15.23

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Herr Präsident! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Es gibt ja nicht oft die Gelegenheit, im Bundesrat über europäische Themen zu sprechen. Dieser Bericht gibt die Möglichkeit dazu. Ich bin auch sehr dankbar, dass das möglich ist.

Ich fange bei den Agenden an, die jetzt aktuell wichtig sind, auch auf der europäischen Ebene; einige sind angesprochen worden.

Menschen mit Behinderung werden künftig, das ist erwähnt worden, über einen im September 2023 vorgelegten Richtlinienvorschlag der Kommission einen europäischen Behindertenausweis, einen europäischen Parkausweis bekommen. Es gibt auch Vorschläge zur Stärkung der Gleichbehandlungsstellen, was ich für wichtig halte.

Es gibt im Zusammenhang mit dem Recht auf Reparatur im Bereich Konsu­menten­schutz den Vorstoß, insgesamt die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu stärken – grenzüberschreitend. Die Europäische Union ist in diesem Punkt deshalb so wichtig, auch hinsichtlich des Vorschlagens von Regelungen, weil das aufgrund der Verflechtungen, die wir wirtschaftlich haben, und der Bestellungen, die auch grenzüberschreitend stattfinden, nicht nur alleine nationalstaatlich zu regeln ist.

Es gibt im Bereich der Arzneimittelgesetzgebung, das habe ich schon angedeutet, weitreichende Vorschläge der Kommission, aber wir sind jetzt durch die Europawahlen sozusagen an der Schnittstelle zwischen alter Kommission und altem Parlament und dann den neuen Gremien. Den Vorschlag einer weit­reichenden Arzneimittelgesetzgebung halte ich für zentral und essenziell, das habe ich gesagt, weil damit drei Prioritäten ins Zentrum gestellt werden: die Versorgung mit Arzneimitteln zu verbessern, also die Verfügbarkeit sicher­zustellen; die Zugänglichkeit zu sichern, und zwar für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen – das ist insbesondere für Österreich wichtig, weil wir halt in der Verhandlungsposition darauf angewiesen sind, gemeinsame Sache zu machen –; und auch die Leistbarkeit sicherzustellen. Dafür braucht es diesen Revisions­entwurf betreffend Arzneimittelgesetzgebung. Aktuell besteht der Streitpunkt insbesondere darin: Wie lange bestehen die Patentrechte? Wie lange ist der Patentschutz bei Medikamenten? Wann läuft er ab? Da gibt es zugegebener­maßen natürlich noch Differenzen zwischen der Industrie und den Mitglied­staaten. Die Mitgliedstaaten sind sich einig, dass es in dieser Frage eine klare Regelung braucht.

Die Frühstücksrichtlinie ist erwähnt worden. Da geht es nicht nur um die Marmelade, sondern vor allem um die Herkunftskennzeichnung bei Honig, um Transparenz hineinzubekommen.

Der Tierschutz ist auch erwähnt worden. Der Vorschlag von Dezember 2023 wird von uns begrüßt, weil damit auch eine klare Verbesserung betreffend den Schutz von Tieren beim Transport erreicht worden ist.

Damit komme ich zu den Sozialsystemen: Es gibt in diesem Bereich eine klare Haltung, dass künftig – und das ist wichtig – die Fiskalregeln derart ausgelegt und ausgestaltet werden, dass auch soziale Investitionen oder Investitionen in Soziales und Gesundheit berücksichtigt werden können. Das war Thema am Montag und am Dienstag, als ich mit dem Finanzminister in Brüssel war, wo erstmals seit zwölf Jahren ein gemeinsames Meeting der Finanzminister, Finanzministerinnen und Sozialminister, Sozialministerinnen stattgefunden hat.

Diese beiden Welten waren bislang nicht zu 100 Prozent kompatibel, weil natürlich vonseiten der Finanzminister:innen immer die Fiskalregeln und die Stabilität der Haushalte in den Vordergrund gestellt worden sind. Die Sozialis – so nenne ich sie – und die Gesundheitsminister:innen haben sich immer rechtfertigen müssen – auch auf der europäischen Bühne –, was denn das alles für Kosten verursacht. Mittlerweile wird die Debatte – auch aufgrund einer Initiative, die maßgeblich von Belgien, Spanien und auch von mir mitbetrieben worden ist – so geführt, dass soziale Investitionen auch wachstumsfördernd sind. Soziale Investitionen sind nicht nur als Kosten zu betrachten, sie sind Investitionen in Menschen. Da gibt es einen Return on Investment. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie bei Bundesrät:innen der ÖVP.)

