RN/108

18.40

Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Danke schön, Herr Präsident! Willkommen, liebe Frau Ministerin! Werte Zuseher:innen und Zuhörer:innen zu Hause vor den Bildschirmen! Die FPÖ und das Feindbild Anlassgesetzgebung: Ja, manchmal gibt es Anlässe, die wirklich gut sind, um Verbesserungen umzusetzen. Oder? Ich meine, das ist ja nichts Schlechtes, oder? (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ.)

Aber ja, ich verstehe schon, dass ihr da prinzipiell immer zuerst etwas Negatives finden müsst.

Wir behandeln hier heute bei diesem Tagesordnungspunkt eine Verbesserung für freie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, wobei wir das auch ein bisschen ambivalent sehen; dazu komme ich dann später noch. 

Zu Beginn einmal etwas Grundsätzliches: Freie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, das sind oft Personen, die wirklich in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Das heißt, sie arbeiten formal zwar frei, sind aber de facto oft wirklich in einer Abhängigkeit zum Auftraggeber, ohne die Rechte und die Sicherheiten regulärer Arbeitnehmer:innen zu haben. 

Jetzt könnte man annehmen: Ja, so ein Arbeitsverhältnis, das geht doch keiner freiwillig ein. Gibt es dann da überhaupt so viele? – Aber das sind Menschen, mit denen wir im Alltag wirklich sehr oft in Kontakt sind, viel öfter, als man meint. Das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir anrufen, wenn wir ein Problem haben, zum Beispiel mit dem Handy oder mit dem Internetanschluss. Das sind die Call-Center-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Das sind die Fahrradbotinnen und Fahrradboten, die schnell wichtige Schriftstücke von A nach B bringen. Das sind aber ganz oft auch Pflegekräfte. Das sind Trainerinnen und Trainer in der Erwachsenenarbeit, in der Erwachsenenbildung. Und wir haben es schon gehört: Das sind Essenszustellerinnen und -zusteller. Ich denke, die meisten von uns – ich kenne derweil nur eine Ausnahme – haben eine App von so einer Lieferfirma am Handy, mit der man sich relativ einfach und unkompliziert Essen bestellen und liefern lassen kann.

Also wir sprechen über eine Gruppe Menschen, die wirklich einen relativ großen Teil unserer Arbeitswelt bilden und trotzdem viel zu oft am Rand stehen. Sie haben oft wenig Absicherung, wenig Mitsprache und oft tatsächlich auch keine Stimme. Wir erleben wirklich allzu oft, dass der freie Dienstvertrag missbraucht wird, um reguläre, sichere Beschäftigungsverhältnisse auszuhebeln. Wie schon von der Kollegin vorhin angesprochen, ist der Fall eines Essenslieferzustellers unlängst sinnbildlich dafür. Ob wir diese schwierige Beschäftigungsform tatsächlich rechtlich aufwerten und damit vielleicht noch attraktiver machen wollen, ist halt die Frage. Wir werden das sehen. 

Gleichzeitig ist natürlich jeder Schritt, durch den die freien Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer mehr Arbeitsrechte bekommen, wichtig und willkommen, und wenn die Betroffenen sozial besser abgesichert sind und sie Angestellten ähnlicher gestellt werden, wird es möglicherweise tatsächlich für Unternehmerinnen und Unternehmer auch unattraktiver, freie Dienstnehmer:innen statt fixe Beschäftigte einzustellen. Deshalb werden wir hier natürlich zustimmen.

Aber worum geht es genau? Erstmals dürfen Kollektivverträge auch für freie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer abgeschlossen werden. Damit schaffen wir eine Grundlage, eine gewisse Basisabsicherung mit Mindestentgelten, Auslagenersatz und so weiter. Dass das keine Verpflichtung ist, ist ein Wermutstropfen, und viele zentrale Rechte, da muss ich Kollegen Kober von der FPÖ tatsächlich recht geben, ja, tatsächlich einige wichtige Rechte, zentrale Rechte gelten weiterhin nicht: Arbeitszeit, Urlaub, Mitbestimmung. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring [FPÖ/NÖ].) – Bitte? (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ] – erheitert –: Jetzt wird er aus der Partei ausgeschlossen!) – Na geh! (Heiterkeit bei der Rednerin, bei den Grünen sowie bei Mitgliedern des Bundesrates von der ÖVP.) Jetzt weiß ich nicht, soll ich mich geehrt fühlen? 

Also man gibt in dem Fall ein gewisses Stück an Sicherheit, aber man hält die Betroffenen weiterhin auf Distanz zu den Rechten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer längst selbstverständlich haben.

Es wird jetzt auch einen Kündigungsschutz geben, also gestaffelte Kündigungsfristen von sechs Wochen bis zu fünf Monaten.

Aber ein Punkt, der uns noch relativ wichtig wäre, bleibt auch völlig offen: Freie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer haben keine betriebliche Vertretung. Sie haben niemanden, der ihre Rechte im Betrieb durchsetzt. Und dass die betriebliche Vertretung keine Nebensache ist, das ist, glaube ich, eine ganz klare Sache, denn Rechte auf dem Papier sind wichtig und schön, aber sie nützen halt wenig, wenn niemand da ist, der sie verteidigt und der Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer dabei unterstützt, diese Rechte durchzusetzen. Nicht jeder Beschäftigte, nicht jede Beschäftigte hat das Wissen oder die Möglichkeiten, sich wirklich selber auf die Füße zu stellen und sich selber einzusetzen, wenn es vielleicht in einem Betrieb einmal nicht so ist. Ich möchte jetzt nicht pauschal sagen, dass Betriebe prinzipiell Arbeitnehmer:innenrechte nicht einhalten wollen, aber wenn es einmal so ist, dass man sich auf die Beine stellen kann, wäre eine Vertretung schon ganz wichtig.

Freie Dienstnehmer:innen dürfen längst bei Wahlen in die AK-Vollversammlungen mitstimmen, sie dürfen dorthin gewählt werden, also warum nicht auch in den Betriebsrat? Warum sollen Menschen, die Seite an Seite mit Angestellten arbeiten, weniger mitbestimmen, nur weil der Vertrag anders heißt?

Also prinzipiell ist diese Reform einmal ein kleiner, aber notwendiger Schritt. Unserer Meinung nach ist aber noch viel zu tun, denn soziale Demokratie heißt, niemand steht allein, wenn es um seine Rechte geht. Betriebliche Mitbestimmung ist kein Luxus, sie ist das Rückgrat einer fairen Arbeitswelt. Und wer Fairness ernst meint, der muss dafür sorgen, dass alle, die arbeiten, tatsächlich auch gehört werden, vertreten werden und geschützt sind. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

18.47 

Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön. 

Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Ministerin Korinna Schumann. – Bitte. 

Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.