2627/AB-BR/2011

Eingelangt am 21.09.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

Die Bundesräte Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „der Causa Michail Golowatow“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 5:

Gegen Michael Golovatov bestand eine aufrechte Ausschreibung im Schengener Informationssystem gemäß Artikel 95 des Schengener Durchführungsübereinkommens durch die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Litauen auf Grund eines dort erlassenen Europäischen Haftbefehls vom 18. Oktober 2010.  Er wurde daher am 14. Juli 2011 um 16.45 Uhr von den österreichischen Behörden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg wurde am selben Tag um 19.05 Uhr davon informiert; der zuständige Sektionschef im Bundesministerium für Justiz wurde erstmals um 22.11 Uhr vom Journalstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Korneuburg im Wege des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Wien verständigt.

Zu 6:

Der Kontakt mit den litauischen Behörden erfolgte – gemäß bestehender Übereinkommen – über die SIRENE-Büros und das Bundesministerium für Justiz unter Einschaltung von EUROJUST.

Zu 7:

Soweit das Bundesministerium für Justiz vom Bundesministerium für Inneres – in dessen Vollzugsbereich der Zentrale Fahndungsdienst fällt – informiert wurde,  verständigte SIRENE Österreich die litauischen Behörden unmittelbar nach der Anhaltung Golovatovs.

Zu 8:

Der im Europäischen Haftbefehl und in der Fahndungsausschreibung beschriebene Sachverhalt ließ nicht mit ausreichender Deutlichkeit erkennen, welche Art und Weise der Tatbeteiligung Golovatov konkret vorgeworfen wird. Insbesondere blieb aufgrund der Formulierungen in dem von der litauischen Generalstaatsanwaltschaft in englischer Sprache übermittelten Europäischen Haftbefehl offen, ob Golovatov als unmittelbarer Täter am Funkhaus in Vilnius in Betracht komme oder in seiner Eigenschaft als Kommandant zur Verantwortung gezogen werden sollte.

Zu 9 bis 12:

Zufolge Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres wurden die litauischen Behörden zunächst am 14. Juli 2011 um 22.32 Uhr über die SIRENE-Büros ersucht, ergänzende Informationen zum Tatverdacht und zum zugrundeliegenden Haftbefehl zu übermitteln. Dieses Ersuchen wurde am 15. Juli 2011 um 6.20 Uhr über die SIRENE-Büros wiederholt.

Am 15. Juli 2011 um 9.37 Uhr wurde im Wege von EUROJUST eine weitere Anfrage mit konkreten Zusatzfragen zum Tatgeschehen und dem konkreten Tatbeitrag des Golovatov (handelte er als unmittelbarer Täter oder Kommandant, gegebenenfalls welche Anweisungen wurden von ihm erteilt, Tatort, konkrete Tatzeit) unter Setzung einer Frist bis 12.00 Uhr an die litauischen Behörden gerichtet.

Um 12.00 Uhr wurde die Frist nochmals, bis 14.00 Uhr, verlängert und gleichzeitig gegenüber den litauischen Behörden erklärt, dass es sich dabei um die letzte Fristerstreckung handle und bei ungenütztem Verstreichen dieser Frist eine Aufhebung der Anhaltung des Golovatov erfolge.

Zu 13, 14, 16 und 17:

Nachdem nur eine kurze ergänzende Sachverhaltsdarstellung unter Beantwortung konkret gestellter Fragen zur Beurteilung des Tatverdachtes ausgereicht hätte (dies wurde auch den litauischen Behörden so kommuniziert), war die Frist für die Ergänzung des Sachverhaltes (auch im Hinblick auf den Eingriff in die persönliche Freiheit des Angehaltenen) angemessen und deren Einhaltung möglich.

Da die Kommunikation über EUROJUST in englischer Sprache erfolgte, konnte davon ausgegangen werden, dass unter Benutzung moderner Kommunikationsmittel (EMail, Telefon) eine Antwort innerhalb der gesetzten Frist einlangen würde.

Zu 15:

Am 15. Juli 2011 um 10.25 Uhr langte der Europäische Haftbefehl in englischer Sprache beim Bundesministerium für Justiz ein. Nachdem die litauische Seite mitgeteilt hatte, dass sie die litauische Anklage nicht so rasch übersetzen könne, wurde von Seiten des Bundesministeriums für Justiz nochmals klar gestellt, dass man nicht die Anklage, sondern nur die Antworten auf die konkreten – kurz zu beantwortenden – Fragen benötige, damit die Staatsanwaltschaft beurteilen könne, ob ein hinreichender Tatverdacht im Sinne der anzuwendenden Rechtslage vorliege.

Zu 18:

Abgesehen von der bereits erwähnten Übersendung des Europäischen Haftbefehls wurden die von österreichischer Seite gestellten konkreten Fragen zum Tatbeitrag des Golovatov  innerhalb der gesetzten, mehrmals erstreckten Frist von litauischer Seite nicht beantwortet.

Zu 19:

Eine Anklageschrift – nach österreichischem Verständnis dem Inhalt nach eine Verständigung über den Tatverdacht nach § 50 StPO – wurde am 15. Juli 2011 um 13.42 Uhr in litauischer Sprache übermittelt.

Zu 20:

Eine Übersetzung dieses Schriftstücks wurde von litauischer Seite für den darauffolgenden Montag, den 18. Juli 2011, angekündigt. Die vom Bundesministerium für Justiz in Auftrag gegebene Übersetzung lag erst eine Woche später vor.

Zu 21:

Nein, zur Frage des hinreichenden Tatverdachts für die Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft, der vom ersuchenden Staat darzustellen ist, wurde von Österreich der Weg über EUROJUST beschritten, um eine möglichst effiziente Kommunikation herzustellen.

Zu 22:

Golovatov  wurde bei seiner Anhaltung durch die Sicherheitsbehörde einvernommen.

Zu 23:

Nach Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres waren diplomatische Vertreter der Russischen Föderation zur Grenzkontrollbehörde am Flughafen Wien gekommen und übten die konsularische Vertretung aus.

Zu 24 bis 28:

Der Botschafter der Russischen Föderation wandte sich telefonisch an den Journalstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Korneuburg und an den Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien.

Der Botschafter verlangte noch in der Nacht zum 15. Juli 2011 die umgehende Freilassung Golovatovs; von österreichischer Seite wurde dieses Begehren abgelehnt und die Anhaltung zur Prüfung des Sachverhaltes und des Vorliegens der Voraussetzungen für die Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft aufrecht erhalten. Darüber wurde dem Leiter der Sektion für Straf- und Gnadensachen im Bundesministerium für Justiz um 3.40 Uhr telefonisch vom Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien gemäß § 8a StAG berichtet.


Zudem richtete der russische Botschafter am Morgen des 15. Juli 2011 eine telefonische Beschwerde über die Haftbedingungen an den Kabinettschef des Bundesministeriums für Justiz, wobei ihm klar bedeutet wurde, dass für die Haftbedingungen in der Polizeiinspektion Schwechat das Bundesministerium für Inneres zuständig sei.

Darüber hinausgehende Kontaktaufnahmen mit Organen des Bundesministeriums für Justiz haben nicht stattgefunden.           

Zu 29 und 30:

Das Bundesministerium für Inneres lud am Vormittag des 15. Juli 2011 Vertreter des Bundesministeriums für Justiz und des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten zu einer Besprechung, bei der das Bundesministerium für Justiz über die Kontakte zu den litauischen Justizbehörden via EUROJUST berichtete und erklärte, dass eine Entscheidung über die Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft von der Übermittlung weiterer Informationen zum hinreichenden Tatverdacht durch die litauische Seite abhängig gemacht werde.

Zu 31 und 32:

Nach fruchtlosem Ablauf der den litauischen Behörden gesetzten und verlängerten Frist am 15. Juli 2011 um 14.00 Uhr hat die Staatsanwaltschaft Korneuburg in übereinstimmender Rechtsauffassung mit der Oberstaatsanwaltschaft Wien und der zuständigen Sektion des Bundesministeriums für Justiz die Entscheidung getroffen, die vorläufige Auslieferungshaft nicht zu beantragen.

Zu 33:

Die Entscheidung wurde anhand der bis zum Ablauf der den litauischen Justizbehörden gesetzten und verlängerten Frist vorhandenen Unterlagen, nämlich der Sachverhaltsangaben in der Fahndungsausschreibung und im Europäischen Haftbefehl, getroffen.

Zu 34:

Nein. Die Verhängung von Auflagen wäre nach der StPO nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft vorgelegen hätten.

Zu 35:

Die Anhaltung und die Verhängung der Auslieferungshaft stellen einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit des Betroffenen dar. Liegt ein hinreichender Tatverdacht mangels Vorliegens einer schlüssigen Sachverhaltsdarstellung nicht vor, darf die Auslieferungshaft nicht verhängt werden. Die Anhaltung durch die Sicherheitsbehörde darf (zwar) höchstens 48 Stunden betragen, sobald aber die Staatsanwaltschaft befasst ist, hat diese unverzüglich zu entscheiden und dabei zu prüfen, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Die von den österreichischen Behörden gegenüber Litauen eingeräumte und mehrfach verlängerte Frist zur – auf konkrete Punkte konzentrierten – Ergänzung der Angaben zum Sachverhalt stellte ein Entgegenkommen gegenüber den litauischen Behörden in Würdigung der bestehenden guten Zusammenarbeit dar.

Zu 36 bis 38:

Die einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung ist selbstverständlich bekannt. Gerade in der zitierten Entscheidung fordert der Oberste Gerichtshof einen schlüssigen Tatverdacht, dem ein nach Tatzeit, Tatort und Art der Tatbegehung ausreichend individualisierter Sachverhalt zu Grunde liegen muss. Der Unterschied zur Untersuchungshaft liegt darin, dass die Verdachtsintensität mit einem "hinreichenden Tatverdacht" bei der Auslieferungshaft gegenüber dem bei der Untersuchungshaft geforderten "dringenden Tatverdacht" geringer ist, was sich daraus erklärt, dass das Auslieferungsverfahren vom formellen Prüfungsprinzip geprägt ist, wonach ein hinreichender Tatverdacht bei schlüssigen Auslieferungsunterlagen vermutet wird.