RN/20

10.44

Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik (NEOS, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Der erste Satz ist ja bekanntlich immer der schwerste, aber die Hauptsache ist, dass es diesen ersten Satz gibt, weil er in die Begegnung führt. „Was gemeinsam geht“ heißt dementsprechend auch Beate Meinl-Reisingers Podcast, den sie seit Monaten betreibt und in dem sie mit verschiedensten Akteuren aus Politik, Kultur und Gesellschaft herauszufinden versucht, wo Gemeinsamkeiten liegen und wie man unsere Gesellschaft nach vorne bringen kann. 

Die Koalitionsverhandlungen, die wir NEOS mit ganzem Herzen und ganzer Kraft geführt haben, haben ihre Spuren hinterlassen: Spuren der enttäuschenden Erkenntnis, dass das Neue ganz offensichtlich nicht gewünscht war, und der Sorge darum, was nun auf unser Land wohl zukommt. Ich selber habe in der Untergruppe Justiz, Verfassung und Rechtsstaat mit viel Herzblut teilweise bis Mitternacht und in unserem Fall sehr konstruktiv mitverhandeln dürfen. Die quälende Frage, warum es trotz allen Willens und aller Hingabe einfach nicht gelungen ist, mit ÖVP und SPÖ einen für das Land positiven Reformweg einzuschlagen, wiegt schwer.

Politik kann aber nicht zufrieden sein, wenn ihre einzige Leistung ist, Schlimmeres zu verhindern. Ziel muss es immer sein, Besseres zu gestalten. Reformen, deren Zeit gekommen ist, lassen sich auch nicht auf Dauer aufhalten. Die deutsche „Zeit“ schreibt in ihrer Ausgabe vom 9. Jänner unter dem Titel „Der Kipp-Punkt“, warum „alles auf die FPÖ zuläuft“, zusammengefasst: Die NEOS hätten „Garant“ für „kein ‚Weiter wie bisher‘“ sein sollen. Rückblickend waren sie nur „ein Feigenblatt“. Für die neue Ära, die Kickl nun ankündigt, haben ÖVP und SPÖ jahrzehntelang „ihre Chancen nicht genutzt“, „deshalb bekommt Herbert Kickl jetzt seine“. 

Aufgrund meiner eigenen Familiengeschichte – als Urenkelin einer Kärntner Slowenin, die 1944 wegen politischen Widerstands verhaftet und im größten deutschen Frauen-KZ Ravensbrück bei Berlin interniert wurde, was sie nur mit großem Glück überlebt hat – ist die derzeitige politische Lage für mich auch persönlich besonders bedrückend. Sie darf aber niemanden überraschen. Schon vor der Wahl habe ich hier im Hause ausgeführt, dass jede Stimme für die ÖVP dafür sorgen wird, dass es nach der Wahl eine blau-schwarze Koalition gibt. (Bundesrat Thoma [ÖVP/Vbg.]: Geh!)

Nicht umsonst hat auch kein einziger und keine einzige ÖVP-Nationalratskandidat:in seine:ihre Unterschrift für die zivilgesellschaftliche Initiative „Ein Versprechen für die Republik“ abgegeben – eine Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, dass Kandidat:innen zum Nationalrat vor der Wahl versichern, nach der Wahl eine FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht zu unterstützen. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Sehr demokratisch, das Demokratieverständnis der NEOS! Sehr demokratisch! Bravo! Bravo! Tolles Demokratieverständnis!) Der Wechsel der ÖVP hin zur FPÖ erfolgte in atemberaubendem Tempo. Die Kollegen Schumann und Schreuder haben heute schon recht gehabt: Auffallend einträchtig hat es hier schon im Dezember zwischen ÖVP und FPÖ gewirkt. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Österreich erwartet nun erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik ein FPÖ-Kanzler – ein Kanzler, der sich nur umringt von Securities unter das Volk traut, der sich kritischen Medien nicht stellt, der keinerlei Sinn für Kunst und Satire hat. Die FPÖ hat es sich inzwischen in den Proporzregierungen der Länder bequem eingerichtet. Sie nimmt nicht amtsführende Stadtratsposten dankbar an und auch in den Gremien des ORF zeigte die FPÖ einen bequemen Hang zum Opportunismus der Macht. Kurz: Die FPÖ ist den Versuchungen der Macht noch jedes Mal erlegen. (Beifall bei SPÖ und Grünen. – Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Ich würde gerne wissen ...!)

