2566/AB-BR/2010
Eingelangt am 01.10.2010
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0203-Pr 1/2010
An den
Herrn Präsidenten des Bundesrates
W i e n
zur Zahl 2773/J-BR/2010
Die Bundesräte Stefan Schennach, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „verhallte Anzeige wegen rechtswidriger Zurückschiebung tschetschenischer Asylsuchender“ gerichtet.
Ich habe anlässlich dieser Anfrage einen Berichtsauftrag an die Anklagebehörden erteilt und beantworte die Anfrage auf Basis der eingelangten Berichte wie folgt:
Zu 1:
Im Zusammenhang mit der Abschiebung von 74 tschetschenischen Grenzgängern durch die Bezirkshauptmannschaft Gmünd im November 2003 wurden bei der Staatsanwaltschaft Krems a. d. Donau Anzeigen durch die Vereine „Asyl in Not“ und „SOS Mitmensch“ erstattet, die den selben Sachverhalt betrafen und deshalb in einem Verfahren (AZ 1 St 150/03d der Staatsanwaltschaft Krems a. d. Donau) behandelt wurden.
In den Anzeigen wurden folgende mit Strafe bedrohte Handlungen als verwirklicht angesehen: Das Verbrechen des Amtsmissbrauchs durch Dr. E. S., begangen in der Form der Anstiftung im Sinn des § 12 StGB, durch die etwa Mitte Oktober 2003 erfolgte Erklärung, Asylwerber würden ab sofort „eingeladen“, zurückzukehren, sowie durch das am 2. November 2003 erfolgte Gutheißen der Vorgehensweise seiner Beamten, die Vergehen der fahrlässigen und vorsätzlichen Freiheitsentziehung nach §§ 99 bzw. 303 StGB durch die erfolgte Festnahme, das Vergehen der Nötigung nach § 105 StGB durch die behauptete Nötigung, bereits gestellte Asylanträge zurückzuziehen, das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens eines Gefangenen nach § 312 StGB durch die angebliche Nichtgestattung des Wechselns der durchnässten Kleidung, das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB durch die Möglichkeit des Eintritts einer Erkältung aufgrund durchnässter Kleidung, das Verbrechen der Überlieferung an eine ausländische Macht nach § 103 StGB durch Übergabe der Grenzübergänger an die tschechischen Behörden sowie letztlich das Vergehen der Schlepperei nach § 104 FrG durch Übergabe der Fremden an die Tschechische Republik, wodurch der Republik Österreich ein Vermögensvorteil durch Wegfall der Unterbringungskosten entstanden sei.
Zu 2:
Die Staatsanwaltschaft Krems a. d. Donau veranlasste die Vornahme gerichtlicher Vorerhebungen durch das zuständige Landesgericht Krems a. d. Donau, in deren Rahmen sämtliche die Amtshandlung betreffende Unterlagen von der Bezirkshauptmannschaft Gmünd sowie des Bezirksgendarmeriekommandos (BGK) Gmünd beigeschafft wurden.
Zu 3:
Auf Grundlage der beigeschafften Akten und aus den mir vorliegenden Berichten ergibt sich, dass die Beamten der Grenzkontrolle (GreKo) Gmünd in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 2003 von tschechischen Beamten über eine größere Anzahl von Tschetschenen informiert wurden, die im Bereich der Grenzsteine V/36 und V/37 die Grenze zu Österreich überschreiten wollten. Unter Leitung des BGK Gmünd wurden daraufhin alle erreichbaren Gendarmeriepatrouillen in diesem Bereich zusammengezogen. Tatsächlich hat sich eine größere Gruppe von Personen der Grenze genähert. Die Personen haben schließlich die Lainsitz durchwatet, die in diesem Bereich etwa 10 bis 30 cm tief ist. Sie wurden von österreichischen Gendarmeriebeamten festgenommen. Keine der 74 festgenommenen Personen hat ein gültiges Reisedokument mit sich geführt. Die Festnahme bzw. Anhaltung ist gemäß den Bestimmungen des Fremdengesetzes bzw. des Sicherheitspolizeigesetzes erfolgt. In den Räumlichkeiten der GreKO Gmünd haben die Angehaltenen nach der gebotenen Durchsuchung ihrer Effekten Gelegenheit gehabt, ihre Kleider zu wechseln bzw. sich in Decken zu hüllen und die Kleider zum Trocknen aufzuhängen. Die festgenommenen Personen wurden erkennungsdienstlich behandelt und wegen der bestehenden Sprachschwierigkeiten über Aushänge über die Rechte der Festgenommenen in russischer Sprache informiert. Vor den Gendarmeriebeamten hat keine der festgenommenen Personen geäußert, dass sie Asyl wünsche.
Nach dem Bericht der Anklagebehörden hat kein Grund dafür bestanden, an den Angaben der Beamten zu zweifeln, zumal von ihnen in anderen Fällen illegaler Grenzübertritte Asylanträge sehr wohl festgehalten worden sind. Auch in der Berufungsschrift gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmünd vom 1. November 2003 hat der Berufungswerber letztlich (nur) behauptet, die Beamten hätten aus dem Umstand, dass die illegalen Grenzgänger Tschetschenen gewesen und durch einen Fluss gewatet seien, auf das Vorliegen von Asylanträgen hätten schließen müssen. Diese Ansicht wurde laut Anklagebehörde nicht geteilt; es wurde vielmehr angenommen, dass keine der Personen einen Asylantrag im Sinne des § 3 AsylG gestellt habe.
Aus den Unterlagen hat sich – nach Angaben der Staatsanwaltschaft – weiters ergeben, dass die Bezirkshauptmannschaft Gmünd fünf Einvernahmeteams gebildet hat, denen Dolmetscher für die russische Sprache zur Verfügung gestanden sind. Von den Einvernahmeteams sind den illegalen Grenzgängern standardisierte Fragenkataloge vorgelegt und die Antworten in Form einer Niederschrift festgehalten worden. Das Flüchtlingshochkommisariat der Vereinten Nationen (UNHCR), das die Arbeitsweise der Bezirkshauptmannschaft Gmünd untersucht hat, kritisierte lediglich, dass im Fragenkatalog keine Frage nach dem Grund der Ausreise des Fremden gestellt wird und kein Hinweis auf die Möglichkeit, Asyl beantragen zu können, enthalten ist. In dem zitierten Bericht ist jedoch keine Rede davon gewesen, dass einer der illegalen Grenzgänger genötigt oder auch nur überredet worden sei, einen bereits gestellten Asylantrag zurückzuziehen. Auf dieser Grundlage ist auch die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes durch die Beamten gemäß § 36 Abs. 2 Z 7 FrG ebenso korrekt wie die Abschiebung in die Tschechische Republik.
Zu 4:
Der damalige Bundesminister für Inneres wurde im Zuge der Ermittlungen nicht befragt, weil dazu kein Erfordernis bestand. Die etwa Mitte Oktober 2003 erfolgte Erklärung, Asylwerber würden ab sofort „eingeladen“, zurückzukehren, steht nach Angaben der Staatsanwaltschaft in keinem Zusammenhang mit der konkreten Amtshandlung. Das am 2. November 2003 nachträglich erfolgte Gutheißen der Vorgehensweise der Beamten könne nicht tatbildlich im Sinne des § 302 Abs. 1 StGB sein.
Zu 5:
Die dem Verfahren zugrundeliegenden Anzeigen wurden gemäß § 90 Abs. 1 StPO aktuelle Fassung zurückgelegt, weil sich aus den zu Frage 3 dargelegten Gründen kein hinreichender Tatverdacht gegen eine der angezeigten Personen ergeben hat.
Zu 6 bis 8:
Ermittlungsverfahren werden von den Staatsanwaltschaften (§§ 19 Abs. 1 Z 1 und 3, 20 Abs. 1, 20a Abs. 1, allenfalls 21 Abs. 2 StPO), nicht jedoch vom Bundesministerium für Justiz geführt.
Die Einleitung eines Verfahrens auf Grundlage des angesprochenen Erkenntnisses des Unabhängigen Verwaltungssenats wird von der Staatsanwaltschaft Krems a. d. Donau nicht in Aussicht genommen, weil im Hinblick auf den Tatzeitpunkt im November 2003 allfälliges unter § 302 Abs. 1 StGB zu subsumierendes Verhalten verjährt wäre. Mangels Durchführung gerichtlicher Vernehmungen kann die Verwirklichung des Tatbestandes für eine „Falschaussage vor Gericht“ ausgeschlossen werden.
28. September 2010
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)