RN/92

16.58

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren Zuseher:innen! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Neutralität ist ein historischer und auch ein emotionaler Eckpfeiler unserer Republik. Sie steht – wir haben es heute schon mehrfach gehört – für Unabhängigkeit, für den Frieden, für Selbstbestimmung, und sie ist Teil unserer – wie du (in Richtung Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]) auch schon gesagt hast – DNA. Neutralität ist aber – und das dürfen wir nicht vergessen – kein musealer Zustand, der eingefroren ist, sondern sie ist ein lebendiges Prinzip, das sich in einer veränderten Welt auch immer wieder neu bewähren muss. 

Wer heute über Neutralität spricht, darf sie nicht als Abschottung verstehen. Österreich ist neutral, aber Österreich ist keinesfalls gleichgültig. Neutralität heißt, keine Kriegspartei zu sein, aber nicht, keine Haltung zu zeigen. Sie bedeutet, militärische Bündnisse zu meiden, aber nicht moralische Verantwortung. (Vizepräsident Ruprecht übernimmt den Vorsitz.)

Wenn in Europa ein Angriffskrieg geführt wird, ein brutaler Bruch des Völkerrechts stattfindet, wie Russland ihn in der Ukraine begeht, dann darf Österreich nicht zusehen und nicht schweigen. Neutralität heißt, nicht die Augen zu verschließen, wenn ein Staat die Grenzen eines anderen mit Panzern überschreitet. (Beifall bei den Grünen.) Neutralität heißt, auf der Seite des Rechts zu stehen, nicht auf der Seite des Stärkeren. (Bundesrat Kofler [FPÖ/NÖ]: Auf gar keiner Seite zu stehen!)

Ja, Österreich ist militärisch neutral, aber wir sind es nicht humanitär und schon gar nicht wertepolitisch. Wir stehen für Menschenrechte, für Demokratie und für die Würde jedes Menschen. Und diese Haltung ist kein Widerspruch zur Neutralität, sondern ihre moralische Grundlage. 

Sehr geehrte Damen und Herren, werte Kolleg:innen, die Dringliche Anfrage unterstellt, dass unsere Neutralität gefährdet sei: durch europäische Zusammenarbeit, durch internationale Solidarität, ja, sogar durch humanitäre Hilfe. – Das ist natürlich komplett falsch. 

Österreichs Neutralität ist stark, eben weil sie sich entwickelt hat. Wir leben heute nicht mehr im Jahr 1955. Die Welt ist globaler, vernetzter, und – und das dürfen wir nicht vergessen – auch die Bedrohungen sind es. Cyberangriffe, Desinformation, hybride Kriegsführung: Das alles sind keine Szenarien aus dem Kalten Krieg, sondern aus unserer Gegenwart. Denken wir nur an die allgegenwärtigen Drohnensichtungen und -überflüge, auch in Österreich! Und wenn Sie sich erinnern: Ich habe das in der letzten Bundesratssitzung auch ausgeführt. 

Wer Neutralität ernst nimmt, muss sie auch in die Gegenwart, in die Realität übersetzen. Darum ist es richtig, dass Österreich europäische Sicherheitskooperationen unterstützt, sofern sie keine militärische Bündnisverpflichtung begründen. 

Programme wie Sky Shield dienen zum Schutz unseres Luftraumes. Sie machen Österreich nicht zum Mitglied der Nato, sondern erhöhen unsere Sicherheit in einer Zeit, in der der Himmel über Europa kein selbstverständlicher Schutzraum mehr ist. Und bei Sky Shield setzen wir Grüne uns zugleich für transparente Kontrolle und demokratische Aufsicht bei Rüstungsbeschaffung ein – eine grüne Initiative, die wir auch im Parlament vorantreiben, denn Sicherheitspolitik muss effektiv, aber rechtsstaatlich kontrolliert bleiben. 

Neutralität heißt, selbst über unsere Sicherheit zu entscheiden, und dazu gehört, Bedrohungen ernst zu nehmen, bevor sie an unserer Grenze stehen oder über unsere Grenze fliegen. 

Am Montag hat uns – ich weiß nicht, wer von Ihnen bei der Veranstaltung dabei war – die Präsidentin des Schweizer Nationalrates besucht – Sie erinnern sich: „70 Jahre Neutralitätsgesetz: Die Neutralität im Fokus – ein Symposium über Herausforderungen und Perspektiven“ –, und die Schweiz ist ein Land, das mit seiner Neutralität schon eine sehr lange Erfahrung hat. Und sie hat betont, dass Neutralität nicht bedeutet, sich von der Welt abzuschotten, wie ich es eben auch schon gesagt habe, sondern sie ist die Verpflichtung zur Vermittlung, zur Diplomatie, zur humanitären Hilfe. Maja Riniker unterstrich, dass die Schweiz die Neutralität „lediglich als Mittel unserer Außenpolitik“ ansehe – zitiert. Sie solle dem Staat möglichst viele Handlungsmöglichkeiten geben, bedeute aber nicht Gleichgültigkeit gegenüber jenen, die das Völkerrecht verletzen. Deshalb habe sich auch die Schweiz – und Sie wissen es – an den Sanktionen gegen den Aggressor Russland beteiligt. Und die Schweiz zeigt uns auch, dass eine moderne Neutralität aktiv, solidarisch und international vernetzt sein kann. 