Kein Wunder also, dass sie sich schon seit Monaten, wenn nicht Jahren auf die Machtübernahme im Land vorbereitet hat. Vor drei Tagen jährte sich die Befreiung des KZ Auschwitz zum 80. Mal. Am Montag hat Erika Freeman hier im Hause geschildert, wie schnell es gegangen ist, dass an einem Tag noch alles war wie immer und am nächsten Tag aus jedem Fenster die Nazifahne hing und jeder Lehrer in der Schule ein Naziabzeichen trug. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Das wollt ihr jetzt wirklich in Verbindung bringen?!) Der Aufruf „Wehret den Anfängen“ ist schon fast überholt. (Weitere Zwischenrufe des Bundesrates Spanring [FPÖ/NÖ]. – Bundesrätin Jagl [Grüne/NÖ]: Ruhe!) In vielen Teilen der Welt, sei es in Ungarn, in der Slowakei, in den USA, sind die Signale an der Wand des Abbaus der Demokratie nicht mehr zu übersehen. 

Die FPÖ und ÖVP werden daran zu messen sein, wie sie mit unserer Demokratie, der freien Presse und der unabhängigen Justiz in unserem Land umgehen. (Ruf bei der FPÖ: Die mit der Demokratie!) Die Konsensdemokratie, die der Herr Bundeskanzler heute angesprochen hat, und das Aufeinanderzugehen – da war auffällig: Die FPÖ hat keinen Beifall gespendet. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach [SPÖ/W].) Wie Kollege Himmer und Spanring jetzt heute schon die Stimmung ein bisschen gecooled haben, zeigt sich auch. (Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Gecooled? Was ist „gecooled“?)

Was bislang über ihr Regierungsprogramm bekannt wurde, lässt einen schaudern: keine einzige Strukturreform weit und breit, stattdessen gedankenlose drastische Kürzungen mit dem Rasenmäher; Kürzungen, die für viele existenzbedrohend sein werden. Ich frage Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von ÖVP und FPÖ: Ist es zukunftsorientiert, die Bildung kaputtzusparen? Ist es zukunftsorientiert, mit der Einführung einer monatlichen Herdprämie die Integration von zugewanderten Familien zu erschweren (Zwischenrufe bei der FPÖ) und das gemeinsame Verantwortungsgefühl von Eltern für die Betreuung ihrer Kinder zu schwächen? Ist es zukunftsorientiert, mit dem Canceln von Sky Shield die Sicherheit unseres Landes zu gefährden? – Wohl nicht. 

Die kommenden Monate und Jahre werden für Österreich eine schwierige Zeit. Wir NEOS werden aber alles daransetzen, dass diese Zeit nicht verloren ist. Wir werden alles daransetzen, die für unser Land nötigen Reformen, die top-down nicht möglich beziehungsweise nicht gewollt waren, von unten gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern durchzusetzen. Wir werden gemeinsam mit den Österreicherinnen und Österreichern weiter beherzt an einem neuen Österreich bauen.

In den Zweitwählerumfragen liegen wir NEOS konstant bei 42 Prozent. Diese Zahl belegt, dass ein neues Österreich möglich ist. All diejenigen, die uns jetzt vorwerfen, einen Kanzler Kickl ermöglicht zu haben, sollten sich aber schon fragen, ob sie letztes Mal, als sie die Wahl hatten, uns NEOS gewählt und damit dem neuen Österreich eine Stimme gegeben haben. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring [FPÖ/NÖ].) Falls nicht, dann gibt es jetzt die gute Nachricht: Die nächste Wahl kommt bestimmt, erfahrungsgemäß früher als später. (Zwischenruf des Bundesrates Pröller [FPÖ/OÖ]. – Zwischenruf des Bundesrates Schreuder [Grüne/W].) „Am liebsten in einer Koalition mit dir!“, wie es bei uns in den Social Media heißt: Bauen wir gemeinsam das neue Österreich! – Vielen Dank.  

 10.51

Vizepräsident Michael Wanner: Danke.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Klubvorsitzender Mag. Harald Himmer