2362/AB-BR/2007
Eingelangt am 24.09.2007
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
Anfragebeantwortung

JOSEF PRÖLL
Bundesminister
An den Zl. LE.4.2.4/0100-I 3/2007
Herrn Präsidenten
des Bundesrates
Parlament
1017 Wien Wien, am 20. SEP. 2007
Gegenstand: Schriftl. parl. Anfr. der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum,
Kolleginnen und Kollegen vom 30. Juli 2007, Nr. 2562/J-BR/2007,
betreffend Sicherheit älterer Atomkraftwerke in Europa
Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen vom 30. Juli 2007, Nr. 2562/J-BR/2007, betreffend Sicherheit älterer Atomkraftwerke in Europa, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:
Wie auch im Regierungsprogramm ausgeführt weise ich insbesondere darauf hin, dass die Bundesregierung an ihrer Überzeugung festhält, dass die Kernenergie keine nachhaltige Form der Energieversorgung darstellt. Unser besonderes Augenmerk gilt im Zusammenhang mit der Kernenergie der Sicherheitsfrage – auch dies sei nochmals unterstrichen. Denn so lange noch Kernkraftwerke betrieben werden, gilt es, alles Machbare zum Schutz der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt zu unternehmen.
In diesem Rahmen sind meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemüht, relevante Entwicklungen möglichst frühzeitig und möglichst umfassend zu erkennen und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen daraus abzuleiten, wie etwa die Thematisierung konkreter Sicherheitsmängel auf bilateraler, europäischer oder internationaler Ebene.
Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 3:
Die als Entwurf bezeichnete „Liste offener Punkte aus der Sicherheitsüberprüfung für das Kernkraftwerk Brunsbüttel“ ist meinem Hause seit deren Veröffentlichung im Juli 2007 bekannt.
Zu den Fragen 4 und 5:
Das Erfordernis periodischer Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) für Kernkraftwerke im deutschen Regelwerk ist bekannt und Gegenstand der jährlichen Expertengespräche im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“. In Fällen, wo eine besonders unmittelbare Betroffenheit Österreichs gegeben ist, drängt mein Haus auch auf eine vertiefte Erörterung. So wurden im Rahmen der Expertengespräche 2006 Ergebnisse der PSÜ für das Kernkraftwerk Isar-1 in Bayern präsentiert und erörtert.
Zu den Fragen 6 bis 8, 22 und 32:
Wie gegen neue Kernkraftwerke so tritt Österreich auch gegen die Verlängerung der Betriebsdauer bestehender Anlagen auf. Unbeschadet dessen bleibt dies eine nationale Entscheidung, die im Rahmen des jeweiligen nationalen Rechtsrahmens zu treffen ist. Ich bin mit dem deutschen Umweltminister Gabriel einer Meinung, dass veraltete Anlagen vorzeitig vom Netz genommen werden sollten. Ich habe übrigens erst kürzlich in schriftlicher Form an Umweltminister Gabriel appelliert, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, um die Restlaufzeit von Kernkraftwerken der Reaktorbaulinie SWR-69 zu reduzieren. In jenen Fällen, in denen ein Vorhaben UVP-pflichtig ist und erhebliche nachteilige Auswirkungen auf Österreich möglich sind, werde ich auf einem grenzüberschreitenden UVP-Verfahren bestehen.
Zu den Fragen 9 bis 12:
Die eingangs erwähnte „Liste offener Punkte aus der Sicherheitsüberprüfung für das Kernkraftwerk Brunsbüttel“ klassifiziert die offenen Punkte in insgesamt fünf Kategorien. Kein einziger Punkt wurde mit rot (sicherheitstechnisches Defizit, umgehend zu beseitigen) klassifiziert. Ich verweise weiters darauf, dass der deutsche Umweltminister Gabriel vor dem deutschen Bundestag am 1. August 2007 dazu ausgeführt hat: „Ein Kernkraftwerk kann in Deutschland nur betrieben werden, wenn es keine Hinweise auf relevante sicherheitstechnische Defizite gibt und auch keine relevanten Nachweisdefizite für Systeme und Komponenten der Druck führenden Umschließung und der Systeme und Komponenten, die für die Störfallbeherrschung erforderlich sind, vorliegen. Der Betreiber hat jederzeit und insbesondere auch im Rahmen einer periodischen Sicherheitsüberprüfung die erforderlichen Nachweise zu erbringen. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Landesaufsichtsbehörden, diese Nachweise zu überprüfen und gegebenenfalls notwendige Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Er fügte hinzu, dass er keinen Anlass habe, daran zu zweifeln, dass die Landesaufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein zu Recht davon überzeugt ist, dass die oben genannten Voraussetzungen im Hinblick auf die PSÜ Brunsbüttel vorliegen.
