16.14
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Ich bin immer wieder erstaunt, was man bei solchen Tagesordnungspunkten alles unterbringen kann. (Heiterkeit bei BundesrätInnen von Grünen und SPÖ.)
Auf jeden Fall ist es ein weiteres Mal, dass wir Maßnahmen zur Abfederung der hohen Energiekosten debattieren. Es wird wegen der Krise leider, das muss man dazusagen, ganz bestimmt nicht das letzte Mal in dieser Krise sein.
Es sei schon dazu gesagt: Es wird ja nicht nur debattiert, sondern ganz im Gegenteil real sehr, sehr viel Geld zur Verfügung gestellt. Es vergeht definitiv keine Sitzung, in der nicht wirklich sehr, sehr große Pakete mit strategischen Maßnahmen, langfristigen Mitteln und Soforthilfe beschlossen werden. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Bundesrat Steiner: Das spüren die Leute brutal!)
Ich sage es ganz offen, aber auch emotional: Es ist einfach ein bisschen ermüdend, immer diese Wahlkampfrhetorik, man würde nichts tun. Wir können gerne alles debattieren, man kann gerne alles kritisieren, aber da sind dermaßen viele Mittel zu den Haushalten, zu den Betrieben und so weiter geflossen. Es ist schon eine gewisse Chuzpe, das einfach auszublenden. (Bundesrat Spanring: Zu den NGOs der Grünen! – Bundesrätin Steiner-Wieser: Wo bleibt der Mittelstand?)
Mit dem vorliegenden Gesetz wird ein Rahmen geschaffen, in diesem Fall für energieintensive Unternehmen, also Unternehmen, die einen relevanten Energiekostenanteil an ihren Gesamtkosten haben, um ihre Energiekosten abzufedern.
Ich möchte auch noch einmal betonen: Das ist mitnichten eine Beschränkung auf Großbetriebe, sondern sehr, sehr viele KMUs haben im Übrigen einen Energiekostenanteil von 3 Prozent, die dann natürlich auch Anträge stellen können. Es fallen sehr, sehr viele Betriebe darunter – auch im Tourismus so ziemlich alle Hotels mit Wellnessanlagen, das sind weit über 3 Prozent. – Nur, um ein Gefühl zu geben.
Das unterstützt im Übrigen nicht nur Unternehmen, sondern es ist ja auch eine Idee dahinter. Das hat auch einen preisdämpfenden Effekt auf die Produkte und Dienstleistungen, die verkauft werden, und das soll ja wiederum den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen. Das ist auf jeden Fall einmal eine Zielsetzung. Das sollte selbstverständlich so sein und nicht einfach einkassiert werden.
Das ist auf jeden Fall viel Geld, keine Frage. Um da auch ein bissel kritisch zu werden: Ich finde schon, dass diese vielen Mittel – es ist ja auch das erste Mal – auch eine Verantwortung mit sich bringen, denn auf die Dauer wird es nicht möglich sein, jedwede Energiekostenerhöhung vollständig abzufangen. Das wäre auch nicht klug. Ich sage auch ganz offen, das muss man sehr differenziert machen, und betone dabei ein weiteres Mal, dass die kurzfristigen Maßnahmen von einem ambitionierten Ausstieg aus den fossilen Energieträgern begleitet werden müssen.
Da sind die Betriebe auch gefordert, und da sehe ich auch die Verantwortung bei den Betrieben, denn ich bin schon der Meinung, dass diese vielen Hunderten Millionen Euro, die bereitgestellt werden, vor allem dann gerechtfertigt sind, wenn wir gleichzeitig klipp und klar die Weichen für jeden Einzelnen und jeden einzelnen Betrieb stellen, um aus der fossilen Abhängigkeit rauszukommen.
Ich möchte jetzt aus aktuellem Anlass – und das auch nicht zum ersten Mal, aber es scheint irgendwie notwendig zu sein – daran erinnern, wer uns denn in diese extreme Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und vor allem in die einseitige Abhängigkeit vom russischen Gas geführt hat – und zwar sehenden Auges (Bundesrat Obrecht: Wer? – Die ÖVP!): Das waren beispielsweise Leute in der fossilen Energiewirtschaft, das waren Leute mit Regierungsämtern – mehrerer Couleurs, wohlgemerkt –, und es sind natürlich auch Leute in sehr, sehr hohen Lobbyingfunktionen, zum Beispiel in der Wirtschaftskammer. (He-Rufe bei der ÖVP.)
