RN/24

10.30

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Ich möchte jetzt gleich etwas meiner Rede voranstellen: Als ich das erste Mal davon gehört habe, dass der Plan besteht, den Familiennachzug zu stoppen, war ich innerlich ganz stark aufgewühlt, und ich entschuldige mich gleich zu Beginn meiner Rede für den Fall, dass ich heute entgegen meiner üblichen Vorgangsweise möglicherweise etwas emotional werde. Ich möchte aber trotzdem gleich sagen: Ich habe alle Wertschätzung für den Kompromiss, und ich weiß auch, dass man im politischen Leben Kompromisse schließen muss, das haben wir auch während unserer Regierungsverantwortung in den letzten fünf Jahren gezeigt. 

Heute stehen wir aber vor einer wegweisenden Entscheidung, die nämlich nicht nur tiefgreifende humanitäre Auswirkungen hat, sondern – und ich glaube, das ist wichtig und wesentlich – die rechtlichen Grundlagen unserer europäischen Gemeinschaft infrage stellt. Die Gesetzesänderung, anerkannten Flüchtlingen den Familiennachzug zu verwehren beziehungsweise diesen auszusetzen, verstößt ganz klar gegen die Richtlinien der Europäischen Union und die Prinzipien des Völkerrechts. Diese EU-Richtlinien sind nicht nur theoretische Leitlinien, sondern verbindliche Rechtsvorschriften, die geschaffen wurden, um den Schutz von Menschenrechten und die Einheitlichkeit in der Asylpolitik in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach betont, dass der Familiennachzug ein wesentlicher Bestandteil des Flüchtlingsschutzes ist. (Beifall bei den Grünen.) 

Indem wir nun genau diesen Nachzug einschränken, handeln wir nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch rechtlich inkorrekt. Bereits in der Vergangenheit wurde vom EuGH klargestellt, dass Maßnahmen, die den Familiennachzug unverhältnismäßig behindern – was ja jetzt passiert –, in Widerspruch zu den EU-Richtlinien stehen. Diese Richtlinien fordern, dass anerkannte Flüchtlinge das Recht haben, mit ihren engsten Familienangehörigen vereint zu werden und somit auch zusammen in Sicherheit zu leben. 

Ich möchte Ihnen heute hier aus meiner Sicht unser – vielleicht sogar hausgemachtes – Problem etwas praxisnah skizzieren. Dazu ist es wichtig, zu wissen, wie ein Asylverfahren abläuft, nämlich: Direkt nach der Asylantragstellung findet eine erste polizeiliche Befragung statt, in der sowohl der Fluchtweg, die wesentlichen Fluchtgründe, aber auch schon der Familienstatus und etwaige Familienangehörige im In- und Ausland bekannt gegeben werden müssen. Wenn das nämlich nicht in der ersten polizeilichen Befragung geschieht, dann ist es hinterher kaum möglich, einen Familienangehörigen, der dabei nicht angeführt wurde, jemals noch über den Familiennachzug nachzuholen. Es ist also unseren Behörden praktisch schon ab Minute eins der Asylantragstellung bekannt, wie die Familiensituation der Antragstellerin, des Antragstellers ist. Das hat am Dienstag auch im Ausschuss – danke übrigens noch einmal für das Rederecht – Gernot Maier als Direktor der zuständigen Behörde bestätigt. 

Wir kennen also die Familienverhältnisse der Geflüchteten sofort, und wir dokumentieren sie, aber erst im Zuge der Antragstellung auf Familienzusammenführung greifen wir quasi zur Kontrolle wieder darauf zurück. Es wäre aber leicht für uns, das im Prozess des Verfahrensverlaufes in Bezug auf einen eventuellen Familiennachzug schon gleich zu berücksichtigen, wahrscheinlich nur durch einen Mausklick. Dementsprechend könnten dann im Zuge der Zuweisung in ein Grundversorgungsquartier schon Maßnahmen in Bezug auf Beratung, Wohnort oder Schule stattfinden. Was aber geschieht? – Wir lassen alles als eine große Unbekannte auf uns zukommen. Und dann? – In der Folge handeln wir jetzt in einer Art und Weise, der es gar nicht bedürfte. 

