15.57
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Frau Justizministerin! Diese Erklärung gegenüber Tunesien und gegenüber den Philippinen ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Gerade die internationalen Kindesentführungen sind nicht so selten, wie es dem Titel nach klingen mag.
Wichtig ist, wie meine Vorrednerin gesagt hat: Es gibt derzeit 103 Übereinkommen mit 103 Staaten. Wir müssen uns aber in Erinnerung rufen, dass die Haager Konferenz 1980 war. 1980 haben Staaten existiert, die heute nicht mehr existieren, und es haben Staaten ihre Staatsgebiete erweitert.
1980 war zum Beispiel Jugoslawien ein Mitglied, und die Nachfolgestaaten, wie Bosnien, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien, fühlen sich der Unterschrift von Jugoslawien seinerzeit verpflichtet. Damals war Macau portugiesisch und Hongkong britisch. China hat nun erklärt, für diese Sonderverwaltungsregionen fühlt es sich, was Kindesentführungen betrifft, in derselben Weise verpflichtet wie für China, denn China hat das Abkommen 1980 ratifiziert.
Alle EU-Staaten haben es jetzt ratifiziert. Das war aber nicht immer so. Ein Staat ist aufgefallen – die Steirer und Steirerinnen hier werden das wissen –: Das ist Dänemark.
Wir hatten diese unheimliche Entführungsgeschichte eines Kindes zwischen Dänemark und der Steiermark. Dieses Kind ist, glaube ich, insgesamt sechs Mal hin und her entführt worden. Das hing aber damit zusammen, dass Dänemark das Abkommen damals nicht ratifiziert hat und es für Österreich mit den dänischen Behörden extrem schwierig war. (Zwischenruf des Bundesrates Buchmann.) – Ja, Kollege Buchmann als Steirer muss das wissen. Das war ja ein Riesendrama. (Bundesrat Buchmann: Ja, eh!) Jetzt weiß ich nicht, ob die Mutter des Kindes Steirerin war oder ob sie Dänin war. Das entzieht sich jetzt meiner Kenntnis. (Bundesrat Buchmann: Der Vater!)
Wenn wir aber einmal zurückschauen – ich glaube, Frau Neurauter hat das kurz angerissen –: Wenn wir das Jahr 2022 nehmen, wurden da 29 Kinder nach Österreich entführt und 47 Kinder aus Österreich entführt.
Heuer, im Jahr 2023, sind bis jetzt 31 Kinder nach Österreich und 39 Kinder aus Österreich entführt wurden. Bis Jahresende werden es mehr werden.
Das ist eine ganz, ganz schwierige Geschichte. Das Spiel machen Erwachsene, und niemand denkt dabei an das Wohl der Kinder (Beifall bei der SPÖ), und das ist die riesige Tragödie.
Eigentlich hätte ja heute meine erkrankte Kollegin Daniela Gruber-Pruner, Vorsitzende des Kinderrechteausschusses, dazu sprechen sollen, und es wäre ihr ein großes Anliegen gewesen, auch darauf hinzuweisen, dass wir sehr viele vermisste Kinder in Europa haben. Die Zahl vermisster Kinder in Europa explodiert nämlich, und man kann sagen: Im EU-Europa wird alle 2 Minuten ein Kind vermisst.
Ich kann mich erinnern, der damalige Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, hat 2015 in einer wirklich sehr beachtlichen Pressekonferenz erzählt, dass von den Flüchtlingen von 2015 18 000 Kinder in Europa vermisst wurden. Wir wissen nichts über deren Schicksal, und das ganz Schlimme ist, dass die gesetzlichen Regulative ganz unterschiedlich sind. Wenn wir zum Beispiel die horrible gesetzliche Situation von Slowenien und Ungarn, aber – in diesem Fall muss ich es leider auch erwähnen – auch Dänemark anschauen, so interessiert die das gar nicht. Wird in Ungarn ein nichtungarisches Kind vermisst, scheint das nicht auf. In Slowenien ist es so: Wird ein Kind 24 Stunden vermisst, nehmen sie es zur Kenntnis, aber nach 24 Stunden streichen sie das Kind aus der Vermisstenliste.
Ich könnte jetzt über jedes Land reden, denn ich hatte damals die Aufgabe, im Europarat darüber einen Bericht zu machen.
Zum Beispiel in der Schweiz, wo das sehr gut dokumentiert wird, gab es im Jahr 2021 54 655 vermisste Kinder. Aber nur die Hälfte davon sind Ausreißer und Ausreißerinnen, nämlich ein bisschen über 50 Prozent. Wo sind die anderen? Welche Schicksale stecken dahinter?
Ich habe mich damals bei Jagland erkundigt, wie viele Kinder aus den Flüchtlingsjahren in Österreich vermisst werden: Die Anzahl war 900. 900 Kinder werden vermisst! Das ist nicht wenig.
In diesem Sinne, liebe Kollegen und Kolleginnen, freuen wir uns jetzt darüber, dass die Philippinen und Tunesien diesem Übereinkommen beitreten. Diese beiden Länder waren nämlich nicht Teil des Übereinkommens von 1980. Das heißt, jetzt müssen wir mit jedem Land, das da beitreten will, dieses Anerkennungsverfahren abführen. Österreich hat das zum Beispiel mit Südafrika, der Ukraine, Armenien, Chile und so weiter gemacht, und jetzt kommen eben die Philippinen und Tunesien dazu.
Es gibt nicht wenige binationale österreichisch-philippinische und österreichisch-tunesische Kinder, nämlich durch Verehelichungen oder Beziehungen von Menschen aus beiden Staaten, und da ist bei Trennung oder Scheidung der Obsorgestreit immer ein Riesenproblem. Durch dieses Abkommen hilft der Staat in diesen zivilrechtlichen Verfahren wie eine Brücke, damit Kinder eben nicht wie im steirisch-dänischen Fall zigfach hin- und hergeschoben werden. Ich glaube, das steirische Kind war vier oder fünf Jahre alt. Man muss sich einmal überlegen, was das für ein Kind bedeutet, wenn es immer wieder entführt wird! – Ja (in Richtung einer Schulklasse im Besucher:innenbereich), das könnt ihr euch anhören!
In diesem Sinne: Wir werden dem natürlich sehr gerne zustimmen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)
16.05