Meine Damen und Herren, was die FPÖ mit ihrer Anfrage betreibt, ist tatsächlich – ich muss es so sagen – eine selektive Lesart der Neutralität: Kritik an der EU, aber kein Wort – doch, Kollege Spanring hat es kurz erwähnt – über die russische Aggression, Kriegsverbrechen oder die Abhängigkeit vom russischen Gas. Es ist eine Neutralität nach außen, aber keine Haltung. 

Was wir Grüne wollen, ist, dass Österreich Neutralität europäisch lebt, im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, mit der wir unseren Frieden sichern und uns an humanitären Missionen beteiligen, ohne eben unsere Neutralität zu verletzen. Und diese Form der Solidarität ist keinesfalls eine Schwäche, sondern ein Ausdruck einer modernen und aktiven Neutralitätspolitik. 

Und wenn die FPÖ von Frieden spricht, aber gleichzeitig die Unterstützung jener ablehnt, die sich gegen Krieg und Unterdrückung verteidigen, dann ist das bitte keine Friedenspolitik, sondern eine politische Unterordnung gegenüber Russland. (Beifall bei den Grünen sowie des Bundesrates Gfrerer [ÖVP/Sbg.].) 

In der Anfrage wird über Frieden gesprochen, und ich glaube, da sind wir uns ja alle einig: Wer möchte den Frieden nicht? Friede ist – nebenbei – unser grüner Markenkern. (Widerspruch bei der FPÖ.) Aber echter Friede entsteht nicht durch nationale Abschottung oder die Illusion, man könne sich einfach heraushalten, während andere für Stabilität sorgen. 

Unsere Neutralität ist kein Freibrief für Bequemlichkeit, sondern die Verpflichtung zum aktiven Eintreten für einen gerechten Frieden. Friede entsteht durch Diplomatie, Dialog, internationale Zusammenarbeit und klare Solidarität mit jenen, die für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kämpfen. Wir brauchen eine Neutralität, die verbindet statt trennt, die sich auch in humanitärer Hilfe, in Klimaschutz, in der Entwicklungszusammenarbeit zeigt und nicht in Schweigen und Abseitsstehen.

Und erlauben Sie mir bitte auch noch ein Wort zu den migrationspolitischen Passagen in der Anfrage! Wer Neutralität mit Abschottung verwechselt, der verrät ihren Geist. Die Neutralität Österreichs war nie ein Instrument der Angst, sie war Ausdruck von Selbstbewusstsein und Menschlichkeit. Österreich hat nach 1956 ungarische Flüchtlinge aufgenommen, 1968 Menschen aus der Tschechoslowakei, in den Neunzigerjahren Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und jetzt natürlich aus der Ukraine. Diese Solidarität hat unser Land geprägt, sie ist gelebter Humanismus. 

Und wenn heute Menschen vor Krieg, Verfolgung und Zerstörung fliehen, dann dürfen wir sie nicht pauschal als Bedrohung sehen, sondern als Aufgabe für unsere Menschlichkeit. Da muss ich jetzt schon noch einmal ganz kurz darauf zurückkommen, Herr Staatssekretär: In diesem Zusammenhang auf den Stopp des Familiennachzuges stolz zu sein, ist für mich keine Ruhmesmeldung. Es tut mir leid, ja. (Beifall bei den Grünen.) Wer nämlich Angst sät und die Neutralität benutzt, um gegen Schutzsuchende zu hetzen, der instrumentalisiert ein hohes Gut für niedrige Zwecke. 

Neutralität, Friede und Freiheit sind keine Schlagworte, sondern Verantwortung: Verantwortung gegenüber den Menschen in unserem Land und gegenüber der Welt. Freiheit heißt nicht, sich von allem loszusagen, sondern Entscheidungen aus Überzeugung zu treffen. 

Und Selbstbestimmung bedeutet, gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern für eine friedliche Zukunft einzustehen, und nicht, uns von ihnen abzuwenden. Die Welt wird sicherer, wenn Europa zusammenarbeitet, und nicht, wenn jedes Land allein versucht, sich zu verteidigen. Wer heute von Selbstbestimmung spricht, darf nicht vergessen, dass Sicherheit, Klima, Energie und Friede längst grenzüberschreitende Aufgaben sind. 

Unsere Neutralität ist genau dann glaubwürdig, wenn sie aktiv für den Frieden wirkt, wenn sie auf Zusammenarbeit statt auf Nationalismus setzt. Lassen Sie uns also nicht über die Vergangenheit der Neutralität streiten, sondern über ihre Zukunft sprechen, eine Zukunft, in der Österreich humanitär handelt, europäisch denkt, international vermittelt und konsequent für Menschenrechte eintritt! Das ist Neutralität, die tatsächlich schützt, die lebt, und das ist die Neutralität, für die wir Grüne stehen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)

17.08 

Vizepräsident Günther Ruprecht: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Dr.in Julia Deutsch. Ich erteile es ihr.

Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.