Diese Debatte kann auch nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil vollkommen klar ist: Es geht nicht an, dass immer nur dann, wenn Brücken, Straßen und Bauwerke errichtet werden, von guten Investitionen gesprochen wird, und immer dann, wenn es um Soziales, Gesundheit und Pflege geht, von bösen Kosten gesprochen wird. Die Debatte kehrt sich jetzt allmählich um und es ist ein Erfolg. Es ist der Ratspräsidentschaft der Belgier und den unter­stützenden Staaten zu verdanken, dass erstens diese Debatte stattgefunden hat und zweitens die Fiskalregeln jetzt so ausgestaltet sind, dass das auch einge­rechnet werden kann und das künftig auch eine wichtige Rolle spielt.

Ich sage es ganz deutlich: Die Europäische Union ist ja per se immer zuerst als Wirtschaftsunion gedacht und konzipiert worden. Unsere Haltung, meine Haltung war damals schon, schon bei der Beitrittsdebatte: Sozialunion vor Währungsunion. Die Sozialunion muss jetzt ein Stück weit nachgeholt und nachgebildet werden, weil mittlerweile auch klar ist: Nur ein sozialer Staat und eine soziale Union sind imstande, die Demokratie zu erhalten. Das muss endlich auch sickern und in die Köpfe hinein. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie bei Bundesrät:innen der ÖVP.)

Da wir vor den Wahlen zum Europäischen Parlament stehen, noch eine abschließende Bemerkung dazu: Ja, ich weiß, diese Europäische Union ist nicht perfekt. Ja, es gibt viele Dinge zu kritisieren. Aber: Könnten wir oder könnte Österreich ohne sie existieren? (Ruf bei der FPÖ: Ja!) Hätten wir eine wirtschaft­liche Zukunft? – Nein, die hätten wir nicht. Das muss man den Menschen im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament auch so sagen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich möchte es einfach anhand von ein paar Beispielen klarmachen, weil ich finde, diese Debatte muss in den kommenden Wochen und Monaten geführt werden: Österreich profitiert seit dem Beitritt zur Europäischen Union handfest wirtschaft­lich von diesem Beitritt. Allein der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten hat das Exportvolumen der österreichischen Wirtschaft von 4 Milliarden Euro in Jahr 1995 auf 26 Milliarden Euro im Jahr 2023 gehoben. Das sind real Arbeitsplätze, die damit geschaffen worden sind. Das heißt, es ist eine wirtschaft­liche Notwendigkeit, dieser Union anzugehören. Es ist auch eine soziale Notwendigkeit und es ist eine Notwendigkeit, damit wir im internationalen, im globalen Wettbewerb überhaupt bestehen können.

Ich war jetzt relativ viel unterwegs, unter anderem auch auf der großen inter­nationalen Ebene, wo es darum geht: Wie stellen sich denn geopolitisch aktuell die Situationen dar? Ich kann Ihnen sagen: Europa ist insgesamt ein alternder Kontinent. Der Anteil an Menschen, den die Europäische Union am gesamten Volumen der Weltbevölkerung hat, sinkt. Wenn wir als Österreich, als Volkswirtschaft, auch als Gemeinschaft in der Lage sein möchten, zu bestehen, dann wird das nur gemeinsam möglich sein. Das, finde ich, muss man den Leuten sagen. Alles andere ist eine Augenauswischerei. Wenn man gar daran denkt oder damit spekuliert, wie die Briten aus dieser Union auszutreten, dann muss man nach UK schauen und sagen, was das für einen Impact hatte. Das ist eine Zerstörung einer Volkswirtschaft, das ist eine Zerstörung des sozialen Gefüges, und es ist ein Schaden für das gesamte Staatsgefüge. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Deshalb werde ich an dieser Stelle relativ emotional, weil ich einfach nicht hinnehmen mag, dass damit politisch Schindluder getrieben wird. Ich sage bei allen Diskussionen, bei denen ich bin – bei allen, unabhängig davon, wie die Zusammensetzung alterstechnisch ist –: Geht hin zu diesen Wahlen zum Europäischen Parlament und wählt in Gottes Namen, wen ihr wollt, aber wählt demokratische Parteien, die für die Europäische Union antreten, und lasst die anderen außen vor! (Bundesrat Spanring: Das ist sehr demokratisch!) Alles andere generiert einen massiven Schaden für die Republik Österreich. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ich würde mir von diesen demokratischen Parteien, die proeuropäisch aufgestellt sind, wünschen, diese Debatte in dieser Intensität zu führen. Es ist wichtig, es ist notwendig, weil wir sonst alles verlieren, was wir haben: nämlich die demokratische Grundlage dieses gemeinsamen Europas und auch dieses Österreichs. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

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