RN/44

12.20

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Vielen Dank, sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuseher:innen hier und auch vor den Bildschirmen! Ich möchte einen wichtigen Punkt aus dem Bericht herausgreifen, nämlich die Verhinderung von Kindesmissbrauchsdarstellungen im Internet und wie wir EU-weit und gemeinschaftlich bestmöglich dagegen vorgehen können.

Ich möchte mich auch ganz klar noch einmal vom eingangs getätigten Vorwurf an uns bezüglich Pädophilie distanzieren. Wir Grünen in Österreich haben nie davon gesprochen und auch die Grünen in Deutschland haben sich heute eindeutig davon distanziert. Ich möchte auch sagen: Schauen Sie auch im Wörterbuch nach, Pädophilie bedeutet nicht Kindesmissbrauch. Das ist, glaube ich, auch ein wichtiger Punkt. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Jedenfalls distanzieren wir uns ganz klar davon.

Kinder und Jugendliche haben ein einerseits durch unsere Verfassung, aber auch durch die Kinderrechtskonvention garantiertes Recht auf ein gewaltfreies Leben, da Gewalt immer und meist dauerhaft das Leben dieser Kinder und vor allem deren Entwicklung beeinträchtigt. Heute ist insbesondere das Web der Ort, an dem Kindesmissbrauch stattfindet, durch die Kontaktaufnahme von Erwachsenen mit Minderjährigen, um sie dann zu missbrauchen, sogenanntes Grooming, aber auch durch die Verbreitung, den Erwerb und auch den Konsum von Kindesmissbrauchsdarstellungen. Das Web – wir haben es schon gehört – kennt keine Landesgrenzen, und daher braucht es eben diesen EU-weiten und harmonisierten Rechtsrahmen für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern.

Laut einer Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ulm hat jeder dritte junge Mensch in Deutschland – jeder dritte! – in der Kindheit oder Jugend sexualisierte Übergriffe im Internet erlebt. Das wird für Österreich nicht viel anders sein, und leider nehmen diese Fälle auch rasant zu. Ich glaube, ein wichtiger Punkt dabei ist, dass die Onlinewelt keine virtuelle Welt, sondern eine schmerzlich reale Welt ist, in der wir viel Zeit verbringen, in der auch Kinder sehr viel Zeit verbringen und die oft sogar ein wichtiger Teil ihres Lebens ist. Daher gilt es, auch im Onlinebereich genauso strikt gegen Missbrauch vorzugehen wie im analogen – aber nicht mehr und auch nicht weniger.

Und ich sage: nicht mehr, weil gerade in der EU konkret diskutiert wurde und wird, dass Kommunikationsanbieter von Behörden beim Risiko von Kindesmissbrauch auf den Plattformen mittels Aufdeckungsverordnung verpflichtet werden können, alle privaten Chats aller Nutzer:innen zu überwachen und mit Filtersystemen alle Kommunikationsdaten zu screenen. Das klingt im ersten Moment wie ein richtiger Schritt, denn wir denken uns: Die Menschen haben eh nichts zu verbergen. Wenn wir aber diese flächendeckenden Chatkontrollen tatsächlich umsetzen, schütten wir das Kind mit dem Bade aus, nämlich einerseits, weil die Kontrollergebnisse stark fehleranfällig sind, und andererseits, weil die Flut von Ergebnissen kaum bewältigbar ist. Vor allem würde so eine flächendeckende Massenüberwachung das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, das Grundrecht auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten gefährden.

Ich muss sagen, ich wundere mich ein bisschen, dass heute auch die FPÖ hier diese Menschenrechte in diesem Bereich verteidigt, denn es scheint mir schon so, dass Sie auf die Menschenrechte nur dann zurückgreifen, wenn es Ihnen genehm ist, aber sonst Orbán und Trump hinterherhecheln, die von Menschenrechten eigentlich nicht viel halten. (Beifall bei den Grünen.)

Ja, rechtschaffene Menschen haben eigentlich nichts zu verbergen, könnte man sagen. Das Problem ist aber eben auch, wenn eine Regierung an die Macht kommt, die ein anderes Recht schafft, eines, das manche Gruppen zum Beispiel stigmatisiert oder Kritik an der Regierung hervorruft, dann haben sie sehr wohl etwas dagegen, was man sagt oder mit wem man redet. Da braucht man nur an Russland zu denken, wie schnell Menschen im Gefängnis landen und sterben, weil sie Putin kritisieren, oder auch an Ungarn, wo unter dem Deckmantel des Kinderschutzes Versammlungen wie die Pride verboten werden. Solche Regime würden mit einer Massenüberwachung ein gefährliches Instrument erhalten, das sie dann gegen Journalist:innen, gegen Whistleblower:innen oder Oppositionelle einsetzen können. 

Aber auch in liberalen Demokratien, also auch bei uns, kann Massenüberwachung zu sogenannten Chilling-Effects führen. Das heißt, Menschen werden vorsichtiger, ihre Meinung frei zu äußern, wenn sie sich der Vertraulichkeit ihrer Kommunikation nicht sicher sein können, wenn sie davon ausgehen können, dass diese auch überwacht wird. Daher, finde ich, ist es so wichtig – und wir haben auch einen Antrag im Nationalrat eingebracht, der im Innenausschuss liegt –, dass Sie, Herr Staatssekretär – ich wollte es gerne dem Minister direkt sagen –, vielleicht beim Minister (Staatssekretär Leichtfried: Ich sag’s ihm weiter!) – ja, genau – intervenieren und im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und im Sinne der Weitsicht, was unsere demokratischen Rechte betrifft, eine Massenüberwachung mittels Chatkontrolle nicht unterstützen oder gar vorantreiben. 

Es braucht andere Mittel, um Kinder vor Missbrauch zu schützen oder Menschen davon abzuhalten, Missbrauchsmaterial herzustellen oder auch zu konsumieren. Das könnte man auf nationaler Ebene tun, indem man zum Beispiel das Mindestalter für Social Media erhöht – auch das war ein Antrag, den wir im Nationalrat gestellt haben, der aber leider von allen Parteien abgelehnt wurde (Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Und wie willst das überprüfen?) – oder eben durch die Fortführung von Kinderschutzkampagnen, die in der letzten Regierungsperiode initiiert worden sind, nämlich für Kinder und für Erwachsene, aber für Kinder in erreichbaren Formaten, wo es darum geht, überhaupt einmal aufzuklären, was für eine Gewalt es geben kann, da ihnen das oft nicht bewusst ist, und für Erwachsene, um sie für Anzeichen von Gewalt und Missbrauch zu sensibilisieren und vor allem, um auch zu sagen, was sie dagegen tun können – gegen so einen Missbrauch oder wenn er ihnen unterkommt – und wohin sie sich wenden können.

Es ist aber auch auf nationaler Ebene extrem wichtig, Kinderschutzorganisationen und -vereine weiterhin zu unterstützen. Da möchte ich – ich habe es schon einmal hier getan – Rat auf Draht erwähnen, das ist vor allem für Kinder, mit der Telefonnummer 147 oder auch online, oder Die Möwe, die Erwachsenen und Kindern zur Verfügung steht. 

Was aber auch wichtig ist, um wieder zum Bericht zurückzukommen, ist europaweite und internationale Zusammenarbeit der Kriminalistiker:innen, denn das Web und eben auch das Darknet handeln weltweit – es heißt nicht umsonst World Wide Web –, und daher braucht es auch eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen von Europol, um Kindesmissbrauchsnetzwerke zu identifizieren und zu zerschlagen. Zusätzlich braucht es, um auch diese Arbeit erledigen zu können, eine Stärkung der nationalen speziellen Dienststellen für Onlinekindesmissbrauchsdelikte, die eben mit genügend Ressourcen für moderne Soft- und Hardware ausgestattet werden, aber genauso auch mit mehr Cyberspezialist:innen für die verdeckte Ermittlung im Darknet.

Ja, der Digital Services Act muss noch weiter ausgebaut werden und Kindesmissbrauch muss unbedingt verhindert werden, aber Grundrechte dürfen nur unter sorgfältiger Abwägung und Weitsicht eingeschränkt werden. Wir nehmen diesen Bericht zur Kenntnis; das heißt nicht, dass wir allem Inhalt zustimmen, aber den Bericht nehmen wir zur Kenntnis. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

12.29

Vizepräsident Markus Stotter, BA: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor. 

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.