2306/AB-BR/2007

Eingelangt am 01.06.2007
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Anfragebeantwortung

 

JOSEF PRÖLL

Bundesminister

 

 

 

 

 

 

 

An den                                                                                               Zl. LE.4.2.4/0047-I 3/2007

Herrn Präsidenten

des Bundesrates

 

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 31. Mai 2007

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl. parl. Anfr. der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum,

Kolleginnen und Kollegen vom 11. April 2007, Nr. 2503/J-BR/2007,

betreffend Anti-Atom-Politik der österreichischen Bundesregierung

 

 

 

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen vom 11. April 2007, Nr. 2503/J-BR/2007, betreffend Anti-Atom-Politik der österreichischen Bundesregierung, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:

 

Eingangs betone ich, dass die Bundesregierung – wie im Regierungsprogramm ausgeführt – an ihrer Überzeugung festhält, dass die Kernenergie keine nachhaltige Form der Energieversorgung darstellt. Welche Bedeutung die Bundesregierung einer aktiven Anti-Atompolitik beimisst, ist auch daran zu erkennen, dass die Bundesregierung ihre Ziele und ihre Position im Regierungsprogramm sehr ausführlich dargelegt hat. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei der Sicherheitsfrage. Denn so lange noch Kernkraftwerke betrieben werden, gilt es, alles Machbare zum Schutz der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt zu unternehmen.

 

Das Regierungsprogramm ist auch eine Reaktion auf den Umstand, dass Klimawandel und Fragen der Versorgungssicherheit zu einer neuen Kernenergiedebatte geführt haben. Im März 2007 hat nun auch der Europäische Rat eine breit angelegte Diskussion über die Chancen und Risken der Kernenergie gefordert. Als fachzuständiger Bundesminister bin ich bereit und gerüstet, diese Diskussion aktiv zu führen.

 

 

So habe ich am 26. März 2007 in Dublin an einem informellen Treffen der UmweltministerInnen Irlands, Islands, Norwegens und Österreichs zu den Themen Kernenergie, Klimawandel und grenzüberschreitende Fragen kerntechnischer Anlagen teilgenommen. Deutschland war bei diesem Treffen durch den parlamentarischen Staatssekretär des Umweltministeriums vertreten. Dabei habe ich ein Argumentarium mit dem Titel „Kernenergie, Klimaschutz und Nachhaltigkeit“, das ich bereits vor einiger Zeit beim Forum für Atomfragen – dem einschlägigen wissenschaftlichen Beratungsgremium der Bundesregierung – in Auftrag gegeben hatte, präsentiert. Diese Analyse kommt zum Schluss, dass Kernenergie keine Alternative für die nachhaltige Energiegewinnung ist. Dies entspricht der österreichischen Haltung, dass Kernenergie keine Lösung für die klima- und energiepolitischen Herausforderungen unserer Zeit ist. Es besteht somit kein Grund, die österreichische Politik zu revidieren. Mit den Schwerpunkten Energieeffizienz und alternative Energien ist Österreich auf dem richtigen Weg. Das österreichische Argumentarium wurde von den anwesenden MinisterInnen als sehr gute Grundlage für den kommenden Diskussionsprozess gewürdigt. Der erste Schritt dazu wird ein weiteres Treffen sein, zu dem ich für Herbst 2007 nach Wien eingeladen habe. Bei diesem Treffen sollen vor allem positive Alternativen zur Kernenergienutzung und ein positiver Weg in eine nachhaltige Energiezukunft aufgezeigt werden.

 

Folglich kann ich die in der Anfrage aufgestellte Behauptung, dass „keine besonders erwähnenswerten Aktivitäten im Anti-Atombereich bekannt geworden“ seien, nicht nachvollziehen.

 

Da in der Anfrage verschiedentlich auch Themen angesprochen werden, die bereits Gegenstand schriftlicher parlamentarischer Anfragen waren, erlaube ich mir auch auf die Beantwortung nachstehender parlamentarischer Anfragen zu verweisen:

 

·         Parlamentarische Anfrage Nr. 618/J-NR/2007 XXIII. GP der Abgeordneten Petra BAYR, Kolleginnen und Kollegen vom 30. März 2007 betreffend „Meldepflicht von Pannen um Österreich liegender Atomkraftwerke“;

 

·         Parlamentarische Anfragen Nrn. 2483/J-BR/2007, 2484/J-BR/2007, 2485/J-BR/2007, 2486/J-BR/2007 der Fragestellerin, alle vom 5. Februar 2007 betreffend „einer Stellungnahme der Ministerien zum Vorschlag der EU-Kommission für eine europäische Energie- und Klimastrategie / Verbundplan“, insbesondere auf die Beantwortung durch den fachzuständigen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit;

 

·         Parlamentarische Anfrage Nr. 2405/J-BR/2006 der Fragestellerin vom 22. Mai 2006 betreffend „Lagerung von radioaktiven Abfällen aus Österreich“.

 

Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:

 

Zu Frage 1:

 

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass sich das Gefährdungspotential kerntechnischer Anlagen im Wesentlichen aus der Eintrittswahrscheinlichkeit von radioaktiven Freisetzungen aus einer bestimmten Anlage und der Wahrscheinlichkeit eines Transportes von radioaktiven Stoffen nach Österreich ergibt. Diesbezügliche Analysen sind hochkomplex und mit gewissen Unsicherheiten behaftet. Unbeschadet dessen orientierte und orientiert sich der Abschluss bilateraler „Nuklearinformationsabkommen“ sowie die Prioritätensetzung von Aktivitäten im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen immer an der Optimierung des Schutzes der österreichischen Bevölkerung und Umwelt.

 

Auch die Vernetzung der nationalen Strahlenfrühwarnsysteme geht auf österreichische Initiativen zu Beginn der 90er Jahre zurück. Damals allerdings verfügten die meisten Nachbarstaaten noch nicht über die technischen Einrichtungen, die für eine Vernetzung von Strahlenfrühwarnsystemen erforderlich sind. Heute ist diese Vernetzung weit vorangeschritten. Die Zweckmäßigkeit einer Vernetzung auch mit Italien wird derzeit in meinem Hause geprüft. Vorrangig ist jedoch der zuverlässige Datenaustausch mit jenen Nachbarstaaten, die derzeit Kernkraftwerke betreiben.

 

In Hinblick auf die in der Präambel der „Vereinbarung von Brüssel“ zum KKW Temelín vorgesehene Aufnahme von Gesprächen zur Änderung des derzeit bestehenden bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ mit der Tschechischen Republik wurde von meinem Hause eine vergleichende Analyse einschlägiger bilateraler Abkommen in Europa in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse dieser Analyse fanden Eingang in die österreichischen Verhandlungspositionen.

Im Übrigen verweise ich auf die Ausführungen der für die bilateralen „Nuklearinformationsabkommen“ federführend zuständigen Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten in Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 2504/J-BR/2007. Bezüglich der Frage 1d verweise ich auf meine Beantwortung der parlamentarischen Nr. 2405/J-BR/2006.

 

Zu Frage 2:

 

Zunächst halte ich fest, dass die Wiederaufnahme der Bauarbeiten noch für die zweite Jahreshälfte 2007 angekündigt wurde. Konkrete Angaben zum Projekt sind dieser Ankündigung bislang allerdings noch nicht gefolgt. Es ist ganz klar, dass wir dieses Projekt ablehnen. Österreichs Ablehnung der Atomkraft ist auch der gegenwärtigen slowakischen Regierung bekannt.

