RN/89
16.10
Bundesrat Sebastian Forstner (SPÖ, Oberösterreich): Danke für das Wort, sehr geschätzter Herr Vizepräsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Sehr verehrte Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Mir war es ganz, ganz wichtig, sage ich einmal, jetzt, wenn auch als bislang einziger Mann, etwas zu diesem Thema zu sagen. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, nicht nur weil ich zwei kleine Kinder im Alter von sechs und acht Jahren habe, sondern auch – aber auch nicht nur – weil ich Arbeitskollegen habe, die in der Ukraine arbeiten. Ihr wisst alle, die Firma Fischer betreibt auch ein Werk in der Ukraine, ganz im Westen, und auch diese Arbeitskollegen waren massiv vom Krieg betroffen. Wenn sie an der Maschine stehen und wieder ein Bombenalarm kommt, heißt es: Alles zu, weg, runter in den Keller und warten, bis die Gefahr gebannt ist!
Beim Recherchieren hat es mir – wie jetzt gerade – ein bisschen die Kehle zugeschnürt, als ich eine Aussage gelesen habe, die ich kurz vorlese: Das ist kein Urlaub, wir versuchen nur, am Leben zu bleiben. – Diese Aussage war keine von einem Arbeitskollegen oder einem ukrainischen Soldaten, sondern eine von einem vierjährigen Kind. Das lasse ich so jetzt einmal stehen.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über einen Entschließungsantrag, der nicht nur ein außenpolitisches Signal, sondern meiner Meinung nach auch ein moralisches Gebot ist, nämlich für den Schutz und die Unterstützung ukrainischer Kinder in Zeiten des Krieges. Dieser Antrag wurde von Bundesrätinnen und Bundesräten von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS eingebracht und beinhaltet ein gemeinsames Anliegen über Parteigrenzen hinweg, und das, muss ich sagen, macht mich stolz. Und noch stolzer macht mich, dass die SPÖ maßgeblich zu diesem Antrag beigetragen hat.
Dieser Antrag ist notwendig. Er ist, wie ich meine, dafür da, in Zeiten größter Not ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen für gemeinsame Verantwortung, dafür, diese Verantwortung zu übernehmen – für die Schutzlosesten, für Kinder, für Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Mittlerweile herrscht seit drei Jahren Krieg in der Ukraine, und meiner Meinung nach sind wir in der Verantwortung, ein ganz klares Zeichen zu setzen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Bomben, Raketen, militärische Gewalt – all das hat das Leben von Millionen von Kindern zerstört. Über fünf Millionen Kinder in der Ukraine sind laut Unicef in irgendeiner Form vom Krieg betroffen, viele haben ihre Eltern verloren, ihre Schulen, ihre Häuser und ihre Zukunftsperspektiven.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, es gibt wohl kein bedrückenderes Symbol für das Leiden in diesem Krieg als die Bilder des verlassenen Kinderspielplatzes, zerstörte Wohnhäuser, Kinder, die in Kellern Schutz suchen, anstatt draußen zu spielen.
An dieser Stelle muss ich mich kurz an ein Gespräch mit meinem ukrainischen Arbeitskollegen erinnern, der gesagt hat: Sebastian, ich sitze jetzt seit einer Woche mit meiner Familie im Bunker, mein Sohn ist zwei Jahre alt, ein Wickelkind, und ich habe noch genau drei Windeln. Das sind so die Probleme, mit denen die Leute kämpfen. Ein Kind von mir war damals selbst noch ein Wickelkind, also ich war, wie gesagt, mehr als geschockt.
Diese Kinder, die in Kellern Schutz suchen, wachsen an der Frontlinie auf, es sind Kinder, die nicht einmal wissen, ob sie morgen noch in Sicherheit sein werden.
Besonders schwer zu ertragen ist – und das ist heute dankenswerterweise auch schon angesprochen worden – die Entführung ukrainischer Kinder durch Russland, die dieser Antrag auch explizit anspricht. Wir haben eine Zahl gehört, die ich bis jetzt noch nicht glauben kann: 20 000 Kinder. Wenn sich all diese Kinder jetzt nebeneinander aufstellen würden, dann wäre das eine Menschenschlange bis hin zum Donauturm, 10 Kilometer lang.
Diese Kinder sind unter dem Vorwand der Evakuierung verbracht worden – in Wirklichkeit mit dem Ziel, sie zu russifizieren, ihnen ihre Identität, ihre Sprache und ihre Familien zu nehmen. Diese Praxis ist ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konvention. Das ist ein Kriegsverbrechen, und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat deshalb auch einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin und weitere Verantwortliche erlassen, und zwar unter anderem wegen der Deportation von Kindern.
