RN/28
10.55
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Danke schön, Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Staatssekretär – willkommen auch von meiner Seite hier bei uns im Bundesrat! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher – willkommen hier bei uns im Hohen Haus! Ja, so ein Tagesordnungspunkt, der wühlt schon recht auf, da muss ich oder kann ich meiner Kollegin wirklich recht geben. Einerseits wühlt auf, mit welcher Nonchalance die Kollegin von der FPÖ da von illegalen Migranten, von Asylanten, von restriktiver Asylpolitik und so weiter spricht, andererseits aber auch, wie ihr vonseiten der SPÖ eine Maßnahme schönredet, mit der ihr glaubt, jetzt das Allheilmittel für Probleme zu haben, die es gibt – ja, das kann man nicht kleinreden; aber da jetzt zu glauben, das ist das Allheilmittel, das ist halt wirklich - - (Bundesrat Beer [SPÖ/W]: Wo war eure Arbeit die letzten fünf Jahre? Was habt ihr beigetragen?) – Schauen wir einmal, was ihr jetzt macht. Wir haben zumindest keine Verschärfungen mitverursacht, die ihr jetzt auf eurem Gewissen haben werdet. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Aha, es gibt Probleme, aber Sie wollen keine Verschärfungen? ...! )
„Holen wir die Kinder aus Not und Elend und geben“ wir „ihnen Schutz und Hoffnung!“ – Dieser Satz – ich weiß nicht, bei dem werden mir möglicherweise die meisten von euch zustimmen – stammt nicht von mir, sondern vom damaligen SPÖ-Klubchef, Herrn Jörg Leichtfried, der jetzt hier neben mir sitzt, und genau diesen Schutz möchtet ihr heute mit diesem Beschluss den Kindern verwehren.
Meine Kollegin hat zuvor schon die völkerrechtlichen und europarechtlichen Auswirkungen der vorliegenden Gesetzesänderung ausführlich erklärt. Ich möchte den Blick gerne noch einmal ein bisschen stärker auf die praktische Umsetzung lenken und vor allem auf die menschliche Realität dessen, was dieser Beschluss zur Folge hat, was dieses Aussetzen des Familiennachzugs tatsächlich bei echten Menschen – ja, echte Maßnahmen, echte Menschen – bewirkt, und da werde ich nicht um den heißen Brei herum reden: Es geht bei diesem Familiennachzug um Kinder, hauptsächlich um Kinder. Das ist eine Tatsache. Wenn die FPÖ das negiert und außer Acht lässt – ja, das kennen wir eh, dass sie gerne die Dinge einfach verdreht oder ausblendet. Bei euch von ÖVP und SPÖ aber wundert es mich ein bisschen, dass ihr anscheinend vergesst, dass es da um Kinder geht. Es geht um Kinder, deren Eltern anerkannt und rechtmäßig hier leben! Es geht hauptsächlich um Kinder, die in den Herkunftsländern oder in Lagern ausharren, teils seit Monaten oder mittlerweile seit Jahren, jedenfalls in sehr belastenden und höchst unsicheren Situationen. Es geht um Kinder, deren einzige legale Hoffnung auf ein gutes Leben, ein einigermaßen gutes Leben eben dieser Familiennachzug ist – und diese Hoffnung wollt ihr den Kindern mit einem Federstrich nehmen. Dessen müsst ihr euch bewusst sein.
Die Bundesregierung tut so, als wären wir von der Anzahl der nachkommenden Menschen überrascht – es ist von erschöpften Kapazitäten und von einem überlasteten System die Rede –, aber in Wahrheit sind diese Verfahren ja planbar. Wie meine Kollegin schon gesagt hat, werden die Familienverhältnisse zu Beginn der Asylverfahren gleich dokumentiert; wir wissen also von Anfang an, wie viele Kinder da möglicherweise nachkommen können. Wenn wir diese Informationen haben, warum richten wir das System nicht vorausschauend darauf aus, damit es eben nicht überlastet ist?
Warum tun wir so, als wäre jetzt der Familiennachzug plötzlich da und völlig unplanbar? (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, das hätten wir aber vorher - - Und jetzt auf Kosten der Kinder und auf dem Rücken der Kinder? Das ist halt wirklich schwierig.
Ihr wart, glaube ich - - (Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: So einfach ist es!) Habt ihr schon einmal Bilder gesehen – jetzt wirklich die ernsthafte Frage – von diesen Lagern, in denen die Kinder da zwischengelagert sind? Das sind Zustände dort, da sollte kein einziges Kind auch nur einen einzigen Tag seines Lebens dort verbringen müssen – geschweige denn Monate oder Jahre. (Beifall der Bundesrätin Hauschildt-Buschberger [Grüne/OÖ].)
Wenn wir diese Informationen also haben, warum wird dann nicht vorsorglich das System darauf ausgerichtet, vorbereitet? – Ich habe nur eine Vermutung, warum das so ist, warum ihr das jetzt so beschließt, beschließen wollt; zumindest habe ich wie gesagt eine Vermutung. Es geht da jetzt nicht um - - (Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Du meinst, wir müssen unsere unendlichen Ressourcen einfach nur unendlich aufstocken? Weil wir wissen ja, dass wir es brauchen, nicht?) – Ja. Ja. Und die Lösung ist, Kinder zu schädigen? Ist das die Lösung? – Eine schäbige Lösung. Eine schäbige Lösung!
Ja, dass euch die Kinder wurscht sind – ihr tut immer nur so, aber wenn es wirklich, wirklich um den Schutz von Kindern geht, dann seid ihr völlig verpeilt; dann seid ihr völlig verpeilt! (Zwischenrufe bei der FPÖ. – Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Es geht auch um unsere Kinder! Um unsere Kinder geht es auch!)