Seid mir nicht böse, liebe Freunde und Freundinnen in der ÖVP, es ist ja nicht direkt an euch gerichtet, aber da steigt mir schon der Blutdruck, wenn genau diese Leute jetzt hergehen und sich beklagen, dass der Ausstieg zu langsam ginge. Das ist dann schon einfach untragbar, was der Chef der Wirtschaftskammer in den letzten Tagen von sich gibt. Er geht sogar so weit, sich zu beklagen, dass sich Österreich und die EU auf die Seite der Ukraine gestellt haben. (Bundesrätin Zwazl: Na, das hat er nicht genau so gesagt! – Bundesrat Spanring: Ich würde die Koalition auflösen!) – Ich habe das genau gelesen. Was, bitte, soll man da noch sagen? Solidarität mit einem Land, das einem brutalen Angriffskrieg ausgesetzt ist, sieht anders aus. Solche Aussagen sind auch, mit Verlaub, außenpolitisch schädlich.
Dass das die FPÖ ganz offen macht und sich auf die Seite der russischen Aggression stellt, ist ja nichts Neues. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Das ist der gleiche Blödsinn! – Bundesrat Spanring: Der hat eine Wahrnehmungsstörung! – Weiterer Ruf bei der FPÖ: Alkohol und Psychopharmaka!) Sie vergessen offenbar, dass da ein einseitiger Angriffskrieg herrscht. Sie vergessen offenbar, dass da jeden Tag Hunderte Menschen ermordet werden, dass Leiber zerrissen werden, dass jeden Tag Frauen vergewaltigt werden, Städte vernichtet werden.
Sie sollten das ein bisschen mehr in Ihre Überlegungen einbeziehen. Diese Verantwortung hat Europa jetzt natürlich, und selbstverständlich ist es so, dass das einen Preis hat. Das muss man ganz offen sagen, es wird nicht ohne Schmerzen gehen.
Mahrer wirft der Regierung vor, sich nicht um Alternativen zu russischem Gas zu kümmern. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt, muss man ja wirklich diese Chuzpe haben, weil man ohne Weiteres nachlesen kann, wer sich noch nach 2014 an Putins Busen geworfen hat, um sich für Lieferverträge einzusetzen. Jetzt stecken wir in dieser Misere, in Strukturen, die wir leider nicht mehr so schnell loswerden, weil es eben viele Jahre dauert, eine Energieversorgungsstruktur umzubauen.
Ich war in meiner vorigen Rolle selber viele Jahre in Gremien des Bundes, im Energiebeirat beispielsweise, ich weiß nur zu gut, wer immer gebremst hat, wenn es darum gegangen ist, neue Energieträger auszubauen, mit dem Argument: Ja, das kostet alles so viel!, im Wissen, dass wir eine Klimaschutzproblematik und eine Abhängigkeitsproblematik haben, weswegen es die Debatten ja gegeben hat. Da waren einige Interessenvertreter dabei, die sich jetzt durchaus einmal ein bisschen selbstkritisch an der Nase nehmen könnten. Das sind diverse Kammern, das ist übrigens auch die Gewerkschaft, da waren sich ja alle einig.
Ich hätte einen weiteren Tipp und wirklich eine Bitte an die Wirtschaftskammer und vor allem an deren Spitze: Die Wirtschaftskammer und die IV vertreten ja die Betriebe, und niemand weiß besser als sie selbst, wie man aus der fossilen Abhängigkeit herauskommen kann – das bezweifle ich überhaupt nicht –, aber dann legt ein Konzept vor! Wo bitte ist euer Dekarbonisierungsplan? (Beifall der Bundesräte Obrecht und Egger. – Ruf bei der FPÖ: Da haben nicht einmal die Grünen applaudiert!)
Das BMK hat im April ein Ausstiegskonzept aus russischem Gas vorgelegt. (Bundesrat Schennach: Also Frau Zwazl, wo ist der Plan?) – Ja, dann lesen Sie es nach! Ich kann Ihnen gern den Link von der Österreichischen Energieagentur schicken. (Bundesrat Schennach: Nein, die Frau Zwazl soll ihn präsentieren!) Es zeigt relativ detailliert, in welchem Segment kurzfristig welche Einsparungen erzielt werden können und welche Umstellungen möglich wären.
Im Industriebereich sind das beispielsweise – ich zitiere die Österreichische Energieagentur – 10 Terawattstunden, die kurzfristig realisierbar wären. Das ist sehr, sehr viel, und es ist, wie ich denke, eine vornehme Aufgabe, das zu tun. Mit Sicherheit wird die Bundesregierung gerne weiterhin bereit sein, wenn es notwendig ist, den Ausstieg auch zu unterstützen. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Zwazl und Obrecht.)
Wir haben sehr viele innovative Betriebe, dem stimme ich völlig zu. Ich wünsche mir halt, dass die Vertretungsspitzen diese Innovationskraft auch selber an den Tag legen würden.
Es steht uns ein schwieriges Winterhalbjahr bevor. Die Preise bei den Endkunden werden weiter steigen, und es ist tatsächlich keine leichte Entscheidung, was im Umgang mit den Energiepreisen jetzt am besten getan wird. Ich bin wirklich sehr dafür – durchaus als Appell an alle Beteiligten und durchaus auch an uns selbst –, diese Debatte jetzt wirklich offen und konstruktiv ohne polemische Besserwisserei und Zurufe vom Balkon zu führen. (Bundesrat Schennach: Nein, so geht das nicht, Herr Kollege! – Heiterkeit bei SPÖ und FPÖ. – Bundesrat Spanring: Jetzt soll er aufhören zu reden!)
