RN/16
10.53
Bundeskanzler Dr. Christian Stocker: Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Damen und Herren Bundesräte! Herr Vizekanzler! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Alle Österreicherinnen und Österreicher, die dieser Sitzung zusehen! Hinter uns liegen die vielleicht schwierigsten, gewiss aber längsten Regierungsverhandlungen in der Geschichte unseres Landes. Nichtsdestotrotz stimmt es mich sehr positiv, unter welch herausfordernden Rahmenbedingungen die Koalition aus Volkspartei, Sozialdemokratie und NEOS zustande gekommen ist. Alle drei Parteien waren bereit, aufeinander zuzugehen, Kompromisse einzugehen und den Fokus darauf zu richten, was uns eint, nämlich der Wille, für die Österreicherinnen und Österreicher zu arbeiten und dieses wunderschöne Land in eine gute Zukunft zu führen.
Diese Regierungsbildung war nur möglich, weil alle drei Parteien über ihren Schatten gesprungen sind. Wir haben in den vergangenen Wochen auch viel Zeit miteinander verbracht, oft bis in die Nacht hinein verhandelt, diskutiert, dann wann und auch etwas heftiger, aber wir haben immer wieder zurück zum Konsens gefunden. Das zeigt, wir haben auch eine menschliche und persönliche Grundlage gefunden, die das Fundament unserer Zusammenarbeit ist. Das Resultat ist eine breite Koalition aus Volkspartei, Sozialdemokratie und NEOS, eine Mischung aus Bewährtem und auch Neuem.
Was meine ich mit Bewährtem? – In Zeiten großer Herausforderungen hat Österreich seine Stärke immer aus dem Konsens der konstruktiven Kräfte gewonnen. Denken wir an die Zusammenarbeit von Leopold Figl und Adolf Schärf im Rahmen des Wiederaufbaus oder an die Zusammenarbeit von Julius Raab und Bruno Pittermann beim Wirtschaftswunder, letztlich auch an Alois Mock und Brigitte Ederer auf dem Weg Österreichs in die Europäische Union.
Was ist das Neue? – Zum einen sind wir sind erstmals in der Geschichte unseres Landes in einer Regierung zu dritt: Drei konstruktive Kräfte teilen sich die Verantwortung für Österreich. Der Eintritt von drei Parteien in diese Bundesregierung macht diese Koalition nicht nur stabiler und breiter, sondern schafft auch zusätzliche Blickwinkel, damit ein echter Mehrwert für unser Land generiert werden kann.
Zum anderen haben wir aber auch die Systematik anders gewählt: Wir haben uns nicht gegenseitig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterverhandelt. Ganz im Gegenteil: Wir haben es geschafft, die Schwerpunkte aller drei Parteien im Regierungsprogramm abzubilden. Wir sind bereit, uns gegenseitig Raum zu geben, und wir sind auch bereit, uns gegenseitig Erfolge zu gönnen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, damit eine Zusammenarbeit aus drei sehr unterschiedlichen Parteien in einer Regierung funktionieren kann.
Ich gehe mit meinem Regierungsteam voller Zuversicht an diese Arbeit. Wir sind eine Regierung der Mitte, die in der guten österreichischen Tradition des Kompromisses alles daran setzen wird, eine gute Zukunft für unser Land zu gestalten, mit den besten Lösungen für die Menschen in unserem Land. Als Politik müssen wir an alle Menschen in unserem Land denken, an das Staatsganze und nicht nur an einzelne Gruppierungen. Deshalb sage ich hier – so, wie ich es im Nationalrat schon gesagt habe –: Ich will und ich werde ein Bundeskanzler für alle Menschen sein. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Ich gehe auch bewusst auf jene zu, die die Oppositionsparteien gewählt haben. Der Wahlkampf ist vorbei, die Arbeit hat nun begonnen. Jetzt zählen Rot-Weiß-Rot und ein neues Miteinander.
Sehr geehrte Damen und Herren, erlauben Sie mir, Ihnen einige Kernpunkte aus unserem Programm vorzustellen:
Zum einen setzen wir den Kampf gegen die illegale Migration, den Missbrauch unseres Asylsystems und gegen Extremismus fort, und wir stellen auch klar: Wer dauerhaft bei uns leben will, muss unsere Werte verinnerlichen, unsere Sprache erlernen, arbeiten gehen und etwas zu dieser Gesellschaft beitragen. Wir führen deshalb ein verpflichtendes Integrationsprogramm ab dem ersten Tag ein. Während dieser Integrationsphase, die bis zu drei Jahre dauern kann, wird es nur reduzierte Sozialunterstützungen geben. Wir wollen die Verpflichtung schaffen, dass jeder, der vom Staat etwas bekommt, dafür auch etwas zurückgibt und einen Beitrag leistet, sei es durch Arbeit, sei es durch gemeinnützige Tätigkeit.