Da es eine gültige Baubewilligung gibt, ist nach derzeitigem Stand keine UVP-Pflicht gegeben. Allerdings ermöglicht auch das bilaterale „Nuklearinformationsabkommen“ umfangreiche Konsultationen. Diesbezügliche Vorarbeiten wurden bereits eingeleitet. Konkrete Konsultationen sind jedoch erst bei Vorliegen konkreter Unterlagen sinnvoll. Wie an anderer Stelle in dieser Anfragebeantwortung ausgeführt, ist ein Vergleich der Sicherheit verschiedener Kernkraftwerke methodisch fragwürdig. In diesem Falle wird das Sicherheitsniveau – sollte es tatsächlich zu einer Fertigstellung kommen – ganz wesentlich von den noch zu erteilenden Auflagen der slowakischen Atomaufsicht abhängen. Wir erwarten, dass sich diese Auflagen am Stand von Wissenschaft und Technik orientieren, und wir werden diese Position sowohl gegenüber der slowakischen Atomaufsicht als auch gegenüber anderen slowakischen Stellen sehr deutlich machen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass andere Staaten andere energiepolitische Wege gehen. Da wir uns das Recht auf eine eigenständige nationale Energiepolitik vorbehalten, müssen wir dieses Recht auch anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einräumen. Daher werden wir – ich betone dies nochmals – darauf drängen, dass die Anlage auf den Stand von Wissenschaft und Technik nachgerüstet wird.

 

Bei der Beurteilung, ob dieser Stand von Wissenschaft und Technik erreicht wird bzw. erreicht werden kann, werden wir zwar allfällige Berichte internationaler Organisationen berücksichtigen, letztlich jedoch auf eigene Experten zurückgreifen. Anzumerken ist, dass Reaktoren dieses Typs in der Europäischen Union an insgesamt vier Standorten in Betrieb sind, nämlich in Dukovany, in Bohunice, in Paks und auch bereits in Mochovce.

 

Auch wenn auf Ebene des Rates der Europäischen Union bereits seit geraumer Zeit ein intensiver Konsultationsprozess mit dem Ziel der Harmonisierung von Sicherheitsanforderungen in Europa läuft, so ist doch klar festzuhalten, dass eine Einigung auf europäische Sicherheitsstandards bislang nicht erzielt werden konnte. Folglich können weder der Rat der Europäischen Union noch die Europäische Kommission eine sicherheitstechnische Beurteilung vornehmen. Die im EURATOM-Vertrag vorgesehenen Berichts- und Notifikationspflichten erfassen, wie allgemein bekannt, Aspekte der nuklearen Sicherheit nur in sehr eingeschränktem Umfang.

 

Zu Frage 3:

 

Es trifft zu, dass verschiedentlich über die Errichtung neuer Kraftwerksblöcke am Standort Jaslovske Bohunice berichtet wurde und wird. Selbstverständlich werden auch diese Fragen im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ erörtert. Bislang liegt jedoch weder eine eindeutige Absichtserklärung der Regierung der Slowakischen Republik noch des Betreibers vor. Ich versichere jedoch, dass wir die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und zu gegebenem Zeitpunkt auch ganz klar Stellung beziehen werden.

 

Zu Frage 4:

 

Da die Anfrage keinen Gegenstand der Vollziehung meines Ressorts betrifft, verweise ich auf die Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit und dessen Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 2484/J-BR/2007.

 

Zu Frage 5:

 

In der Tat verdienen Alterungsphänomene angesichts des Umstandes, dass der europäische Kernkraftwerkspark bereits ein Durchschnittsalter von über 20 Jahren aufweist, besondere Beachtung. Mein Haus sowie von mir beauftragte technische Experten, wie etwa das Forum für Atomfragen, befassen sich daher bereits seit geraumer Zeit mit diesem Thema. Dies gilt natürlich auch für Fragen der Sicherheitskultur. Da – ich wiederhole dies nochmals – der Vergleich des von bestimmten kerntechnischen Anlagen ausgehenden Gefährdungspotenziales mit hohen Unsicherheiten behaftet ist, nehme ich von Vergleichen dieser Art grundsätzlich Abstand. Französische Kernkraftwerke im Allgemeinen und das KKW Fessenheim im Besonderen sind jedoch Gegenstand allgemeiner und spezifischer Monitoring-Aktivitäten meines Hauses. So werden etwa die Nationalberichte Frankreichs an die Vertragsstaatenkonferenzen zum IAEO-Übereinkommen über Nukleare Sicherheit regelmäßig im Detail ausgewertet.