Es ist tatsächlich sehr, sehr schwierig zu entscheiden, wie man in den Markt eingreifen kann. Man sieht es ja am Expertenstreit, der derzeit stattfindet. (Bundesrat Steiner: Hört auf mit den Experten! Seit Corona ... genug von Experten!) Ich sehe es auch so, dass tiefere Markteingriffe sinnvollerweise tatsächlich nur auf europäischer Ebene erfolgen können. Alles andere wird nicht funktionieren. (Beifall des Bundesrates Egger. – Bundesrat Schennach: Wer hat denn jetzt applaudiert? Der David? – Heiterkeit bei der SPÖ.)
Die Europäische Kommission hat angekündigt, für nächsten Mittwoch einen Notfallplan vorzulegen. Ich gehe davon aus, dass dort auch diskutiert wird, welche Markteingriffe auf europäischer Ebene realisierbar sind und welche nicht. Natürlich kann man national einiges tun.
Ich sage es hier heraußen nicht zum ersten Mal: Ich bin sehr dafür, dass die Windfall Profits, also die Gewinne, die jetzt von den Energiegesellschaften, von der OMV erzielt werden, abgeschöpft werden, am liebsten mit einem Gesetz, keine Frage. (Bundesrat Schennach: Heute musst du dich noch bei der Wirtschaftskammer entschuldigen!) Dieses Geld reduziert die Energiekosten noch nicht, aber dieses Geld kann und muss man natürlich verwenden, um die betroffenen Menschen und Betriebe bei ihren Kosten zu entlasten. (Ruf bei der SPÖ: Antrag einbringen!) Das ist aus meiner Sicht ein entscheidendes Ergebnis, das jetzt im Auge zu behalten ist, oder ein Ziel, dass die Leute mit geringem Einkommen entsprechende Entlastungsmaßnahmen erfahren – das ist ganz klar. (Bundesrat Schennach: Aber kann man die Abrechnung mit der Wirtschaftskammer jetzt verkürzen?)
Die soziale Treffsicherheit halte ich wirklich für entscheidend, aber nicht nur ich, da sind wir uns alle einig. Es geht darüber hinaus ja auch darum, die Leute zu unterstützen, die sich wirklich schwertun, auf andere Energieträger umzusteigen oder ihr Haus zu sanieren. Das können nicht alle. Viele können es, manche können es aus eigener Kraft nicht. Die muss man unterstützen. Ich möchte dazu eine Zahl weitergeben, weil die wirklich wichtig ist. (Bundesrat Schennach: Ein bissel an die Zeit denken, Herr Kollege! – Heiterkeit bei BundesrätInnen der SPÖ.) – Was lachen Sie?
Vizepräsident Günther Novak: Herr Kollege, wir haben in der Präsidiale besprochen, dass wir die Zeit einhalten, weil wir ja zwei Tage Sitzung haben. – Bitte. (Bundesrat Schennach: Wir gehen schon auf die 30 Minuten zu!)
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (fortsetzend): Ersparen Sie sich die Polemik, Herr Kollege! (Bundesrat Schennach: Wieso?) Es geht nicht auf die 30 Minuten zu. Hören Sie lieber zu!
Eine Erhebung der Statistik Austria zeigt, dass die Haushalte, die als energiearm einzustufen sind, 20 Prozent ihres Einkommens für Energie ausgeben – das war 2018. Jetzt hat sich die Situation natürlich massiv verschärft, und das zeigt natürlich schon: Es wird ganz, ganz wichtig sein, diese Haushalte gut und effektiv zu unterstützen. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit – die verbrauchen auch weniger Energie – und es ist natürlich auch eine Frage der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens.
Noch einmal (Bundesrat Steiner: Nicht noch einmal! – Bundesrätin Schartel: Fang nicht noch einmal von vorne an!): Wir brauchen dringender denn je ein konstruktives Miteinander in der Suche nach Lösungen, weil ein Gaslieferstopp wahrscheinlich ist. Man muss das ganz offen sagen. Auch Notfallmaßnahmen werden gesetzt werden müssen. Umso mehr ist es jetzt auch im Hinblick auf die Maßnahmen, die kommen werden, wichtig, die Debatte zu führen, um dann in einer möglichst akzeptierten Form auch die nötigen Maßnahmen setzen zu können. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)
16.26
Vizepräsident Günther Novak: Ich darf Herrn Finanzminister Dr. Magnus Brunner im Plenum begrüßen. – Herzlich willkommen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)
Es liegen dazu keine weiteren Wortmeldungen vor – doch! Ich erteile Herrn Steiner das Wort. (Bundesrat Schennach: Jö!)