Letztlich werden wir zum Schutz von minderjährigen Mädchen auch ein verfassungskonformes Kopftuchverbot erarbeiten.
Zudem wird der Familiennachzug – Sie werden es den Medien entnommen haben – bis auf Weiteres mit sofortiger Wirkung gestoppt, damit unser Bildungssystem und unsere Gesellschaft vor Überlastung und auch vor Überforderung geschützt werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der SPÖ.)
Wir werden den europäischen Pakt für Asyl und Migration nicht nur unterstützen, sondern auch weiterentwickeln, mit dem Ziel, die Antragszahlen im Inland auf null zu bekommen. Bis dahin werden wir, sollten sich Ereignisse wie 2015 oder 2022 wiederholen, auch die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um einen Asylstopp zu verhängen, sollte das erforderlich werden.
Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine ganze Reihe von Maßnahmen, um die innere, aber auch die äußere Sicherheit unseres Landes zukunftsfit zu halten und die Menschen in unserem Land verlässlich zu schützen. Die Personaloffensive der österreichischen Polizei, die federführend von Innenminister Gerhard Karner initiiert wurde, wird auch in Zukunft weiterlaufen. Um Sicherheit im Land zu gewährleisten, braucht die Polizei aber nicht nur ausreichend Personal, sondern auch ausreichend Befugnisse. Ich bin daher sehr froh, dass wir eine verfassungskonforme Gefährderüberwachung ermöglichen werden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)
Wenn wir von Sicherheit sprechen, sprechen wir natürlich auch von Landesverteidigung. Mit der Mission vorwärts investieren wir in die Verteidigungsfähigkeit unseres Bundesheeres und damit in die äußere Sicherheit. Das ist angesichts der geopolitischen Lage nicht nur eine Frage des Wollens, sondern eine Frage des Müssens. Insbesondere auch der Raketen- und Drohnen-Schutzschirm Sky Shield wird dazu einen Beitrag leisten, um Österreich besser vor potenziellen Angriffen zu schützen.
Weiters wollen wir Leistung und Engagement in allen Bereichen fördern und bekennen uns klar zu einem starken und erfolgreichen Wirtschaftsstandort. Wir wissen, dass ohne fleißige und engagierte Menschen in allen Bereichen unserer Gesellschaft unser Bildungssystem, unser Gesundheitssystem, unser Sozialsystem, aber auch das breite kulturelle Angebot und vieles andere mehr nicht aufrechterhalten werden können.
Darum war und ist es uns ein Anliegen, jenen, die all das ermöglichen, auch etwas zurückzugeben. Wir werden daher eine Mitarbeiterprämie einführen. Wir werden Arbeiten im Alter attraktiver machen, Überstunden steuerlich entlasten und – sobald das Budget es hergibt – auch die Lohnnebenkosten stufenweise senken.
Wir werden sicherstellen, dass unsere Unternehmerinnen und Unternehmer das tun können, was sie in ihrem Geschäftsleben tatsächlich weiterbringt, nämlich statt sich mit zeitraubender Bürokratie zu beschäftigen, die Geld kostet und Ressourcen bindet, die anderswo besser eingesetzt werden können, sich ihrer Aufgabe als Unternehmerinnen und Unternehmer zu widmen. Wir wollen in einem Österreich leben, in dem Fleiß belohnt wird, Unternehmer frei in ihrem Handeln sind, Arbeitsplätze geschaffen werden und Wachstum wieder Realität wird. All das wollen wir für unseren Wirtschaftsstandort tun und auch hier die richtigen Entscheidungen für unser Land treffen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Wir haben uns in unserem Arbeitsprogramm auch darauf verständigt, dass wir Österreichs Landwirtschaft unterstützen und zukunftssicher weiterentwickeln wollen. Unsere Landwirtschaft kann zu Recht auch von der Bundesregierung Verbesserungen erwarten. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, wie wichtig es ist, Ernährungssicherheit und Lebensmittelproduktion im eigenen Land zu haben.
