RN/26
11.38
Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Vielen Dank, Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundeskanzler! Werte Frau Staatssekretärin! Werte Gäste hier bei uns im Haus, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause vor den Bildschirmen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen hier im Bundesrat! Ich habe jetzt aufgrund der vielfältigen Redebeiträge vor mir, gerade seitens ÖVP und FPÖ, meinen Redebeitrag ein bissel adaptiert und umgeschrieben. Ich muss sagen, ich muss besonders der ÖVP fast schon zu ihrem – ich will es mal so sagen – selektiven Gedächtnis gratulieren. Es muss das Leben doch irgendwie leichter machen, wenn man sich einfach nicht alles merkt, was man in den letzten Jahren so gesagt oder getan hat.
Ich darf in dem Zusammenhang Kollegen Himmer, der sich über die Stadt Wien so aufgeregt hat – aber gut, das Wienbashing sind wir ohnedies schon gewöhnt –, nur erinnern, dass er dabei zu erwähnen vergisst, wer denn die weit über letzten 40 Jahre den Innenminister gestellt hat, der eigentlich für den ganzen Bereich verantwortlich ist und Lösungen hätte herbeiführen können, wenn er es denn so gewollt hätte. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Himmer [ÖVP/W].)
Und es war die ÖVP, die gemeinsam mit der FPÖ solche Dinge wie den 12-Stunden-Tag, die 60-Stunden-Woche eingeführt hat, die die Gesundheitskasse, das Gesundheitssystem zerschlagen hat, mit der Patientenmilliarde, die dann ja doch nur ein Marketing-Schmäh war. (Weiterer Zwischenruf des Bundesrates Himmer [ÖVP/W].) – Ja, ja, du kannst dich ja gerne noch einmal zu Wort melden, Kollege Himmer, aber ich weiß schon, es tut weh, wenn man auf die Wahrheit hingewiesen wird.
Dann haben wir in den vergangenen Wochen durchaus auch die eine oder andere Aussage von ÖVP und FPÖ vernommen. Herr Stocker sagt über Herrn Kickl: „Wer Kickl wählt, wählt fünf Jahre Hochrisiko mit radikalen Ideen“, in dieser Republik brauche ihn keiner. Wir wollen keine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl, hat Herr Vorsitzender Stocker gesagt. Herr Kickl sagt wiederum über die ÖVP, sie liefere nur PR-Shows und sei „meilenweit von der Normalität entfernt“, weil sie „extremistische Inhalte für Minderheiten“ propagiere; von Heuchelei war da noch die Rede und so weiter und so fort. Das finde ich alles schon sehr interessant und spannend.
Dann muss ich Ihnen zum Zweiten gratulieren: Sie haben offensichtlich eine gewisse Ahnung von Theater und Schauspielkunst. Man hat es auch in den Regierungsverhandlungen gesehen, als der konservative und der neoliberale Part schlicht und einfach jene zum Scheitern gebracht hat und dann aber mit dem Finger auf die anderen zeigt und ihnen die Schuld gibt. (Bundesrat Ebner [ÖVP/OÖ]: Wer hat das?) Das ist nicht die feine englische Art, und ich glaube, Österreich hat sich da auch etwas anderes verdient. Was aber die Liebelei zwischen ÖVP und FPÖ betrifft, so sehen wir das auch in verschiedenen Bundesländern. Wir sehen das auch in meinem Heimatbundesland Niederösterreich. Zusätzlich muss man noch sagen, dass man auch der FPÖ die selektive Wahrnehmung nicht absprechen kann: Auf der einen Seite spricht sie von Demokratie, propagiert diese, auf der anderen Seite ist sie aber beste Freundin von Orbán, Putin, Trump und Co. Also auch das ist eine interessante Art der Wahrheits- und Realitätsauslegung. (Beifall bei der SPÖ.) Das ist halt eine Sicht der Dinge, die man offensichtlich, wenn es nicht anders geht, an den Tag legt, was die konservative und rechte Seite dieser Republik betrifft.
Nun aber zurück zum eigentlichen Thema: Die politische Verantwortung für unser Land darf schlicht und einfach keine Übergangslösung sein, sie muss von echter Gestaltungsbereitschaft geprägt sein. Herr Bundeskanzler Schallenberg, Sie übernehmen jetzt in einer der wahrscheinlich turbulentesten Phasen der Zweiten Republik das Amt des Regierungschefs erneut, wie wir heute schon gehört haben. Ich muss aber dazu sagen, Ihre Antrittsrede war aus meiner Sicht sehr außenpolitisch geprägt – natürlich, das sei Ihnen als ehemaliger Außenminister sozusagen auch gegönnt –, wir haben viele beschwichtigende Worte gehört, viele Worte des Konsenses, mir ist aber ein bisschen das Konkrete abgegangen.
