Es ist ja auch so, daß unter diesen Staaten – den drei neuen Mitgliedstaaten und hinzukommend Irland mit einer völlig anderen geschichtlichen Entwicklung, aber mit viel Sympathie für solche Standpunkte – so etwas wie die gemeinsame Entwicklung einer Option zumindest im Gang ist, die als konstruktiver Beitrag zu dieser Diskussion gesehen werden kann. Tun wir bitte nicht so, als gäbe es in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten eine klare Meinung, wie das weitergehen muß, und die kleinen, zögerlichen Österreicher behinderten eine solche Entwicklung.
Standpunkt beziehen, das ist schon etwas Notwendiges, aber ein Standpunkt, der nicht auf die Rahmenbedingungen Rücksicht nimmt, wäre wohl etwas sehr Verfehltes. Und daher halte ich es für eine absolut richtige politische Perspektive, auf der einen Seite natürlich eine nationale und auch eine innerparteiliche Diskussion mit unterschiedlichen Akzenten zu führen – eine Diskussion, in der es keine unterschiedlichen Standpunkte gibt, braucht ja nicht geführt zu werden, denn das ist ein Chorgesang – und dabei möglichst viel von dem einzubeziehen, was es eben an Meinungsströmungen und Perspektiven in den anderen EU-Mitgliedstaaten gibt. Diese Strömungen divergieren weit: von einer sozusagen fusionierten Europäischen Union und Westeuropäischen Union, bis zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – wobei dann noch der ganze Fragenkomplex dazukommt, wo die denn eigentlich anzusiedeln ist, die Frage nach dem "Mister GASP", ob es diesen geben soll oder nicht. All das ist kein fertiges Szenario, das zu unterschreiben wir uns weigern, sondern es ist ein Diskussionsprozeß, zu dem auch wir Beiträge zu erbringen haben.
Wenn ich vorher die unterschiedlichen historischen Erfahrungen als ein Kriterium, das in dieser Diskussion natürlich eine Rolle spielt, eingebracht habe, dann gibt es außer den NATO-Mitgliedstaaten in der Europäischen Union und den Neutralen in der Europäischen Union natürlich auch Länder, die eine ganz anders geartete, dritte Erfahrung gemacht haben. Es ist sicher nicht so, daß wir jetzt als neutrales Land, das mit dieser Neutralität hervorragend gefahren ist, irgendein Recht hätten, anklagend auf jene osteuropäischen Staaten zu weisen, die aus ihrer geschichtlichen Erfahrung – das war eben eine geschichtliche Erfahrung des Nicht-geschützt-Seins – den Schluß ziehen, ihre richtige nationale Option wäre es, möglichst rasch und möglichst komplett in die NATO einzutauchen.
Aber genau an dem Punkt beginnt die Frage nach der europäischen Sicherheitsarchitektur eine zusätzliche Dimension zu bekommen. Die Grundfrage – sie ist zuvor zu stellen, bevor wir über Bündnisse, Institutionen und Personen reden – ist, ob diese europäische Sicherheitsarchitektur eine sein soll, die sich gegen Rußland richtet, oder eine sein soll, die Rußland miteinbezieht.
Man kann natürlich davon ausgehen, daß es mit einem mutierten Feind eine Fortsetzung des kalten Krieges geben kann oder soll und daß all jene Staaten, die eben nicht mehr zum russischen Block gehören, daher neue Freunde zu sein haben und in ein sich aus der NATO entwickelndes Militärbündnis hineingehören. Damit gibt es eine klare Grenze gegenüber denen, die in Europa nicht mitzuspielen haben. Und es ist mir auch bewußt, daß diese Option manchen in Osteuropa sehr sympathisch ist, weil sie eben ihre historische Erfahrung – das war das Abhängig-Sein von der Sowjetunion – einfach nicht wegdenken können und natürlich auch nicht wegdenken sollen.
Die Frage ist nur, ob dies ein Gewinn an Sicherheit für den europäischen Kontinent ist, wenn eine solche Frontlinie an der heutigen russischen Grenze oder vielleicht auch nicht – wenn wir uns bestimmte Entwicklungen in Weißrußland und vielleicht auch irgendwann einmal in der Ukraine anschauen – gezogen wird, die dann zu verteidigen ist und die eine neue Sollbruchstelle in Europa ist. Ich halte das für einen riskanten und problematischen Weg und meine, daß wir – so schwierig das ist – alle Bemühungen unternehmen sollten, eine europäische Sicherheitsarchitektur mit allen Partnern – das heißt: auch mit dem russischen Partner – zustande zu bringen, und daß dessen Interessen und dessen Animositäten und dessen historische Erfahrungen hier auch mitgedacht und berücksichtigt werden müssen.
Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Außenminister, als Sie – vielleicht ein bißchen in der Hitze des Wahlkampfs – den Präsidenten des Nationalrates dafür so hart angegangen sind, daß
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