Ich möchte erklärend aber auch auf die Rolle der Bundesländer eingehen, weil das im Rahmen der Ausgewogenheit und der Verteilung der Geflüchteten wichtig ist. Jedes einzelne Bundesland sollte seiner Verpflichtung im Rahmen des föderalistischen Prinzips der Aufnahme von Geflüchteten nachkommen. Auch diesfalls gibt es ein ganz großes Ungleichgewicht. Ich habe es auch schon einige Male hier im Plenum gesagt: Mein Bundesland Oberösterreich hat sich zum Beispiel im Bereich des leistbaren Wohnens beziehungsweise des leistbaren Wohnraums für Geflüchtete überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert. Es wurde sogar schon von der Volksanwaltschaft darauf hingewiesen, dass die Richtlinien nicht entsprechen. Selbstverständlich – und das würde jeder von uns machen – gehen Geflüchtete dorthin, wo sie leistbaren Wohnraum finden, und das war, wie man sagen muss, in den letzten Jahren in hohem Maße Wien. 

Dabei ist es in den ländlichen Gegenden überhaupt kein Problem, wenn Kinder mit nicht deutscher Muttersprache in den Klassen integriert werden sollen. Das ist keine Fantasie von mir, sondern ich bin selbst Gemeindevertreterin und weiß, dass es in unserer Schule immer vorbildlich gelingt – wir haben auch ein Flüchtlingsquartier bei uns im Ort –, Kinder in die Schule aufzunehmen und zu integrieren. Das funktioniert wirklich sehr gut. 

Ich verkenne die Probleme aber nicht. Es gibt ein Problem, das in der letzten Zeit in vielen Wiener Schulen tatsächlich zu absoluten Härtesituationen geführt hat. Ich nehme in diesem Zusammenhang Bezug auf bekannte Zahlen: Die Zuspitzung in den Wiener Schulen ist nicht allein auf den Familiennachzug zurückzuführen, sondern – es tut mir leid, dass ich das sagen muss – auch auf eine verfehlte Bildungspolitik in Wien in den letzten Jahren. Eine mögliche Zugangsweise für Wien wäre es gewesen – das ist nur eine Idee –, für schulpflichtige Kinder nach ihrer Neuankunft in Österreich die Schulpflicht temporär auszusetzen und in dieser Zeit Lösungen zu etablieren, anstatt die Kinder in Kriegsgebieten in unsicheren Verhältnissen zu belassen. Ist nicht alles, alles wirklich besser, als Kinder Tag für Tag in Kriegsgebieten und unsicheren Flüchtlingscamps dem Tod ins Auge blicken zu lassen? – Das sollten wir uns fragen und darüber sollten wir uns Gedanken machen! (Beifall bei den Grünen.) 

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Familiennachzug ist nämlich der wirklich einzige legale Fluchtweg, der den Geflüchteten und Schutzsuchenden zur Verfügung steht, und es handelt sich tatsächlich hauptsächlich um Frauen und Kinder, die den Familiennachzug in Anspruch nehmen. Familiennachzug bedeutet, dass die Ankerperson – einige Kollegen haben im Ausschuss gesagt, dass das ein neues Wort ist, das sie gelernt haben, ich kenne es schon länger – nicht etwa illegal in Österreich ist, sondern es handelt sich dabei um einen Menschen, der sozusagen mit Brief und Siegel als schutzwürdig von den österreichischen Behörden eingestuft wurde, und dieses Recht erwirbt auch seine Familie. 

In vielen Fällen – auch das kann ich aus meiner Praxis sagen – ist es so, dass die nachkommenden Frauen auch wesentliche eigene Fluchtgründe beziehungsweise Asylgründe vorweisen können. In diesem Zusammenhang möchte ich explizit festhalten: Sie alle kennen die Situation von Mädchen und Frauen in Afghanistan, und Frauen und Kinder sind halt oft körperlich nicht stark genug, um sich auf die Flucht zu begeben. Menschenhandel, Vergewaltigung, Verschleppung, Brutalität, Missbrauch und sogar Tod erwarten Frauen und Kinder, wenn sie sich in die Hände von Schleppern begeben. All das nehmen Schutzsuchende aber in Kauf, um in einem sicheren Land ihr Leben fortführen zu können. Daher kann es doch nicht sein, dass wir das verhindern wollen, indem wir den Familiennachzug stoppen. 

Es ist entscheidend, dass wir als Nation, die sich den europäischen Werten verpflichtet fühlt, unsere Gesetze auch im Einklang mit europäischen Richtlinien gestalten. Ein Verstoß gegen diese könnte nicht nur zu rechtlichen Sanktionen seitens der EU führen, sondern auch unsere Glaubwürdigkeit und unsere Integrität innerhalb der Gemeinschaft untergraben. 

Darüber hinaus senden wir mit solchen rechtlich fragwürdigen Maßnahmen ein fatales Signal an andere Mitgliedstaaten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einhaltung von Verträgen und Vereinbarungen die Grundlage eines funktionierenden Europas ist. Wenn wir uns nicht an diese halten, wie können wir dann erwarten, dass andere es tun? 