Wir haben einfach viele, viele Punkte und viele Bereiche, die in Österreich angegangen werden müssen, unser Land braucht gerade innenpolitisch eine klare Richtung und ganz entschlossene Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Bildung, insbesondere im Bereich des Arbeitsmarktes und auch, was die soziale Gerechtigkeit betrifft. Da sind aus meiner Sicht keine vagen Versprechungen gefragt, sondern mutige Reformen und einfach der politische Wille dazu, ganz besonders in der Bildung. Wir wissen, Bildung ist der Schlüssel zu einem modernen, gerechten und zukunftsorientierten Österreich. Bildung entscheidet darüber, ob Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die gleichen Chancen haben. Bildung hängt in gewisser Weise natürlich auch immer mit sozialer Sicherheit, mit Gesundheit und vielem mehr zusammen. Sie bestimmt auch, ob unser Wirtschaftsstandort innovativ bleibt. Sie ist ein entscheidender Faktor für sozialen Aufstieg und gesellschaftlichen Zusammenhalt, und das jetzt mehr und wichtiger denn je.
Was erleben wir allerdings stattdessen in der jetzigen Zeit? – Wir erleben einen dramatischen Lehrkräftemangel, teils veraltete Schulstrukturen und eine völlig unzureichende Finanzierung der Ganztagsschulen, obwohl das auch immer wieder gegenteilig propagiert wird. Immer noch hängt der Bildungserfolg eines Kindes ganz, ganz stark und viel zu stark vom Einkommen und vom Bildungsgrad der Eltern ab. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir haben im Nationalen Bildungsbericht ganz klar politische Hausaufgaben vor uns liegen. Daher muss man auch ganz klar sagen: Wer es mit der Zukunft unseres Landes ernst meint, der muss in beste Schulen, in die modernste Ausbildung und in die besten Lehrkräfte investieren und nicht in Symbolpolitik und in Alibimaßnahmen oder in Versprechen, die am Ende gar nicht gehalten werden.
Ich habe heute natürlich auch schon in die Medien, in die Zeitungen geschaut, und da vernimmt man, dass zwischen ÖVP und FPÖ wieder Studiengebühren verhandelt werden, dass es da eine gewisse Pflicht zur Leitkultur gibt. Ich bin schon gespannt, wie sich das dann äußern wird, ob es dann in den österreichischen Schulen die wöchentliche Schnitzelpflicht gibt oder was auch immer. Ich fürchte mich, ich habe große Sorge, wohin das in unserem Land bildungspolitisch noch gehen wird.
Gehen wir aber noch einen Schritt weiter. Statt auf diese zukunftsweisende und zukunftsorientierte Bildungspolitik setzen beide, nämlich ÖVP und FPÖ, lieber auf eine rückwärtsgewandte Politik, auf rückwärtsgewandte Konzepte wie die sogenannte Herdprämie, die von der FPÖ – noch dazu schlecht – kopiert wird. Aus meiner Sicht, aus unserer Sicht und aus der Sicht zahlreicher Expertinnen und Experten ist das ein familienpolitischer Irrweg, das ist ganz klar, denn in Wahrheit ist das nichts anderes als eine finanzielle Fehlsteuerung, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt heraus- und in finanzielle Abhängigkeit hineindrängt und noch dazu den Kindern die Chance auf frühkindliche Bildung nimmt.
Jetzt haben wir die Situation: Die Bildungskarenz wird abgeschafft, das Küchenstipendium wird eingeführt. Also wenn das die Richtung ist, in die unser Land steuert, dann mache ich mir große Sorgen. Eines ist aber auch klar: das Ziel, der Zweck der Herdprämie für die beiden Parteien, die jetzt miteinander verhandeln. Die Maßnahme verstärkt nämlich soziale Ungleichheiten – und das wollen sie offenbar auch –, sie zementiert alte Rollenbilder ein und torpediert jeglichen Fortschritt in Richtung echter Wahlfreiheit für die Familien (Bundesrat Samt [FPÖ/Stmk.]: ... echter Fortschritt für unsere Gesellschaft!), denn Wahlfreiheit bedeutet auch immer, dass Eltern selbst entscheiden können, ob und wie sie Beruf und Familie vereinbaren. Und das geht eben nur mit einem flächendeckenden Ausbau hochwertiger und leistbarer Kinderbetreuung und nicht mit staatlicher Unterstützung für das Zuhausebleiben. (Beifall bei der SPÖ.)