Die Probleme, denen sich Bauern und Unternehmen gegenübersehen, sind oft, wenn man sich das ansieht und auf das Wesentliche herunterbricht, sehr ähnlich – ich führe jetzt nur das Stichwort Bürokratie an. Wir wollen daher auch in diesem Bereich die Berichtspflichten reduzieren und Bürokratie abbauen, aber natürlich auch sicherstellen, dass die GAP-Mittel der Europäischen Union, die für den Erhalt der kleinstrukturierten Landwirtschaft in unseren bäuerlichen, familiär geprägten Betrieben so wichtig sind, weitergegeben werden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Wir bekennen uns selbstverständlich zum Klimaschutz. Wir sehen Klimaschutz aber als ein Thema, das man nicht mit Geboten und Verboten weiterbringen wird, sondern wir glauben, dass Technologie und Innovation die besseren Hebel sind und dass letztlich auch der Hausverstand in diesem Bereich nicht verloren gehen darf.
Wir stehen für ein Österreich, das für alle Generationen die besten Lebensbedingungen bieten will, und wir stehen für unsere Familien, weil diese das Rückgrat unserer Gesellschaft sind. Eine der wichtigsten Aufgaben dieser Bundesregierung wird daher auch sein, die österreichischen Familien effektiv zu unterstützen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich viel für die Menschen in unserem Land verbessert. Gerade junge Familien haben es aber heutzutage oft schwerer als ihre Eltern oder Großeltern, und zwar insbesondere dann, wenn es um das Thema Wohnen und leistbarer Wohnraum geht: Für mich ist klar, dass die Familiengründung und auch das Familienglück nicht am Wohnraum scheitern dürfen.
Wenn man über junge Menschen und über Familie spricht, darf man aber auch nicht vergessen: Bildung ist Zukunft, nämlich die Zukunft unserer Kinder und damit auch die Zukunft unserer gesamten Gesellschaft. Darum haben wir in unserem Arbeitsprogramm einen besonderen Fokus auf das Thema Bildung gelegt. Wir werden die Schulautonomie stärken und mit der Mittleren Reife verbindliche Bildungsstandards und Sprachstandserhebungen etablieren. Die Eltern sind nicht nur eingeladen, dabei zu kooperieren, sondern wir werden das auch einfordern, und zwar, wenn notwendig, auch mit Sanktionen einfordern, und die Eltern damit motivieren, am Schulalltag und an der Schulgemeinschaft teilzunehmen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Natürlich haben wir auch auf die erste Bildungseinrichtung, die unsere Kleinsten besuchen, nämlich die Kindergärten, nicht vergessen: Wir haben uns darauf verständigt, ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einzuführen und die Kinderbetreuung unter Wahrung der Wahlfreiheit auszubauen. Und weil ich mich hier in der Länderkammer befinde, darf ich auch anführen, dass die Finanzierung dieses zweiten Kindergartenjahres gesichert ist. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Wir werden die Chancen und Interessen in Europa, aber auch in der Welt stärker denn je nützen und für die Interessen Österreichs eintreten. Mit dieser Bundesregierung, mit mir als Bundeskanzler wird sich Österreich selbstverständlich weiterhin aktiv, aber auch konstruktiv auf europäischer und internationaler Bühne engagieren. Darauf können Sie und auch unsere ausländischen Partner sich verlassen.
In einer Zeit, in der das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts anscheinend schlägt, ist es notwendig, dass wir uns bewusst sind, auf welcher Seite wir stehen: auf der Seite des Täters oder auf der Seite des Opfers. Wir sind uns bewusst, welche Interessen wir vertreten wollen, nämlich die Interessen der freien westlichen Welt, die Interessen der Demokratie und nicht die Interessen von Aggressoren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrät:innen Sumah-Vospernik [NEOS/W] und Schreuder [Grüne/W].)
Für uns ist klar: Stabile internationale Beziehungen sind auch für unsere Wirtschaft, für unsere Arbeitsplätze und damit für unseren Wohlstand unerlässlich und sollen damit auch gestärkt werden. Sie sind aber auch für die Sicherheit und eine Vielzahl anderer Lebensbereiche von großer Bedeutung. Mit dieser Bundesregierung werden wir, wie ich ausgeführt habe, ein verlässlicher Partner dieser freien Welt bleiben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten Wochen – und zwar alle: Volkspartei, Sozialdemokratie, NEOS – den Konsens und den Kompromiss vor die Ideologie gestellt. Diesen Geist des Kompromisses und des gegenseitigen Verständnisses werde ich als Bundeskanzler in dieser Bundesregierung aufrechterhalten.
Es wartet mehr als genug Arbeit auf uns, und wenn wir weiterhin nach dem Prinzip vorgehen: Nicht gegeneinander, sondern gemeinsam für Österreich, dann bin ich optimistisch, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode in einem noch besseren Österreich leben werden. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
11.09
Vizepräsident Michael Wanner: Danke, Herr Bundeskanzler, für Ihre Ausführungen.
Ich erteile dem Herrn Vizekanzler das Wort.