Laut Aussagen des Betreibers gibt gegenständliche Liste den Bearbeitungsstand vom Juni 2006 wieder. Seitdem – so der Betreiber – habe er für sämtliche offenen Punkte der so genannten Kategorie 2 Sicherheitsnachweise vorgelegt. Der größte Teil davon sei bereits abschließend durch unabhängige Gutachter im Auftrag der Aufsichtsbehörde bestätigt worden.
Zu den Fragen 13 bis 16:
Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befassen sich – auch mit Unterstützung externer Experten – seit Jahren mit den Sicherheitsdefiziten von Siedewasserreaktoren der Baureihe SWR-69. Insbesondere hat mein Haus seinerzeit die Besorgnis erregenden Meldungen über die Verwundbarkeit dieser Anlagen gegen Flugzeugabstürze zum Anlass genommen, sich intensiv mit internen und externen Auslösern von möglichen schweren Unfällen auseinander zu setzen. Vor allem mit Deutschland ist der Informationsaustausch hinsichtlich dieser Anlagen intensiv, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass in den Jahren 2004 und 2005 jeweils gesonderte Expertentreffen zu diesem Themenkomplex stattgefunden haben.
Zu den Fragen 17 bis 19:
Ich verweise auf die Beantwortung der Fragen 13 bis 16 und füge hinzu, dass die derzeit öffentlich bekannten Informationen noch nicht ausreichen, Vernebelungstechniken abschließend zu beurteilen. Grundsätzlich vertrete ich jedoch die Ansicht, dass neben Maßnahmen zur Verhinderung oder Vereitelung von terroristischen Angriffen auf kerntechnische Anlagen auch der Verwundbarkeit der Anlagen selbst entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen ist. Die österreichische Bundesregierung arbeitet derzeit daran, für diesen Ansatz hinreichend Verbündete zu finden, um die Diskussion auf europäischer oder internationaler Ebene nachhaltig in diese Richtung zu lenken.
Zu Frage 20:
Wie in dem in der Anfrage zitierten Jahresbericht des deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) angemerkt wird, liegt die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Kernschadens, die als Kennzahl für die Wahrscheinlichkeit schwerer Unfälle dient, für Siedewasserreaktoren der Baulinie SWR-69 bei 2E-6/Jahr. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Falle einer Kernschmelze bei den genannten Reaktoren das Containment bereits binnen kurzer Frist versagt, sehr hoch.
Trotz der vergleichsweise niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeiten muss daher den laut BfS-Bericht möglichen kurzen Vorwarnzeiten für aus diesen Ereignissen möglicherweise resultierenden Freisetzungen in der Notfallplanung – aufgrund der Entfernung zu Österreich betrifft dies vor allem die Reaktoren Isar 1 und Philippsburg 1 – Rechnung getragen werden.
Mit der bestehenden nuklearen Notfallplanung in Österreich sind generell alle Ereignisse in grenznahen Nuklearanlagen mit potentiellen Auswirkungen auf Österreich abgedeckt. Um dies zu erreichen, wurden die bilaterale Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit allen Nachbarstaaten Österreichs, die Kernkraftwerke betreiben – somit auch mit Deutschland – in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Ein permanenter automatischer Datenaustausch notfallrelevanter Daten (wie z.B. von Messwerten der Strahlenfrühwarnsysteme) gewährleistet die umgehende Information der österreichischen Behörden in einem Anlassfall, was selbst bei relativ kurzen Vorwarnzeiten die rechtzeitige Einleitung bzw. Umsetzung von etwaigen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ermöglicht. Zusätzlich können durch den Einsatz von sogenannten Entscheidungshilfesystemen erste Prognosen über die mögliche Betroffenheit der Bevölkerung durch einen KKW-Zwischenfall bereits vor einer tatsächlichen Freisetzung von Radioaktivität an die Umgebung der Anlage berechnet werden, wodurch wertvolle Zeit für die Vorbereitung von Maßnahmen gewonnen wird.
Durch internationale und bilaterale Strahlenschutzübungen (wie etwa der gemeinsamen deutsch-österreichischen Übung im Rahmen der von der Nuclear Energy Agency (NEA) der OECD koordinierten „INEX-3“-Übungen im Jahr 2005) werden Einsatzbereitschaft der österreichischen Behörden und Zusammenarbeit mit den Behörden der Nachbarstaaten regelmäßig geübt. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein effizientes Notfallmanagement bei nuklearen und radiologischen Ereignissen wurden mit der von mir im Juni dieses Jahres erlassenen Verordnung zu Interventionen bei radiologischen Notstandssituationen an den aktuellen Stand angepasst.