 

Zu Frage 6:

 

Da mit der Schweiz ein „Nuklearinformationsabkommen“ besteht, sind auch die bezüglich des KKW Mühleberg anhängigen Verfahren Gegenstand des bilateralen Informationsaustausches.

 

Die Betriebsbewilligung für das KKW Mühleberg ist bis 31. Dezember 2012 befristet. Am 25. Januar 2005 hat die BKW FMB Energie AG (BKW) ein Gesuch um Aufhebung der Befristung eingereicht. Am 2. November 2005 hat die BKW in einer weiteren Eingabe beantragt, es sei ohne Durchführung eines Betriebsbewilligungsverfahrens festzustellen, dass die Befristung der Betriebsbewilligung mit dem Inkrafttreten des KEG dahin gefallen sei. Falls diesem Antrag nicht stattgegeben werde, sei die Befristung aufzuheben.

 

Das UVEK hat am 13. Juni 2006 das Gesuch der BKW abgewiesen und für die Verlängerung der Betriebsbewilligung die Durchführung eines vollständigen Verfahrens verlangt. Dagegen hat die BKW Beschwerde an die Eidgenössische Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt (1. verwaltungsgerichtliche Instanz) erhoben. Am 8. März 2007 hat dann das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Bund das Gesuch der BKW Energie AG für eine unbefristete Betriebsbewilligung des Kernkraftwerks Mühleberg (KKM) in einem Wiedererwägungsverfahren neu beurteilen muss. In dieser Frage sei kein eigenes Bewilligungsverfahren nötig. Das UVEK hingegen geht von einem Bewilligungsverfahren nach Kernenergiegesetz aus. Es erhob folglich am 27. April 2007 gegen den Entscheid Beschwerde beim Bundesgericht.

 

Darüber hinaus wurde bereits am 8. September 2000 ein Wiedererwägungsgesuch gegen die derzeitige Betriebsbewilligung eingereicht. Verlangt wird der Widerruf der Betriebsbewilligung bzw. eine andere seismische Klassierung. Als vorsorgliche Maßnahme wurde auch die sofortige Einstellung des Betriebs beantragt. Das UVEK hat am 23. Oktober 2000 die sofortige Betriebseinstellung abgelehnt. Das UVEK wird nach Abschluss der Erdbebenstudie Pegasos über den Widerruf der Betriebsbewilligung entscheiden.

 

Sollte es zu einem Bewilligungsverfahren nach dem Kernenergiegesetz kommen, stünden potentiell Betroffenen in Österreich im Wesentlichen die gleichen Rechte zu wie schweizerischen Staatsbürgern. Darüber hinaus kämen die Konsultationsmechanismen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ zum tragen. Vorerst bleibt jedoch die Klärung der verfahrensrechtlichen Fragen durch die zuständigen schweizerischen Gerichte abzuwarten.

 

Zu Frage 7:

 

Da auch mit Deutschland ein bilaterales „Nuklearinformationsabkommen“ besteht, waren auch die von der Fragestellerin angeführten Ereignisse in den KKW Brunsbüttel, Philippsburg und Biblis Gegenstand des bilateralen Informationsaustausches. Da sich die nuklearpolitischen Aktivitäten meines Hauses vorrangig an Schutzzielen orientieren – was nicht immer mit dem Ausmaß medialer Berichterstattung korreliert – und einige Ereignisse in der Tat Fragen bezüglich der Sicherheitskultur in deutschen Kernkraftwerken aufwerfen, haben wir diese Fragen wiederholt im Rahmen der Expertentreffen zu erwähntem „Nuklearinformationsabkommen“ thematisiert. Unser Ansprechpartner, das Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit, hat keine Zweifel daran gelassen, dass es geeignete Maßnahmen trifft bzw. vorbereitet, um Sicherheit und Sicherheitskultur in deutschen Kernkraftwerken zu verbessern.

 

 

Der Bundesminister: