Auskünfte erteilt werden können.
Grundsätzliche Bemerkungen
Mit dem Strahlenschutz-EU-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/2002, vom 20. August 2002, wurde das Management radioaktiver Abfälle in Österreich erstmals einer grundsätzlichen gesetzlichen Regelung unterworfen. Diese gesetzliche Regelung wurde am 10. Juli 2002 im Nationalrat und am 25. Juli 2002 im Bundesrat jeweils einstimmig beschlossen.
In Vollziehung dieser neuen Bestimmungen des Strahlenschutz-EU-Anpassungsgesetzes hat mein Ressort im Jahre 2003 mit der Austrian Research Centers Seibersdorf Ges.m.b.H. – nach der Neustrukturierung der Austrian Research Centers, nunmehr Nuclear Engineering Seibersdorf (NES), und der Gemeinde Seibersdorf das Management für in Österreich anfallende radioaktive Abfälle neu vertraglich festgelegt.
Der Vertrag mit NES gewährleistet eine ordnungsgemäße Sammlung, Sortierung und Mineralisierung brennbarer Abfälle, sowie die Konditionierung und Zwischenlagerung der in Österreich anfallenden radioaktiven Abfälle bis zum Jahre 2030.
Durch die im Vertrag festgelegte Kostentragung des Bundes für die am Standort Seibersdorf bestehenden Anlagen für das Abfallmanagement, ihre allfällige Erweiterung, Instandhaltung und spätere Dekommissionierung können die Kosten für das Abfallmanagement und die spätere endgültige Beseitigung für die Abfallerzeuger in einem leistungsgerechten Rahmen gehalten werden, wodurch eine illegale Beseitigung radioaktiver Abfälle verhindert werden soll.
Hinsichtlich der Forschungstätigkeit im Zusammenhang mit der Beseitigung radioaktiver Abfälle ist zu bemerken, dass in den Jahren 1985 bis 1995 eine umfassende, interdisziplinäre Studie unter Federführung des seinerzeitigen Forschungszentrums Seibersdorf zur Ermittlung möglicher österreichischer Standorte für ein geologisches Tiefenlager und in den Jahren 1997 bis 2001 eine Studie zur Untersuchung der Möglichkeit eines oberflächennahen Langzeitlagers zur Beseitigung der in Österreich anfallenden radioaktiven Abfälle erstellt wurden.
Die erste Studie führte zu dem Ergebnis, dass in Österreich 16 Standorte zur Errichtung eines geologischen Tiefenlagers geeignet wären (vier davon besonders gut).
Im Hinblick auf die vergleichsweise geringen anfallenden Mengen radioaktiver Abfälle in Österreich – die Menge konditionierter radioaktiver Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung beträgt derzeit jährlich etwa 50 Fässer mit 200 Liter Inhalt, Tendenz fallend – ist die Errichtung eines geologischen Tiefenlagers, also de facto einer Bergwerksanlage mit der erforderlichen Infrastruktur, und der Betrieb über viele Jahre bei durchschnittlicher Einlagerung von einem Fass pro Woche im Hinblick auf die hohen Kosten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu hinterfragen.
Ein oberflächennahes Langzeitlager ist, wie die zweite Studie zeigte, zwar grundsätzlich möglich, jedoch erfordert der vergleichsweise große Anteil an Abfällen mit langer Halbwertszeit – aus mehr als 100-jähriger Forschungstätigkeit und medizinischer Therapie – auch hier jedenfalls auch eine langfristige Lösung.
Die Ergebnisse der beiden Studien sind nach wie vor aktuell und schlüssig. Weitere diesbezügliche Untersuchungen erscheinen daher derzeit weder erforderlich noch sinnvoll. Dies wird letztlich auch im § 36b Absatz 2 der Novelle zum Strahlenschutzgesetz zum Ausdruck gebracht, wenn darauf verwiesen wird, dass bei der Behandlung und Entsorgung radioaktiver Abfälle die Möglichkeit einer Kooperation mit anderen Staaten in Betracht zu ziehen wäre.
Im Hinblick auf die Ergebnisse der beiden Studien und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nur ein einziges Endlager für radioaktive Abfälle errichten wollen, erscheint es auch für Europa aus ökonomischen und ökologischen Gründen zweckmäßig zu sein, bei der Beseitigung radioaktiver Abfälle zu kooperieren und optimale europäische Lösungen zu suchen.
Hinsichtlich terroristischer Bedrohungsszenarien ist festzustellen, dass das Zwischenlager für konditionierte Abfälle am Standort Seibersdorf im Hinblick auf das vergleichsweise geringe Aktivitätsinventar, sowie die Tatsache, dass es sich um konditionierte Abfälle handelt – also um radioaktive Stoffe, die in einer inaktiven Matrix fest gebunden sind – und dass es sich weder um spaltbares Material handelt noch um Material, das zufolge der hohen spezifischen Aktivität einer Kühlung bedarf, für terroristische Zwecke und Anschläge nach derzeitigem Wissensstand ungeeignet ist.
Bezüglich der vom Zwischenlager am Standort Seibersdorf ausgehenden Risken ist festzuhalten, dass diese keineswegs mit jenen der Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente bei den grenznahen Kernkraftwerken vergleichbar sind. Im konkreten Fall des Zwischenlagers bei der NES handelt es sich um nieder- bis mittelaktive Abfälle in mineralisierter bzw. nicht brennbarer Form, es handelt sich nicht um spaltbares Material und das Aktivitätsinventar ist um viele Größenordnungen geringer als jenes der Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente.
Da Österreich auf die Energieerzeugung aus der Kerntechnologie verzichtet hat, die abgebrannten Brennelemente aus den Forschungsreaktoren, nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen im Zusammenhang mit der Nichtweiterverbreitung von Kernmaterial in die USA rückverbracht wurden bzw. werden, fallen in Österreich weder hochradioaktiver Abfall noch abgebrannte Brennelemente an. Deshalb kann Österreich für die Nachbarstaaten mit Zwischenlagern für abgebrannte Brennelemente nicht beispielgebend sein.
Die Neustrukturierung der Holding Austrian Research Centers mit NES als eigenständiger Gesellschaft bedingt naturgemäß auch eine Neustrukturierung der bestehenden Bewilligungen für die Anlagen der NES in Bezug auf deren nunmehrige Eigenständigkeit, jedoch keine neuen Bewilligungsverfahren (siehe § 9 Strahlenschutzgesetz). Im Zuge der Neuzuordnung bestehender strahlenschutzrechtlicher Genehmigungen sowie der jährlichen Überprüfungen der genehmigten Anlagen durch die Bewilligungsbehörde und die durch die fortschreitende Dekommissionierung von Anlagen aus 40 Jahren Forschung und Entwicklung gegebenen Veränderungen, wie die Nutzung des dekontaminierten Reaktorgebäudes für die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle, wird auch den Fragen allfälliger Einwirkungen von Außen auf die bestehenden Einrichtungen der NES laufend entsprechend Rechnung getragen.
Sicherungsmaßnahmen sind, um optimale Wirksamkeit zu zeigen, in die Tiefe gestaffelt auszuführen. Dieser Gesichtspunkt ist bei der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle am Standort Seibersdorf in der Vergangenheit immer beachtet worden und ist auch für die Zukunft der den Sicherungsmaßnahmen zu Grunde liegende Ansatz. Diese Maßnahmen gliedern sich in bautechnische, elektronische und organisatorische Maßnahmen und werden darüber hinaus durch polizeiliche Präsenz am Standort Seibersdorf (rund um die Uhr) ergänzt.
Zu den Fragen im Einzelnen:
Zu den Fragen 1 bis 4:
Die nationalen Möglichkeiten zur Beseitigung radioaktiver Abfälle in Österreich sind in der Vergangenheit ausreichend und schlüssig mit hohem personellem und finanziellem Aufwand erforscht worden. Weitere Untersuchungen sind erst wieder erforderlich, falls eine Entscheidung über einen konkreten Standort, beispielsweise für ein geologisches Tiefenlager, getroffen werden sollte und die für diesen Standort speziellen Gegebenheiten zu ermitteln wären. Die bisherigen Kosten für die Studie zur Ermittlung geeigneter Standorte für eine geologische Tiefenlagerung betrugen etwa 10 Mio €, jene für die Untersuchung der Möglichkeit einer oberflächennahen Langzeitlagerung etwa 0,5 Mio €.
Zu den Fragen 5 bis 7:
Wie im Strahlenschutzgesetz und in den dazugehörigen parlamentarischen Materialien, insbesondere in den Erläuterungen ausführlich dargelegt, geht der Gesetzgeber grundsätzlich zunächst von einer europäischen Kooperation unter Beachtung eines Ausgleichs der Risiken, die Österreich aus dem Betrieb von grenznahen Kernkraftwerken erwachsen, aus.