Wenn man dann einen Blick zum Beispiel nach Oberösterreich wagt, wo man monatlich 80 Euro, also 960 Euro im Jahr, für das Zuhausebleiben erhält, dann fragt man sich: Wie soll sich eine Familie mit 80 Euro im Monat ihre Miete leisten, die Energiekosten leisten? Also das sind bestenfalls Almosen, die da ausgezahlt werden.
Als Niederösterreicherin ist mir ein Thema noch ganz wichtig, weil es einfach in den letzten Tagen durchaus immer wieder diskutiert wurde, nämlich die jüngsten Aussagen der Landeshauptfrau zur Teilzeitquote. Sie meint, Teilzeit arbeitende Menschen seien asozial. (Bundesrätin Geieregger [ÖVP/NÖ]: ... wenn sie keine Betreuung haben!) Das sagt eine Landeshauptfrau, wenn man das betonen möchte. Das ist eine Argumentation, die auf der einen Seite an Realitätsferne kaum zu überbieten ist, die aber auf der anderen Seite vor allen Dingen die Abgehobenheit und die Überheblichkeit besonders der ÖVP zeigt, denn man darf nicht vergessen, wer zu einem weit überwiegenden Teil in Teilzeit arbeitet: Das sind Frauen. Und Frauen sollen einfach mehr arbeiten, weil es ja so lustig ist? (Zwischenruf der Bundesrätin Geieregger [ÖVP/NÖ].) Das ist schön und gut, aber: Wie genau stellen Sie sich denn das vor, liebe ÖVP und liebe Frau Landeshauptfrau, wenn es an Betreuungsplätzen fehlt, wenn die Löhne in typischen Frauenbranchen eben kaum zum Leben reichen und wenn die Arbeitsmodelle eben alles andere als familienfreundlich sind? Das heißt: Wer wirklich möchte, dass Frauen mehr Vollzeit arbeiten, der muss auch die Rahmenbedingungen so verändern und so gestalten, dass das überhaupt machbar ist. (Beifall bei der SPÖ.)
Dazu gehören ganz klar existenzsichernde Löhne, eine gerechte Aufteilung der unbezahlten Carearbeit – denn auch die Pflege der zu pflegenden Angehörigen übernehmen zum weit überwiegenden Teil Frauen – und natürlich auch ein massiver Ausbau der Kinderbetreuung, wie ich schon gemeint habe. Alles andere und die Aussagen der Landeshauptfrau sind in Wahrheit nichts anderes als eine plumpe Schuldzuweisung an jene, die ohnehin täglich einen riesigen Spagat zwischen Job, Familie und gesellschaftlichen Erwartungen leisten müssen. So traurig das ist, das zeigt halt leider einmal mehr und ganz deutlich das wahre Gesicht der ÖVP, und es zeigt uns auch, wie schon in Niederösterreich, was uns mit der nächsten Regierung, wenn es denn Blau-Schwarz wird, noch alles bevorstehen wird.
Noch einmal zurück zu Ihnen, Herr Bundeskanzler: Wenn Sie Ihr Amt wirklich mit Ernsthaftigkeit ausüben wollen, dann dürfen Sie, glaube ich, nicht nur der Verwalter des Status quo sein, sondern Sie müssen Verantwortung übernehmen und dieses Land eben in eine stabile und gerechte Zukunft führen. Ich möchte es noch einmal zusammenfassen, weil es ganz wichtig ist: Dazu gehören mutige Reformen in der Bildung, faire Bedingungen am Arbeitsmarkt und eine gerechte und echte Gleichstellungspolitik. Das ist längst nötig, ja, überfällig. Sie haben recht, die Menschen in Österreich erwarten sich, verdienen sich und haben ein Recht auf eine Regierung, die handelt und nicht nur die Fehler der Vorgänger weiterträgt.
Die Sozialdemokratie wird jedenfalls Sie und auch die künftige Regierung genau daran messen, ob Sie nämlich tatsächlich gestalten oder ob es nur um schöne Worte und vielleicht doch um Macht und um das eine oder andere Regierungsposterl gehen soll. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
11.50
Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Doppler.