Doch es geht nicht nur um Gerechtigkeit vor Gericht, es geht auch um konkrete Hilfe hier und jetzt, und auch da hat Österreich eine Verantwortung. Seit Kriegsbeginn haben über 90 000 Menschen aus der Ukraine in Österreich Schutz gesucht, darunter viele Kinder. Viele sind traumatisiert, viele mussten über Nacht alles zurücklassen. Für diese Kinder sind ein Schulbesuch, eine sichere Unterkunft und ein freundliches Gesicht ein erster Schritt in ein Leben mit neuer Hoffnung. Daher ist dieser Antrag auch ein Aufruf, die Hilfe nicht zu reduzieren, sondern aufrechtzuerhalten und, wo nötig, auszubauen – immer im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, die das Recht jedes Kindes auf Schutz, Bildung, Gesundheit und familiäre Geborgenheit garantiert.
Besonders bemerkenswert ist auch, dass dieser Antrag im Nationalrat am 24. April einstimmig beschlossen wurde – dafür auch ein herzliches Danke an alle Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].) Diese Einstimmigkeit ist ein politisches Statement – nicht gegen ein Land, sondern für Kinderrechte, für Menschlichkeit und für das Völkerrecht. Die SPÖ hat diesen Antrag inhaltlich maßgeblich mitgestaltet und steht zu 100 Prozent hinter diesen Anliegen.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen: Dieser Entschließungsantrag ist keine Symbolpolitik, sondern er ist ein klarer politischer Auftrag für uns alle, besonders auch für die Bundesregierung, die sich weiterhin auf allen Ebenen für ukrainische Kinder einsetzen soll, von der Europäischen Union bis hin zur UNO. Sie soll sich für die Rückführung entführter Kinder im direkten Dialog mit internationalen Organisationen und betroffenen Staaten stark machen, und sie soll die Ahndung dieser schweren Völkerrechtsverbrechen mit aller Konsequenz unterstützen.
Ich möchte – und jetzt, liebe Kollegin Barbara Prügl von der ÖVP, wirst du schmunzeln – nun mit etwas Positivem abschließen, weil mir das besonders wichtig ist hier in diesem Haus; ich habe es vor zwei Wochen erzählt: Die Kinderfreunde in Ried haben immer eine großartige Aktion im Rieder Stadtpark. Wir verstecken dort 500 Ostereier für alle Kinder, für die großen wie für die kleinen; die kleinen haben einen extra abgesperrten Bereich, damit sie eben auch etwas finden. (Heiterkeit bei der ÖVP.) –Ja, genau.
Und jetzt kommt der Punkt, den ich unbedingt ansprechen will: Was passiert bei dieser Veranstaltung? Es ist immer wieder eine Riesenfreude. Wir sind als Osterhasen verkleidet, wir laden alle Kinder ein. Heuer war das Wetter super, strahlender Sonnenschein, es waren so viele Kinder und Eltern wie noch nie da, eine richtig tolle Aktion. Und was ist passiert? – Manche Kinder sind losgestürmt, als wir als Osterhasen verkleidet diese Aktion eröffnet haben, haben auf einmal die Eimer vorgezogen und haben ein Ei nach dem anderen in ihre Eimer geschmissen. Es waren dann zehn, 20, 30, oft sogar noch viel, viel mehr Eier drinnen. Was ist passiert? – Die ganz kleinen Kinder sind dagestanden, haben geweint, weil sie nichts gefunden haben. Da zweifelt man ein bisschen an der Menschheit.
Dann ist aber etwas Tolles passiert, dann ist etwas richtig Tolles passiert: Dann sind ein paar Kinder hergekommen – und ich habe geschaut, wie viele Eier sie drinnen haben; sie haben drei Eier drinnen gehabt – und haben von ihren drei Eiern zwei hergegeben, damit die kleineren Kinder auch etwas finden. Das ist es, worum es geht: um diesen Zusammenhalt, diese Perspektive, diesen Glauben an unsere Generation, den uns die Kinder jetzt auch vorleben, dieses Miteinander, nicht darum, die Ellbogen auszufahren, sondern darum, die Hand zu reichen, miteinander zu arbeiten.
Das ist ein Beispiel, das uns die Kinder immer wieder geben, und ich erzähle daher diese Geschichte immer wieder gerne. Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Sie im letzten Redebeitrag erinnern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)
16.20
Vizepräsident Michael Wanner: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.