Zu den Fragen 8 bis 10:
Die Möglichkeit der Kooperation bei der Beseitigung radioaktiver Abfälle ist in der Präambel zur Konvention über die Sicherheit abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, BGBl. III Nr. 169/2001, ausdrücklich erwähnt. Es darf darauf verwiesen werden, dass im Abschlussbericht der zweiten Überprüfungskonferenz zur Joint Convention eine Empfehlung zur Kooperation bei der Abfallbeseitigung ausdrücklich enthalten ist. Die Kooperation bei der Beseitigung radioaktiver Abfälle innerhalb der Europäischen Union stellt ein neues Konzept dar, das erst langsam von den Mitgliedstaaten in Betracht gezogen wird.
Zu den Fragen 11 und 25:
Festgelegt wurde, dass bis zum Jahre 2012 seitens des Bundes ein Konzept für die Beseitigung radioaktiver Abfälle vorgelegt wird, dass bis zum Jahr 2020 ein nationaler Standort für die Beseitigung bestimmt wird oder eine Vereinbarung über eine bilaterale oder multilaterale Kooperation mit Endlagerstätte nachgewiesen werden kann.
Zu Frage 12:
Die Konzepte orientieren sich an den Anforderungen, die seitens der IAEO oder der NEA für Endlager vorgegeben werden. Die Einbindung der Öffentlichkeit kann sinnvollerweise erst erfolgen, wenn konkrete Projekte zur Diskussion stehen.
Zu den Fragen 13 bis 15:
Das österreichische Zwischenlager für konditionierte radioaktive Abfälle ist hinsichtlich seines Inhaltes und seines Risikopotentials (nicht spaltbar, fest gebunden, geringe Aktivität) nicht mit Zwischenlagern zur Lagerung abgebrannter Brennelemente oder hochradioaktiven Abfalls vergleichbar.
Zu Frage 16, 18 und 19:
Eine Flugverbotszone ist nach Ansicht der zuständigen Fachabteilung auf Grund des Aktivitätsinventars und der vorhandenen Möglichkeiten einer raschen Brandbekämpfung nicht zu rechtfertigen. Selbst bei einem unbeabsichtigten Flugzeugabsturz ist nicht mit einer relevanten Freisetzung radioaktiver Stoffe zu rechnen.
Zu Frage 17:
Diese Frage fällt in den Zuständigkeitsbereich des Herrn Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie.
Zu den Fragen 20 und 24:
In den vergangenen Jahren wurden mit Ausnahme des Verfahrens zur Dekommissionierung des Reaktors keine Verfahren durchgeführt, die UVP-pflichtig gewesen wären.
Zu den Fragen 21 und 22:
Die Sicherung der Anlagen am Standort Seibersdorf orientierte sich schon lange vor dem 11. September 2001 an der Tatsache, dass am Standort Seibersdorf Kernbrennstoff für den Forschungsreaktor gegen den Zugriff Unbefugter zu sichern war.
Zu Frage 23:
Es bestehen derzeit keine Pläne zur Verlagerung der radioaktiven Abfälle in ein unterirdisches Zwischenlager. Sollte eine Verlagerung angedacht werden, dann nach derzeitigem Wissenstand allenfalls in ein geologisches Tiefenlager.
Zu den Fragen 26 und 27:
Da die Frage der sicheren Lagerung abgebrannter Brennelemente und radioaktiven Abfalls derzeit einem umfassenden Diskussionsprozess in den Europäischen Entscheidungsgremien unterworfen ist, sollte zunächst das Ende des laufenden Diskussionsprozesses abgewartet werden. Endlager für abgebrannte Brennelemente und hochradioaktive Abfälle, die Wärme an ihre Umgebung abgeben, müssen grundsätzlich andere Anforderungen erfüllen, als Endlager für nieder- oder mittelaktive Abfälle.
Zu Frage 28:
Österreich hat auf die Nutzung der Kernenergie ausdrücklich verzichtet und hat daher weder eine Verpflichtung noch die Absicht, Problemlösungsansätze zur Entsorgung hochradioaktiven Abfalls oder abgebrannter Brennelemente zu entwickeln. Österreich ist in dieser Hinsicht Vorbild, da es die Entstehung derartiger Abfälle auf seinem Territorium per Gesetz ausgeschlossen hat.
Der Bundesminister: