16.03

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem auch liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause vor den Bildschirmen und auf der Galerie hier im Plenum! Jetzt sitzt er hier, unser Finanzminister. Vor wenigen Tagen stand er noch hier am Rednerpult und hielt seine Budgetrede. Ganz klar ist, dass im Vorfeld einer sol­chen Rede die Erwartungen groß sind, weil es doch so ist, dass es seit Jahren, seit vielen Jahren in wichtigen Lebensbereichen der Menschen großen Reformbedarf gibt. Die Coronapandemie hat diesen Reformbedarf da und dort auch noch ein wenig zuge­spitzt und verstärkt.

Dieser Reformansatz besteht einerseits darin, dass es organisatorischer und inhaltlicher Änderungen bedarf, andererseits darin, dass es für diese Reformen natürlich auch fi­nanzielle Vorsorgen braucht, also eine budgetäre Abbildung dieses notwendigen Um­baus und dieser notwendigen Verbesserungen. Wir sind uns da wohl alle einig: Refor­men sollen ein Ziel haben, nämlich etwas zu verbessern. (Beifall bei der SPÖ.)

In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen, sehr geehrter Herr Finanzminister, leider nicht ersparen, Ihnen nach Vorlage des Budgetvoranschlags für 2022 absolutes Versa­gen in zentralen Bereichen zu attestieren. Wir diskutieren mit Ihnen seit Beginn der Co­ronakrise im Hohen Haus die prekäre Finanzlage der über 2 000 Gemeinden und Städte in Österreich. Wir haben Ihnen auch unzählige Male geschildert, dass durch die enormen Steuerausfälle für die Gemeinden die Gefahr droht und sehr konkret wird, dass die Kom­munen ihre vielfältigen Leistungen der Daseinsvorsorge nicht mehr finanzieren können.

Auf der anderen Seite vermehren sich zugleich die Aufgaben der Gemeinden rasant. Ich spreche von der Kinderbetreuung, von der Bildung, von der Pflege, vom Ausbau der Infrastruktur – Straßen, Gehwege und Radwege –, vom Breitbandausbau, von der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung, von der Müllentsorgung bis hin zur Unterstützung des breiten Vereinslebens in unseren Kommunen. All das und noch ei­niges mehr haben die Gemeinden in Hauptverantwortung zu organisieren, ja, aber nicht nur zu organisieren, sondern auch zu finanzieren.

Und was machen Sie, Herr Minister? – Anstatt die Gemeinden und Städte finanziell zu stärken, schwächen Sie die Städte und Gemeinden und gefährden damit eine positive Weiterentwicklung in der unmittelbaren Lebenswelt der Menschen. Ich frage Sie: Wo bleibt der so dringend notwendige Reformansatz, der sich in Ihrem Budget abbilden müsste? Wo sind die Neuerungen? Wo sind die Innovationen? Ich sage Ihnen: Wir wer­den diese Neuerungen nicht finden, weil sie ganz einfach nicht vorhanden sind, weder im Budget noch in der geplanten Steuerreform der Regierung.

Herr Minister! Sie verweigern abermals und sehr beharrlich die finanzielle Stärkung der Kommunen. Das zieht sich wie ein türkiser Faden durch Ihre gesamte Amtszeit. Beim zweiten Coronahilfspaket für die Gemeinden gewährten Sie fast in einer Von-Gottes-Gnaden-Manier 1 Milliarde Euro – 1 Milliarde Euro, die die Gemeinden allerdings nur als Vorschuss bekommen haben und wieder zurückzahlen müssen. Der vorgelegte Budget­entwurf und die Steuerreform versprechen leider keine Besserung. Ganz im Gegenteil: Die finanzielle Anspannung in den Gemeinden wird sich weiter verstärken, und es droht ein schmerzlicher Einschnitt bei den kommunalen Leistungen. Ich sage Ihnen auch, wa­rum: weil mit Ihrem Budget ein Systembruch erfolgt. Es drohen neuerliche Steueraus­fälle, weil die Steuereinnahmen über die sogenannte CO2-Bepreisung nur dem Bund zugutekommen sollen. Dieses Geld wird dann den Kommunen bei den Ertragsanteilen fehlen.

Auf der anderen Seite ist die Regierung aber sehr spendabel, wenn es wie so oft um Konzerne, um die große Industrie geht. Mit der KöSt-Senkung, also der Senkung der Gewinnsteuern der Konzerne, macht diese Regierung nämlich ein Steuergeschenk von rund 1 Milliarde Euro, und das jährlich. – Ein Schelm, wer denkt, dass es sich dabei um Gegenleistungen für bereits geflossene Parteispenden handeln könnte! Ja, das ist eine Menge Geld, das wir so dringend in der Pflege, in der Kinderbetreuung und in der Bildung brauchen würden. Leider wissen wir seit wenigen Tagen aus den Chatprotokollen der politischen Altkanzlerfamilie auch, dass der Ausbau der Kinderbetreuung keinen beson­deren Stellenwert hatte und leider noch immer nicht hat. (Bundesrat Bader: Ich habe euch gesagt, dass das ein Blödsinn ist! Wie oft müssen wir euch noch erklären, dass das einfach nicht stimmt?)