Unabhängig davon wird auch in Zukunft die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und das Notfallmanagement in Österreich – dem Stand der Technik entsprechend – weiterentwickelt. So ist in meinem Ressort zurzeit ein Projekt im Laufen, mögliche Auswirkungen von verschiedenen Unfallszenarien für alle grenznahen Kernkraftwerke auf Basis aktueller Erkenntnisse neu zu berechnen. In diese Evaluierungen werden die Ergebnisse der Sicherheitsanalysen der deutschen Behörden für die Siedewasserreaktoren der Baulinie SWR-69 selbstverständlich mit einbezogen werden.
Zu Frage 21:
Aufgrund der mir vorliegenden Berichte und Unterlagen bin ich der Ansicht, dass der Stand von Wissenschaft und Technik derzeit nicht ausreicht, diese Frage klar und begründet zu beantworten. Grundsätzlich könnten probabilistische Sicherheitsanalysen auch zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Dies würde allerdings erfordern, dass sowohl Datenqualität als auch Methodik weitestgehend harmonisiert wären, da anderenfalls eine Vergleichbarkeit der Resultate nicht gegeben ist. Von einer derartigen Harmonisierung kann derzeit nicht gesprochen werden.
Zu den Fragen 23 bis 25 und 29:
In der Tat hat es in Deutschland in den vergangenen Jahren eine Reihe von Ereignissen gegeben, die Fragen der Sicherheitskultur und somit auch der behördlichen Aufsicht aufgeworfen haben. Nach den mir vorliegenden Informationen hat das deutsche Umweltministerium diese Herausforderung erkannt und eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet. Dazu zählen die Bemühungen um ein modernes sicherheitstechnisches Regelwerk, das den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik beschreibt ebenso, wie ein modernes Sicherheitsmanagementsystem, dessen Einführung vom deutschen Umweltminister Gabriel in erwähnter Rede vor dem deutschen Bundestag am 1. August 2007 angekündigt wurde. Unbeschadet dessen, habe ich den deutschen Umweltminister Gabriel kürzlich auch schriftlich aufgefordert, Maßnahmen zu setzen, die zu einer Vereinheitlichung und Straffung der deutschen Atomaufsicht führen.
Zu den Fragen 26 bis 28:
Der Austausch anlagenspezifischer Informationen ist Gegenstand der bereits erwähnten Expertengespräche im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei natürlich grenznahen Anlagen. Dies gilt insbesondere für das KKW Isar-1 in Bayern, da es sich nicht nur in der Nähe zur österreichischen Grenze befindet, sondern über einen direkten Wasserpfad nach Österreich verfügt, der im Falle eines schweren Unfalles die Ausbreitung von Radionukliden nach Österreich erheblich begünstigen und beschleunigen könnte. Vertreter Bayerns nehmen regelmäßig an diesen Expertengesprächen teil. Andere Landesaufsichtsbehörden sind diesbezüglichen Einladungen des deutschen Umweltministeriums, die es auf österreichischen Wunsch ausgesprochen hat, bislang jedoch nicht gefolgt. Beim Expertentreffen 2006 hat auch ein Vertreter des Betreibers des KKW Isar teilgenommen und die bereits erwähnten Ergebnisse der PSÜ für das KKW Isar-1 präsentiert und erläutert.
Zu Frage 30:
Ja.
Zu Frage 31:
Deutschland ist eines der wenigen Länder, das regelmäßig und ausführlich „meldepflichtige Ereignisse in Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen in der Bundesrepublik Deutschland“ publiziert.
Zu Frage 33:
Ein konkretes Treffen im Bezug auf die Anlassfälle plane ich derzeit nicht, da ich auf internationaler und auf EU-Ebene häufig mit meinem deutschen Ressortkollegen zusammentreffe und dabei selbstverständlich auch Fragen der Sicherheit von Kernkraftwerken thematisiere. Die Sicherheit von Kernkraftwerken wird zudem Thema des informellen Ministertreffens sein, zu dem ich am 1. Oktober 2007 nach Wien eingeladen habe und an dem auch Deutschland auf politischer Ebene vertreten sein wird.
Zu Frage 34:
Unter sicherheitstechnischen Gesichtspunkten bleiben eingehende Ursachenanalysen der aktuellen Vorfälle in den KKW Brunsbüttel und Krümmel ebenso abzuwarten, wie auch daraus resultierende Maßnahmen der zuständigen deutschen Behörden, auch wenn diese Ereignisse aus meiner Sicht – wie bereits betont – sowohl Fragen der Sicherheitskultur als auch der Verantwortbarkeit des Weiterbetriebs von Reaktoren älterer Bauart, wie jene der Reaktorbaulinie SWR-69, aufwerfen. Vor diesem Hintergrund habe ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen, den gesamten Themenkomplex zum Schwerpunkt der für Herbst 2007 anberaumten Expertengespräche im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ mit Deutschland zu machen.
Der Bundesminister: