RN/54
14.01
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Danke schön, Herr Präsident! Werte Frau Ministerin! Ich hätte fast – das habe ich schon im Kopf gehabt – werte Frau Staatssekretärin gesagt; an das muss ich mich erst ein bisschen gewöhnen. (Bundesministerin Plakolm – erheitert –: Same here!) Werte Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! 1 338: So viele Tage wütet bereits der Krieg in der Ukraine. Zum Vergleich: 2 077 Tage hat der Zweite Weltkrieg gedauert, also da ist jetzt nicht mehr so wahnsinnig viel Unterschied.
Das sind 1 338 Tage Terror, Tod, Vertreibung, Verzweiflung. Das, finde ich, ist wirklich Grund genug für Familien, für Frauen mit Kindern, ihre Heimat, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen, teilweise ihre Männer, ihre Söhne im Krieg zurückzulassen. Kollegin Daniela Gruber-Pruner hat schon ganz viel dazu gesagt, was da unsere Verantwortung ist: diese Menschen aufzunehmen, ihnen Sicherheit zu geben, sie zu unterstützen. Bei all dem Leid, das die Zurückgebliebenen zu Hause in der Ukraine erleiden: Das ist wirklich unsere Verantwortung.
Ich kann mich erinnern, vor knapp zweieinhalb Jahren habe ich schon genau zu demselben Tagesordnungspunkt hier gesprochen. Das war damals schon eine sehr emotionale Sache für mich. Es war eine meiner ersten Reden im Bundesrat. Ich kann mich an die Geschichte erinnern, die ich damals erzählt habe, von dem circa achtjährigen Mädchen, das ich beim Bahnhof sitzen gesehen habe, mit dem Transportkorb mit ihrer Katze drinnen und mit diesem eingepackten Gymnastikreifen. Das hat mich so bewegt, weil meine Tochter früher auch rhythmische Sportgymnastik gemacht hat, und ich habe mir gedacht: Das ist so sinnbildlich dafür, was dieser Krieg verursacht, wie er in die Leben, in den Alltag von Menschen, von Kindern einschneidet, reinhackt – erbarmungslos.
Ich kann mich auch erinnern, dass ich mir damals gedacht habe: Die zeitliche Beschränkung dieser Familienleistungen, deren Verlängerung wir heute wieder beschließen, ist ganz vernünftig, weil der Krieg ja nicht mehr so lange andauern kann. Jetzt stehe ich hier, fast zweieinhalb Jahre später, und der Krieg dauert immer noch an, und ein Ende ist aus derzeitiger Sicht nicht in Reichweite, nicht in Sicht.
Wie gesagt, wir beschließen hier noch einmal die Verlängerung der Familienleistungen, die ein wirklich wichtiger Baustein für die soziale Absicherung von Vertriebenen sind, nämlich der Familienbeihilfe und des Kinderbetreuungsgeldes. Wir finden auch das Zusatzerfordernis, das jetzt eingeführt wurde, dass diese Menschen die Voraussetzung erfüllen müssen, erwerbstätig zu sein, selbstständig oder unselbstständig, oder sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen müssen, vernünftig; dem stimmen wir zu.
Es gibt auch die Ausnahmen – das haben wir schon gehört –: unter 18-Jährige, über 65-Jährige und Personen, die Betreuungspflichten gegenüber erheblich behinderten Kindern haben. Es gibt auch noch die vierte Ausnahme mit den besonders berücksichtigungswürdigen Situationen für die Nichtmeldung beim AMS. Genau diese vierte Ausnahme ist zu uns vage. Uns fallen da mindestens zwei Personengruppen ein, die wir einfach, um Unklarheiten vorzubeugen, dezidiert würden anführen wollen. Das sind Studierende, die es auch gibt, und Personen, die in EU-Mitgliedstaaten arbeiten.
Eine zweite Sache, die wir ein bisschen anders sehen: Die Datenschnittstelle zwischen AMS und dem Bundesministerium für Finanzen für einige wenige Hundert Fälle finden wir eigentlich unverhältnismäßig. Aus diesem Grund bringen wir folgenden Antrag ein:
RN/54.1
Entschließungsantrag
der Bundesrätinnen Simone Jagl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ausweitung der Ausnahmetatbestände für ukrainische Bezieher:innen von Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld“
Der Bundesrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Europa, Integration und Familie werden aufgefordert, dem Nationalrat und dem Bundesrat einen Gesetzesvorschlag zuzuleiten, der Personen, die aus der Ukraine vertrieben wurden, auch dann einen Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld für ihre Kinder gewährt, wenn sie aufgrund eines Studiums oder einer Beschäftigung in einem anderen EU-Mitgliedstaat nicht beim Arbeitsmarktservice vorgemerkt sind. Darüber hinaus ist die in der vorliegenden Novelle neu geschaffene automatisierte Datenübermittlung zwischen dem Dachverband und dem Finanzamt Österreich wieder zu streichen.“
Ein weiterer Baustein für die soziale Absicherung ist die Krankenversicherung, die Wiederaufnahme ukrainischer Vertriebener in die Krankenversicherung. Sozialministerium Schumann hat am 6. März dieses Jahres eine Verlängerung der Krankenversicherung für Ukrainevertriebene bis 31. Oktober angekündigt. Sie hat es dann auf 31. Mai verkürzt. Bemühungen für eine weitere Verlängerung sind uns nicht bekannt.
Derweil ist es so, dass viele Ukrainevertriebene teilweise Leistungen erhalten, zum Beispiel ukrainische Pensionen, und daher für die Grundsicherung nicht bedürftig genug sind, das Einkommen eigentlich aber zu wenig ist, um sich eine Selbstversicherung leisten zu können – weil sie sich eben jetzt um eine Selbstversicherung kümmern müssen. Es können aber auch bei der Selbstversicherung, wenn es die gibt, Lücken entstehen. Aus diesem Grund bringen wir einen zweiten Entschließungsantrag ein:
RN/54.2
Entschließungsantrag
der Bundesrätinnen Simone Jagl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Wiederaufnahme der ukrainischen Kriegsvertriebenen in die Krankenversicherung“
Der Bundesrat wolle beschließen:
Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsument:innenschutz wird aufgefordert, dem Hauptausschuss des Nationalrates eine Verordnung nach § 9 ASVG vorzulegen, die aus der Ukraine geflüchteten Personen wieder einen schnellen, unkomplizierten und vor allem lückenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht, zumindest aber Härtefälle abfedert.
Zum Schluss möchte ich noch mein Wort an Kollegen Karacsony richten. Bei so einem Tagesordnungspunkt, bei dem es um das Leid von Menschen geht, die aus einem Land vertrieben wurden, das von Russland angegriffen wurde, als Abschieds- oder als Dankesformel das russische Wort für Danke zu verwenden: Das ist unerhört, das ist wirklich unerhört. – Danke schön. (Beifall der Bundesrätin Kittl [Grüne/W]. – Zwischenrufe bei der FPÖ. – Bundesrätin Jagl [Grüne/NÖ] – auf dem Weg zu ihrem Sitzplatz in Richtung FPÖ –: Das ist nicht okay!)
14.09
Der Gesamtwortlaut der Anträge ist unter folgenden Links abrufbar:
RN/54.3
RN/54.4
Vizepräsident Michael Wanner: Der von den Bundesräten Simone Jagl, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Ausweitung der Ausnahmetatbestände für ukrainische Bezieher:innen von Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld“ ist genügend unterstützt und steht damit in Verhandlung.
Der von den Bundesräten Simone Jagl, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Wiederaufnahme der ukrainischen Kriegsvertriebenen in die Krankenversicherung“ ist genügend unterstützt und steht demnach in Verhandlung.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Mag. Dr. Julia Deutsch. Ich erteile es ihr.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.