9.39
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Willkommen, sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Rede meiner Vorrednerin hat wieder einmal wirklich eindrücklich bewiesen (Bundesrat Steiner: Remigration! Remigration! Remigration! Remigration!), erstens einmal wie – nein ich finde keine Worte –, ja, einfach wie grauslich und unsachlich ihr die Themen angeht und wie rückständig und rückwärtsgerichtet eure Familienpolitik ist. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)
Denn: Wie lange die Kollegin das Thema, um das es eigentlich geht, umschifft hat, zeigt nur, dass ihr keine Ahnung vom Thema an sich habt. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Ihr nennt das Wahlfreiheit. Das, was ihr eigentlich wollt, benennt es doch: Frauen zurück an den Herd! Das ist das, was ihr wollt. Benennt es! (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.) Gebt das Etikett drauf! Gebt das richtige Etikett drauf, sodass alle wissen, worum es geht! (Bundesrat Steiner: Haben Sie Kinder, Frau Kollegin? Besser nicht!)
Niemand wird gezwungen, sein Kind in einen Kindergarten zu geben, aber alle, die es brauchen und wollen, sollen die Möglichkeit, sollen die Wahlfreiheit und ausreichend Plätze haben. (Bundesrat Steiner: Davon reden wir ja!) Darum geht es. Aber euch nicht! (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
Ja, die Bedingungen für Betreuung und Bildung von sehr jungen Kindern sind nicht immer optimal. Da gebe ich meiner Kollegin Gruber-Pruner recht. Gerade im Bereich der inklusiven Betreuung – da muss ich ihr besonders recht geben – ist noch einiges zu tun. Aber pauschal zu behaupten oder zu insinuieren, wie es die FPÖ immer wieder tut und wie es diese Rede wieder einmal wunderbar bewiesen hat, dass die Pädagoginnen und Pädagogen nicht in der Lage wären oder nicht willens wären, unsere Kinder gut zu betreuen - - (Zwischenruf der Bundesrätin Doppler.) Sie sagen, die Pädagoginnen und Pädagogen würden die Kinder zu „Einheitsmenschen“ erziehen. Was soll denn das? Was ist denn das überhaupt für ein Wort? (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ. – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Ihr unterstellt den Pädagoginnen und Pädagogen, Kinder „zu Einheitsmenschen zu erziehen“. Das ist einfach nur eine üble Unterstellung, nichts anderes. Das muss man einmal in dieser Deutlichkeit sagen. Unfassbar! (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ.)
Vielleicht aber hilft ein bisschen Nachhilfeunterricht (Bundesrat Steiner: Ja, genau!), was den Wert qualitativ hochwertiger Betreuung junger Kinder betrifft. (Bundesrat Steiner: Wie bei den Windradln: elektrisch angetrieben!) – Ja, genau. Wiederholt es oft genug, dann glaubt ihr es irgendwann einmal selber! (Bundesrat Steiner: Wir wissen es ja!)
Der Wert qualitativ hochwertiger Betreuung junger Kinder wird in vielen Bereichen immer noch unterschätzt. Es geht in der Elementarpädagogik schon lange nicht mehr um Beaufsichtigung. Es geht um Betreuung im besten Sinne. Es geht um Bildung. Es geht um Begleitung. (Zwischenruf der Bundesrätin Doppler.) – Ja, hören Sie zu, dann verstehen Sie es vielleicht! Was die Pädagoginnen und Pädagogen nämlich tagtäglich leisten, ist weit mehr als beaufsichtigen. Junge Kinder, die spielerisch lernen – nicht nur junge Kinder, aber besonders junge Kinder –: Was gibt es Schöneres, als spielerisch zu lernen? Das ist auch das, was sie zu Hause mit ihren Müttern oder mit ihren Eltern tun, aber halt in einem anderen Zusammenhang.
Es geht um den bildungspolitischen Wert. Jedes Detail der Elementarpädagogik ist darauf ausgerichtet, die bestmögliche Entwicklung von Kindern zu ermöglichen. Die Expert:innen, sprich die Pädagog:innen, das Betreuungspersonal, die Betreuer:innen, diejenigen, die das gelernt haben, leisten da wirklich tagtäglich wertvolle Arbeit. Das beginnt bei der anregend gestalteten Umgebung und geht bis hin zu den didaktischen Konzepten. Das heißt, die Bildungs- und Erziehungsziele fußen natürlich auf entwicklungspsychologischen Erkenntnissen. Das ist das, was Bildungseinrichtungen leisten können. Wir wissen aus unzähligen Studien, wie wichtig elementare Bildung für die weitere Bildungslaufbahn ist. Wir wissen das aus Studien. Schaut euch diese Studien vielleicht irgendwann einmal an! (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)
Je früher Kinder in Bildungseinrichtungen von Fachpersonal, von Fachpersonen begleitet werden, umso besser sind deren Chancen im weiteren Verlauf ihrer Bildungslaufbahn, im weiteren Verlauf ihres Lebens. Das wiederum wirkt dem Phänomen entgegen, dass Bildung in Österreich nach wie vor zu einem großen Teil vererbt wird. Aber das wollt ihr ja alles nicht, dass dem gegengesteuert wird.
Eng verbunden mit dem bildungspolitischen Wert ist auch der sozialpolitische Wert. Wir wissen, dass Menschen mit besserer Bildung später einmal besser für sich und ihre Familien sorgen können, zumal Kinder in ihrer Entwicklung enorm davon profitieren, wenn sie im täglichen Kontakt mit Gleichaltrigen sind. Sie profitieren davon, und das ist in erster Linie eben das Erleben des Alltags mit Kindern aus der gleichen Altersgruppe.