Und ganz ehrlich: Wenn ihr wirklich nachhaltige Lösungen wolltet, dann hättet ihr in den letzten fünf Jahren als Zuständige für Bildung nicht sämtliche Maßnahmen - - (Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Aus den unendlichen Ressourcen einfach nur unendlich aufstocken!) – Ja, genau. (Zwischenruf der Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.].) – Nein, das nicht, aber man kann das System darauf vorbereiten.
Ihr springt damit einfach auf den Populismuszug der Blauen auf. Ihr springt damit auf den Populismuszug der Blauen auf, denn in Wahrheit bringt diese Maßnahme auch keine Besserung. Durch diese Maßnahmen lernt kein einziges Kind schneller oder besser Deutsch. Es werden dadurch keine einzige Pädagogin, kein einziger Pädagoge und keine einzige Schule entlastet. (Beifall der Bundesrätin Hauschildt-Buschberger [Grüne/OÖ]. – Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Das stimmt ja nicht! Wieso wird sie nicht entlastet, wenn weniger da sind?)
Das ist Symbolpolitik. Was ihr macht, ist: Ihr schmeißt den – weiß ich nicht – rechtswahlgeneigten Menschen in diesem Land einen Köder hin: Da, wir haben eine schnelle Lösung für ein Problem, und noch dazu sind wir ganz besonders streng! Aber dass das zulasten und auf Kosten der Schwächsten und der Kinder geht, das blendet ihr aus. (Bundesrätin Miesenberger [ÖVP/OÖ]: Das ist jetzt eine populistische Aussage! Reiner Populismus!)
Deswegen spreche ich heute auch wirklich bewusst Einzelne von euch persönlich an, zunächst die Kolleg:innen von der SPÖ: Ich glaube ja ehrlich gesagt, dass vielen von euch diese Zustimmung ein bisschen Bauchweh verursacht, vielleicht mehr, als ihr öffentlich zugeben wollt – ist eh klar, dass man das nicht öffentlich zugeben kann –, aber es reicht halt nicht, ein bisschen Bauchweh zu haben und ein schlechtes Gewissen zu haben: Ihr wisst nämlich ganz genau, was ihr den betroffenen Kindern da antut, wenn ihr hier mitgeht und die Hand hebt; genauso die Kollegin von den NEOS.
Ihr wisst, dass es hauptsächlich um Kinder geht, die nicht in Österreich sind – denn die Eltern von sogenannten Ankerkindern sind nur ein ganz geringer Teil, um die geht es jetzt nicht, diese Ankerkinder sind ja schon da, also um die kann es nicht gehen –, es geht um Kinder, die in ihren Heimatländern wie gesagt in Lagern ohne Sicherheit, ohne Bildung und ohne Perspektive ausharren.
Es sollte da wirklich nicht um Parteitaktik, sondern um Verantwortung gehen. Ihr tragt mit eurer Stimme Mitverantwortung dafür, dass diese Kinder weiter in Angst und Elend leben müssen – das muss euch bewusst sein. Es ist schwer, aber genau deswegen bitte ich euch: Stellt euch dieser Verantwortung!
Ich spreche auch noch einmal die Kolleg:innen von der ÖVP an. Kollegin Eder-Gitschthaler hat im Ausschuss, als es um den Tagesordnungspunkt betreffend Schutz ukrainischer Kinder ging, sinngemäß gesagt, ihr seien das Wohlergehen und der Schutz von Kindern ein besonderes Herzensanliegen. Jedem, der Kinder und Enkelkinder hat, sollte das genauso ein Herzensanliegen sein. Da frage ich mich halt jetzt allen Ernstes: Was ist der Unterschied zwischen den ukrainischen Kindern, denen ihr alle helfen wollt, und den Kindern aus Syrien, Afghanistan und Somalia?
Beide Gruppen haben Krieg erlebt, beide haben ihre Familien verloren, in welcher Art auch immer, beide sind von ihren Familien getrennt, beide haben Angst und beide brauchen Schutz und Hilfe. Den einen zu helfen, den anderen aber aktiv den legalen Fluchtweg und damit eine bessere Zukunft zu versperren, das ist Doppelmoral – und den Vorwurf müsst ihr euch einfach gefallen lassen. (Beifall der Bundesrätin Hauschildt-Buschberger [Grüne/OÖ].)
Noch einmal: Eure Entscheidung hat echte Folgen für echte Kinder. Ich höre es immer wieder, ihr habt es ja jetzt öfter gesagt, es gehe ja nur um ein vorübergehendes Aussetzen des Familiennachzugs. Das ist bitte kein Argument! Das ist kein Argument.
Jeder Tag, den diese Kinder länger in diesen Lagern unter unhaltbaren Zuständen sind, ist ein Tag zu viel. Jeder Tag, den ein Kind ohne Schutz, ohne Familie, ohne Schule verbringen muss, ist ein verlorener Tag, ein verlorenes Stück Kindheit und ein verlorenes Stück Zukunft. Der Familiennachzug – haben wir auch schon gehört – ist die sicherste Form der Flucht, vor allem eben für Frauen und Kinder. Und wer den blockiert, der schiebt sie in die Hände von Schleppern und setzt sie Gewalt, Ausbeutung und neuer Traumatisierung aus – auch das muss euch klar sein.
Ich appelliere deswegen an euch: Stimmt nicht gegen euer eigenes Gewissen, das ihr hoffentlich habt! Haltet kurz inne und entscheidet im Sinne von Recht, Vernunft und Menschlichkeit und im Sinne von Kindern! – Danke schön. (Beifall der Bundesrätin Hauschildt-Buschberger [Grüne/OÖ].)
11.06
Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Manuela-Anna Sumah-Vospernik. Ich erteile es ihr.