Wenn Deutschland in den letzten Tagen über Zurückweisungen an den Grenzen spricht, sind wir die Allerersten – die Allerersten! –, die dagegenhalten. Gestern Abend hat Dobrindt in der „ZIB 2“ angedeutet, dass das passieren könnte, und da wurde eine Zahl von zum Beispiel 14 000 Zurückweisungen nach Österreich genannt. Ja werden wir damit einverstanden sein? – Natürlich nicht! Österreich wird dagegenhalten und wird sagen: Es ist nicht rechtskonform! Und wenn Ungarn Asylsuchende durchwinkt und keine Asylverfahren abwickelt, dann protestieren wir, weil wir eben darauf pochen, dass EU-Recht vollzogen wird.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch ganz explizit auf die Stellungnahmen, die von namhaften NGOs zu den Gesetzesänderungen gemacht wurden, hinweisen. Ich habe mir das einmal – nicht papierschonend – ausgedruckt; und zwar: Die Volkshilfe – ich meine, die Volkshilfe (ein Schriftstück in die Höhe haltend), das ist nicht irgendwer, liebe Kolleg:innen von der SPÖ – sagt: Es gibt „Menschenrechtliche Bedenken“. „Das Vorhaben stellt nicht nur einen weitreichenden Eingriff in das Asylgesetz 2005 dar, sondern stellt aus unserer Perspektive“ – jener der Volkshilfe – „einen Widerspruch zu internationalen Abkommen, denen sich Österreich verpflichtet hat – darunter die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 9 und 10) sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte [...] – dar.“

Vizepräsident Michael Wanner: Darf ich darauf aufmerksam machen, dass die 10 Minuten schon seit einiger Zeit vorbei sind? Bitte zum Schluss zu kommen. – Danke. (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Es gibt keine Redezeitbeschränkung! ...!)

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (fortsetzend): Das ist richtig, Herr Vizepräsident, aber wir haben gesagt, in besonderen Einzelfällen kann man auch etwas länger reden, und mir ist das Thema wichtig, ich habe es eingangs gesagt. Ich hoffe, Sie sehen das auch so.

„Das [...] Rote Kreuz gibt weiters zu bedenken, dass es sich beim Recht auf Familienzusammenführung um ein menschen- und unionsrechtliches Grundrecht handelt. Dieses Instrumentarium ermöglicht es durch Kriege und Konflikte getrennten Familien, wieder in Sicherheit zusammenzuleben. Die Familienzusammenführung stellt weiters den einzig legalen Weg für Flüchtlinge dar, in Sicherheit zu gelangen. Eingriffe in dieses Recht sollten daher – wenn überhaupt – stets mit höchster Sorgfalt und“ im „Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommen werden.“

Diese Stellungnahmen sollten sowohl den Kolleg:innen der SPÖ und der ÖVP als auch den NEOS zu denken geben, da doch viele Mandatar:innen in diesen Organisationen ihre Unterstützer und auch Kolleg:innen verorten. Die Kritik und Bedenken gibt es ja quasi in den eigenen Reihen. Wollen Sie das tatsächlich ignorieren?

Eine klitzekleine Kleinigkeit ist mir gestern noch zu Ohren gekommen, und zwar geht es um den Salzburger Landtag. Ich fand es ganz interessant, dass der Salzburger Landtag verstärkend am 2. April in einem Ausschuss ein Ersuchen an die Bundesregierung gerichtet hat, in dem es genau um diese Thematik geht, in dem nämlich die Forderung aufgestellt wird, „an die Bundesregierung [...] heranzutreten, die sofortige Aussetzung des Familiennachzugs im Einklang mit der EMRK und dem Unionsrecht sowie eine Neubewertung der rechtlichen Grundlagen in diesem Bereich zu veranlassen.“ Und was mich jetzt tatsächlich irritiert hat: Diesen Antrag unterstützt die FPÖ, die heute dagegenstimmen wird (Zwischenrufe der Bundesräte Spanring [FPÖ/NÖ] und Schennach [SPÖ/W]), und dagegen stimmt die SPÖ! Ich sehe also und ich verorte: Es gibt hier keine große Einigkeit und durchaus Widersprüche. Deshalb denke ich – nochmals; es ist wichtig, zu betonen –, es ist unsere Pflicht, sowohl rechtlich als auch moralisch korrekt zu handeln! 

Lassen Sie uns gemeinsam den Weg der Menschlichkeit und des Rechts beibehalten und für den Schutz von Familien eintreten, die bei uns Zuflucht suchen! Eine Politik, die auf Empathie, Integration und rechtlicher Integrität basiert, ist der einzige Weg, um eine gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft zu gewährleisten! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

10.44 

Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön. 

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Bernadette Kerschler. Ich erteile es ihr.