Der dritte Bereich, um den es geht, der ganz wichtig ist, ist der familienpolitische und in dem Zusammenhang auch frauenpolitische Wert. Ja, es gibt tatsächlich so etwas wie Frauenpolitik. Gerade aus meiner Arbeit mit sehr jungen Kindern weiß ich, wie schwer es oft für Familien ist, Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung zu vereinbaren. Das geht leider immer noch zu einem großen Teil zulasten der Frauen. Dieses Problem zieht einen ganzen Rattenschwanz nach sich, der dazu führt, dass Frauen weit mehr von Altersarmut betroffen sind als Männer.
In den vergangenen Jahren haben wir als Koalition einiges weitergebracht, Präsidentin Göll hat es schon relativ ausführlich dargelegt: die 4,5 Milliarden Euro für Ausbau und Qualitätsverbesserung von Kindergartenplätzen, die Kindergartenmilliarde für die Länder mit 200 Millionen Euro pro Jahr zwischen 2022 und 2027, der Zukunftsfonds, zusätzliches Geld für den Ausbau von Kindergartenplätzen mit Öffnungszeiten, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.
Der erste Monitoringbericht zur Kinderbetreuung und -bildung wurde gestern veröffentlicht, er zeigt, dass seit der grünen Regierungsbeteiligung die Finanzierung massiv gestiegen ist. Dazu nur zwei Zahlen: 2001 betrugen die Ausgaben für Kindergarten und Hort 950 Millionen Euro, 2021 3,1 Milliarden Euro. Auch wenn diese Finanzierung massiv erhöht wurde, wird sich das erst zeitverzögert in den Betreuungsquoten zeigen. Die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte können nicht in fünf Jahren ausgeglichen werden. Es zeigt auch einer der Punkte aus dem Bericht, dass sich die Betreuungsquote bei den Null- bis Dreijährigen in den letzten zehn Jahren zwar um knapp 10 Prozentpunkte verbessert hat, aber immer noch unter 30 Prozent liegt. Wie gesagt, das liegt eben daran, dass es immer noch viel zu wenige Betreuungs- und Bildungsangebote gibt, die mit der Erwerbstätigkeit vereinbar sind.
Die Betreuungssituation im Speckgürtel ist gar nicht einmal so schlecht, wie wir auch aus den Daten des Monitoringberichts herauslesen können. Ich arbeite mit sehr jungen Kindern, und obwohl ich Kinder aus dem Speckgürtel betreue, bin ich regelmäßig konfrontiert damit, dass Menschen anrufen, Familien sich bei mir melden, die verzweifelt sind, weil sie einfach diesen Spagat zwischen Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit nicht zusammenbringen. Wenn Kinderkrippen Montag bis Donnerstag um 15 Uhr, am Freitag, weil ja schon Wochenende ist, bereits um 14 Uhr schließen, dann schaue ich mir an, welche Familie das wirklich mit ernsthafter Vollzeiterwerbstätigkeit vereinbaren kann. Wir brauchen da kein großes Rätselraten, um zu erraten, wer in der Familie dann die Teilzeitarbeit übernimmt. Wir brauchen also mehr sogenannte VIF-konforme Betreuungseinrichtungen, Einrichtungen, die eben gewisse Kriterien erfüllen, um mit Vollzeiterwerbstätigkeit vereinbar zu sein.
Die Daten des Berichts zeigen auch, dass, sobald Kinder im Haushalt leben, Frauen ihre Erwerbstätigkeit häufig auch über die Elternkarenzzeit hinaus einschränken, indem sie die Arbeitszeit reduzieren oder die Tätigkeit ganz aufgeben. Auf die Erwerbstätigkeit der Männer, der Väter hat die Vaterschaft hingegen kaum einen Einfluss.
Ja, die Finanzierung für den Ausbau der Bildungseinrichtungen alleine genügt nicht. Wir brauchen längere Öffnungszeiten. Trotzdem: Wenn uns die Fachkräfte fehlen, nützen die längeren Öffnungszeiten auch nicht viel. Deswegen haben wir diese Ausbildungsoffensive für Pädagog:innen gestartet. Wir haben zahlreiche neue Ausbildungsplätze und -lehrgänge geschaffen, um dem Mangel an Elementarpädagoginnen und -pädagogen entgegenzuwirken.
Ist das alles ausreichend? – Nein, natürlich nicht. Wenn wir all das, was ich und einige meiner Vorrednerinnen sachbezogenerweise schon erwähnt haben, bestmöglich umsetzen wollen, dann reicht das natürlich nicht, weder bildungspolitisch, sozialpolitisch noch familien- oder frauenpolitisch. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr sinnvoll ist. Dazu braucht es einen Stufenplan. (Beifall bei Grünen und SPÖ.) – (In Richtung SPÖ:) Ja! Ja, wir haben nie etwas anderes behauptet. – Dazu braucht es einen Stufenplan, genügend Räumlichkeiten, ausreichend qualifiziertes Fachpersonal. Wir brauchen österreichweit einheitliche Mindeststandards bezüglich Gruppengrößen und Öffnungszeiten in einem Bundesrahmengesetz verankert, ähnlich wie im Schulbereich. Und wir brauchen natürlich motivierte Fachkräfte, Betreuer:innen, Pädagoginnen und Pädagogen, die den Beruf erlernen und tatsächlich auch in dem Beruf arbeiten und tätig bleiben wollen. Das heißt: mehr Geld, mehr Zeit, mehr Unterstützung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jedes Kind ist gleich viel wert. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass das auch gelebt werden kann! – Danke schön. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ.)
9.50
Präsidentin Margit Göll: Für eine erste Stellungnahme zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Susanne Raab. Ich erteile es ihr. Auch ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte sehr.