Dasselbe gilt auch für den Pflegebereich: Der Notstand, der Pflegenotstand ist laut Ex­perten längst da. Das spüren wir ja draußen in den Regionen, in den Bezirken, in den Gemeinden. Die dringend notwendige Pflegereform ist in weite Ferne gerückt. In diesem Budget wird das Thema Pflege maximal gestreift. Die steigenden Kosten für die Pflege an sich, aber auch die steigenden Kosten für eine verstärkte Pflegekräfteausbildung sind nicht abgebildet. Dadurch wird der existierende Notstand nicht behoben, nicht gelindert, er wird eher verlängert und verstärkt. Das ist ein unmöglicher Zustand, den die SPÖ-Fraktion sicher nicht kampflos hinnehmen wird.

In der Bewertung kommen wir als SPÖ-Fraktion zu einem eindeutigen Ergebnis: Dieses Budget und diese Steuerreform sind weder sozial noch ökologisch. Sie sind auch nicht nachhaltig, sie sind ideenlos. (Beifall bei der SPÖ.) Vielmehr haben sie den Charakter eines Taschenspielertricks – so nach dem Motto: Ich stecke dir in die eine Tasche und nehme dir zeitgleich aus der anderen! Es ist einfach Fakt, dass sich die Menschen, zum Beispiel durch die viel zitierte kalte Progression, und auch die Gemeinden diese Steuer­reform selber zahlen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Das heißt, die Vermögensschere geht weiter auseinander, es kommt wieder zu einer Umverteilung von unten nach oben, die Bezieherinnen und Bezieher kleiner Einkommen und die Gemeinden sind die klaren Verlierer.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, Ihren Versuchen, unsere Sichtweise zu relativieren oder gar in Abrede zu stellen, bewusst vorbeugend darf ich sagen, dass wir mit unserer Meinung, mit unserer Aussage nicht alleine sind. Viele Ihnen bekannte Persönlichkeiten, zum Beispiel aus der Politik, oder Institutionen geben uns nämlich recht, so etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – der hochrangige ÖVP-Politiker Johann Hingsamer, seines Zeichens Gemeindebundpräsident in Oberös­terreich, Vizepräsident des Österreichischen Gemeindebundes. Für ihn sei die Steuerre­form nämlich ein „Schlag ins Gesicht der Gemeinden“, der Föderalismus werde „mit Fü­ßen getreten“, wie er gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ angab.

Es kommt noch dicker: Er wirft Ihnen, Herr Minister, Folgendes vor; ich zitiere aus den Medien: Er – damit sind Sie gemeint, Herr Minister – „holt sich jetzt das Geld, das er mit dem Gemeindepaket gegeben hat, gleich mehrfach zurück“. Laut Hingsamer gebe es auch „null Euro für die Pflege“ und dabei – ich zitiere wieder – lasse er, wieder der Herr Bundesminister, „wie gewohnt“ – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: wie gewohnt – „die Gemeinden alleine. Das ist ein Wahnsinn“, sagt Gemeindebundpräsi­dent Hingsamer. Und: Die Senkung der Körperschaftsteuer sei ein „Geschenk an die Industrie“. – Das ist eins zu eins meine Interpretation, unsere Meinung über diese Steu­erreform. Das ist doch, glaube ich, eine starke, aber vor allem ehrliche und sehr mutige Ansage, der ich meinen Respekt zolle.

Das ist in dieser Causa noch nicht alles. Kritik kommt zum Beispiel auch von Franz Schellhorn von der Agenda Austria, von zahlreichen Umweltorganisationen, ich nenne nur Global 2000 oder Attac: Sie alle sprechen von Enttäuschung, von vertanen Chancen oder von einem Versagen auf ganzer Linie.

Mein Resümee: Diese Befunde sprechen eine klare Sprache. Die Kritik ist nicht zu über­hören. Sie, sehr geehrter Herr Finanzminister, haben es auch in Ihren Händen, alles für eine echte Entlastung der Menschen und der Kommunen in unserem Land zu tun. So dürfen wir Ihnen heute in diesem Zusammenhang 33 Fragen stellen. Wir erwarten und ersuchen um konkrete Antworten und in weiterer Folge natürlich auch – die Antworten sind das eine – die notwendigen Taten. Wir sind gespannt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

16.14

Vizepräsident Günther Novak: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.